Kulturdenkmal des Jahres 2021: Historische Orte der Gemeinschaft

Christine Schlott | Ausgabe 3-2021 | Bürgerschaftliches Engagement

Der unsanierte Gebäudeteil der ehemaligen Lungenheilanstalt in Harzgerode. Foto: Matthias Behne
Bei der Arbeit. Sanierungsarbeiten in der "Freien Feldlage" Harzgerode. Foto: Matthias Behne
Der Garten wartet nicht. Foto: Matthias Behne

Der Bund Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU) wählt jedes Jahr ein Kulturdenkmal des Jahres. Als Bundesverband der Bürger- und Heimatvereine möchte er so auf bedeutende und erhaltenswerte Kulturlandschaftselemente aufmerksam machen.[1] Gemeinsam ist den in allen Bundesländern als ein solches Kulturdenkmal nominierten Orten, dass sie auf eine reiche Tradition zurückblicken können, gleichzeitig aber im Alltag heute immer mehr an Bedeutung verlieren. Für dieses Jahr wurden „Historische Orte der Gemeinschaft“ zum Kulturdenkmal des Jahres bestimmt.

Der BHU hat wie jedes Jahr einen Flyer und einen Kalender zum Kulturdenkmal des Jahres zusammengestellt. Unter den Beispielen finden sich der Kulturpalast der ehemaligen Maxhütte in Unterwellenborn (Thüringen) genauso wie die Schlosskirche in Pforzheim (Baden-Württemberg), der Thy-Platz in Heessen (Nordrhein-Westfalen) oder der Pappelring in Fienstedt (Sachsen-Anhalt). Letzterer besteht aus in zwei Reihen auf dem Dorfanger gepflanzten  Pappeln, die alle 40 bis 50 Jahre erneuert werden. Der Platz war ursprünglich ein Gerichtsplatz und ist bis heute der Versammlungs- und Festort des Dorfes.

Viele dieser Orte waren schon in vergangener Zeit bedeutende Versammlungsorte. Einige dieser Orte werden heute noch wie ursprünglich genutzt. Andere wiederum wurden umgebaut, umgenutzt oder sind vollständig in Vergessenheit geraten. Außerdem bewahren diese Orte die Tradition der Vergangenheit und sind Zeugnisse der Versammlungs-, Glaubens- und Festkultur der letzten Jahrhunderte. Orte der Gemeinschaft sind Träger von gebautem und immateriellem Kulturerbe und deshalb besonders schützens- und bewahrenswert.

Gemeinschaft ist ein menschliches Grundbedürfnis. Der Mensch wird in eine Familie hineingeboren, die ihn prägt. Neben der Familie erhalten Kinder bzw. Jugendliche wichtige Impulse für ihr Leben im Kindergarten, in der Schule, im Sportverein, in einem Orchester oder Chor, in der Clique der Dorfjugend etc. Später setzt sich das fort im Arbeitsteam, in einem Verein, einer Partei oder Religionsgemeinschaft. Meistens sind Menschen Teil kleiner Gruppen. „Zugehörigkeit produziert Zuneigung und stiftet dadurch Identität“ schreibt der Historiker Wolfgang Reinhard in seinem Buch „Lebensformen Europas“.[2] Weiter schreibt er, „… [man] ist … durch täglichen Umgang miteinander vertraut … und affektiv verbunden, pflegt sein Zusammengehörigkeitsbewusstsein, nicht zuletzt auch sprachlich und rituell, sichert das eigene Territorium, übt Kontrolle über die Einhaltung von Gruppennormen aus, scheidet aus, wer massiv dagegen verstößt …“.[3] Aber Menschen knüpfen auch Beziehungsnetze über die Grenzen der eigenen Gruppen hinaus. Noch einmal Wolfgang Reinhard: „Kleingruppen waren und sind … in den wenigsten Fällen sozial homogen und isoliert, sondern durch komplexe Netzwerke sozialer Beziehungen strukturiert und mit anderen verknüpft. Man kann sogar noch weiter gehen und behaupten, dass sie durch solche Netzwerke überhaupt erst konstituiert werden, weil sie ohne diese überhaupt nicht existieren würden“.[4]

Menschen sind verwoben in komplexen Beziehungsgeflechten. Sie sind nicht nur Mitglied einer Familie, sondern gleichzeitig in Freundeskreisen, in Vereinen und anderen Interessengruppen aktiv. Sie leben in einer Dorfgemeinschaft, sind Nachbarn in einem Stadtbezirk oder aber leben weit voneinander entfernt. Sie treffen sich – persönlich und jetzt auch oft online – zu sozialen, politischen, religiösen oder festlichen Anlässen, arbeiten, organisieren oder feiern gemeinsam, treiben Sport oder kämpfen für eine gemeinsame Sache, z. B. für den Erhalt ihrer Kirche.

Für all diese Aktivitäten braucht man einen Ort, um sich zu treffen. Solche „Orte der Gemeinschaft“ sind äußerst vielfältig. Das können Gasthäuser, Festwiesen, Vereins- oder Dorfgemeinschafshäuser oder Dorfläden sein. Jugendclubs, Sportplätze, Stadien zählen genauso dazu wie Kirchen, Synagogen, Moscheen und Gebetshäuser bzw. Betsäle von Religionsgemeinschaften. Theater, Kinos, Museen, Opern- und Konzerthäuser bringen fremde Menschen zusammen und ermöglichen ihnen gemeinsame Erlebnisse.

Neben diesen „offenen“ „Orten der Gemeinschaft“ gibt es noch ganz besondere, „geschlossene“ „Orte der Gemeinschaft“: wie z. B. Krankenhäuser und Sanatorien, Kasernen, Gefängnisse, aber auch Klöster und Stifte. Hier leben Menschen unfreiwillig oder freiwillig in einer Gemeinschaft zusammen; für eine bestimmte Zeit oder auf Dauer. Sie entscheiden sich bewusst dafür oder werden dazu gezwungen.

In Sachsen-Anhalt gibt es viele Kulturdenkmale, die zu den „Historischen Orten der Gemeinschaft“ zählen. Sie sind Zeugen der Veränderungen, die es im Laufe der Zeit in der Region gab, von Kriegen, gesellschaftlichen Umbrüchen, Neuanfängen. Die Vielzahl aufgegebener Klöster, von denen zum Teil nur noch die Kirche oder einige Restmauern stehen, berichten von der Landnahme und Kultivierung der Region und von der Missionierung der hier lebenden Menschen durch Mönche und Nonnen im Mittelalter, aber auch von der Reformation, die das Mönchstum hinweg fegte. Leer stehende oder schon zu Ruinen zerfallene Kirchen sprechen für die Entkirchlichung in der Region, die vielfältige Ursachen hat und schon seit längerem im Gange ist. Leer stehende Gasthäuser, besonders im ländlichen Raum, erzählen ihre eigene Geschichte – z. B. vom Wegzug der Menschen. Leer stehende Scheunen zeugen vom Wandel in der Landwirtschaft. Verlassene Gutshäuser, Burgen und Schlösser haben oft mehrere Geschichten von unterschiedlichen Nutzungen zu erzählen.

All diese Objekte, ehemalige Klöster, Kirchen, Sanatorien, Scheunen, Schlösser, Burgen, Gutshäuser, Gasthäuser u.v.m. werden in der Mehrzahl von Menschen erhalten, die sich ehrenamtlich dafür einsetzen, sie vor dem Vergessen und vor dem Verfall zu bewahren. Einige Beispiele wollen wir Ihnen hier in diesem Heft vorstellen.

[1] Siehe https://bhu.de/kampagnen/kulturdenkmal-des-jahres/, Zugriff 18.6.2021.

[2] Reinhard, Wolfgang 2004: Lebensformen Europas. Eine historische Kulturanthropologie. München: C.H. Beck, S. 267.

[3] Reinhard, S. 268.

[4] Reinhard, S. 272.