160 Jahre Heilstätte Carlsfeld bei Brehna

Ein Blick auf ihre denkmalgeschützten Gebäude

Benny Berger | Ausgabe 3-2020 | Geschichte

Das ehemalige Gasthaus (Ansichtskarte, 1913, Sammlung, B. Berger) Hier befanden sich bis 1900 die Wohnung des leitenden Arztes sowie Krankenzimmer der „Privat-Heilanstalt Carlsfeld“.
Pferdestall und spätere Unterkunft für weibliche Patienten (links) und Gasthaus (rechts) (Westansicht, Ausschnitt einer Ansichtskarte, um 1900, Sammlung B. Berger)
Pferdestall (Westansicht, Foto, um 1950, Sammlung Günther Döring)
Casino (Foto, 1962, Fotobuch Heilstätte Carlsfeld, Sammlung Günther Döring)
Innenräume, Casino (Ansichtskarte, 1930, Sammlung, B. Berger)
Der Erweiterungsbau, noch zweigeschossig mit Kuppel in der Mitte (Ansichtskarte von Mai 1905, Ausschnitt, Sammlung, Günther Döring
Anzeige nach 1905 von Dr. med. Alexander Schmidt (Sammlung, B. Berger)

Der „Bund Heimat und Umwelt in Deutschland“ (BHU) benennt für jedes Jahr ein Kulturdenkmal, mit dessen Wahl er auf die Vielfalt des kulturellen Erbes hinweisen und für gefährdete Elemente der Kulturlandschaft sensibilisieren will. 2020 stehen „historische Orte der Heilung und Gesundheit“ im Mittelpunkt.

Mit dem 2019 vom Landkreis Anhalt-Bitterfeld geförderten und Anfang 2020 herausgegebenen Buch „Carlsfeld bei Brehna – ein historischer Abriss“ wurde die Geschichte von Carlsfeld zusammengetragen, die eindeutig in die Kategorie für das Kulturdenkmal 2020 fällt.

Ein Großteil der 1829 bis 1905 errichteten Gebäude steht unter Denkmalschutz. Sie haben Bezeichnungen wie „Gasthaus“, „Ärzte-Villa“, „Pferdestall“ oder „Casino“, deren Geschichte hier an zwei Beispielen kurz vorgestellt werden.

Zu Beginn soll ein historischer Abriss einen Überblick verschaffen. Mit dem Bau der „Berlin-Kasseler-Straße“ (die heutige B100) 1822 bis 1824 wurde die Errichtung von Pferdewechseln aller 15 km notwendig. Zwischen Halle und Bitterfeld ergab sich der Standort Carlsfeld. Neben dem Pferdewechsel wurde ab 1827/28 hier eine Poststation mit Gasthaus über 30 Jahre unter wechselnden Pächtern betrieben. Initiator war der Brehnaer Bürgermeister Carl Vogel. Nach kurzer landwirtschaftlicher Nutzung ab 1854 wurde Carlsfeld durch Dr. med. Heinrich August Niemeyer zu einer „privaten Kranken- und Irrenanstalt“ für 30 Patienten umgebaut. Niemeyer war der älteste Sohn des bekannten Halleschen Mediziners Wilhelm Hermann Niemeyer.[1] Neben mehreren baulichen Veränderungen und landschaftsplanerischen Erweiterungen wurde ab 1895 unter dem vierten Leiter der Einrichtung, Dr. med. Alexander Schmidt, begonnen, weitere Gebäude zu errichten, was 1905 im Neubau eines Krankenflügels gipfelte. 1920 kaufte die Knappschaft Carlsfeld und ließ es zu einem Krankenhaus ausbauen, das sie bis 1946 betrieb. Im Zweiten Weltkrieg wurde es als Reservelazarett mit bis zu 1600 Betten genutzt. Danach war es bis 1961 Zentralklinik für Skelett-Tuberkulose. Im Jahr darauf bis 1976 wurde Carlsfeld eine Außenstelle des Kreiskrankenhauses in Bitterfeld, anfangs für die Isolierstation und geburtshilflich-gynäkologische Abteilung. Bis zu ihrer Auflösung 1998 war dort die Innere Abteilung. Ein Jahr später kaufte die Pro Civitate gGmbH die Anlage und nutzt heute einen Teil als Pflegeheim. Carlsfeld war 160 Jahre lang ein Ort medizinischer Heil- und Pflegeeinrichtungen.

Seit seiner Umwandlung in eine „private Heilstätte für Geisteskranke“[2]  ab 1861 erhielt Carlsfeld Bezeichnungen wie „Asyl“, „Privatheilanstalt“, „Privat-Heil- und Pflegeanstalt für Irre und Epileptische“. Die Bezeichnung „Knappschaftskrankenhaus“ wurde ab 1922, als die Knappschaft den Betrieb übernahm und umfassend modernisierte, überraschenderweise schnell übernommen.

Der Begriff „Heilanstalt“ hatte sich nach der Einrichtung als „Seuchenkrankenhaus“ des Kreises Bitterfeld ab Ende 1945 bis 1951 und der Lungentuberkulose-Stationen zwischen 1949 und 1951, jedoch spätestens mit dem Aufbau einer Heilstätte für Knochentuberkulose in Carlsfeld ab 1951 wieder eingebürgert. Die Heilstätte wurde zwar später offiziell in „Zentralklinik für Skelett-Tuberkulose“ umbenannt, der Begriff hielt sich jedoch bis zu ihrer Einstellung 1961.

 

Der ehemalige „Pferdestall“

Nördlich vom ehemaligen Gasthaus befindet sich auf der west­lichen Seite der sogenannte „ehemalige Pferdestall“ von 1829, der eine ursprüngliche Nutzung als Ausspanne des „Postetablissements Carlsfeld“ vermuten lässt. Es ist ein niedriger Putzbau. Der südlich davor gesetzte barocke Schweifgiebel wurde nach 1900 mit Verzierungen durch Voluten und Kugeln vorgenommen, die das Gebäude baulich erheblich aufwerten.[3] Den Anbau wird es mit der Gestaltung des „Casinos“ um 1900 erhalten haben. Von 1862 bis 1905 diente der „langgestreckte, eingeschossige Bau als Krankenstation für die weiblichen Patienten“[4] des Asyls. „Ein östlich gegenüberliegender ebenfalls eingeschossiger Bau beherbergte die männlichen Kranken[5]“.

Dr. Böttger beendete die Umbauarbeiten. Der Gebäudebestand des ursprünglich vorhandenen Vierseitenhofes wurde dabei erweitert. 1866 schreibt Dr. Böttger zum Asyl: Es „besteht im Wesent­lichen aus zwei Hauptabtheilungen, von denen die eine sich im Vorderhause befindet und bestimmt ist, nur Kranke leichterer Art aufzunehmen. Die zweite Abtheilung besteht aus zwei Seitenflügeln [Pferdestall], der eine für das männliche [Männerflügel], der andere für das weibliche Geschlecht bestimmt, welche selbstverständlich auf das Strengste geschieden sind. Jede Abtheilung hat ihre besondere Badeanstalt und ein grösseres gemeinsames Zimmer.“[6]  Die Gebäude waren „ringsum von grossen, für die Geschlechter geschiedenen Gärten, und diese sind von den zur Anstalt gehörigen Feldern umgeben.“ [7] Jede Abtheilung besaß „ein eigenes Isolirzimmer. Aus den Gesellschaftsräumen gelangt man unmittelbar in die zu der betreffenden Abtheilung gehörigen Gärten, welche sich nach aussen hin um die Krankenräume gruppiren.“[8]

Bereits im dritten Jahr nach dem Kauf von Carlsfeld begann Dr. Schmidt bauliche Veränderungen vorzunehmen. 1897 wurden am Männerflügel durch einen Anbau drei weitere Räume als Krankenzimmer errichtet.[9] In der Zeit als Knappschaftskrankenhaus diente der Pferdestall Beschäftigen als Wohnungen.[10]

 

Das Carlsfelder „Casino“

Die Heilanstalt bildete bei ihrer Gründung „ein Quadrat, in dessen Mitte das Wirthschaftsgebäude, welches zugleich einen Speise- und Versammlungssaal enthält, gelegen ist.“[11]  Der Saal war das spätere Casino.

Einige Grundmauern des Casinos stammen noch von Wagenschuppen auf dem Hof aus der „Entstehungszeit der Carlsfelder Anlage“ .[12] „Spätestens in den 1850er Jahren gab es innerhalb des Gebäudekarrees, an der Stelle des heutigen ‚Casinos‘, ein Haus“.[13] Noch bis 1870 wurde er als „Mittelbau“ bezeichnet und enthielt „ausser Wirthschaftsräumen und Beamtenwohnungen einen Speise- und Unterhaltungssaal.“ [14]

Im Visitationsbericht für das Jahr 1889 sind mit dem „Anbau eines Billard- und Lesezimmers im Anschluss an den schon vorhanden Speisesaal“ „[Casino]“[15]  einige bauliche Veränderungen festgehalten.

Als Wirtschaftsgebäude war es ursprünglich zweigeschossig, wurde aber bis 1905 im Auftrag von Dr. Schmidt zum Eingeschosser umgebaut. Mit dem Umbau erhielt es eine repräsentative Fassade nach Süden mit „Ecklisenen, geschwungene(n) Fensterverdachungen, barocke(r) Blendbalustrade, Mittelrisalit, geschweifte(m) Ziergiebel.“ [16]

Innen soll die Ausstattung teilweise aus der Erbauungszeit stammen. „1905 befand sich darin die Küche, der Speisesaal (zu jener Zeit noch für die Patienten) und das Billardzimmer“.[17] Das Casino wurde bis 1998 als Kantine und für Aufenthaltsräume für Ärzte und Schwestern genutzt. Hier befand sich in den 1950er Jahren auch eine Bibliothek.

 

Stellung und Bedeutung des Asyls Carlsfeld um 1900

Bereits nach den ersten Jahren wurden die „Carlsfelder Kliniken […] ein nicht zu unterschätzender wirtschaftlicher Faktor für Brehna und die Region. […] Die Handwerker, Händler und Gastronomen des Ortes profitierten von den Bedürfnissen der Patienten und Gäste.“[18]

„Interessant ist ein Blick auf die soziologische Zusammensetzung der Carlsfelder Patienten. Die Mehrzahl entstammte dem Großbürgertum, es war vertreten durch Kaufleute, Schiffseigner, Mühlen- und Brauereibesitzer. Groß war die Zahl der Gutsbesitzer, der verschiedensten Verwaltungsangestellten und intellektueller Berufe. Nicht zu vergessen ist eine Reihe königlicher Beamter und Patienten mit den verschiedensten Militärrängen.“[19]  Überraschend groß war auch der Einzugsbereich der Heilstätte. Die Patienten kamen aus Berlin, Erfurt, Magdeburg, Havelberg, Halle, Potsdam, Stendal. Darüber hinaus weilten Kranke aus Krakau, Wien, Mitau, Reval, Königsberg, Hamburg und Amsterdam für längere Zeit hier. Man kann aus diesen Betrachtungen der Heilstätte Carlsfeld eine bedeutsame Rolle bei der Behandlung von an einer Nervenkrankheit Leidender einräumen.

1895 wurde Dr. Schmidt die Erlaubnis für die „Fortführung der in Carlsfeld bei Brehna […] gelegenen Privat-Krankenheilanstalt […] erteilt“.[20] Neben dem Leiter Dr. Schmidt und dem Assistentsarzt Dr. Spanngenberg bestand das Personal 1897 aus einer Oberwärterin und jeweils vier Wärterinnen und Wärtern. Zudem waren eine Köchin mit zwei Küchenmädchen, zwei Hausmädchen und jeweils einer Wirtschafterin, einem Kutscher, Gärtner, Gärtnergehilfen sowie einem Arbeiter und einer Arbeiterin beschäftigt. [21]

„Als Dr. med. Alexander Schmidt Carlsfeld erwarb, reichten die vorhandenen Betten für die Nachfrage längst nicht mehr aus. Als begüterter Mann ließ er sich die Chefarzt-Villa erbauen und begann einen größeren Krankenhausbau“, der 1905 fertiggestellt wurde.[22]

Am 3. Februar 1905 erhielt Dr. Schmidt die „Genehmigung zur Erweiterung der von ihm bisher schon geführten Privatheilanstalt zu Karlsfeld […].“[23]  Am 1. Mai 1905 war der Neubau nördlich der vorhandenen Gebäude fertig gestellt und konnte genutzt werden. Er war 95 Meter lang, nicht unterkellert aber anfangs nur zweigeschossig. Im Mittelbau befanden sich moderne Heizungs- und Wasserversorgungsanlagen.[24] 1914 verlieh man Dr. Schmidt, als Besitzer und Leiter der „Privatirrenanstalt zu Carlsfeld“, den Titel „Sanitätsrat“.[25]

 

[1] Vgl. „Der Mediziner Wilhelm Hermann Niemeyer“ von Elfriede Baars in: Ekkehard. Familien- und regionalgeschichtliche Forschungen – Neue Folge 7 (2000), Heft 2, Hallische Familienforscher „Ekkehard“ e. V., Halle (Saale), Kreuz und Quer Verlag Halle, 2000, S. 33 – 36.

[2] Das war die übliche Bezeichnung von psychiatrischen Anstalten im 19. Jahrhundert.

[3] Ebenda.

[4] Vgl. 2003 – Denkmalverzeichnis Landkreis Bitterfeld, Landesamt für Denkmalpflege u. Archäologie Sachsen-Anhalt.

[5] Ebenda.

[6] Vgl. 1866 – Correspondenzblatt für Psychiatrie Nro. 22 S. 336 – 338.

[7] Ebenda.

[8] Vgl. Dr. med. H. Böttger (Director der Anstalt,); Bericht Über die Privatheilanstalt Asyl Carlsfeld während der Jahre 1863 – 1868, S. 84 – 86, Herausgegeben von Alexander Göschen in Deutsche Klinik Zeitung, Beobachtungen aus deutschen Kliniken und Krankenhäusern, Jahrgang 1869; Band 21, vom 27. 02. 1869.

[9] Vgl. LASA MER, C 48 li Nr 571 III 1892 – 1905, 1897.

[10] Ebenda.

[11] Vgl. Böttger, Bericht Über die Privatheilanstalt Asyl Carlsfeld während der Jahre 1863 – 1868, S. 84 – 86.

[12] Vgl. Dr. Katja Münchow, 2001, Hausgeschichten denkmalgeschützter Bauten in Brehna , 2001, S. 73.

[13] Ebenda.

[14] Vgl. 1866 – Correspondenzblatt für Psychiatrie Nro. 22 S. 336 – 338.

[15] Vgl. LASA MER, C 48 li Nr 571 II 1873 – 92, Blatt 449, Rückseite.

[16] Vgl. Münchow, 2001, S. 73.

[17] Ebenda.

[18] Vgl. Ebenda, S. 70.

[19] Vgl. Dr. Rolf Kutscher, „Geschichte des Krankenhauses Carlsfeld“, Manuskript, 1971 (Kutscher war 1968 bis 1971 Oberarzt der Inneren Abteilung des Krankenhauses Carlsfeld), Anhang, S. 4.

[20] Vgl. LASA MER, C 48 li Nr 571 III 1892 – 1905, Bl. 377.

[21] Vgl. LASA MER, C 48 li Nr 571 III 1892 – 1905, Bericht 1897 II, S. 3 vom 23. 02. 1898.

[22] Vgl. 60 Jahre Kreiskrankenhaus Bitterfeld, S. 19.

[23] Vgl. LASA MER, C 48 li Nr 571 III 1892 – 1905, S. 378.

[24] Vgl. Kutscher, Carlsfeld, Manuskript, 1971, S. 5.

[25] Vgl. Psychiatrisch-neurologische Wochenschrift, 1914, Bd. 15, S. 244.