Die Turteltaube (Streptopelia turtur) in Johann Friedrich Naumanns „Naturgeschichte der Vögel Deutschlands …“ (1820 –1844/60)

Zum 200-jährigen Jubiläum der Herausgabe des ersten Bandes

Bernhard Just | Ausgabe 4-2020 | Natur und Umwelt

Turteltaube. Aquarell von J. F. Naumann, vor 1820. Archiv Naumann-Museum
Blick in die Vogelsammlung. Archiv Naumann-Museum
Türkentaube. Aquarell von J. F. Naumann, um 1837. Archiv Naumann-Museum
Turteltaube, Männchen und Jungvogel. Kupferstich aus: „Naturgeschichte der Vögel Deutschlands …“ Band 6 von J. F. Naumann, 1833. Archiv Naumann-Museum

„Diese Vögel, durch ihre Geselligkeit und sanften Sitten bekannt, schließen sich den hühnerartigen Vögeln an, denn sie verschlucken wie diese Alles, wovon sie sich nähren, ganz, und dies sind hauptsächlich harte Samenkörner und Sämereien, welche in ihrem doppelten Kropfe erweicht werden, ehe sie in den kleinen muskulösen Magen kommen. Mit den im Kropfe erweichten Körnern füttern sie auch ihre Jungen … Sie trinken in einem Zuge, indem sie den Schnabel ganz ins Wasser tauchen und es so in sich hineinpumpen. Die Jungen sitzen so lange im Neste bis sie völlig fliegen können.“

So beschreibt Johann Friedrich Naumann (1780 – 1857) im sechsten Band seiner „Naturgeschichte …“ (1833) einleitend die Familie der Tauben. Er bezieht sich dabei auf die vier Taubenarten, die damals in Deutschland heimisch waren: Feldtaube (verwilderte Haustaube), Hohltaube, Ringeltaube und Turteltaube. Die heute in nahezu allen Städten und Dörfern vorkommende Türkentaube, die nah mit der Turteltaube verwandt ist, lernt er erst ein Jahr später kennen, als er ein Exemplar aus Bulgarien erhält. Ab Mitte des 20. Jahrhundert wandert die Türkentaube als Brutvogel auch in Mitteleuropa ein.

In einer Bauernfamilie in Ziebigk bei Köthen/Anhalt aufgewachsen und als späterer Erbe des Hofes, wird in Naumann schon früh das Interesse an der Natur, insbesondere der Vogelwelt, geweckt. Vom Vater inspiriert, der bereits 1795 ein erstes Werk über die Vögel Deutschlands verfasst, und vom Bruder unterstützt, hält er bereits in jungen Jahren systematisch Beobachtungen in Wort und Bild fest. Ab 1820 beginnt er mit der Herausgabe seiner „Naturgeschichte der Vögel Deutschlands …“, die bis 1844 auf zwölf Bände anwächst und nach seinem Tode durch einen, noch mehrheitlich von ihm selbst verfassten, 13. Band ergänzt wird. Dabei fertigt Johann Friedrich Naumann auch alle Kupferstichabbildungen selbst, da er stets den Vogel „nach der Natur und aus eigener Anschauung …“ zeichnen möchte. In diesem bahnbrechenden Werk, mit dem er zum Begründer der modernen Ornithologie Europas wird, beschreibt er alle hier vorkommenden Vogelarten, ihre Eigenarten, den Lebensraum, die Fortpflanzung, die Nahrung etc. Dabei lassen sich heute, 200 Jahre später, unter Einbeziehung neuer Erkenntnisse, oft interessante Vergleiche ziehen.

Die Turteltaube war Naumann natürlich gut bekannt, da sie zu seiner Zeit einer der häufigen Vögel war und auch als begehrte Jagdbeute galt. Anschaulich beschreibt er die Merkmale der Art, mit spürbarer Begeisterung für die Schönheit der Natur:

„Die lebende Turteltaube ist ein sehr niedliches und höchst liebenswürdiges Geschöpf, ihre sanften Farben und die angenehmen Zeichnungen vollenden zusammen ein liebliches Bild. Das alte Männchen mit seinen brennend gelbroten Augensternen, den lebhaft karmoisinrothen, blau gemischten, warzigen Augenstreifen und seinen blutroth beschilderten Füßen …“

Die damalige Häufigkeit der Turteltaube und vieler anderer Arten der Kulturlandschaft beruhte auf einer sehr vielfältigen Landbewirtschaftung, in der die heutige Großflächenwirtschaft, Monokulturen und Pestizide noch unbekannt waren.

„Eichen- und Birkenwälder mit vielem dichten und hohen Unterholz, von Wiesen und Aeckern umgeben, bewohnt sie bei uns häufig, zumal wenn sie an einem Flusse liegen wie unsere Auenwälder. … Sonst hält sie sich ihrer Nahrung wegen nicht allein im Walde unter Bäumen und Gebüschen, sondern häufig auch auf freiem Felde, weit vom Walde, auf der Erde auf.“

Da Johann Friedrich selbst Landwirt war, beschreibt er im Kapitel über die Nahrung der Vögel sehr genau die gefressenen Pflanzenarten – sowohl Kulturpflanzen als auch Wildkräuter. Seine Auflistung zeigt wie vielfältig die Ackerkulturen zu seiner Zeit waren:

„Desto öfter besucht sie dagegen die dem Walde nahen Aecker, … zumal wenn daselbst ihre Lieblingsspeisen angebaut werden, wohin vorzüglich Hanf, Lein, Hirse, Glanz, Sommer- und Winterrübsaat und Raps gehören, aber auch Linsen, Wicken, Kichern, Erbsen und Waizen.“

Weiter nennt Naumann die Samen zahlreicher Wildkräuter, die heute kaum mehr auf Äckern gefunden werden können. Die Verarmung und Monotonisierung unserer Kulturlandschaft ist, nach neuesten Erkenntnissen, der Hauptgrund für den gravierenden Rückgang der Art in vielen Teilen Europas.

Lange vor Beginn der wissenschaftlichen Vogelberingung war Naumann bereits bekannt, dass die Turteltaube ein Langstreckenzieher ist, der den Winter in südlicheren Regionen verbringt, wobei ihm Zugwege und Überwinterungsgebiete weitgehend unbekannt blieben.

„Sie ist ein Zugvogel und zwar einer der weichlichern weshalb sie nicht allein regelmäßig von uns wegzieht, sondern dies auch früher thut … und auch später wiederkehrt. … Im August sieht man sie schon in Flügen herumstreichen und sich zur Abreise anschicken, die dann mit Ende des Monats beginnt, aber bei den meisten erst im September erfolgt.“

Als Zugvogel ist die Turteltaube heute auch in zahlreichen europäischen Ländern einem hohen Jagddruck ausgesetzt, der zusätzlich zur Abnahme der Art beiträgt. Dabei steht heute oft der „sportliche“ Aspekt im Vordergrund, während zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Jagd als oftmals notwendige Nahrungsergänzung erfolgte.

„Ihr Fleisch, besonders das der Jungen, giebt, gut gebraten, ein sehr schmackhaftes Gericht. Sie nutzen auch durch Aufzehren vielerlei Sämereien von sogenanntem Unkraut. … In der Nähe der Wälder, welche sie zahlreich bewohnen, thun die Turteltauben zuweilen einigen Schaden an dem frisch ausgesäeten oder auch an dem reifenden Getraide und anderen Feldfrüchten, …“

In einer Artbeschreibung des frühen 19. Jahrhunderts darf eine Nutzen– und Schadenabwägung nicht fehlen, was aber nur die damalige Häufigkeit der Turteltaube belegt. Heute steht natürlich ihr Schutz im Vordergrund, der kurzfristig durch die Einstellung der Jagd zumindest im Mittelmeerraum und langfristig nur durch eine Extensivierung der Landbewirtschaftung erfolgen kann. Dies könnte neben der Turteltaube auch zahlreichen anderen Arten unserer Kulturlandschaft – und damit uns selbst – eine dauerhafte Lebensgrundlage sichern.

 

Mehr über Johann Friedrich Naumanns Werk und über die Vogelwelt Europas kann man im Naumann-Museum Köthen erfahren. Das Kernstück des Museums bildet die als Nationales Kulturgut anerkannte Vogelsammlung Naumanns, die seit 1835 weitgehend in Originalaufstellung erhalten ist.

Weitere Informationen unter www.schlosskoethen.de