Mitteldeutsche Industrielandschaften – Identifikation zwischen Kontinuität und Umbruch

von Marina Ahne | Ausgabe 4-2016 | Kulturlandschaft

Hunt, Stolln und Grubenpferd Eisleben, Foto: Privatbesitz Th. Ahbe
Post- und Werbekarte „Weinbau am ­Geisel­talsee“, Foto: Privatbesitz Toni Hannig
Logo der Gemeinde Schkopau, Foto: http://www.gemeinde-schkopau.de/index.php?id=166053000455&cid= 166053002065, Zugriff: 05. 02. 2012

„Lange hat es gebraucht, bis das Land Sachsen-Anhalt erkannt hat, dass seine Industrialisierungsgeschichte und Industriekultur trotz der gravierenden Veränderungen der Industrielandschaft nach 1990 für die hier lebenden Menschen immer noch eine hohe Bedeutung haben. In der Industrie, dem Handwerk und der Landwirtschaft sind gerade in der mitteldeutschen Region UnternehmerInnen und ArbeitnehmerInnen über mehr als 200 Jahre aktiv, haben Werte geschaffen und stehen für das, was unser Land heute ausmacht. Daher hatte und hat die Industriekultur für sehr viele Bürger ein hohes Identifikationspotenzial.“[1]

Mitteldeutschland zählt heute längst nicht mehr zu den industriellen Kerngebieten Deutschlands. Dennoch finden sich fast überall im mitteldeutschen Raum die Überreste einstiger Kombinate und Werk­anlagen. Als stille Zeugen stehen die Industriebrachen für eine glanzvolle industrielle Vergangenheit, die über mehrere Jahrhunderte Bestand hatte. Sie erzählen von einer Zeit, in der Mitteldeutschland als „industrielles Herz des Reiches“ bezeichnet und vorrangig durch seine starke Industrie definiert wurde. Vor allem der gesellschaftliche Umbruch 1989/90 und die folgenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen in den 1990er Jahren führten zum Zusammenbruch und zum gezielten Abbau der meisten Indus­triebetriebe. Nur wenige Nachfolgefirmen konnten diese Krisenzeit überstehen und führen heute die Arbeit und Traditionen der alten Betriebe fort.

Dem Mansfelder Bergbau gelang dies leider nicht. Bereits im Mittelalter wurde hier der Abbau von Kupfererz betrieben, sodass die Region Mansfeld-Südharz auf eine lange (vor)industrielle Vergangenheit zurück schauen kann. Mit dem Beitritt der DDR zum Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu Beginn der 1990er Jahre endete der Bergbau in dieser Region, allerdings nicht die Identifikation der Mansfelder mit der Bergbaugeschichte. Sie hinterließ Spuren, die auch gegenwärtig noch im Bild der einstigen Industrielandschaft Mansfeld zu finden sind. Industriedenkmäler wie die Kupferschieferhalden oder Schaubergwerke prägen die Region. Traditionsvereine pflegen dieses Erbe. Im Mansfelder Land wird an der Bergbauidentität festgehalten. Dass sie sich auch auf künftige Generationen überträgt, bleibt zu hoffen.

An welchen Koordinaten sich die Menschen noch orientieren, wenn ihre Arbeitsplätze und sogar ihre Arbeitsstätten verschwinden, zeigt auch eine andere Bergbauregion: das Geiseltal. Dort wurden nach dem Erlöschen des Braunkohlevorkommens – ähnlich wie ab den 1980er Jahren im Ruhrgebiet – neue Konzepte regionalen Wirtschaftens erarbeitet. Aus dem einstigen Bergbaurevier, welches vor allem seit dem 19. Jahrhundert durch Förderanlagen, Gruben und Abbauhalden gekennzeichnet war, wurde ein Erholungsgebiet mit dem größten künstlichen Binnensee Deutschlands, Hafen und Weinanbaugebiet. Diese Umgestaltung ging jedoch keineswegs mit dem Vergessen oder Verdrängen der einstigen Industriegeschichte der Region einher. Auch hier zeugen Industriedenkmäler überall im neuen Erholungs- und einstigen Abbaugebiet von der Industriegeschichte des Geiseltals im 20. Jahrhundert. Die Identifikation mit dieser Geschichtsepoche hat auch hier einen festen Platz in der regionalen Erinnerungskultur.

Gesellschaftlicher Wandel kann jedoch auch den totalen Verlust der industriellen Identität im Landschaftsbild bedeuten. Nach dem Abbau der Magdeburger Schwermaschinenkombinate in den 1990er Jahren trafen die Menschen die Deindustrialisierung und der Umbau der einstigen „Stadt des Schwermaschinenbaus“ zur „Stadt mit Elbe und Dom“ besonders hart. Tausende Beschäftige der großen Industriebetriebe verloren ihre Arbeit. „Ihre neuen Arbeitsmöglichkeiten fanden die ehemaligen IndustriearbeiterInnen im Dienstleistungssektor und in der Verwaltung, aber nur sehr eingeschränkt in der Industrie. Darauf musste man sich relativ kurzfristig einstellen. Das waren tiefe Einschnitte in persönliche Lebensplanungen. Viele BürgerInnen Sachsen-Anhalts mussten sich gewissermaßen neu erfinden.“ [2] Zudem spielte die Erinnerung an die Industriegeschichte Magdeburgs im Stadtmarketing keine Rolle mehr. Die als schmutzig geltende industrielle Vergangenheit sollte regelrecht abgestreift und gegen eine allein auf dem Mittelalter aufbauende Kulturgeschichte der Stadt ausgetauscht werden. Von der Sprengung eines als „Langer Heinrich“ bekannten und als Kulturdenkmal gehandelten Schornsteins bis zur Marketing-Kampagne der „Ottostadt Magdeburg“ war es schließlich nur ein kleiner Schritt. Auch wenn es relativ schnell gelang, die industrielle Landschaft aus dem offiziellen Bild der Stadt zu entfernen, war es jedoch nicht möglich, die durch die Industrie geprägte Identität aus den Köpfen der Menschen und aus ihren Traditionen herauszukehren. Vornehmlich ehrenamtliche Träger pflegen und bewahren diese Traditionen seitdem. Erst heute scheint die einstige industrielle Größe Magdeburgs für das Außenbild der Stadt wieder an Bedeutung zu gewinnen – vorrangig aufgrund des Bemühens, im Jahr 2025 Kulturhauptstadt Europas zu werden.

Nicht zu vergessen bleibt die chemische Industrie Mitteldeutschlands – vor allem seit dem 20. Jahrhundert. Als große Chemiestandorte haben auch Leuna und Schkopau ihren Platz als Industrielandschaften festgeschrieben. Trotz der nicht einmal ein Jahrhundert umfassenden Geschichte waren sie Orientierung genug, um die Schkopauer Gemeinde dazu zu bewegen, das neu zu entwerfende Ortslogo mit einem Bezug zur Chemie, einer Anlehnung an das Symbol „Plaste und Elaste aus Schkopau“, auszustatten.

Die hier ausgewählten Regionen des mitteldeutschen Raumes zeigen, dass die industrielle Vergangenheit ihre Umgebung geprägt hat. Sowohl äußerlich sichtbar als auch mental haben die ehemaligen Industrielandschaften sich im Gedächtnis der jeweiligen Regionen festgeschrieben und können – je nach Ermessen der zuständigen politischen und gesellschaftlichen Verantwortlichen und Engagierten – gepflegt und für die weitere Gestaltung der Region genutzt werden oder aber auch verkümmern und in Vergessenheit geraten.[3]

[1] Gerhard Unger, Vorwort, in: Mitteldeutsche Industrielandschaften im 19./20. Jahrhundert. Außendarstellung, Fortschrittsglauben und regionale Identifikation, hrsg. v. Marina Ahne u. Monika Gibas, Halle 2016, S. 7.

[2] Ebd.

[3] Soeben im Mitteldeutschen Verlag erschienen: Mitteldeutsche Industrielandschaften im 19./20. Jahrhundert. Außendarstellung, Fortschrittsglauben und regionale Identifikation, hrsg. v. Marina Ahne u. Monika Gibas, Halle 2016.