HEIMATSTIPENDIUM

9 Künstler*innen für 12 Monate an 8 Museen in Sachsen-Anhalt

von Ines Janet Engelmann und Björn Hermann | Ausgabe 2-2018 | Kunst

Gruppenbild der Künstler*innen, Museumsleiter*innen und Stiftungsmitarbeiter*innen. Beim Auftakt des HEIMATSTIPENDIUMS trafen die Museumsleiter*innen erstmals auf die Stipendiat*innen. Foto: Matthias Ritzmann
Sammler und ihre Trophäen im Wandel der Zeit: Gustav Adolf Spengler mit Mammut-Knochen (1931). Foto: Spengler-Museum Sangerhausen
Sammler und ihre Trophäen im Wandel der Zeit: Holger Hüttel - Sammler von Star-Trek-Sammelfiguren (2018). Foto: Matthias Ritzmann
"Waldgang" (2017) Malerei von Christine Bergmann, Stipendiatin im Harzmuseum Wernigerode. Foto: Christine Bergmann
"Kamerad Martin" - historische Reliefplatte. Foto: Mansfeld-Museum, Hettstedt
Plastiken, die im Rahmen des Projekts von Marie-Luise Meyer im Mansfeld-Museum gestaltet werden können. Foto: Marie-Luise Meyer

Mit einem deutschlandweit einmaligen Projekt beschreitet die Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt neue Wege, um museale Einrichtungen und deren zum Teil verborgene Schätze in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken und den ländlichen Raum zu stärken.

Im Oktober 2017 startete das Sonderförderprogramm HEIMATSTIPENDIUM der Kunststiftung in Kooperation mit dem Museumsverband Sachsen-Anhalt e. V., das acht Museen mit Künstler*innen des Bundeslandes zusammenbringt. Die ausgewählten Museen stehen beispielhaft für eine Vielzahl an Einrichtungen in Sachsen-Anhalt, für die man gern eine Landpartie in Kauf nimmt, um sie zu erreichen. In dem einen oder anderen wird vielleicht das Licht auch erst angemacht, wenn der erste Gast kommt oder aber eine Anmeldung ist vonnöten. Solche Einrichtungen erfahren nun eine besondere Aufmerksamkeit.

Im Rahmen eines einjährigen Stipendiums erhalten neun Kunstschaffende, die anhand ihrer eingereichten Projektskizzen von einer Jury ausgewählt wurden, den Zugang zu den Einrichtungen, Archiven und Depots der Museen und die Möglichkeit, sich mit den Sammlungen zu befassen, die Bestände zu erkunden, um schließlich das kulturelle Erbe in ihrer eigenen künstlerischen Arbeit zu reflektieren.

Zeitgenössische Kunst mit den Schätzen verschieden aus­gerichteter Sammlungen zusammenzubringen hat das Ziel, den Museen eine Öffentlichkeit zu geben, sie bekannter zu machen und sowohl ein neues Publikum an diese Orte zu locken als auch die Identifikation der Bürger vor Ort mit der Einrichtung zu festigen. Dies wird durch partizipative Ansätze, Veranstaltungen und allein schon durch die Präsenz vor Ort bewirkt. Die Stipendiat*innen entdecken nicht nur so manche Kostbarkeit im Depot, sondern lernen auch Land und Leute kennen. Sie laden zu Gesprächen, Führungen und zum Mitmachen ein. Bei ihrer Arbeit begegnen sie zahlreichen Vereinen und Akteuren vor Ort, die dem HEIMATSTIPENDIUM neugierig und aufgeschlossen entgegentreten. Das ist wichtig, denn letztlich sollen und können diese Menschen auf verschiedene Weise auch Teil der Projekte werden. Im Spengler-Museum in Sangerhausen z. B. hat die Bevölkerung die Möglichkeit, mit ihrer eigenen Sammelleidenschaft an die Öffentlichkeit zu treten. Die Kollek­tionen von alltäglichen Dingen und deren Sammler*innen werden bei einem Projekt fotografisch festgehalten und die Ergebnisse sowie Teile der Sammlungen ausgestellt. Die Gestaltung sprichwörtlich „in die Hand nehmen“, können die Hettstedter und Gäste im Mansfeld-Museum: Dort können sie bei der Modellierung von kleinen Figuren des „Kamerad Martin“ – ein Sinnbild des Bergbaus der Region – mitwirken und ihn damit kreativ ins Jahr 2018 holen.

Im Kontakt mit den Menschen vor Ort und vor allem bei der Arbeit in den Museen werden die Künstler*innen zu „Heimat­forschern“ – Heimat bezeichnet hierbei nicht nur die Herkunft oder den Ort des Zuhauses, sondern eben auch die verborgenen Schätze der Sammlungen – ein kulturelles Erbe, das oftmals in den Archiven schlummern muss. Der Gang ins Depot ist eine Forschungsreise für die Künstler*innen und die Museumsmitarbeiter*innen zugleich. Zum Abschluss des Förderprogramms wird es an den Museen in den Präsentationen und Sonderausstellungen nicht nur den „Blick zurück“ geben, sondern auch Positionen aus der Gegenwart, die zukunftsweisend sein können.

 

Übersicht der Museen und Stipendiat*innen

 

Christine Bergmann auf den Spuren der Harzmaler in Wernigerode

Das Harzmuseum Wernigerode bietet einen kompakten Einstieg in die Region Harz – naturkundlich, geschichtlich und auch kunsthistorisch. Der umfangreiche Bestand des Museums von Heimat- und Landschaftsmalerei ist Grundlage für die künstlerische Auseinandersetzung von Christine Bergmann. Die zu großen Teilen im Depot befindliche Sammlung hat z. T. motivische Verwandtschaft zu ihrem Schaffen. Inspiriert davon entstehen eigene Gemälde. Oft nutzt sie Fotografien als Vorlagen, die den besonderen Moment im Alltäglichen zeigen. Bergmann ist mit zahlreichen Akteuren, die sich der Kultur- und Heimatgeschichte widmen, in Kontakt: Angeregt von Erzählungen und auch privaten Bildern entstehen Malereien.

www.wernigerode.de/de/harzmuseum.html

Rebekka Rauschhardt im Freilichtmuseum Diesdorf: Die Kunst des Versteckens und Entdeckens

Im Freilichtmuseum Diesdorf befinden sich auf einer Fläche von sechs Hektar über 20 regionaltypische Fachwerkbauten mit historischen Einrichtungs- und Arbeitsgegenständen aus dem 17. – 19. Jahrhundert. Dort erschafft die Künstlerin Rebekka Rauschhardt Skulpturen. Unter dem Titel „1 2 3 4 Eckstein …“ werden Figuren und deren Attribute spielerisch mit den Museumsbesuchern und Hortkindern entwickelt und in Stein umgesetzt. Diese „verstecken“ sich im Freilichtmuseum und verbleiben dort dauerhaft. Es gab und gibt bei zahlreichen Veranstaltungen die Möglichkeit zur intensiven Mitwirkung z. B. bei der Erforschung der besten Verstecke und der Anfertigung kleiner Ton-Figuren.

www.museen-altmarkkreis.de/freilichtmuseum-diesdorf

Marie-Luise Meyer & Oliver Scharfbier im Mansfeld-Museum in Hettstedt: Bergbau, Maschinenklänge und eine faszinierende Treppe

Das Mansfeld-Museum befindet sich im barocken Humboldt-Schloss. 1989 als Betriebsmuseum des VEB Mansfeld Kombinats gegründet, befasst sich das Museum mit Industriekultur, der Humboldtschen Familie und der Stadtgeschichte. Hauptexponat ist der Nachbau der ersten deutschen Dampfmaschine Wattscher Bauart im Maßstab 1:1.

Meyer und Scharfbier setzen sich mit der vom Bergbau geprägten Sammlung und dem geschichtsträchtigen Haus auseinander. Ihr Ziel ist zu erforschen, wie viel an identitätsstiftenden Momenten noch vorhanden ist. Meyer verwirklicht dies durch Modellieren von „Kamerad Martin“ – ein Sinnbild des Bergbaus – mit Museumsbesuchern, die ihre Wahrnehmung von Hettstedt im Jahr 2018 beim Gestalten der Plastiken umsetzen. Scharfbier befasst sich dokumentarisch mit der Schlossgeschichte und vor allem mit der fulminanten Treppe des Hauses.

Daneben entstehen künstlerische Entwürfe für eine Plastik, die – für das Museumsgelände entwickelt – die Treppe thematisiert und später als Skulptur realisiert werden soll. Außerdem entsteht ein audio-visueller Beitrag zur Dampfmaschine. Dieser vereint Aufnahmen der Dampfmaschine, unterlegt von deren einst den Bergbau prägenden Geräusch sowie dem darauf reagierenden Schlagzeugspiel des Künstlers.

www.mansfeld-museum.hettstedt.de

Luzia Werner im Museum Schloss Bernburg: Forschungen zum Tod

Das Museum Schloss Bernburg ist ein Regionalmuseum mit umfangreichen, bedeutenden kultur- und naturhistorischen Sammlungen. Damit befasst sich Werner unter einem Thema, zu dem jeder Bezug hat: dem Tod. Museale Sammlungsobjekte wie die Totenkronen und -gedichte, die meist im Archiv des Museums verborgen sind, werden von ihr hervorgeholt und eigenen künstlerischen Arbeiten – Porträts aus Holz – gegenübergestellt. Die Künstlerin gibt dem Publikum die Möglichkeit, sich mit Texten zum Thema Tod und Sterben einzubringen: Diese Gedanken, Ängste etc. sollen in ihre Ausstellung integriert werden.

www.museumschlossbernburg.de

Matthias Ritzmann entdeckt Sammelleidenschaften im Spengler-Museum Sangerhausen

Das Spengler-Museum widmet sich den Themen Geologie und Naturkunde. Hauptexponat ist Deutschlands einziges vollständig montiertes Skelett eines Altmammuts, das vom Heimatforscher Gustav Adolf Spengler geborgen wurde. Seine originelle Herangehensweise an Forschung bildet sich vielfach im Museum ebenso wie in seinem früheren Wohnhaus, einer Außenstelle des Museums, ab. Der Fotograf Matthias Ritzmann setzt sich mit der Museums­sammlung und dem Leben des Namensgebers auseinander. Er knüpfte Kontakte zu den Menschen vor Ort – u. a. bei einem öf­fentlichen Sammler-Casting im Museum – und geht der Frage nach, wie viel von Spenglers Wesen in jedem Einzelnen steckt: Er porträtiert Sammler fotografisch und in Interviews. Die Ergebnisse werden im September ausgestellt und die Akteure können ihre private Sammelleidenschaft, z. B. von alter Radiotechnik, Kugelschreibern, Überraschungseierinhalten oder Regionalia, öffentlich im Museum präsentieren.

www.spenglermuseum.de

Margit Jäschke im Museum Aschersleben – Uralte Fossilien als zeitgenössische Eindrücke

Im Museum Aschersleben werden Objekte der Stadt- und Regionalgeschichte bewahrt. Ergänzt werden sie u. a. durch die Paläon­tologische Studiensammlung von Prof. Dr. Martin Schmidt mit ca. 13.000 Fossilien und Mollusken. Diese weckte das Interesse der Künstlerin Margit Jäschke. Sie arbeitet zum Thema „Sammeln“, nimmt dafür den Faden der Sammlung auf, konzipiert neue Objekte und lässt eine eigene Kollektion in Korrespondenz zur museumseigenen entstehen. Darüber hinaus können Besucher bei einem von ihr initiierten Projekt einen bleibenden „Eindruck“ im Museum hinterlassen: Sie sind eingeladen, ein sie besonders faszinierendes Fossil auszuwählen und zu zeichnen. Alle Arbeiten werden später ausgestellt und einige als Vorlagen auserkoren, von der Künstlerin auf Messingplatten übertragen und dauerhaft in den Boden des Arkadenganges im Museumshof eingelassen.

www.aschersleben-tourismus.de

Friederike von Hellermann gibt besondere Ei(n)blicke im Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Die Naturwissenschaftlichen Sammlungen sind eine Kombination aus historischen Schaumagazinen im Stil des späten 19. Jahrhunderts und modernen Sammlungsmagazinen. Sie dienen Forschung, Lehre und dem Wissenstransfer. Im Rahmen ihrer Arbeit untersucht die Buchkünstlerin und Grafikerin Friederike von Hellermann dort die Grenze zwischen Wissenschaft und Kunst. Hierbei konzentriert sie sich auf einen besonderen Bereich: die weltbedeutende Vogeleiersammlung von Max Schönwetter. Es entstehen u. a. Grafiken in Schablonentechnik. Zu verschiedenen Anlässen lädt sie zu Spezialführungen durch die Sammlungen, erläutert ihre Faszination und ihren Zugang zu den Objekten in den Vitrinen an eigenen grafischen Arbeiten.

www.naturkundemuseum.uni-halle.de

Xenia Fink im Museum Haldensleben – Die Faszination Grimm

Das Museum verfolgt wegen des Teilnachlasses der Brüder Grimm vor allem einen biografisch-historischen Ansatz und zeigt – davon ausgehend – die Biedermeierzeit bis ca. 1875. Die HEIMAT-Stipendiatin Xenia Fink ist fasziniert von diesem Nachlass, insbesondere vom Archiv des Kunsthistorikers und Autors Herman Grimm. Mit diesem setzt sie sich in Text und Bild in ihren Papierarbeiten, Installationen und Animationen auseinander.

www.museumhaldensleben.de