Die unterschätzte Bode

Christian Marlow | Ausgabe 2-2021 | Kulturlandschaft

Die Bodebrücke bei Ditfurt. Foto: Klaus-Uwe Marlow
Die Bode bei Wolmirstedt. Foto: Christian Marlow
Einzugs- und Flussgebietskarte Bode. Wikimedia Commons, https://t1p.de/hz23
Bodewanderweg bei Unseburg. Foto: Christian Marlow
Wasserburg Egeln. Foto: Christian Marlow
 Wassergraben der Wasserburg Egeln. Foto: Christian Marlow

In der Regel sind kleine Flüsse für deren Anwohner etwas Selbstverständliches. Der kleine Fluss ist immer da. In Abhängigkeit vom Wetter fällt der Wasserstand oder er steigt – was vielleicht nicht einmal von jedem Anwohner wahrgenommen wird. Hin und wieder gibt es auch Hochwasser. Aber sich Gedanken um einen kleinen Fluss wie die Bode machen? Das ist eher ungewöhnlich. Das dem so ist, wird deutlich, wenn man nach (populär-)wissenschaftlichen Veröffentlichungen sucht. Im Gegensatz zu unseren großen Strömen wie Elbe und Saale existieren zu den kleinen Flüssen kaum kulturgeschichtliche oder gar volkskundliche Untersuchungen. Wenn doch, dann sind es geologische oder hydrologische Fachaufsätze, aber eben sehr selten kulturgeschichtliche Beiträge.

Dabei verändert der Mensch den Fluss seit Jahrtausenden und umgekehrt auch: der Fluss verändert den Menschen.  Wann die Bode erstmals aus dem Harz entsprungen ist, lässt sich freilich nicht mehr ergründen. Mit Bestimmtheit kann aber festgestellt werden, dass die Bode nicht immer den gleichen Verlauf genommen hat.[1] Die voreiszeitliche Bode ist bei Thale nicht Richtung Nordosten (durch Quedlinburg), sondern nach Norden geflossen und hat bei Warnstedt die Teufelsmauer durchbrochen. Von dort floss die Bode weiter nach Norden durch Westerhausen. Beim Großen Thekenberg bog sie Richtung Westen ab, erschuf das Trockental südöstlich von Langenstein und bog dort östlich Richtung Wegeleben ab. Seit der letzten Kaltzeit folgt die Bode etwa ihrem heutigen Verlauf.

Seit der Altsteinzeit leben Menschen mit und an der Bode. Die Gründe dafür liegen dabei auf der Hand: Fischfang und Jagd. Eine nachgewiesene Bestattung ca. 6.000 v. Chr. in Unseburg deutet vielleicht auf ein Sesshaftwerden von Menschen an der Bode hin.[2] Um 5.000 v. Chr., dem Zeitalter der Linienbandkeramischen Kultur in der Jungsteinzeit, existierten eine Reihe von Siedlungen entlang der Bode.[3] In der Folgezeit blieb das Bodegebiet stets dicht besiedelt. Auch Kreisgrabenanlagen lassen sich entlang des Flusses finden, so bei Quedlinburg[4]  und Egeln,[5] und deuten auf hohe kulturelle Entwicklung hin. Diese Kultanlagen gelten gemeinhin als zentrale Orte des gesellschaftlichen und religiösen Lebens. Gleichzeitig gelten Kreisgrabenanlagen seit einiger Zeit als so genannte „Kalenderbauten“, also astronomische Observatorien.[6] Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Bode – oder Flüsse im Allgemeinen – Teil des kultischen Rituals der Kreisgrabenanlagen war.

Zwischen Unseburg und Staßfurt wurden an der Bode eine Reihe von gesetzten, leider bisher undatierter Gruben gefunden, „die darauf hinweisen, daß dort die durch Risse im Gestein an die Erdoberfläche aufsteigende Sole in Gruben gesammelt und dann ausgeschöpft und zu Salz gesotten wurde.“[7]  Es ist davon auszugehen, dass mit dem Salz gehandelt wurde und so Fundstücke aus anderen Kulturkreisen (z. B. Bernsteinperlen, Glasperlen oder Münzen römischer Provenienz) ihren Weg in die Boderegion fanden.

Einige Ortsnamen entlang der Bode weisen auf ein sehr hohes Alter der jeweiligen Siedlung hin: Oschersleben, Adersleben, Wolmirsleben, Weddersleben usw. Diese „-leben“- Orte sind in der Regel zwischen 300 und 600 n. Chr. entstanden,[8] werden aber durchgehend viel später urkundlich erwähnt. Die Orte mit den Endungen „furt“ oder „dorf“ deuten auf eine jeweilige Gründung zwischen 600 und 1.000 n. Chr. hin: z.B. Ditfurt, Rodersdorf, Gänsefurt, Staßfurt, Deesdorf u. a.

Die Bode selbst wird erstmals in einem zwischen 804 – 811 verfassten Brief Karls des Großen[9] (747/48 – 814) an Abt Fulrad von St. Quentin[10] (einem Kloster in Nordfrankreich) genannt.[11] Dass in diesem Brief die Bode wie selbstverständlich und ohne nähere geographische Beschreibung genannt wird, deutet auf eine gewisse, vielleicht auch strategische, Wichtigkeit dieses kleinen Flusses hin. Im genannten Brief ruft Karl der Große Abt Fulrad auf, am 17. Juni auf der Reichsversammlung in Staßfurt, gelegen an der Bode, mit seinen ausgerüsteten Leuten zu erscheinen.[12] Dieses Treffen muss in engem Zusammenhang mit den gerade beendeten Sachsenkriegen Karls des Großen gesehen werden.[13] Nach der Nennung zu Beginn des 9. Jahrhunderts wird die Bode erst wieder im 10. und 11. Jahrhundert mehrfach erwähnt: mal im Zusammenhang eines Heeresüberganges, mal als Grenze eines Marktbereichs.

Schon diese kurzen Ausführungen zeigen, dass die Bode viel mehr ist als nur ein kleiner Fluss, der aus dem Harz kommt und in die Saale mündet. Auf seinen knapp 170 km gibt es reichlich spannende, historische, aber auch aktuelle Themen und Begebenheiten, die nur darauf warten, bearbeitet zu werden. Wie eingangs erwähnt, gibt es kaum eine kulturgeschichtliche oder volkskundliche Auseinandersetzung mit der Bode. Es gibt keine Aufzeichnungen dazu, welche Traditionen und Bräuche es in den jeweiligen Dörfern und Städten am und/oder mit dem Fluss gab. Welche Gewerke und Berufe entstanden? Welche Rolle spielte die Bode im alltäglichen Leben der Menschen? Wie nutzten die Menschen den Fluss? Gibt es Erzählungen, Sagen in Zusammenhang mit der Bode? Und, nicht zu vergessen, wie veränderte der Fluss die Menschen?

Es wird Zeit, sich diesen Fragen zu widmen. Wenn Sie zu einem oder mehreren Punkten Aufzeichnungen, Fotos, Berichte o.  ä. haben, würde ich mich sehr über eine Nachricht freuen (marlow@lhbsa.de).

 

[1] Vgl.: Frank Schmidt-Döhl: Die Entstehung des Trockentals südöstlich von Langenstein und der voreiszeitliche Verlauf der Bode im nördlichen Harzvorland, in: Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, 38 (2016), S. 29 – 40.

[2] Vgl.: https://lau.sachsen-anhalt.de/naturschutz/schutzgebiete-nach-landesrecht/landschaftsschutzgebiet-lsg/lsg25/

[3] Vgl.: ebd.

[4] Vgl.: https://www.archaeologie-online.de/nachrichten/ausgrabung-von-kultanlage-bei-quedlinburg-abgeschlossen-3201/

[5] Vgl.: André Spatzier: Kreisgrabenanlagen des 4.– 1. Jahrtausends v. Chr. in Mitteldeutschland. Vorbericht zu den Grabungen 2005 in Sachsen-Anhalt, in: Archäologie in Sachsen-Anhalt. N. F. Bd. 6, 2012, S. 71 – 89, hier S. 76.

[6] Vgl.: François Bertemes: Die Kreisgrabenanlage von Goseck: Ein Beispiel für frühe Himmelsbeobachtungen, in: Wilfried Menghin (Hrsg.): Astronomische Orientierung und Kalender in der Vorgeschichte (= Acta Praehistorica et Archaeologica. Bd. 40). Internationales Kolloquium vom 09. 11. – 11. 11. 2006 im Museum für Vor- und Frühgeschichte. Staatliche Museen zu Berlin, Berlin 2008, S. 7 – 14.

[7] Vgl.: https://lau.sachsen-anhalt.de/naturschutz/schutzgebiete-nach-landesrecht/landschaftsschutzgebiet-lsg/lsg25/

[8] Vgl.: Gundhild Winkler: Die Ortsnamen auf –„leben“ – Versuch einer Typologie und Analyse, in: Namenkundliche Informationen, 95/96 (2009), S. 209 – 232.

[9] Vgl.: Matthias Becher: Das Reich Karls des Großen, Darmstadt 2011.

[10] Vgl.: Regesta Imperii, RI I, Karolinger, no 418.

[11] Vgl.: Karoli ad Fulradum Abbatem Epistola, in: MGH LL, Capitularia Regum Francorum, Bd. 1, Hannover 1883, S. 168. Im Historisch-geographischen Wörterbuch des Deutschen Mittelalters von Werner Oesterley (1883) wird die Ersterwähnung der Bode für das Jahr 775 n. Chr. angegeben. Es wird im Wörterbuch auf die Traditiones et antiquitates Fuldenses verwiesen. Dort konnte die Angabe nicht verifiziert werden.

[12] Vgl., ebd.

[13] Vgl.: Matthias Becher: Gewaltmission. Karl der Große und die Sachsen, in: Christoph Stiegemann u. a. (Hrsg.): CREDO: Christianisierung Europas im Mittelalter, Bd. 1, Petersberg 2013, S. 321 – 329.