Das Luftwaffenlazarett in der Dölauer Heide

Zum 75. Todestag des Architekten Hermann Distel

Wolfram Friedrich | Ausgabe 3-2020 | Geschichte

Eingangsbereich des Luftwaffenlazarettes, ca. 1938, aus: Nachlass Ernst Georgi. Foto: Archiv Friedrich.
Eingangsbereich des Krankenhauses 2012, Gestaltung: Därr Landschaftsarchitekten und Elisabeth Howey (Leipzig) „Helfen und Hören“. Foto: Wolfram Friedrich.
Luftwaffenlazarett (Datenplan 1938, aus: Peter R. Pawlik: Von Bergedorf nach Germania. Hermann Distel 1875–1945. Ein Architektenleben in bewegter Zeit.  Verlag Murken-Altrogge, Herzogenrath 2009).
Portrait Hermann Distel, Öl auf Leinwand, vermutl. von Kurt Koch (Mitarbeiter Distels) 1929, aus: Peter R. Pawlik: Von Bergedorf nach Germania. Hermann Distel 1875 – 1945. Ein Architektenleben in bewegter Zeit. Verlag Murken-Altrogge, Herzogenrath 2009.
Luftwaffenlazarett, Schaubild 1938, von Hermann Distel, aus: Krankenhaus Martha-Maria Halle-Dölau. In: AKG-Frühjahrstreffen 2012 (Exkursionsunterlagen  der Architekten für Krankenhausbau und Gesundheitswesen im BDA e. V.)
Lageplan des Luftwaffenlazarettes (1938), die Struktur ist bis heute so erhalten, aus: Peter R. Pawlik: Von Bergedorf nach Germania. Hermann Distel 1875 – 1945. Ein Architektenleben in bewegter Zeit. Verlag Murken-Altrogge, Herzogenrath 2009).

An das Ende des 2. Weltkrieges wird in diesem Jahr an vielen Orten erinnert. Anders als Magdeburg und Dessau ist Halle von größeren Kriegsschäden weitgehend verschont geblieben. Dies gilt auch für das heutige Krankenhaus Martha-Maria am Rande der Dölauer Heide, das damals als Luftwaffenlazarett diente. Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Lazarett zunächst in ein sowjetisches Militärhospital umgewandelt, aus dem dann das Waldkrankenhaus als städtisches Krankenhaus hervor ging. Die Zeit als Stadt- und Bezirkskrankenhaus wird bei Richter[1] recht ausführlich dargestellt. 1997 wurde daraus das „Städtische Krankenhaus Martha-Maria“ in gemeinsamer Trägerschaft der Stadt Halle und des Diakoniewerkes Martha-Maria aus Nürnberg. 10 Jahre später ging das Krankenhaus dann in die alleinige Trägerschaft von Martha-Maria über.[2]

Zur Urheberschaft des von 1936 bis 1941 realisierten Projektes „Luftwaffenlazarett Halle-Dölau“ gibt es widersprüchliche Erkenntnisse. Immer wieder ist zu lesen, dass Ernst Georgi der Architekt des Krankenhauses sei. Dies geht wohl auch auf Aussagen seiner Tochter zurück.[3] Ernst Georgi (1897 – 1984) aus Kindelbrück am Kyffhäuser wird in den wenigen erhaltenen Unterlagen, z. B. auf einer Einladung zum Richtfest und auf dem Datenblatt zum Projekt von 1937/38 als Bauleiter („in Aussicht genommen“) erwähnt. Georgi, der als Bauleiter das Projekt betreute, hat den Bau, dessen Ausführungsphase bis in die ersten Kriegsjahre währte, sicher auch beeinflusst. Zweifel daran, dass er auch der Architekt und Entwurfsverfasser ist, ergeben sich nicht zuletzt aus seiner Biografie. Ernst Georgi trat 1934 in die NSDAP ein, bald jedoch wieder aus. Da er mütterlicherseits jüdische Vorfahren hatte, lebte er in ständiger Angst vor Entdeckung.[4] Außerdem konnte er bis dahin auch kaum auf Erfahrungen im Bau von Krankenhäusern verweisen. Nach dem 2. Weltkrieg wirkte er dann im süddeutschen Raum u. a. auch als Krankenhausarchitekt, wo er z. B. in Villingen-Schwenningen von 1953 – 1956 ein Krankenhaus errichtete.

 

Wer aber ist nun der Architekt des Dölauer Krankenhauses? Wem ist der Entwurf des Projektes zuzuschreiben? Der Antwort auf diese Frage kam vor mehr als 15 Jahren der Berliner Architekt Peter R. Pawlik auf die Spur. Bei einer Studien­reise nach Portugal begann er sich für zwei große und weitgehend im Ursprungszustand erhaltene Großkrankenhäuser zu interessieren, die von Hermann Distel (1875 – 1945) entworfen und von seinem Sohn Walter (1904 – 1993) nach dem 2. Weltkrieg fertig gestellt wurden (siehe weiter unten). Pawlik beschäftigte sich intensiv mit dem Leben und dem umfangreichen, nicht nur auf Krankenhäuser beschränkten, Schaffen Hermann Distels und gilt seitdem als Distel-Biograf.[5]

Hermann Distel wurde 1875 in Weinsberg bei Heilbronn geboren. Er beschritt mit seinem früh entdeckten zeichnerischen Talent den Weg zu einer Ausbildung als Architekt konsequent. Sein architektonisches und organisatorisches Talent halfen ihm, sein Architektenstudium 1902 erfolgreich abzuschließen. Nach seinen Volontariaten machte er sich 1905 mit seinem Studienfreund August Grubitz in Hamburg selbstständig. Nach ersten Aufträgen für Einfamilienhäuser gewannen Distel und Grubitz einen Architektenwettbewerb für das Vorlesungsgebäude der Hamburger Universität, der sie über die Stadtgrenzen hinaus bekannt machte. Es folgen erste internationale Projektbeteiligungen. Der 1. Weltkrieg brachte auch dem Architekturbüro einschneidende Veränderungen. Distel wurde 1917 „kriegsverwendungsfähig“. Weltwirtschaftskrise, Inflation und Massenarbeitslosigkeit kennzeichneten die zwanziger Jahre. Für Distel waren sie aber auch die produktivste und vielleicht auch lukrativste Zeit.

1929 reiste Distel als Teil einer deutschen Delegation zum 1. Internationalen Krankenhauskongress nach Atlantic City in die USA. Hier erfuhr er wichtige Impulse für sein weiteres Schaffen. Auf dem Kongress wurde über Wirtschaftlichkeit im Krankenhausbau diskutiert, das Thema bestimmte ganz wesentlich Distels berufliches Leben in den 1930er Jahren. Seine beiden Bücher zum Krankenhausbau 1931 und 1932 brachten ihm internationale Anerkennung. Aus einem „Allroundarchitekten“ war ein national und international anerkannter und erfolgreicher Architekt, ein Krankenhausspezialist, geworden.

Distel galt als unpolitischer Zeitgenosse. Er setzte sich mit nationalsozialistischen Bau-Ideen auseinander und errang Wettbewerbserfolge in Hamburg. Die von ihm entworfene Wehrmacht-Standortkommandantur in Hamburg hebt sich deutlich negativ von seinen früheren, modernen Arbeiten ab. Seit 1936 war er der meist beschäftigte Krankenhausarchitekt der nationalsozialistischen Machthaber, mit Lazarettprojekten und Gutachten zu Krankenhausentwicklungen beauftragt. Nach einem vom Reichsbauinspektor Speer ausgeschriebenen Wettbewerb erhielt Distel 1938 den Planungsauftrag für den Neubau einer Universitätsklinik mit 3.250 Betten in der Nähe des Berliner Olympiastadions, der jedoch nicht realisiert wurde.

Seinen Ruf als Fachmann für das Krankenhauswesen machten sich die Machthaber zunutze, um insbesondere nach Kriegsausbruch dringend benötigte Devisen zu beschaffen. Durch die Vermittlung der Reichsregierung erhielt Distel die Aufträge zum Bau der zwei Großkliniken in Lissabon und Porto (Portugal). Diese beiden Großprojekte mit 1.550 bzw. 1.300 Betten wurden allerdings erst 1954 (Lissabon) und 1959 (Porto) von Distels Sohn Walter fertiggestellt.

Zwischen 1936 und 1942 wurde der Bau von Lazaretten zu Distels Arbeitsschwerpunkt. Über das gesamte Reichsgebiet verteilt sollten Krankenhäuser zur Versorgung der Angehörigen von Heer, Luftwaffe und Marine entstehen. Die Bearbeitung dieser Projekte stand unter der Leitung Distels und fand am Dienstsitz des späteren Ministers für Rüstung und Produktion, Albert Speer, in Berlin statt. Distel veröffentlichte 1937/38 auf eigene Kosten die Broschüre „Planung der Lazarette der Luftwaffe“, in der er neben weiteren sechs Projekten auch das Projekt in Halle-Dölau vorstellte. Für die Lazarette wurde offensichtlich weder bei den Architekturdetails noch bei der Ausstattung gespart. So galt 1948 das ehemalige Luftwaffenlazarett Braunschweig trotz seiner kriegsbedingten Schäden von 1944 „als das besteingerichtete Krankenhaus Europas“.[6], [7]

Im Nachlass Hermann Distels und seines Sohnes Walter finden sich insgesamt 21 Lazarettprojekte, die Distel 1944 in einer „Bestandsdokumentation“ zusammenfasste. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Distel Mitglied der Reichskammer der bildenden Künste, einer Sektion der NS-Reichskulturkammer, da nur eine Mitgliedschaft ihm die Weiterarbeit als Architekt ermöglichte. Unterlagen, die Distel als Mitglied der NSDAP ausweisen, wurden nicht gefunden. Vermutlich wegen seines Todes im August 1945 gibt es auch keine Entnazifizierungsakte über ihn und August Grubitz.[8]

1943 wurde das Gebäude, in dem sich Distels Architekturbüro befand, schwer beschädigt. Glücklicherweise hatte er bereits einen Teil seiner Projektunterlagen in sein Bergedorfer Wohnhaus ausgelagert.[9] Auf dem Wege zu seinem schwer beschädigten Büro hatte Distel einen schweren Unfall. Die körperliche Verletzung, der Verlust des Büros und die düstere Zukunftsperspektive brachen seine ungeheure Schaffenskraft. Leidlich genesen nahm der 68jährige seine Arbeit an seinem Programm für Standard-Krankenhäuser, u. a. für spezialisierte TBC-Kliniken, wieder auf. Hermann Distel erlitt 1945 einen Schlaganfall, von dem er sich nicht wieder vollständig erholte. Am 15. August 1945, kurz vor seinem 70. Geburtstag, starb er in seinem Bergedorfer Haus. Die Straße, in der Distels Wohnhaus steht, trägt seit 1949 den Namen Hermann-Distel-Straße. Ein vor dem Haus aufgestellter Gedenkstein weist es als ein „Musterbeispiel der Reformarchitektur“ aus.[10]

 

[1] Christian Richter: Das Dölauer Krankenhaus – Vom Luftwaffenlazarett zum Krankenhaus Martha-Maria. Schäfer-Druck & Verlag GmbH, Langenbogen 2015.

[2] Der Name „Martha-Maria“ hat durch seine seit dem Kriegsende unterhalb der Burg Giebichenstein betriebene Kinderklinik in Halle einen guten Ruf. Auf dem Gelände dieser ehemaligen Kinderklinik befindet sich jetzt die „Christliche Akademie für Gesundheits- und Pflegeberufe“, die gemeinsam von den Gesellschaftern Krankenhaus Martha-Maria Halle-Dölau, Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) und dem Diakoniewerk Halle betrieben wird.

[3] Vgl. Klinik-Architekt liebte die großen Klatschmohn-Blüten. In: Mitteldeutsche Zeitung (Halle) vom 16. 09. 2009.

[4] Ebenda.

[5] Peter R. Pawlik: Von Bergedorf nach Germania. Hermann Distel 1875 – 1945. Ein Architektenleben in bewegter Zeit. Verlag Murken-Altrogge, Herzogenrath 2009 und ders.: Der Architekt Hermann Distel (1875 – 1945). Sein Lebenswerk und sein Einfluß auf Bergedorfs Stadtbild. In: Lichtwark-Heft. 63. Jahrgang 2010, Nr. 75.

[6]Gerd Biegel: „Das besteingerichtete Krankenhaus Europas“, in: Klinikum-aktuell, Krankenhauszeitung, Klinikum Braunschweig, Juli 2010, Ausgabe 23.

[7] Eine Gruppe von Krankenhausarchitekten unter Leitung von Peter R. Pawlik zeigte sich anlässlich ihrer Frühjahrsexkursion 2012 zu Krankenhäusern in Sachsen-Anhalt beeindruckt vom Dölauer Krankenhaus, seiner Architektur und seiner von den Architekten Brechensbauer Weinhart + Partner (München) weitgehend denkmalgerechten Sanierung und Erweiterung im Zeitraum 1998 – 2011 (Vgl. Krankenhaus Martha-Maria Halle-Dölau. In: AKG-Frühjahrstreffen 2012 (Exkursionsunterlagen der Architekten für Krankenhausbau und Gesundheitswesen im BDA e. V.).

[8] Hermann Distel (Abruf 17. 02. 2020, https://www.hamburg.de/ns-dabeigewesene/)

[9] Da er seine Arbeiten in unterschiedlicher Form veröffentlicht hatte, kann sein Werk recht vollständig dokumentiert werden.

[10] Vgl. Peter R. Pawlik: Der Architekt Hermann Distel (1875 – 1945). Sein Lebenswerk und sein Einfluß auf Bergedorfs Stadtbild. In: Lichtwark-Heft. 63. Jahrgang 2010, Nr. 75, S. 34 – 40.