Die Leucorea Wittenberg – Nach 204 Jahren endlich online: www.uni-wittenberg.de

Peer Pasternack, Daniel Watermann | Ausgabe 2-2021 | Geschichte

https://www.uni-wittenberg.de/
Gebäude 1830er vor Umbau zur Kaserne. Foto: Archiv Leucorea

Im Internetzeitalter hat jede Institution, die etwas auf sich hält, eine eigene Website. Wer keine hat, existiert in der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung im Grunde nicht – bzw. hat nicht existiert. Die Universität Wittenberg gibt es seit 1817 nicht mehr, und folglich gab es sie bisher virtuell nicht. Das marginalisierte sie, trotz ihrer Bedeutung, im kulturellen Gedächtnis. Um dem abzuhelfen, wurde die Leucorea nun online gebracht.

Die Wittenberger Universität war 1502 gegründet und 1817 qua Vereinigung mit der Universität Halle (gegr. 1694) aufgehoben worden. Die Humanisten des Gründungsjahrhunderts hatten der Universität den Namen Leucorea gegeben, eine Gräzisierung von Wittenberg („weißer Berg“). In den Jahren ihrer Existenz hat sie dann ein bewegtes Leben absolviert. Von 1520 bis 1580 und 1605 bis 1615 war sie die am meisten frequentierte deutsche Universität. Im 17. und 18. Jahrhundert durchlebte sie Erfolgs- wie Abschwungphasen. Um die Jahrhundertwende 1800 befand sie sich wieder auf einem Weg der inneren und äußeren Konsolidierung. Infolge der napoleonischen Besetzung Wittenbergs stellte die Universität ihren Betrieb 1813 faktisch ein. Die Vereinigung mit Halle 1817 dann ließ die Leucorea zu einem Teil des sogenannten großen Universitätssterbens um 1800 werden: 18 der 34 deutschen Universitäten wurden in dieser Zeit geschlossen.

 

Digitales Archiv und Lesebuch

Die Website ist ähnlich aufgebaut, wie es die Online-Präsenzen heute bestehender Universitäten sind. Es wird mithin die Situation simuliert, als hätte es 1817 bereits das Internet gegeben. Dabei kann nun aber auf die inzwischen reichhaltigen Bemühungen zurückgegriffen werden, historische Quellen und historiografische Literatur digital verfügbar zu machen: Für diese, soweit sie die Leucorea betreffen, ist die Website als Knotenpunkt konzipiert, der zu den digitalisierten Beständen hinführt. Wo immer möglich, sind daher Quellen- und Texthinweise mit Volltextdateien oder anderen ergänzenden Online-Informationen verknüpft. Dabei hat die Website zwei Funktionen:

Als sortiertes Archiv liefert die Website Orientierung in den Quellen- und Textbeständen, die es aus der und über die Wittenberger Universität gibt. Diese Bestände zeichnen sich nicht nur durch Überfülle, sondern auch beträchtliche Unüberschaubarkeit aus. Insbesondere sind die Quellen geografisch breit verteilt. Das ergab sich im Wittenberger Fall aus der Universitätsgeschichte selbst, ihrer Einbettung in eine von kriegsbedingten Brüchen gekennzeichnete Umfeldgeschichte (Schmalkaldischer, Dreißigjähriger und Siebenjähriger Krieg, Napoleonische Besetzungen) sowie konkurrierenden Interessen bezüglich der Überlieferung nach der Universitätsauflösung. Das Ziel musste also sein, Überschaubarkeit herzustellen. Gegliedert sind die Materialien dabei sowohl nach Personen als auch sachthematisch. So werden Sichtachsen durch die Überfülle an Material geschlagen.

Als digitales Lesebuch kann die Website genutzt werden, um sich schmökernd in die drei Jahrhunderte der Leucorea und ihr Nachleben zu vertiefen. Texte von zeitgenössischen Chronisten vermitteln neben Sachinformationen auch das Fluidum der jeweiligen Zeit. Wichtige historische Dokumente belegen, was häufig richtig, manchmal halbrichtig und gelegentlich auch falsch weitererzählt und -geschrieben wird. Wissenschaftliche Texte, die seit dem 19. Jahrhundert zur Leucorea geschrieben wurden, liefern Wissen auf dem Stand der jeweils aktuellen Forschung. Popularisierte Darstellungen eröffnen niedrigschwellige Zugänge.

Auf der Eingangsseite begrüßt ein laufender Newsfeed die Userin, den User. Gekoppelt an den jeweils aktuellen Monat werden so Daten und Ereignisse aus der Universitätsgeschichte erinnert. Eine kurze und eine ausführliche Zeittafel fassen die zentralen Ereignisse von 1502 bis 1817 zusammen.

Aber auch nach einer Universitätsschließung geht das Leben weiter. Daher wird auf der Website zudem präsentiert, was nach 1817 im Bereich von Wissenschaft und Höherer Bildung in Wittenberg stattgefunden hat und heute, reichlich 200 Jahre später, dort stattfindet.

 

Volltexte und virtuelle Archivzugänge

Insgesamt führt die Website zu 850 Volltextdateien: digitalisierten Originalquellen, Forschungsliteratur und populären Darstellungen. Anhand dieser können die 300 Jahre Universitätsentwicklung und die reichlich 200 Jahre nach der Universität vertieft werden.

So werden mehrere Gesamtdarstellungen zur Universitätsgeschichte bereitgestellt, ebenso die komplette Wittenberger Matrikel als Digitalisate des Originals und einer gedruckten Veröffentlichung. Dokumente und Forschungsliteratur zur Universitätsgeschichte finden sich nachgewiesen, auch diese zum großen Teil volltextdigitalisiert. Zu den vier Fakultäten – Artistische/Philosophische, Theologische, Juristische und Medizinische – werden jeweils bedeutende Hochschullehrer mit ihren Hauptwerken vorgestellt und ein Überblick zur Forschungsliteratur gegeben. Dabei sind die Naturwissenschaften an der Philosophischen Fakultät und die Spruchpraxis der Leucorea-Juristen durch eigene Menüpunkte abgebildet.

Da mittlerweile beträchtliche Bestände an Originalquellen, insbesondere Autographe, online zur Verfügung stehen, verlinkt die Website zudem auf 37 einschlägige Archivportale bzw. Einzelbestände innerhalb dieser. Schließlich wurde für die Website erstmals auch eine umfassende Darstellung zur Überlieferungssituation der Wittenberger Quellen und der Universitätsbibliotheksbestände erarbeitet.

Mit der Website wurde der Wittenberger Universität nunmehr ein virtuelles Nachleben organisiert, das typische Informationen über eine Universität, Web-Ressourcen und eigens erstellte Digitalisate bündelt. So konnte mit einiger Verspätung dem misslichen Umstand abgeholfen werden, dass die Leucorea aus der Perspektive des Internetzeitalters 180 Jahre zu früh aufgehoben worden war. Zugleich hat sie nun eine Online-Präsenz von solcher Informationsfülle und -qualität, wie sie hinsichtlich der Institutionengeschichte keine andere frühere oder heute existierende deutsche Universität besitzt.  Ein Begleitheft zur Website steht gleichfalls online:

https://www.uni-wittenberg.de/wp-content/uploads/application/pdf/UniWB_Homepage_Begleitheft.pdf