Hallisch

Ulrich Wenner | Ausgabe 4-2020 | Rezensionen

Manfred Lemmer: Hallisch. Aus den Schriften Manfred Lemmers zur Mundart der Stadt Halle (Saale). Hg. von Andrea Seidel. Renneritz Verlag Sandersdorf-Brehna 2018.

Manfred Lemmer: Hallisch.
Aus den Schriften Manfred Lemmers zur Mundart der Stadt Halle (Saale). Hg. von Andrea Seidel. 
Renneritz Verlag Sandersdorf-Brehna 2018.
ISBN: 978-3-940684-28-8.
9,00 €

 

Die Verbundenheit und Identifikation mit einem Ort oder einer Region erfolgt sehr häufig über die dort verwendete Alltagssprache bzw. den Dialekt, egal ob es sich um den bloßen Klang, den Wortschatz oder typische Wendungen handelt. Für den in Halle geborenen Philologen Manfred Lemmer (1928 – 2009), der jahrzehntelang an der dortigen Universität wirkte, stellte die Beschäftigung mit dem „Hallischen“ ein persönliches Bedürfnis dar, obwohl sein Hauptbetätigungsfeld in der germanistischen Mediävistik lag.

In Bezug auf das Hallische hat er u. a. mit den Bänden „Forr Ischen und Scheekser. Gedichte und Prosa in hallescher Mundart.“ (Halle 1994) und „Reinhold Hoyer: Jedichte un Brosa uff althallsch.“ (Halle 2005) zwar eigenständige Publikationen vorgelegt, daneben existiert aber eine ganze Anzahl kleinerer Schriften, so die Reihe „Betrachtungen zur hallischen Mundart“, die in 37 Folgen 1988 – 90 in der Liberal-demokratischen Zeitung bzw. dem Halleschen Tageblatt erschien. Die Lemmer-Schülerin Andrea Seidel, die am Lehrstuhl „Altgermanistik“ der hallischen Universität tätig ist, hat sich der Mühe unterzogen, diese Texte (S. 17 – 105), zusammen mit dem Beitrag „Hallisch – gestern und heute“ (S. 106 – 130) aus dem Jahr 2000 und einigen Mundarttexten (S. 131 – 145) unter dem Titel „Hallisch. Aus den Schriften Manfred Lemmers zur Mundart der Stadt Halle (Saale)“ herauszugeben und so wieder zugänglich zu machen. Von ihr stammen zudem ein kurzes Vorwort, Angaben zum Autor und einige wenige bibliografische Hinweise.

Den „Vor-Schmus“, in dem Lemmer eine kurze Einführung in den Gegenstand bietet, lässt er gleich mit drei charakteristischen Mundartwörtern beginnen: den negativ konnotierten Personenbezeichnungen Nappsilte, Matzbläke und dem Wort für Mai­käfer: Maifläz. Ausführlich geht Lemmer auf Besonderheiten von Stadtsprachen ein, da einerseits durch Zuzug von außen eine Sprachmischung vonstatten geht. Andererseits existieren aber Unterschiede innerhalb einer Stadt, die besonders durch die Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen determiniert werden. In Halle sind das z. B. die Sprache der Halloren, repräsentiert z .B. durch Texte von Robert Moritz und der so genannte Lattcherschmus, die vom Rotwelschen (Gaunersprache) durchsetzte Varietät, die von Unsesshaften, fahrendem Volk oder eben Gaunern, die ursprünglich vor der Stadtmauer in Glaucha lagerten, gesprochen wurde. Mit dem Hinauswachsen Halles konnten diese Elemente, auf die z. B. Reinhold Hoyer zurückgriff, Teil der Stadtsprache werden. Lemmer gibt dafür viele Beispiele, so Krone ‚Ehefrau‘, Lubbert ‚Taschenuhr‘ (bes. in der Wendung Was schmust der Lubbert? ‚Was sagt die Uhr?, also Wie spät ist es?) oder mache Stoob ‚verschwinde‘.

Ein weiterer Schwerpunkt ist für Lemmer die seit dem Spätmittelalter sich vollziehende Ablösung des Niederdeutschen durch das Ostmitteldeutsche. Niederdeutsche Reste lassen sich in Wörtern wie trecken ‚ziehen‘, Kule ‚Grube‘ oder der Pluralform auf -s bei Substantiven wie Kerls, Mächens finden.

Dieser kleine Band ist für alle, die sich für die hallische Stadtmundart interessieren, ein Gewinn. Wissenschaftlich fundiert, aber zugleich durch gute Lesbarkeit und viele Sprachbeispiele gekennzeichnet, nimmt Lemmer eine Einbettung der sprachlichen Elemente in die historische Genese des Hallischen vor und so lässt so Zusammenhänge deutlich werden.