Das Grüne Band in Sachsen-Anhalt: Vom Todesstreifen zur Lebenslinie

Von Dieter Leupold | Ausgabe 4-2019 | Natur und Umwelt

Naturnaher Verlauf der Dumme direkt im Grünen Band zwischen Altmark (unterhalb des Gewässers) und Wendland oberhalb des Gewässers). Foto: Klaus Leidorf
 Im Großen Bruch stellt das Grüne Band die einzige verbliebene und durchgehende Grünlandstruktur in einer ansonsten von Ackerbau dominierten Landschaft dar,  Schiffgraben bei Veltheim mit Blick in Richtung Dedeleben. Foto: Klaus Leidorf
Im Drömling verläuft das Grüne Band durch die Kernzone des Naturparks,  die der natürlichen Sukzession überlassen bleibt. Foto: Klaus Leidorf

Als Grünes Band wird seit 1989 der ehemalige innerdeutsche Grenzstreifen bezeichnet, der auf einer Länge von knapp 1.400 km quer durch Deutschland von der Ostsee bis ins sächsische Vogtland verläuft. Als Kernbereich des Grünen Bandes ist der Bereich zwischen dem ehemaligen Kolonnenweg und der Staatsgrenze definiert. Durch die jahrzehntelange Abgeschiedenheit im Schatten der ehemaligen innerdeutschen Grenze hat sich hier ein Rückzugsraum für viele gefährdete Tier- und Pflanzenarten und somit eine wahre Schatzkammer der Natur entwickelt.

Bisher konnten im Grünen Band über 1.200 gefährdete Arten der Roten Liste nachgewiesen werden. Durch seine linienhafte Ausprägung erfüllt es zudem wichtige Funktionen als Biotopverbund – der einzige länderübergreifende Biotopverbund in Deutschland. Zugleich ist es Mahnmal und Erinnerung an die friedlich überwundene Teilung Deutschlands.

Bereits im Dezember 1989 verfasste der BUND eine erste Resolution, um den ehemaligen Todesstreifen als Lebenslinie unter dem Motto: „Grenzen trennen – Natur verbindet“ zu schützen und zu erhalten. Im Jahr 2019 wird also nicht nur 30 Jahre Mauerfall gefeiert, sondern auch 30 Jahre Grünes Band.

Seit über 10 Jahren gibt es auf europäischer Ebene und auf Initiative des BUND ein länderübergreifendes Projekt, den European Green Belt, um den ehemaligen „Eisernen Vorhang“, der bis 1989 die Militärblöcke der NATO und des Warschauer Paktes vom Eismeer bis ans Schwarze Meer trennte, in seiner Gänze zu erhalten. Auf einer Länge von ca. 12.500 km sind 24 europäische Staaten beteiligt.

 

Das Grüne Band in Sachsen-Anhalt

Das Grüne Band erstreckt sich in Sachsen-Anhalt über 343 Kilometer. Dies entspricht im deutschen Vergleich dem zweitlängsten Abschnitt nach Thüringen. Die Gesamtfläche beträgt in Sachsen-Anhalt ca. 2.600 Hektar.

Davon sind aktuell:

–  1.214 ha als Natura 2000-Gebiete (FFH-Gebiete, EU SPA), Naturschutzgebiete (NSG), Nationalpark (NP), Biosphärenreservat (BR), Geschütze Landschaftsbestandteile (GLB) und/oder Naturdenkmale (ND) gesichert (47 %).
–  776 ha sind darüber hinaus als Naturpark und/oder LSG gesichert (30 %).
–  607 ha besitzen keinen Schutzstatus (23 %).

 

In Sachsen-Anhalt befinden sich elf der insgesamt 26 bundesweit erfassten Lücken mit einer Gesamtlänge von über 100 km, das ist im bundesweiten Vergleich der höchste Anteil an Lücken im Biotopverbund. Besonders betroffen ist das nördliche Harzvorland mit den Ausläufern der Magdeburger Börde. Aufgrund der besonders ertragsreichen Böden entstand hier gleich nach der Wende ein besonders hoher Nutzungsdruck auf die Flächen. Daneben dominieren Intensivgrünland, extensiv genutztes mesophiles Grünland, Pionierwald und Acker. Der Anteil an Gewässern und stark feuchtigkeitsbeeinflussten Biotopen ist, abgesehen vom Drömling und der Landgraben-Dumme-Niederung, gering. Seit 1989 ist dabei eine deutliche Abnahme der Offenlandlebensräume zu Gunsten gehölzdominierter Biotope zu verzeichnen.

Als Charakterart des Grünen Bandes gilt das Braunkehlchen. Während in vielen Regionen dramatische Bestandseinbußen verzeichnet wurden, fand es im Grenzstreifen mit seinem Mosaik aus Altgras- und Hochstaudenfluren, nährstoffarmen, wenig oder gar nicht genutzten Grünlandflächen mit reichen Insektenvorkommen und zahlreichen Sitzwarten (u. a. Grenzsicherungsanlagen) ideale Lebensbedingungen. In der nördlichen Altmark konnte der Bestand dieses kleinen Singvogels durch den BUND im Rahmen umfangreicher Schutzmaßnahmen stabilisiert und, entgegen dem bundesweiten Trend, sogar deutlich gesteigert werden.

Viele Fließgewässer im Grünen Band sind durch die Grenzlage während dieser Zeit wenig oder gar nicht verändert oder weiter ausgebaut worden.

Die naturschutzfachliche Bedeutung des Grünen Bandes spiegelt sich auch im Leitbild für die weitere Entwicklung des Projektes in Deutschland wider. Es orientiert sich in weiten Teilen an einer halboffenen (Weide)Landschaft, die langfristig durch angepasste, extensive Nutzung in ihrem Charakter erhalten bleiben soll. Das Leitbild berücksichtigt zum einen die historische Entstehungsgeschichte und erhält es zugleich als dauerhaft erkennbare Struktur in der Landschaft.

Im Sperrgebiet der ehemaligen innerdeutschen Grenze war in vielen Fällen die land- und forstwirtschaftliche Nutzung auf Grund von Restriktionen und Erschwernissen weniger intensiv. Größere Bereiche in Grenznähe wurden zwangsweise als Grünland genutzt, was maßgeblich dazu beitrug, dass einige dieser Standorte noch ein erhebliches Samenpotenzial im Boden aufweisen. Es verwundert daher nicht, dass viele störungsempfindliche Arten, aber auch Arten mit komplexen großräumigen Lebensraumansprüchen hier einen Rückzugsraum gefunden haben. Prominente Beispiele dafür sind Seeadler, Kranich oder Fischotter.

Folgerichtig bestehen zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen mit dem Nationalpark Harz und dem Drömling zwei grenzüberschreitende Großschutzgebiete, deren Kernzonen Bestandteil des Grünen Bandes sind bzw. unmittelbar angrenzen. Auch das Waldgebiet der Hohen Garbe im Biosphärenreservat Mittelelbe und die großräumigen naturnahen Feuchtwälder in der Landgraben-Dumme-Niederung sind Beispiele dafür, wie sich im Schatten der innerdeutschen Grenze Lebensräume erhalten konnten, die für eine natürliche Entwicklung, hin zu echten Wildnisgebieten, prädestiniert sind.

Vielerorts besteht das Grüne Band nur noch aus den Kernflächen zwischen Kolonnenweg und Landesgrenze und stellt dann oft die einzige naturnahe Struktur in einer ansonsten weitgehend ausgeräumten und intensiv genutzten Agrarlandschaft dar. In solchen Gebieten besteht ein erheblicher Nutzungsdruck auf die Flächen und die Einflüsse aus der intensiv genutzten Umgebung wirken sich erheblich auf diesen oftmals nur 50 bis 100 m breiten Streifen aus und schmälern deutlich seine ökologischen Qualitäten.

 

Resümee

Die Erfahrungen des BUND am Grünen Band in der nördlichen Altmark zeigen sehr deutlich, dass es möglich ist, bei konsequenter Umsetzung von Naturschutzvorgaben bei der Nutzung oder Pflege von Flächen, aber auch über die Durchführung biotopeinrichtender Maßnahmen sowohl den Naturschutzwert als auch den Erlebniswert für Besucher erheblich zu steigern. Dadurch gelingt es, Bereiche zu Naturräumen mit bundesweiter Bedeutung für den Arten- und Biotopschutz zu entwickeln. Dies setzt voraus, dass der Naturschutz kontinuierlich in der Fläche präsent ist, um als verlässlicher Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. Konflikte müssen rechtzeitig erkannt und gemeinsam mit allen Akteuren nach tragfähigen Kompromissen gesucht werden.

Das Grüne Band in Sachsen-Anhalt besitzt eine hohe Bedeutung für den Naturschutz. Die Qualität als Biotopverbundachse kann jedoch nur erhalten werden, wenn es gelingt, die aktuell bestehenden Lücken durch geeignete Maßnahmen zu schließen und die vorhandenen Strukturen in ihrer Wertigkeit zu bewahren und zu entwickeln. Die Verknüpfung von Aspekten des Naturschutzes und der Geschichte ist eines der Alleinstellungsmerkmale des Grünen Bandes. Vor diesem Hintergrund hat die Landesregierung in Sachsen-Anhalt den Beschluss gefasst, dem Beispiel Thüringens zu folgen und das Grüne Band künftig als „Nationales Naturmonument“ unter Schutz zu stellen. Dafür wurde in diesem Sommer das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet. Dabei muss allen Beteiligten klar sein, dass nur bei ausreichenden finanziellen und personellen Ressourcen dieser Verantwortung ausreichend Rechnung getragen werden kann.