Das Biosphärenreservat Drömling – Unterwegs mit Fred Braumann.

Von Kolonisten im Moor, Horsten und viel Naturschutz*

Amanda Hasenfusz | Ausgabe 3-2020 | Kulturlandschaft

Drömlingsgraben am Kämkerhorst. Foto: Sabrina Beyer
Infostelle des Biosphärenreservats Drömling, der Kämkerhorst. Foto: Sabrina Beyer
Drömling - Land der 1.000 Gräben - Feuchtgebiete ohne Ende. Foto: Sabrina Beyer
Cover des Entschleunigungsbuches "In the middle of Nüscht" - go West. Die westliche Altmark entdecken" (Herausgeberin Sibylle Sperling)

* Dieser Text erscheint in abgewandelter Form im neuen Buch von Sibylle Sperling (Hg): Go West – In the Middle of Nüscht. Die westliche Altmark entdecken. Ein Entschleunigungsbuch. Omnino Verlag Berlin, 2020.

 

Eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch. Pure Natur. Stille und jede Menge Wiesen, Wälder, Kanäle. Weit entfernt: die Zivilisation. Fred Braumann, Leiter der Biosphärenreservatsverwaltung Drömling, und ich schirmen die Augen gegen das Sonnenlicht. Wir sind im Drömling unterwegs, tauchen in die satt grüne Landschaft ein, sehen seltene Tiere. Soweit das Auge reicht ist keine Besiedlung zu sehen. Übervolles Grün an der Landesgrenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Beide Bundesländer teilen sich das Gebiet: 280 Quadratkilometer gehören zu Sachsen-Anhalt, etwa 60 Quadratkilometer zu Niedersachsen. Mitten durch führt das Grüne Band Deutschland.

Wie war das mit der Zivilisation? Auf den ersten Blick weit entfernt. Der zweite Blick verrät: ohne menschliches Zutun wäre das riesige Areal nicht das, was es heute ist. Eine künstlich angelegte Kanal- und Grabenlandschaft. 30 Kilometer lang und 21 Kilometer breit. Unendliche Weiten … Das Land der 1.000 Gräben – wie es offiziell heißt.

Kolonisation, sagt Fred Braumann. Das war der Ausgangspunkt. Kolonisierung durch Entwässerung. 1782 ging es los mit dem Bau von Kanälen und Gräben, Wegen und Brücken, Grabenmeisterhäusern und Einzelgehöften (sog. Kolonien). Heinrich
August Riedel (1748 – 1810) und sein jüngerer Bruder Georg August Riedel (1758 – 1839) sind Namen, mit denen die Urbarmachung des Drömlings verbunden ist. Ihr Auftraggeber: Friedrich II. Nicht nur in der Neuen Welt wird Land neu kolonisiert, sondern weiterhin auch zuhause. Im großen Stil. In Preußen. Entwässerung durch Kanalbau war ein Thema des 17. und 18. Jahrhunderts. Nicht nur Frankreich, Russland, Polen und Italien rüsteten zum Kampf gegen bisher ungenutzte Landstriche, auch Preußen mischte kräftig mit. Der einst freie Drömling, der alte Thrimining mit seinen Horsten, sollte gezähmt werden, um eine riesige landwirtschaftliche Wiesen- und Weideflächennutzung möglich zu machen. „Horste“ sind die Inseln inmitten der Moorlandschaft, auf die damals die Weidetiere getrieben wurden, wenn das Wasser zu hoch anstand. Sie sind noch heute an den darauf wachsenden Eichenwäldern zu erkennen.

Das Versumpfungsmoor Drömling, schwammiger Boden zwischen Ohre und Aller und eine weite flache, abgesenkte Landschaft, wurde staatsmännisch zur Räson gebracht. Urbar gemacht. Tausende Menschen schlugen über 2.000 Kilometer Kanäle in den Moorboden. Das ist eine Strecke weiter als von Salzwedel nach Neapel. Der Erlenbruchwald des Drömlings wurde massiv entwässert. Mehr als 200 Schleusen regulierten die Wasserstände. Viele der Stauanlagen sind heute noch erhalten. Und sehen sogar zum Teil ziemlich nett aus. Und der Mittelandkanal … der läuft mittendurch.

Die ersten Siedler, die Kolonisten auf ihren Einzelhöfen, hatten es nicht leicht. Sie wurden angefeindet, attackiert, zum Teil vertrieben. Von 500 geplanten Hofstellen blieben knapp 150 übrig. Nach dem Schließen der Grenze zwischen Ost und West wurden weitere Kolonie-Höfe geschliffen. Eben die, die zu dicht an der innerdeutschen Grenze lagen. Holte man die Siedler zuerst aus weiter entfernten Gegenden, so waren es später vor allem die 2. und 3. Söhne der Höfe aus den umliegenden Dörfern. Keine „Fremden“ wollte man als Kolonisten haben.

„Heute wäre so ein starker Eingriff in natürliche Gefüge nicht mehr denkbar, jedes Stückchen unberührte Naturlandschaft ist äußerst wertvoll“, sagt Fred Braumann. Damals schöpfte man aus dem Vollen und hatte einen anderen Begriff von „natürlichen Ressourcen“. Mit der Entstehung des Naturparkes hatte man überlegt, den alten Thrimining vollständig wiederherzustellen: Kanäle weg und wieder komplettes Überflutungsgebiet für Aller und Ohre. Aber diesen Weg ist man nicht gegangen. Zu groß wäre der Aufwand gewesen. Jetzt treffen Natur und Kultur weiterhin zusammen, aber eben anders. Moordammkulturen sind zu bestaunen … zum Wohle vieler wildlebender Tiere und auch zum Wohle der Menschen, die etwas übrig haben für Naturareale.

Seit 1990 ist der sachsen-anhaltische Teil Naturpark. 2005 wurden die wertvollsten Teile des Naturparks als Naturschutzgebiet „Ohre-Drömling“ ausgewiesen – das größte zusammenhängende Naturschutzgebiet in Sachsen-Anhalt. NATURA 2000-Gebiet ist der Drömling auch. Nun ist alles Richtung Biosphärenreservat ausgerichtet, und zwar rechts und links des Grünen Bandes. Das verspricht nicht nur mehr Schutz für die Natur, sondern vor allem eine länderübergreifende Ankurbelung des sanften Tourismus – eine Inwertsetzung für Natur und Mensch. Die Touristiker stellen sich bereits darauf ein.

Umweltbildung ist ein zentrales Anliegen der Biosphärenreservatsverwaltung. Jährlich werden mehrere 1.000 Erwachsene, Kinder und Jugendliche durch die pittoreske und vielgestaltige Grabenlandschaft geführt. Viele Veranstaltungen finden im Infohaus des Drömlings „Kämkerhorst“ (Horst!) statt oder in der Infostelle „Buchhorst“ (Horst!). Tümpeltage, Fledermauswanderungen, Biber- und Wildschweinwanderungen, Heilkräuterveranstaltungen oder beispielsweise die Drömlings-Erkundungstage: Es gibt jede Menge Flora und Fauna zu entdecken.

 

Historisches zum Namen Drömling:

Schon im 10. Jahrhundert nennt der Historiker und Missionar Widukind den Drömling in seiner sächsischen Geschichte (Res gestae Saxonicae). Damals hieß das Gebiet noch Thrimining. Im 12. Jahrhundert wird daraus Thriminig. Ab 1520 erstmals: Drömling.

Stammt das Wort Thrimining vom altsächsischen Wort thrimmen ab? Das steht für wippen, springen, wackelig. Könnte hinkommen … morastiger Untergrund. Aber auch das altsächsische trebiti wäre eine Erklärung: Wald roden. Bis ins Mittelalter hinein lebten einige slawische Stämme der Wenden im und am Drömling. Holz roden war eine wichtige und lebensnotwendige Beschäftigung.

 

Infohaus Drömling „Kämkerhorst“

Perfekter Einstieg für alle, die den Drömling näher kennenlernen wollen. Innen: Ausstellung zu Flora und Fauna des Biosphärenreservates mit Tafeln, Dioramen und Präparaten zu beispielsweise: Großer Brachvogel, Rohrweihe und Kranich, aber auch andere Tierarten, wie Biber, Fischotter, Steinmarder. Außen: mehrere Rundwanderwege mit Stationen, z. B. Kräutergarten, Teich, Tastpfad, Weißstorchnest, Weidentunnel. Das Infohaus „Kämkerhorst“ hat eine spannende Geschichte: ab 1791 Grabenmeisterhaus, dann Kneipe, Ferienobjekt der Kreisverwaltung und später Treffpunkt für Stasi-Mitarbeiter und gerüchteweise auch Unterschlupf für aus der BRD geflohene RAF-Leute.

http://www.naturpark-droemling.de/de/infohaus-droemling-kaemkerhorst.html

 

Infostelle „Buchhorst“

1970 wurde das Gebäude als Schöpfwerk gebaut. Heute ist es Ausgangspunkt für viele Wanderungen oder Radwanderungen, Exkursionen und Umweltbildungsveranstaltungen im nörd­lichen Teil des Drömling. Das Gebäude wird ab 2021 als NATURA 2000-Infozentrum genutzt.

http://www.naturpark-droemling.de/de/infostelle-buchhorst.html