Über die Wurzeln des Harzer Peitschenkonzerts

Lutz Wille | Ausgabe 2-2020 | Volkskunde

Peitschenknallen auf dem Harzer Heimattag 2019. Foto: L. Wille
Bergmännische Aufwartung mit Peitschenkonzert beim Bergfeste zu Clausthal 1864. Holzstich nach Geißler, 1864. eproduktion Archiv L. Wille

Bewegung kommt in die Reihen des Publikums, Hälse werden gereckt, wenn fünf bis sechs Harzer Folkloristen in ihrem blauen Fuhrmannskittel während einer Heimatveranstaltung vor die Bühne treten und die Peitschen knallen lassen. Ungläubiges Staunen drücken die Gesichter aus über die rhythmische Synchronisation der Akteure, ihre Taktfestigkeit beim Spiel eines Volksmusikstücks auf dem Akkordeon. Ja, das Peitschenkonzert war schon immer eine hohe Volkskunst! Aber wo hat diese folkloristische Darbietung ihre Wurzeln?

Brederlow’s Reiseführer durch den Harz von 1846 führt uns auf die Spur: „Allen Holz-, Erz- und Kohlenfuhren muss ausgebogen werden; vor und in Hohlwegen muss mit der Peitsche signalisiert und sofort still gehalten werden, sobald ein gleiches Signal aus entgegengesetzter Seite erschallt“ , heißt es darin. Die Fuhrmannspeitsche, ursprünglich entwickelt zum Antreiben der Pferde und zum Dirigieren der Gespanne, hatte also auch Signalfunktion und diente zur Verständigung.

Doch die Peitsche setzte der Fuhrmann nicht nur bei seiner Berufsausübung ein, sondern das Peitschenknallen entwickelte er zu einer hohen Kunstfertigkeit. Das „Peitschenkonzert“ gehörte zu den Bräuchen des Fuhrmannsstandes. Damit wurden hochgestellte Persönlichkeiten geehrt, es wurde zum Heischegang benutzt und zur Brautwerbung eingesetzt. Eines der größten Peitschenkonzerte mit 150 Berg- und Kohlefuhrleuten fand 1729 im Rahmen einer bergmännischen Aufwartung zu Ehren von Georg II. in Clausthal statt. Alle Bergleute marschierten paarweise an dem hohen Gast vorbei und stellten sich auf dem Markt vor dem Amtshaus auf, wo die Fuhrleute auf ein Zeichen des ältesten Fuhrmannes auf einmal alle mit Klatschen ihrer Peitschen ihre Freude bezeugten. „Wie sie nun dabei eine gute Ordnung hielten und nicht nur in jeder Pause 20 Züge nacheinander, sondern auch dieselben zugleich machten, also daß fast nicht einer fehlte [aus dem Takte schlug] und es nicht anders anzuhören, als ob soviel Granaten gelöset würden, so bezeugten Ihre Majestät nebst übrigen Anwesenden darüber ganz besonderes Gefallen, ließ, alles mehrfach wiederholen und zuletzt die sämtlichen Fuhrleute unter Aufführung der bei sich habenden Musikanten [d. h. die Musik spielte] und Klappen mit den Peitschen vor dem Amtshause vorbeiziehen.“

Und schließlich bot auch das Zusammentreffen in den Gasthöfen des Harzvorlandes, dem sogenannten „Ausspann“, wo die Fuhrleute Wagen und Pferde unterstellten und übernachteten, Gelegenheit für ein Ständchen, wie dies aus Badenhausen, am Westrand des Harzes gelegen, aus der Zeit um 1900 berichtet wird: „Wenn eine größere Anzahl Fuhrleute zu gleicher Zeit übernachtet hatte und am frühen Morgen auch zusammen aufbrach, dann brachten sie manchmal den Wirtsleuten zum Dank für gute Unterkunft ein Peitschenkonzert. Sie standen in ihren blauen Kitteln vor dem Gasthause auf der Straße und klatschten mit den Peitschen. Als Ersatz für eine Begleitmusik, die nur in seltenen Fällen vorhanden war, nahmen sie als Maßstab für den Takt das Gebet „Vater unser…“

Aus diesen vielfältigen Erscheinungsformen im Brauchtum des Fuhrwesens ist das heutige Peitschenkonzert als ein beliebtes und häufig anzutreffendes kulturelles Phänomen in den Heimatgruppen entstanden. Es fand also ein Wechsel des Kulturträgers statt. Die Tradition wird nun von begeisterten Folkloristen mittels praktischer Kurse über die Herstellung einer Fuhrmannspeitsche und über das Erlernen des Peitschenknallens von Generation zu Generation weitergegeben. Doch während das heutige Peitschenklappen nur ein rhythmisches Taktschlagen ist, war das Harzer Peitschenkonzert früher vielfältiger: Fuhrherren, Groß- und Kleinknechte verstanden es, mit langen und kurzen Peitschen, durch lautes und leises Klappen, durch langsames und schnelles, tiefes und hohes Schlagen selbst Melodien zu „spielen“, wozu der Großknecht in der Kreismitte den Takt schlug. Das Peitschenknallen ist heute in den Heimatgruppen gut etabliert und wird auf dem jährlichen Harzer Heimattag des Harzklubs vorgeführt. Für das Harzer Erntedankfest in Hohegeiß hat die örtliche Heimatgruppe diese alte Brauchform ebenfalls aufgegriffen. Dort kann man miterleben, wie die Dorfoberen (wichtige Personen im Ort) mit einer Aufwartung von Fuhrleuten, Kuhhirten und Musikanten geehrt und zum Erntedankgottesdienst geleitet werden. Hirtensignal, Spruch der Fuhrleute und das anschließende Peitschenkonzert sind das Kernstück dieser Aufwartung.

Wer die Herstellung einer Fuhrmannspeitsche und ihre Handhabung, d. h. das Peitschenknallen, erlernen möchte, findet dazu Gelegenheit in den Kursen, die Harzklub und Zentrum HarzKultur jährlich anbieten.