Kulinarik-Jahr 2018

von Annette Schneider-Reinhardt | Ausgabe 1-2018 | Kulturlandschaft | Lebendiges Kulturerbe

Eierschalen vom Teiganmachen für Salzwedeler Baumkuchen; Foto: Matthias Behne

2018 ist Europäisches Kulturerbejahr. Es „wirft ein Schlaglicht auf das reiche Kulturerbe Europas und zeigt auf, wie wichtig das Kulturerbe für die Förderung eines gemeinsamen Identitätsgefühls und für die Gestaltung der Zukunft Europas ist.“[1]

Die Heimatverbände Deutschlands unter dem Dach des BHU (Bund Heimat und Umwelt) widmen sich im Rahmen des Kulturerbejahres dem Thema Ernährungskultur. Häufig mit dem Begriff „Kulinarik“ benannt, ist Ernährungskultur mehr, denn Kulinarik bezeichnet lediglich die hochwertige Kochkunst. Zur Betrachtung der Ernährungskultur aber gehören die sozialen, ökonomischen, ökologischen und alltagspraktischen Aspekte von Ernährung und Essen gleichermaßen. Dies umfasst sowohl Speisenauswahl und Zubereitung als auch Ess- und Trinkrituale, aber auch Nahrungssysteme in ihren stofflichen, historischen und soziokulturellen Bezügen. In der Nahrungssystemforschung geht es um Nahrungspolitik, landwirtschaftliche Vermarktung und Zulieferung, die Rolle von Straßenverkäufern und Nahrungsmittelmärkten, geschlechtsspezifische Rollen beim Einkauf und der Zubereitung von Nahrungsmitteln, unterschiedliche Konsumgewohnheiten, Lebensstile und die Repräsentation von Essen. „Ernährung dient als Ausdruck persönlicher Werte und als Spiegel der eigenen Ideologie“ hieß es in einer Ankündigung für eine Tagung in Frankfurt am Main im September des vergangenen Jahres.

Das Thema eignet sich besonders gut, um sich den Besonderheiten der Ernährungskultur der Region zu widmen und gleichzeitig europäische Entwicklungen und Zusammenhänge zu entdecken.

Blicken wir in die Geschichte der Ernährungskultur, zeigt sich, dass unsere heutigen Essgewohnheiten und Esskultur in der Regel aus dem 17. Jahrhundert stammen, wie die heute gebräuchlichen Bestandteile des Essbestecks, die Mahlzeitenaufteilung, Kaffee, Kartoffel und Schokolade als neue Nahrungsmittel. Suppenteller und Servietten kamen Ende des 16. Jahrhunderts auf. Fleisch aß an den Wochentagen die Mehrheit der Bevölkerung eher selten, wenn dies auch bei Bürgern und Bauern unterschiedlich war.

Grün- und Wurzelgemüse gehörten im Gegensatz zum Süden zum Grundstock der täglichen Nahrung im mittel- und norddeutschen Raum, ebenso wie Fisch und Obst. Dagegen erfand ein französischer Arzt die Konservendose für Fisch erst 1809 und die heute üblichen Heringe in Tomatentunke wurden sogar erst nach 1930, zunächst als Import aus Skandinavien, bekannt.[2]

Wenden wir uns einigen ernährungskulturellen Aspekten Sachsen-Anhalts zu:

In das Territorium des heutigen Sachsen-Anhalt wanderten jahrhundertelang Menschen aus anderen Regionen ein, z. B. Bergleute aus Italien, Böhmen, Schlesien, dem Eichsfeld und dem Erzgebirge, um hier Kupfer, Silber, Salz und Kohle abzubauen. Sie brachten ihre Ess- und Trinkgewohnheiten mit und sorgten für deren Verbreitung.

Die politischen Strukturen im Fürstentum Anhalt und in Preußen erleichterten die Einführung technischer Neuerungen, was zu neuen Produkten im Nahrungsbereich führte. Außerdem begünstigten die sehr guten Böden in der Magdeburger Börde im 19. Jahrhundert den Zuckerrübenanbau. Dieses Gebiet wurde zum deutschlandweiten Zentrum der Zuckerindustrie. Kein Wunder also, dass sich auch die Nahrungs- und Genussmittelindustrie, die in hohem Maße Zucker benötigte, hier ansiedelte. Man denke nur an die älteste Schokoladenfabrik Deutschlands in Halle (Halloren, gegr. 1804) oder an die „Zetti“-Schokolade, seit 1846 in Zeitz.

Die guten Bedingungen für den Getreideanbau beförderten Unternehmensgründungen für die Gebäckherstellung wie Wikana in Wittenberg (gegr. 1906) oder Friwi (gegr. 1891) in Stolberg/Harz sowie große Mühlwerke wie das noch heute existierende bei Alsleben (Saalemühle – seit 1875 industriell). In Halle gibt es seit 1951 „Kathi“, ein Hersteller für Kloßmehl und Backmischungen.

Die für den Obstanbau hervorragend geeigneten Böden um Halle begünstigten die Marmeladenherstellung, wovon noch heute die Konfitüren aus Zörbig (gegr. 1873) oder die Fruchtsäfte der Firma „Glockengold“ (gegr. 1893) aus Laucha an der Unstrut künden. Wegen der guten Voraussetzungen für den Weinanbau um Freyburg/Unstrut wurde 1856 eine bis heute produzierende Sektkellerei eingerichtet. Gegenwärtig hat sich die Mehrzahl der Nahrungsmittelhersteller in Sachsen-Anhalt in einem Netzwerk unter dem Slogan „Sachsen-Anhalt. Das Land mit Geschmack“ zusammengeschlossen.[3]

Diese Aufzählung zeigt, wie eng Ernährungskultur und Kulturlandschaft miteinander verwoben sind. Bodenbeschaffenheit, geographische Voraussetzungen, der Feldbau, die Anlage von Weinbergen, Hopfenfeldern, Streuobstwiesen usw. sind wichtige Aspekte der Ernährungskultur.

Aber auch in anderen Bereichen der Heimatpflege findet man zahlreiche interessante Zugänge zum Thema Ernährungskultur, die in diesem Jahr eine Themenreihe im Sachsen-Anhalt-Journal bilden werden. Deshalb rufen wir dazu auf, uns Hinweise, Beiträge und Forschungsergebnisse aus Ihrer Vereinslandschaft zu senden, die in unserem Journal veröffentlicht werden und weitere Unter­suchungen anregen sollen.

Mögliche Themen wären:

  • Geschichte: Industrialisierung in der Landwirtschaft, Ernährung in Notzeiten, Geschichte der Kleingärten und ihre Anlagen, das Speisenangebot in der DDR-Kantine, die Entwicklung regionaler Besonderheiten (Soleier der Halloren, Speckkuchen in Halle) usw.
  • Volkskunde: Vorratswirtschaft, Gerätschaften und Techniken zur Haltbarmachung von Lebensmitteln, die Etablierung der heute üblichen Essenszeiten und damit einhergehende Rituale (welches Getränk zu welcher Speise, das Mehr-Gänge-Menü zu welchen Anlässen, die Entwicklung des Sonntagsessens in der Familie, die Schul-Milchpause, die Weinkönigin in Freyburg und die Zwiebelkönigin in Zerbst bzw. Hettstedt)
  • Denkmalpflege: historische Gasthäuser, Architektur von Brauereien und Fabrikanlagen zur Herstellung von Lebensmitteln (z. B. Malzfabriken, Zuckerfabriken usw.)
  • Sprachforschung und -pflege: Namen von Gerichten, wie z. B. Tote Oma, Klump, Kauken, Beschreibungen von Rezepten (Altmärkische Hochzeitssuppe in Niederdeutsch) usw.

 

[1] http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-5067_de.htm

[2] Sandgruber, Roman: Knödel, Nudel, Topfenstrudel… In: Hrsg. Wiegelmann, Günter: Nord-Süd-Unterschiede in der städtischen und ländlichen Kultur Mitteleuropas, Münster 1985.

[3] http://gutes-aus-sachsen-anhalt.de/