Vereine in Zeiten von Corona

Erfahrungen aus dem Verband der Kirchbauvereine Sachsen-Anhalt e. V.

Petra Karrasch | Ausgabe 2-2020 | Bürgerschaftliches Engagement

Orgelspektakel für Kinder. Foto: P. Karrasch
Adventsbasteln. Foto: P. Karrasch

Planen wir oder planen wir nicht? Das ist die Frage, die derzeit viele von uns bewegt. Erst haben wir Konzerte, Lesungen, Ausstellungen, Mitgliederversammlungen und Tagungen rund um Ostern und den Saisonauftakt abgesagt. Wir meinten, dass mit dem Ende der Osterferien alles weiter liefe wie bisher, vor allem aber weiter wie geplant. In atemberaubender Geschwindigkeit hat uns der Lockdown zu neuen Einsichten geführt. Mittlerweile wurde die Rückkehr zur verantwortbaren anderen Normalität ausgerufen. Die bringt ein Wirrwar interessengeleiteter Regeln hervor, die kein Vertrauen schaffen. Das Jahresprogramm vieler Vereine steht zur Disposition. Zu groß scheinen die Unwägbarkeiten und Risiken für die Aktiven, aber auch für potentielle Besucher und Gäste zu sein.

Wir, das sind die Mitglieder des Verbandes der Kirchbauvereine Sachsen-Anhalt e. V. (VdKSA). Der Verband integriert lokale Kirchbau- und Fördervereine, die landauf, landab mit Projekten der Denkmalpflege, Kultur und Bildung bürgerschaftliche Verantwortung für das sakrale Kulturerbe übernehmen. Die Verbands- und Vereinsarbeit bewegt sich in einem strategischen Dreieck von Mitwirkung an der Bewahrung kirchlicher Baudenkmale und Kunstgüter, zweckgebundenem Spendensammeln sowie kultureller und bildungsorientierter Belebung der Kirchen. Unser Augenmerk ist auf die historische Kirchenlandschaft der Dorfkirchen gerichtet. Neben den Bau- und Restaurierungsprojekten erlangten kulturelle Veranstaltungsprogramme, Kirchenführungen und Pilgerbetreuung mit regionaler und überregionaler Reichweite ein ebenbürtiges Gewicht.

 

Die Kulturlandschaft nimmt Schaden

Vereine sind wichtige Träger von Kultur und Bildung, Begegnung und demokratischer Teilhabe. Kommt die Vereinsarbeit zum Erliegen, bleibt das nicht ohne Folgen für das kulturelle Leben und das bürgerschaftliche Miteinander im ländlichen Raum. Das gilt vergleichbar auch für Heimatvereine und alle Vereine, die der Kultur, Geschichte, Denkmal- und Traditionspflege verpflichtet sind. Davon weiß die politische und mediale Wahrnehmung der Epidemie-Folgen (noch) nichts.

Für die erste Jahreshälfte wurden infolge amtlicher Restriktionen alle Aktivitäten und Programmangebote der Fördervereine gestrichen. Das zeichnet sich auch für die zweite Jahreshälfte angesichts fortbestehender Unsicherheiten, Komplikationen und Konflikte ab.

Abgesagte Veranstaltungen der ersten Jahreshälfte lassen sich nicht in einen bereits gefüllten Veranstaltungsplan der zweiten Jahreshälfte verschieben. Welche Vorgaben des Bundes, der Länder und der Landkreise dann gelten werden, ist und bleibt ungewiss. Es ist nicht vorhersehbar, ob und in welcher Größenordnung die Veranstaltungsangebote – Orgelkonzerte, Feste, Lesungen oder Vorträge – Besucher finden werden. Werden der Epidemie-Verlauf und die dazugehörigen Restriktionen erlauben, zum Tag des Offenen Denkmals einzuladen? Wird ein Martinsfest gefeiert werden können? Wird im Advent wieder festliche Barockmusik in Kirche erklingen? Kein Verein hat Planungs- und Vertragssicherheit. Kaum ein Verein kann die geltenden Abstandsregeln und Hygieneauflagen sicherstellen.

Dabei gilt als oberstes Gebot, Risiken für das fragile Vereinsvermögen abzuwenden. Sonst sind die Grenzen der Handlungsfähigkeit, vielleicht sogar die Existenzfähigkeit schnell erreicht. Derzeit arbeiten zahlreiche Vereine darauf hin, ihre Pläne in Anbetracht der Risiken für das gesamte Jahr stillzulegen.

 

Selbstverantwortung hinterlässt Spuren

Es zeichnet sich noch ein anderer, womöglich viel länger wirksamer Grund für das Zurückfahren der Vereinsaktivitäten ab. Die meisten derer, die aktiv sind und Verantwortung tragen sind Frauen und Männer, die sechzig Jahre und älter sind. Zweifellos sind sie Neulanderoberer und Macher. Manche sind diskrete Träger eines Herzschrittmachers. Nun setzt eine risikoabwägende Selbstbefragung ein.

Die so genannte Exitstrategie definiert die über Sechzigjährigen und Vorerkrankten als Risikogruppe und delegiert die Verantwortung für die Ansteckungsvermeidung mit dem Corona-Virus an den Einzelnen. Im Zentrum steht die konsequente Kontaktvermeidung. Daher fallen – in Abwägung der Risiken – viele persönliche Entscheidungen gegen das Vereinsengagement, aber auch gegen die Teilnahme am Kulturerleben als Besucher, Gast oder Konsument.

Vereinsarbeit lebt davon, dass viele anpacken. Vereinsarbeit und Kontaktvermeidung sind kaum zur Deckung zu bringen. Im Verein gilt es permanent, den wiederkehrenden Veranstaltungsservice sicher zu stellen, Versammlungen und Arbeitsberatungen durchzuführen, Kooperationen zu sichern, Arbeitseinsätze zu betreuen oder die Baugruppe anzuleiten. Planungen für 2021, Vertragsabschlüsse, Projektanträge und Spendenaufrufe werden ebenfalls gemeinschaftlich vorbereitet.

Derzeitig wachsen in der Bevölkerung die Diskrepanzen zwischen den Auffassungen. „Zurück zur Normalität“, sagen die einen. „Keine Normalität bei privatisiertem Risiko“, sagen die anderen. Das könnte in den kommenden Wochen und Monaten für manche Vereine zur Belastungsprobe werden. Als Verband haben wir in den letzten Wochen darum gerungen, ob wir unseren Jahreshöhepunkt, die Fachtagung im November sowie die fällige Mitglieder- und Wahlversammlung ins nächste Jahr verschieben sollten. Die Mehrheit entschied sich für das Verschieben.

Die so genannte Risikogruppe schließt nicht nur viele Aktive, sondern auch die Mehrheit der Veranstaltungsbesucher, Interessenten, Förderer, Spender und Stifter ein. Auch das wird nicht ohne Folgen für die Vereine bleiben. Sicher ist, dass mancher Verein am Jahresende schmerzhafte finanzielle Ausfälle bilanzieren wird. Keine Veranstaltungen durchzuführen bedeutet, keine Einnahmen zu haben und keine Zuwendungen und Fördermittel zu erhalten. Keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten zu entfalten heißt, keine Spenden einwerben zu können. Keine Stifterbetreuungsprogramme anzubieten heißt, keine Großspenden sichern zu können. Zahlreiche Vereine werden mit Verwendungsnachweisen und der Rückführung von Fördermitteln ringen. Auf die finanziellen Folgen dieses Jahres werden weitere Jahre mit spürbar niedrigeren Einnahmen folgen. Das resultiert aus den entstehenden Defiziten in den öffentlichen Haushalten sowie aus den veränderten finanziellen Handlungsspielräumen bei Unternehmen und Privatpersonen. Die Erholung der Spenden- und Fördermittelbereitschaft wird Zeit brauchen.

 

Tatkräftige Zuversicht trotz Abbruch und Aufschub

Die Defizite auf der Einnahmenseite von Fördervereinen werden unmittelbar durchschlagen auf die Mittelbereitstellung, beispielweise für Bau- und Restaurierungsaufgaben oder für den Erwerb zeitgenössischer Kunst. Manches Projekt wird gestoppt und vertagt werden müssen, weil dessen Finanzierung oder Co-Finanzierung vorübergehend nicht gewährleistet werden kann.

Untätigkeit verordnet die Corona-Krise den Vereinen jedoch nicht. Die zeitlichen Freiräume könnten genutzt werden, um strategische, lange geplante und immer aufgeschobene Vorhaben zu bearbeiten und voranzubringen. Wir empfehlen unseren Mitgliedsvereinen an der Seite der Kirchgemeinden in diesen Tagen Verantwortung für die Öffnung der Kirchen zu übernehmen.
Kirchen sollten offen stehen; für die, die das Gebet suchen und für die, die dort Stille und Stärkung erfahren wollen. Täglich ist für frische Blumen, Kerzen, einen Reisesegen, einen Gebetstext oder eine literarische Wegzehrung zu sorgen. Dazu gehören der Schlüsseldienst und der wiederkehrende Sicherheitscheck. Jetzt wäre Zeit, dass Kirchgemeinden und Fördervereine verbindliche Konzeptionen für eine „Offene Kirche“ erarbeiten.

Die Umstände sind geeignet, sich wieder einmal mit dem Glockenläuten zu beschäftigen. Diejenigen Kirchen, die seit Beginn der Corona-Epidemie wieder täglich 12 Uhr und 18 Uhr läuten, finden in den Dörfern umfassende Zustimmung. Die altehrwürdigen Läuteordnungen werden nach „stummen“ Jahren und Jahrzehnten vielerorts sicher nicht mehr aktiviert werden. Aber es ließe sich eine Diskussion rund um das Läuten anstoßen, die in eine „Läuteordnung 2020“ mündet. Das Handläuten für die Kinder und Jugendlichen des Dorfes an Sonn- und Feiertagen könnte ein Baustein darin sein.

Wäre es nicht auch an der Zeit, die Öffentlichkeitsarbeit voranzubringen? Flyer könnten erneuert, Texte für den Kirchenrundgang erarbeitet, Internetseiten überarbeitet und Pressetexte geschrieben werden. Das Archiv mit seinen Fotos und Dokumenten wartet auf eine Ordnung. Daraus könnte eine Broschüre für Mitglieder, Spender, Fördermittelgeber und Interessierte, aber auch eine Ausstellungsgrundlage für den nächsten oder übernächsten Tag des Offenen Denkmals entstehen. Wo immer möglich, sollten digitales Arbeiten und die neuen Medien für die Vereinsarbeit erschlossen werden.

Regelmäßiger Kommunikation mit Spendern und Stiftern kommt besonders in der ereignisarmen Zeit große Bedeutung zu. Das gilt auch für die Vorbereitung von Projekten bzw. von zukünftigen Projektanträgen. Gemeinsam könnte eine Verständigung darüber erfolgen, ob die Zielgruppen eines Vereins noch stimmig sind, ob sich die inhaltlichen Schwerpunkte adäquat entwickeln, welche Erfahrungen anderer Vereine übertragbar sind, wie man die Generationennachfolge meistern kann, ob man Aktivitäten loslassen sollte, weil die Personalkapazitäten knapp sind oder wie man die Mitgliedergewinnung voranbringen kann.

Selbstverständlich kann immer schon einmal der Jahresplan 2021 hervor genommen werden. Darin sollte ein Fest nicht fehlen, das alle Aktiven nach dem kontaktarmen Jahr wieder zusammenbringt und motiviert. Auch Spender und Stifter werden dankbar sein, ihren Informationsstand zu aktualisieren.

In diesen Tagen wollen wir auch einen Appell an die Vereine richten. Viele Künstler sind in Existenznot geraten. Ein Ende ist nicht abzusehen. Es sind freie Musiker, Literaten, Schauspieler, Puppenspieler, bildende Künstler. Seit Jahren sind sie unsere Partner. Ohne sie gäbe es unser Kulturengagement nicht. Füllen Sie Ihr Jahresprogramm 2021 mit viel Kunst und Kultur! Sammeln Sie dafür Ideen. Geben Sie den Künstlern Auftrittsmöglichkeiten. Stellen Sie Vertragskonditionen zugunsten der Künstler auf den Prüfstand. Geben Sie nach Innen und Außen weiter, dass eine Zukunft mit viel Kultur und Bildung kommen wird.