Ostmoderne. Baukulturelle Betrachtungen der Nachkriegs­architektur in der DDR – damals und heute

Tagung in Sangerhausen und Halle-Neustadt, 25. – 26. September 2020

Bernhard Lohe | Ausgabe 4-2020

Das Scheitern einer Utopie - Wohnblock in Halle-Neustadt. Foto: C. Schlott
Die fünf Scheiben – das Wahrzeichen von Halle-Neustadt. Foto: C. Schlott
Wandgestaltung von Josep Renau: „Die von Menschen beherrschten Kräfte von Natur und Technik“, Halle-Neustadt, Majolika-Malerei auf Steinzeugfliesen, 1971 –74. Foto: C. Schlott

Das Scheitern einer gesellschaftlichen und städtebaulichen Vi­sion darf nicht als Begründung dafür herhalten, sich nicht mit dem Denkmalwert von Bauten dieser Epoche zu beschäftigen. Diesem Leitsatz trug die Tagung angemessen Rechnung, die am 25./26. September 2020 in Sangerhausen und Halle (Saale) stattfand und unter anderem mit Prof. Peer Pasternack, Prof. Michael Goer, Dr. Mark Escherich und Prof. Annette Menting hochkarätig besetzt war.

Während Bauten der 1950er und frühen 1960er Jahre durchaus „massenkompatibel“ geworden sind, haben es spätere, bis zum Ende der DDR errichtete Gebäude ungleich schwerer, positiv wahrgenommen zu werden. In den 1990er Jahren fehlte der architekturgeschichtliche und gesellschaftliche sowie auch der politische Abstand in den östlichen Bundesländern, diese Epoche hinreichend zu würdigen. Zudem waren die einzelnen Landesdenkmalämter über Gebühr damit beschäftigt, bauliche Zeugnisse früherer Zeiten gerade unter dem zunehmenden Investitionsdruck als Denkmale zu erfassen. Ob dies unter heutigen Umständen noch zutrifft, wäre nachhaltig zu diskutieren.

Die Liste der verlorenen Leitbauten der Ostmoderne ist lang: allein in Berlin seien nur das Außenministerium der DDR, der Palast der Republik, das Interhotel Berolina oder das Ahornblatt genannt, in Cottbus die Stadtpromenade oder in Halle (Saale) das erst unlängst „verschwundene“ Raumflugplanetarium auf der Peißnitzinsel und die Punkthochhäuser am zu DDR-Zeiten Ernst-Thälmann-Platz heißenden Riebeckplatz, dessen verbliebene Bebauung der 1960/70er Jahre entstellt und aus dem Zusammenhang gerissen wurde.

Was gibt es nun aber als Quintessenz unserer Tagung zu tun? An erster Stelle steht sicher die Sensibilisierung der Landesdenkmalämter im Hinblick auf die Prüfung der Denkmaleigenschaft von DDR-Bauten. Nach hoffentlich bald erfolgenden zusätzlichen Denkmalausweisungen – man schaue sich nur die gegenwärtig sehr übersichtliche Denkmalausweisung in Halle-Neustadt an – bedarf es auch praktischer Vorschläge für die Sanierung dieser Bauten, die in ihrer Materialität ganz entscheidend von den vielen Details ihrer Fassaden leben. Was aus diesen Details wird, wenn der obwaltende Dämmwahn darüber gezogen ist, lässt sich explizit in Dresden oder Halle-Neustadt wahrnehmen. Im Zentrum des Interesses sollte auch eine gewisse Bündelung der einzelnen Initiativen in vielen Städten und Gemeinden der östlichen Bundesländer stehen. Bisher sehe ich bei Bund und Ländern keine übergreifende Lobby für die Ostmoderne, wobei allein schon über diesen Begriff ganze Tagungen stattfinden könnten. Auf unserer Tagung tauchte die Meinung auf, man würde sich eventuell zu sehr auf die „Ost“-Moderne, sprich „DDR“-Moderne fokussieren. Ich persönlich teile diese Auffassung nur sehr bedingt. Die Parallelen, Wechselwirkungen und Vorbilder von „Ost“-Moderne und „West“-Moderne bis weit in die 1960er Jahre werden durchaus berücksichtigt, auch wenn dies einem Paradebeispiel dafür, der weitgehend entwerteten Prager Straße in Dresden, nicht mehr hilft. Im Hinblick auf die erwähnte Bündelung bestehender Initiativen ist es sehr zu begrüßen, dass der Bund Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU), der Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e. V. (LHB) und weitere Interessierte auf der Tagung den Entschluss gefasst haben, die Gründung einer speziellen Fachgruppe zur Nachkriegsmoderne zu befördern. Die oft sperrigen Zeugnisse der eingangs erwähnten Vision werden es uns durch ihr Überleben danken.

Beitrag in Bauwelt, 24-2020