„Lehm und Lehm lassen!“

Traditioneller Lehmbau in Mitteldeutschland als Chance für eine nachhaltige Bauwende

Mechthild Klamm, Sophia Stieme-Kirst, Franziska Knoll | Ausgabe 3-2021

Historische Wellerlehmscheune in Steigra, Saalekreis. Deutlich sind die einzelnen Lehmlagen erkennbar. Foto: Mechthild Klamm, LDA Sachsen-Anhalt.
Hohlweg in Wangen/Nebra, Burgenlandkreis, mit beidseitig steilen Lössböschungen, an denen noch heute Material für Reparaturarbeiten abgestochen wird. © GOLEHM 2021.
Mötzlich, Saalekreis, Wohnhaus von 1758. Das  massive Untergeschoß wurde auf einem Natursteinsockel gewellert, das Obergeschoß in Fachwerk, also  einer Leichtlehmbauweise, ausgeführt. 2017 wurde es  materialgerecht saniert. © GOLEHM 2021.
Schaubild aus der Lehmbaufibel von 1947. Die einzelnen Arbeitsschritte (von rechts nach links) zeigen die  Aufbereitung und das Aufbringen des ersten Wellersatzes  (Lehm-Stroh-Gemisch). Die Wellermasse wird mit einer  Heugabel auf den Steinsockel gehäuft und verdichtet. Im  nächsten Arbeitsschritt wird die Außenwand mit einem  Spaten abgestochen und begradigt. Abschließend wird  durch Eindrücken kleiner Ziegel- oder Schlackefragmente  der Putzuntergrund vorbereitet. H. Henselmann (Hrsg.): Lehmbaufibel. Darstellung der reinen Lehmbauweisen mit 55 Abbildungen. Weimar 1947. S. 34 Abb. 16.
In Pömmelte-Zackmünde, Salzlandkreis, entsteht derzeit ein moderner massiver  Lehmbau. Im Probeblock zeigt sich im oberen Teil die Wand aus Lehm mit den  charakteristischen horizontalen Bändern der einzelnen Stampflagen. Der gestampfte  Beton darunter dient als Sockel zum Schutz vor aufsteigender Feuchte und Spritzwasser. © GOLEHM 2021.

Der mitteldeutsche Raum weist in vielerlei Hinsicht Besonderheiten auf, die ihn von anderen Gegenden in Deutschland unterscheiden. Grund hierfür sind die naturräumlichen Gegebenheiten im Windschatten des Harzes. Während der und in der ausgehenden Eiszeit wurde hier feiner Gesteinsstaub abgelagert: der Löss. Durch den Regenschatten des Harzes bleiben die Nährstoffe, auch die Humusstoffe, bei durchschnittlich nur ca. 450 – 480 mm Niederschlag pro Jahr im Erdboden erhalten. Auf dem Löss-Untergrund bildeten sich mächtige Schwarzerden aus, die noch heute besonders ertragreich sind. Seit der Steinzeit wird Mitteldeutschland daher vornehmlich als Ackerstandort genutzt, Waldgebiete waren und sind kaum vorhanden.

Der kalkreiche Löss bildet jedoch nicht nur „die Basis“ für eine erfolgreiche Agrarwirtschaft, er lässt sich auch selbst äußerst vielseitig einsetzen; als Heilerde beispielsweise, deren innere Anwendung schon Plinius anrät. Besonders eignet sich diese leicht lehmige Erde jedoch als Baumaterial.

Die Korngrößen des Lösses bestehen aus im Mittel 10 % Sand – das sind die fühlbaren Körner im Boden –, dazu bis etwa 80 % Schluff, der in seiner Konsistenz Mehl ähnelt, und bis zu 20 % Ton. Die winzig kleinen Tonpartikel bewirken das Zusammenkleben des Substrats, genauso wie der enthaltene Kalk. Der hohe Schluffanteil gewährleistet dabei noch immer eine leichte Verarbeitung. Das wussten in Mitteldeutschland auch die „Häuslebauer“ der Vorzeit schon zu schätzen. Aufgrund seiner großen Bedeutung für die Menschheitsgeschichte, gerade auch im Hinblick auf die Ernährung, ist der Lössboden als „staubiges Gold“ zum Boden des Jahres 2021 gekürt worden (BGR 2021).

Als Baumaterial war Löss leicht zu erlangen, er konnte unmittelbar unter dem Humus abgebaut werden, so dass jede Ortschaft über ihre Lehmgrube oder andere leicht zugängliche Quellen verfügte (Abb. 2; Klamm, Kürbis 2007). Aber auch andere Lehme wurden, wenn sie geeignet waren, für den Hausbau verwendet, beispielsweise Lehme mit einem Anteil an Röttonen, dem Rotliegenden oder auch eiszeitliche Geschiebelehme. Manche Häuser haben daher eine rötliche oder, wenn humoser Boden mit verwendet wurde, eine eher graue Färbung. Kam Geschiebelehm zum Einsatz, sind reichlich Kieselsteine enthalten (Knoll, Klamm 2015: 23 f.). Auch archäologische Funde wie kleinere Keramik-, Stein- oder Knochenfragmente können sich in den Lehmwänden der Neuzeit verbergen.

Der Lehm konnte auf verschiedene Weise zur Herstellung von tragenden Wänden genutzt werden. Bekannt sind Lehm- oder Luft­steine, besser bekannt als Lehmziegel, die nach dem Trocknen wie gebrannte Ziegelsteine vermauert werden und genauso stabil sind. Seltener wurden seit dem ausgehenden 18. Jh. Stampflehmbauten errichtet (Witry, Guillaud 2020), inspiriert durch das Werk von François Cointereaux (1803), der in Paris nach Lyoner Vorbild diese Bauweise propagierte. Hier wird der Lehm erdfeucht in eine Schalung eingestampft, oftmals mit seitlich eingebrachten Ziegel- und später Kalk(zement)leisten.

Für Mitteldeutschland typisch sind sogenannte Weller­bauten, deren Wände aus Lehm und Stroh bestehen. Die Herkunft der Bezeichnung ist unklar. Archäologische Funde aus jüngerer Zeit belegen die Kenntnis der Bauweise aber bereits in vorgeschichtlicher Zeit. Das überrascht wenig, denn auch im Vorderen Orient, der Herkunft unseres ortsfesten Ackerbaulebens, stehen massive Lehmbauten am Beginn der Sesshaftwerdung (z. B. Flohr u. a. 2015).

Zunächst wird beim Wellerlehmbau, wie generell beim Lehmbau, ein Fundament aus Natursteinen oder gebrannten Ziegeln errichtet. So kann keine Feuchtigkeit in den Baulehm kapillar aufsteigen und zudem wird Spritzwasser abgehalten. Der Baulehm für die Wellerhäuser wird nach einigen Monaten der Lagerung im nassen Zustand mit langem Roggenstroh vermischt (Meinert 1802: 41 f.). Mit einer Gabel wird das Lehm-Stroh-Gemisch in einzelnen Sätzen (oftmals schräg) bis zu einer Höhe von etwa 90 cm aufgesetzt und festgeschlagen oder -getreten. Ein fertiger Satz muss zunächst trocknen, um formstabil zu bleiben. Feuchter Lehm würde sich bei weiterer Belastung verformen. Dann wird die nächste Lage aufgesetzt und getrocknet, bis die angedachte Höhe des Bauwerkes, die bei Wohnbauten auch mehr als ein Vollgeschoss betragen kann (Gilly 1787: 20), erreicht ist. Tore, Türen und Fenster werden ausgespart und mit hölzernen Zargen ausgesetzt oder mit gebrannten Ziegeln gefasst (vgl. z. B. Fauth 1946: 48 – 53).

Zur Glättung werden die Wände senkrecht abgestochen. Da vor allem die Wohngebäude zumeist verputzt wurden, wurden zur besseren Haltbarkeit des Lehm- oder Kalkputzes kleine Steine, auch Schlacke oder Ziegelbruchstücke, in den leicht feuchten Lehm eingedrückt. Final wurde der Putz oftmals mit Kalkmilch und Tierhaar geweißelt. Bei Wirtschaftsgebäuden, wie Scheunen und Stallungen, wurden die Wände in der Regel lehmsichtig belassen. Daher bestimmen diese Lehmbauten, gerade wenn sie aus dem ockerfarbenen Löss errichtet wurden, noch immer vielfach das Bild historischer Ortschaften.

In keiner anderen Gegend Mitteleuropas gibt es noch heute so viele massive Lehmgebäude wie im mitteldeutschen Trockengebiet. Auch wenn man es kaum glauben mag: Die Massivlehm­wände sind äußerst stabil und, wenn sie vor Wasser geschützt sind, auch sehr langlebig. Die Mehrzahl der genutzten und bewohnten Gebäude stammt aus dem 18., 19. oder der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Einige wenige noch stehende Exemplare sind bereits am Beginn des 17. Jahrhunderts zu verorten (Lieberenz 2009).

Um wie viele Lehmgebäude es sich insgesamt handelt, ist heute wie damals schwer abzuschätzen; schon alleine, weil die Wohngebäude in der Regel zeitgemäß verputzt oder verkleidet sind und sich optisch nicht von konventionellen Bauten abheben. Wilhelm Fauth führt 1947 allein für die knapp 70 Landgemeinden im damaligen Bezirk Bitterfeld 7.000 Wellerbauten an, die 10.500 Wohn- und Wirtschaftsbauten aus anderem Baumaterial gegenüberstanden (Fauth 1947: 20). Da hatte die letzte Lehmbauwelle in der damaligen sowjetischen Besatzungszone aber noch gar nicht begonnen (Rath 2004: 112 – 116). Heute ist die Anzahl an Lehmbauten gemessen am Gesamtbestand durch zahlreiche Abrisse und Abgänge zwar wesentlich geringer, aber noch immer beträchtlich. Die teils historischen Gebäude werden jedoch noch immer bewohnt und auch wegen des guten Raumklimas und des schadstoffarmen Umfelds hoch geschätzt.

Exemplarische Aufnahmen der Lehmbausubstanz einzelner Ortschaften sind nach jetzigem Forschungsstand an einer Hand abzuzählen, doch zeigen erste Erfassungen aus Söllichau bei Wittenberg (Kristin, Klamm 2021) oder Teilen des Thüringer Beckens (Tilche 2009), dass bei einer sorgfältigen Aufnahme vor Ort eine Vielzahl an Lehmhäusern detektiert werden kann. Wie eine erste aktuelle Datenerhebung in drei Modellortschaften durch die GOLEHM-Initiative[1] zeigt, ist im ländlichen Bereich noch immer mit etwa 30 % an Lehmbauten zu rechnen. Um das Verbreitungsgebiet und alle massiven Lehmgebäude möglichst lückenlos, erstmalig und mit Hilfe aller Interessierten zu erfassen, ist das digitale Web-GIS Projekt im Internet zugänglich (GOLEHM 2021).Seit den späten 1950er Jahren sind im mitteldeutschen Trockengebiet keine Lehmbauten mehr entstanden. Baumaterial war nicht mehr knapp und die Jahrtausende lange Tradition riss zugunsten energieintensiver Bautechniken ab. Gleichzeitig wurden auch die DIN-Normen für den Lehmbau abgeschafft, sodass genehmigungsrechtliche Grundlagen für den Neubau fehlten. Der Dachverband Lehm e. V. widmet sich seit vielen Jahren der Erstellung von DIN-Normen, Richtlinien und Bilanzierungen, so dass es heute – wenn auch noch nicht standardmäßig – wieder möglich ist, moderne Gebäude mit tragenden Lehmwänden zu errichten (Ziegert u. a. 2020). Aktuell entsteht am Ringheiligtum Pömmelte ein Besucherinformationszentrum aus Stampflehm – in Sachsen-Anhalt der erste Massivlehmbau aus öffentlicher Hand nach über 60 Jahren.

So bleibt zu konstatieren, dass mit dem Lehmbau über Jahrtausende eine äußerst umweltfreundliche Bauweise geübt wurde, die kaum Energie (abgesehen von der menschlichen Arbeitskraft) benötigte und die Umwelt nicht belastete. Auch im modernen Bauwesen schneiden die massiven Lehmbauten daher sehr gut in der Lebenszyklusanalyse ab. Deswegen leisten der Erhalt und die Weiternutzung dieser Gebäude einen wichtigen Beitrag zur Klimawende und einem „sauberen“ Bauen und Renovieren.

Quellen:

BGR (2021): Der Lössboden – Boden des Jahres 2021. https://www.bgr.bund.de/DE/Themen/Boden/Bodenbewusstsein/Boden_des_Jahres/Boden_des_Jahres_2021.html
Cointereaux, F.: Die Pisé-Baukunst, in ihrem ganzen Umfang, oder vollständige und fassliche Beschreibung des Verfahrens, aus dem französischen Original, bearbeitet und mit Zusätzen versehen von Christian Ludwig Seebass, 2 Teile, Originaldruck 1803, Reprint Leipzig 1989.
Fauth, W.: Der praktische Lehmbau. Wiesbaden 1946.
Flohr, P., Finlayson, B., Najjar, M., Mithen, S.: Building WF16: construction of a Pre-Pottery Neolithic A (PPNA) pisé structure in Southern Jordan, in: Levant 47, 2 (2015), S. 143–163. https://doi.org/10.1179/0075891415Z.00000000063
Gilly, D.: Praktische Abhandlung aus der Landbaukunst betreffend den Bau der sogenannten Lehm- oder Wellerwände wie man dieselben dauerhaft mit wenigen Kosten und einer wahren Holzersparung ausführen könne. Berlin 1787.
GOLEHM (2021): Atlas Massivlehmbauten Mitteldeutschland. https://www.golehm.de/massivlehmbau/atlas-massivlehmbauten-in-mitteldeutschland
Henselmann, H. (Hrsg.): Lehmbaufibel. Darstellung der reinen Lehmbauweisen mit 55 Abbildungen. Weimar 1947.
Klamm, M., Kürbis, O.: Gewinnung und Verwendung von Lehm als Baumaterial in prähistorischer und historischer Zeit – mit Beispielen aus Mitteldeutschland, in: Terra Praehistorica. Festschr. F. Klaus-Dieter Jäger zum 70. Geburtstag, S. 483–510, Langenweißbach 2007.
Knoll, F., Klamm M.: Baustoff Lehm – seit Jahrtausenden bewährt. Archäologische, historische und rezente Zeugnisse des Lehmbaus. Halle (Saale) 2015.
Kristin, P., Klamm, M.: Lehmbauten in Söllichau, Lkr. Wittenberg, in: Archäologie in Sachsen-Anhalt 10 (2021), S. 182–205.
Lieberenz, T.: Die ältesten Lehmwellerbauten in Mittelthüringen, in: Häuser aus Lehm und Stroh = Hohenfeldener Hefte 4 (2009), S. 27–34.
Meinert, F.: Der Landwirthschaftliche Baumeister, oder die unentbehrlichsten Kenntnisse der Landbaukunst: ein Taschenbuch für Gutsbesitzer, Pächter und andere Landwirthe. Halle 1802.
Rath, R.: Der Lehmbau in der Sowjetischen Besatzungszone und der ehemaligen DDR 1945–1989, S. 112–121, in: Lehm 2004, Weimar 2004.
Tilche, G.: Praktisch, preiswert, feuerfest – und fast vergessen: Lehmwellerhäuser zwischen Ilm und Saale, in: Häuser aus Lehm und Stroh = Hohenfeldener Hefte 4 (2009), S. 59–64.
Witry, M., Guillaud, H.: Verbreitung der Pisébautradition in Europa, in: Pisé – Stampflehm. Tradition und Potenzial, S. 14–17. Zürich 2020.
Ziegert, C., Röhlen, U., Schroeder, H.: Die Erfolgsgeschichte der Lehmbaunormen in Deutschland, S. 1–4, in: Lehm 2020, Weimar 2020.  https://www.dachverband-lehm.de/lehm2020_online/pdf/lehm2020_b_ziegert-roehlen-schroeder_de.pdf

 

[1] Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, im Rahmen der Konzeptphase im Programm „WIR! Wandel durch Innovation in der Region“, durchgeführt in drei Modellortschaften (Großzöberitz, Gleina und Mücheln) von Oktober 2020 bis April 2021.