Spinnstuben heute? 

von Christine Schlott | Ausgabe 2-2016 | Projekte

„Frühlings-Spinnstube“ im Museumshof in Silstedt. Die Klöppelgruppe aus Wernigerode unter Leitung von Petra Pfeifer stellte sich dem interessierten Publikum vor © Christine Schlott
 Jodelmeisterin Hannelore Elvers und Siegfried Baumgärtel beim Volksliedervortrag während der „Frühlings-Spinnstube“ auf dem Museumshof in Silstedt © Christine Schlott
Die Funktionsweise eines Spinnrades wird erklärt© Christine Schlott

Spinnstuben waren bis ins 20. Jahrhundert hinein beliebte Treffpunkte für die Jugend im ländlichen und kleinstädtischen Raum, die Handarbeit mit Geselligkeit und Unterhaltung verbanden. Der Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e. V. und das Zentrum HarzKultur in Wernigerode möchten die Tradition der Spinnstuben als Orte des gemeinsamen Arbeitens, Musizierens und Erzählens neu beleben. Doch wie könnte eine zeitgemäße „Spinnstube“ aussehen? Das Projekt wird vom Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt gefördert, was die Schaffung einer Stelle für eine wissenschaftliche Mitarbeiterin ermöglichte, die innerhalb von elf Monaten vier Spinnstuben konzipieren und organisieren, durchführen, dokumentieren und schriftlich auswerten wird.

Spinnen und Weben gehören zu den weltweit ältesten Kulturtechniken. Pflanzliche und tierische Fasern wie Flachs, Schaf- und Ziegenwolle, Baumwolle usw. werden zu Garnen versponnen, aus denen Textilien gewebt, gestrickt, gehäkelt oder geknüpft werden. Vor der Verwendung von Spinnrädern waren Handspindeln üblich. Die ältesten europäischen Funde von Handspinnwirteln stammen aus dem 6. Jahrtausend aus frühneolithischen Siedlungen in Griechenland. Spinnräder wurden in Deutschland erstmals im 15. Jahrhundert erwähnt (Vgl. Stahl 1988, S. 21).

Sehr oft war das Spinnen die Aufgabe der Mädchen und Frauen. Wie überall im deutschsprachigen Raum trafen sich auch im Harz die jungen, unverheirateten Mädchen eines Ortes im Herbst und im Winter zu so genannten Spinnstuben, um gemeinsam Flachs oder Schafwolle zu verspinnen. Das versponnene Garn wurde an die Leineweber und Tuchmacher verkauft, die daraus Kleiderstoffe und Haushaltstextilien herstellten. Das „ersponnene“ Geld investierten die Mädchen in ihre Aussteuer. Ein Spinnrad war ein wertvolles Hochzeitsgeschenk an die Braut und wurde vom Bräutigam oder dem zukünftigen Schwiegervater selbst gedrechselt oder bei einem Handwerker in Auftrag gegeben. Das Spinnrad war ein Symbol für die fleißige Hausfrau (Vgl. Stahl 1988, S. 21).

Den Mädchen ging das eintönige Spinnen beim Erzählen von Märchen, Schwänken, Geschichten und den neuesten Skandalen, beim Singen und dem Lösen von Rätseln viel schneller von der Hand. Besonders beliebt waren die späteren Abendstunden, wenn die jungen Männer mit ihren Musikinstrumenten dazukamen. Dann wurde gesungen und getanzt und die jungen Leute konnten sich näherkommen (Vgl. Stahl 1988).

Spinnstuben wurden früher nicht im Frühjahr abgehalten, da zu dieser Jahreszeit im ländlichen Jahreslauf andere Arbeiten wie das Bestellen der Felder und Gärten wichtiger waren als Spinnen. Den Termin flexibler zu gestalten, ist ein Aspekt der Modernisierung, die der Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e. V. und das Zentrum HarzKultur bei der Wiederbelebung der Spinnstuben vornehmen. Die vier Veranstaltungen werden über das gesamte Jahr verteilt. Auch wird nicht nur gesponnen, sondern verschiedene traditionelle Handwerks- und Handarbeitstechniken, Lieder, Tänze, Erzählgut aus dem nördlichen Harz und Harzvorland sollen vorgestellt und gemeinsam ausgeführt und ausprobiert werden.

Ziel der modernen Spinnstuben ist es, bei Menschen im strukturschwachen, ländlichen und kleinstädtischen Raum Interesse für die alte Kulturlandschaft des Harzes und des Harzvorlandes zu wecken und ihnen eine Möglichkeit zu bieten, sich mit ihrer Heimat auseinanderzusetzen, alte Handwerkstechniken kennenzulernen, andere Menschen zu treffen und ein tieferes Verständnis für die Kultur- und Wirtschaftsgeschichte ihrer Region zu erlangen. Gleichzeitig können die verbliebenen Experten für diese alten Kulturtechniken sich und ihre Kunst vorstellen und andere dafür begeistern. Die Spinnstuben sind ein Versuch, Kulturgut zu erhalten und weiterzugeben. Dabei sollen nicht traditionelle Techniken, Erzähl- und Liedgut musealisiert werden, sondern ein kreativer und innovativer Umgang damit ist erwünscht. Deshalb werden ausdrücklich alle, die sich mit Geschichten und Liedern, mit Kinderspielen, Kleidung und Textilkunst, mit Bräuchen und Traditionen im Harz beschäftigen, herzlich eingeladen, dies in einer Spinnstube zu präsentieren und sich einzubringen.

Die Veranstaltungsreihe möchte darüber hinaus auch einen Beitrag zur Integration und Identitätsstärkung der Menschen in der Region leisten – für Alteingesessene und neu Hinzugekommene. Sich näher Kennenlernen und Verständnis füreinander zu entwickeln ist einfacher, wenn gemeinsam gearbeitet, gesungen und gegessen wird. So ist es den Organisatoren und den Förderern der Spinnstube ein Anliegen, auch Migrantinnen und Migranten anzusprechen und einzubeziehen.

Am 21. Mai 2016 fand auf dem Museumshof „Ernst Koch“ in Silstedt bei Wernigerode die „Frühlings-Spinnstube“ statt. Das Spinnen von Garn und dessen kunstvolle Weiterverarbeitung standen im Mittelpunkt der Veranstaltung. Die Havelbergerin Ulrike Salzmann demonstrierte mit ihrem modernen Spinnrad den Besuchern, dass das Verspinnen von Wolle keine Kunst „von gestern“ ist. Die Frauen der Wernigeröder Klöppelgruppe unter der Leitung von Petra Pfeifer zeigten ihr Können bei der Herstellung feiner Spitzen. Die Besucher waren eingeladen, die filigranen Arbeitsproben, Westen, Lesezeichen, Tischdecken usw. zu begutachten und selbst einmal auszuprobieren, wie das Klöppeln funktioniert. Diese Möglichkeit wurde auch gern wahrgenommen.

Die in Wernigerode ansässige Jodelmeisterin Hannelore Elvers führte die Besonderheiten des Harzer Jodelns vor und erklärte sie. Gemeinsam mit Siegfried Baumgärtel, der ihr Gitarrenspiel mit dem Akkordeon unterstützte, wurden Harzer Volkslieder gesungen, Geschichten, Schwänke und Witze auf Harzer platt erzählt. Als Expertin für Trachten stellte Hannelore Elvers dem Publikum zudem Wernigeröder und Silstedter Trachten vor. Die Gäste waren eingeladen mitzusingen, wozu sich allerdings nicht alle motivieren ließen. Bei der nächsten Spinnstube können die Besucher durch bereit liegende Liedtexte und Noten zum Mitsingen animiert und die weniger Geübten beim Singen etwas angeleitet werden.

Der Verein des Museumshofs „Ernst Koch“ in Silstedt unter der Leitung von Dieter Müller unterstützte die Spinnstube aufs kräftigste, nicht nur durch das Bereitstellen der Räumlichkeiten, sondern auch durch ehrenamtlichen Arbeitseinsatz. Die ständige Ausstellung im Museumshof, die ländliches Leben um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sowie Landmaschinen und auch eine Dorfschule zeigt, wurde vom Team des Vereins durch eine kleine Ausstellung zum Thema Schafzucht im Harz, Woll- und Flachsverarbeitung sowie das Verspinnen beider Rohstoffe zu Garnen ergänzt. Dafür danken wir den Vereinsmitgliedern aufs Herzlichste.

Die Frühlings-Spinnstube hatte noch nicht den gewünschten Erfolg. Leider fehlte es noch an Publikum und Begeisterung. Über die vier Stunden (14 – 18 Uhr) des Samstagnachmittags waren etwa 60 Gäste gekommen, doch deren aktive Mitwirkung blieb gering. Andererseits waren die Klöpplerinnen und die Spinnerin sehr zufrieden mit dem ihren Künsten entgegen gebrachten Interesse. Sie erklärten unermüdlich die alten Handwerkstechniken und beantworteten Fragen der Besucher. Vor allem in diese Richtung soll die Spinnstube weiterentwickelt werden.

So soll die Motivation für das erwünschte Mitmachen, Ausprobieren, Teilnehmen und „Sich-Austauschen“ durch frühzeitige und stärkere Beteiligung von Besuchern an der Vorbereitung und Gestaltung der nächsten Spinnstuben sowie in den Veranstaltungen selbst durch persönliche Anleitung und Hilfestellungen verbessert werden. Weitere Verbesserungsvorschläge sind durchaus willkommen.

Es stehen ja noch drei weitere Spinnstuben bevor. Als Rahmenthemen sind „Kräuter-Garten“ und „Schafwolle“ geplant. Jeder, der sich an der Vorbereitung und konkreten Ausgestaltung beteiligen möchte, ist herzlich willkommen! „Musik“ und „Erzählgut“ sind mögliche weitere Rahmenthemen. Interessenten bitte melden! Die Veranstaltungen werden voraussichtlich im August, im Oktober und im Dezember an wechselnden, jeweils passenden Orten stattfinden.


Literatur: Stahl, Ernst 1988: Spinnstuben in Thüringen, vorwiegend im 19./20. Jahrhundert. Erfurt: Bezirkskabinett für Kulturarbeit.