Vom Denkmal der Rechtspflege zum Museumsstück

Der Strafmantel von 1742 aus Groß Salze

Thomas Schindler | Ausgabe 3-2021 | Geschichte

Detail des Schandmantels aus Wertingen (Lkr.  Augsburg), dat. 1775; Bayerisches Nationalmuseum,  Inv.-Nr. StR. 122. Foto:  Bastian Krack.
Schandmantel aus „Groß Salze“,  18. Jh.; Salzlandkreis, Salzlandmuseum (Inv.-Nr. VF4/10). Foto:  Kornelia Schomacher
Detail des Schandmantels aus „Groß Salze“, 18. Jh.;  Salzlandkreis, Salzlandmuseum (Inv.-Nr. VF4/10). Foto:  Kornelia Schomacher.
Bildpostkarte zur „700 Jahrfeier der Stadt Bad Salzelmen, früher Groß Salze ge nannt“, Th. Wulfert, Bad Salzelmen und Schönebeck a. E., 1927. Scan hist. Postkarte, Thomas Schindler.
Schandmantel aus Wertingen (Lkr. Augsburg), dat. 1775; Bayerisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. StR. 122. Foto:  Bastian Krack.

Die Rechtskultur der Vormoderne kannte die sogenannten Schandstrafen. Hierbei wurden Straftäterinnen und Straftäter öffentlich bloßgestellt, um ihnen temporär die Ehre und Würde als Mitglieder ihrer Gemeinde zu nehmen. Es kamen einige, teilweise auch heute noch durch den Sprachgebrauch tradierte Geräte zum Einsatz, vor allem Pranger. Dabei handelte es sich zumeist um eine Art Pfahl, an den Verurteilte eine bestimmte Zeit lang angekettet waren. Weniger bekannt sind hingegen lächerlich machende Aufzüge, mit denen Verurteilte durch die Gassen geführt wurden oder sich an öffentlichen Plätzen aufstellen mussten. Hierzu gehören etwa Strohkränze und Halsgeigen für Frauen, die eine außer- oder voreheliche Verbindung eingingen. Männer mussten hingegen mantelartig gestaltete Holztonnen in der Art eines Kleidungsstücks tragen, sogenannte Schand- oder Strafmäntel: „Dieses Werkzeug war nämlich so gemacht, daß der Verurtheilte den Kopf durchstecken konnte, und es ihm dann auf den Schultern lag; er hatte also nur den Kopf frei. Er mußte nun mit diesem hölzernen schweren Mantel, der bis zum Knie reichte, eine oder ein Paar Stunden auf öffentlicher Straße vor dem Rathhause, oder wenn es Schiffer betraf, die eigentlich mit dieser Strafe belegt wurden, vor dem Packhofe stehen“, wie es in Johann Georg Krünitz’ „Oekonomisch-technologischer Encyklopädie“ von 1832 (Band 154) heißt. Einen solchen Mantel verzeichnet das Salzlandmuseum in Schönebeck an der Elbe im Salzlandkreis in seiner Sammlung[1]  und zeigt ihn in der Dauerausstellung. Damit zählt das Museum zu dem erlesenen Kreis von bundesweit derzeit fünf Häusern, die mit einem solchen historischen Strafgerät aufwarten können. Grund genug, einen genaueren Blick auf das rechtsgeschichtlich bemerkenswerte Stück zu werfen.

 

Das „Denkmal der alten Rechtspflege“

Für „kleinere Vergehen wie Zänkereien, Scheltworte, Beleidigungen, Gartendiebstähle wurden [in Groß Salze] in den leichtesten Fällen mit Geldstrafen, in den schweren Fällen mit Prangerstehen, Tragen des Schandmantels […] bestraft. Er ist ein Denkmal der alten Rechtspflege […] An der Vorderseite ist er ein Narrenkostüm mit Schellen aufgemalt. […] Angefertigt durch den Ratszimmermann“, fasste der Lokalhistoriker Adolf Müller in seiner „Chronik der Stadt Groß Salza“ im Jahr 1920[2] die ihm bekannten Fakten zu dem hier zu besprechenden Schandmantel stichpunktartig zusammen. Müller kommt das Verdienst zu, das Strafgerät erstmals nicht nur korrekt identifiziert und publiziert, sondern auch archivalisch verifiziert zu haben. Er bezog sich insbesondere auf die „Rathshautz Cammerey-Rechnung der Stadt Großen-Saltze de ao. 1742 S. 62, Nr. 223“, die heute im Archiv der Stadt Schönebeck im „Alten Bestand Groß Salza sowie Rechungsbücher, Best. Rechtspflege“ verzeichnet ist. Dort findet sich übrigens auch der Name des Ratszimmermanns, bei dem es sich um den „Mster Zangeßen“ gehandelt hat – eine für den deutschsprachigen Raum bislang singuläre Herstellernennung, denn für die rund 15 bekannten Exemplare in deutschen Museen sind keine ausführenden Handwerker bekannt. Interessant sind auch die Nennungen noch weiterer Strafgeräte in den städtischen Rechnungen, so ist 1725 von „Ketten und Schloß den Inquisiten [Verdächtiger im Inquisitionsverfahren] halten“ oder 1764 von einem „Pollnischen Bock mit Überwurf“, einem Sitzgestell mit dreieckigem Querschnitt, das Schmerzen am Gesäß bereitete, die Rede.

Der rund 100 cm hohe, oben 53 cm und unten 87 cm breite Mantel im Salzlandmuseum besteht aus leicht konisch auf Stoß   gestellten Fassbrettern („Dauben“) aus Laubholz. Diese weisen bei nahezu gleichen Längen jeweils eine gestreckte Trapezform auf. Außerdem sind die einzelnen Bretter unterschiedlich breit. Beide Gesichtspunkte waren für den ausführenden Handwerker wichtig, um den gewünschten stumpfkegeligen Korpus der Tonne zu erhalten. Alle Bretter sind mit ihren jeweiligen Nachbarbrettern vernagelt. Zusätzlich sind drei eiserne Bandeisen als Reifen auf unterschiedlichen Wandungshöhen um die beiden Hälften, aus denen die Tonne zusammengesetzt ist, geführt und ebenfalls mit allen Brettern vernagelt. Oben schließt eine mittig als Halsdurchgang gelochte Scheibe den Mantel ab. Unten ist er offen. Rückseitige Scharniere ermöglichen das Öffnen des Mantels, damit er einem Delinquenten angelegt werden konnte. Auf der Vorderseite lassen sich die beiden Mantelhälften mit einem Vorhängeschloss bündig verschließen, sodass die Wandung der Tonne ein geschlossenes Erscheinungsbild erhielt. Ihre Außenseite ist flächig gelb gefasst. Sie weist vorderseitig eine mit wenigen Pinselstrichen in kontrastierend dunklem Farbton umgesetzte und hierdurch grafisch wirkende Gestaltung auf, welche der Tonne das Erscheinungsbild eines mittels zwölf Knöpfen zugeknöpften Kurzmantels verleiht. Die Ärmel des Mantels stecken unten in den aufgesetzten Taschen. Hierdurch entsteht der Eindruck, dass der Fassträger seine Hände in die Manteltaschen steckt bzw. stecken musste.

Bei der flächigen Fassung fällt auf, dass sie nicht bis zum unteren Ende der Fassbretter reicht. Außerdem weisen die Bretter am unteren Rand in unregelmäßigen Abständen Bohr- oder Nagel­löcher auf. Beide Merkmale verweisen auf eine ursprünglich andere Position des unteren Bandeisens und damit auf eine technische Modifikation. Sowohl die flächig-gelbe als auch die grafisch-dunkle Bemalung laufen über das untere Bandeisen. Im Bereich der beiden Taschen sind im Streiflicht unter der aktuellen Fassungsschicht die Konturen von Händen zu erkennen, die – aus unbekannten Gründen zu einem nicht bekannten Zeitpunkt – überfasst wurden. Da die Konturen der Taschen über die Finger der getilgten Hände laufen, ist von einer gezielten Modifikation des Erscheinungsbildes des Stücks auszugehen.

Zur vorläufigen Klärung dieser Frage bietet sich die wenn auch nicht gerade umfangreiche archivalische Dokumentation des Stücks an. Demnach wurde zwar der örtliche Ratszimmermeister für die Herstellung der Tonne bezahlt, aber kein örtlicher Maler für eine farbige Gestaltung derselben. Aufgrund der durch die Zunftordnung geregelten Arbeitsaufteilung zwischen den unterschiedlichen Handwerksberufen wäre es einem Zimmermann nicht gestattet gewesen, sein Werkstück zu bemalen. Somit ist die Schlussfolgerung naheliegend, dass die Tonne ursprünglich nicht bemalt war. Sie erhielt ihr aktuelles Erscheinungsbild wahrscheinlich erst zu einem späteren Zeitpunkt, zum Beispiel aus Anlass der 700-Jahrfeier Schönebecks im Jahr 1927.

 

Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Stücken

Der bislang älteste Nachweis über die Benutzung eines Schandmantels als Strafgerät im deutschsprachigen Raum gilt eine Nennung in der 1726 erschienenen „Gruendliche[n] Anweisung von dem Erb-Eigenthum / und Landes-Herlichen Rechten und Gerechtigkeiten des Ost-Friesischen Regier-Hauses an und ueber die Stadt Emden“. Darin findet sich auf der Seite 54 ein Hinweis, dass die seit 1611 vor Ort gebräuchliche „Schand-Tonne“ unter die Aufsicht eines gräflichen Amtmannes gestellt werden musste. Vermehrt finden sich ähnliche Literaturbelege erst aus der Zeit nach 1700, weshalb unklar ist, ob es sich bei den Schand- oder Spanischen Mänteln um ein verbreitetes Strafgerät des 17. oder doch erst des 18. Jahrhunderts handelte. Bekannte Primärquellenbelege in kommunalen Rechnungsbüchern usw. datieren nicht vor etwa 1720.

Die Provenienz des Schönebecker Mantels ist bedingt nachvollziehbar, aber plausibel. Dokumentiert ist seine vormuseale Lagerung bis etwa 1924 auf dem „Dachboden des Rathauses“. Diese Aussage deckt sich mit den Herkünften anderer Schandmäntel, etwa dem Exemplar des Franziskanermuseums in Villingen-Schwenningen[3] oder des Landesmuseums Württemberg in Stuttgart[4]. In Bayern und Nordrhein-Westfalen gelangten die meisten Schandmäntel ab den 1860er-Jahren aus dem Fundus aufgelöster Gerichte in die Museumssammlungen.

Die archivalische Dokumentation des Schönebecker Stücks ist zwar spärlich, doch ist der Nachweis über den Hersteller des Mantels einzigartig. Bei den bundesweit rund 15 bekannten authentischen Exemplaren liegen entweder umfänglichere Belege für die Nutzung vor, am zahlreichsten für die Mäntel des Museums Humpis Quartier in Ravensburg[5] und des Landesmuseum Württemberg, oder entsprechende Einzelbelege. Zu dem viel publizierten Schandmantel aus Wertingen bei Augsburg[6] , dem des Landesmuseums in Münster[7] oder dem aus Edelstetten bei Günzburg in Schwaben[8] liegen hingegen überhaupt keine schriftlichen Belege vor. Einige wenige Schandmäntel sind zudem bislang nur archivalisch nachgewiesen, so die aus den klösterlichen Herrschaften Ottobeuren und Ursberg in Bayerisch-Schwaben.

 

Zur Schau gestellt

Bei der „700-Jahrfeier der Stadt Bad Salzelmen früher Groß Salze genannt“ und zugleich des „125-jährige[n] Jubiläum[s] des Sol­bades“ vom 9. bis 11. Juli 1927 wurde der Schandmantel von einem unbekannten jungen Mann in der Art eines Kostüms für einen Straf­täter des 18. Jahrhunderts öffentlich vorgeführt. Aus diesem Grund wurde er im Gesicht mit dunklen Flecken geschminkt, trug einen wild wuchernden dunklen Schnurrbart und eine schräg sitzende Schiebermütze als Attribute eines – nach damaligen Vorstellungen – Kriminellen. Die unregelmäßig geschminkten dunklen Flecken im Gesicht könnten entweder als Verletzungsspuren etwa von einer Rauferei oder Gewalttat herrührend gedacht gewesen sein. Denkbar wäre alternativ auch, dass die Figur als ungewaschen und verlottert, sprich als zwielichtige Gestalt gekennzeichnet werden sollte. Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund das über dem oberen Rand des Mantels ungewollt hervorblitzende weiße Hemd des Mannes, welches in Kombination mit seiner ebenfalls erkennbaren dunklen Hose und den geschnürten Halbschuhen einen Kontrast zu seiner karikierenden Maskerade bildete. Die nichtalltäglich wirkende Kleidung lässt ihn als einen Teilnehmer der Festivitäten erkennen, der wohl nur kurzzeitig den Darsteller in der Tonne gab.

Es ist davon auszugehen, dass der Schandmantel von den Organisatoren der 700-Jahrfeier als Schaustück genutzt wurde, um als Attraktion für Aufmerksamkeit zu sorgen. So wundert es nicht, dass der Mantelträger als eines der wenigen Motive auf einer Bildpostkarte zur Feier verewigt wurde.

Die Bildpostkarte verrät uns aber auch, dass der 1924 ins Museum aufgenommene Schandmantel nicht ganz der kurzen Beschreibung von Adolf Müller aus dem Jahr 1920 entspricht, denn es sind keine „Schellen“ daran zu erkennen. Dies könnte zweierlei bedeuten. Entweder hatte sich Müller bei seiner Beschreibung geirrt oder die Schellen wurden zwischen 1920 und 1927 übermalt. Dies erscheint zumindest möglich, weil die ursprünglich vorderseitig aufgemalten Hände zweifelsfrei zugunsten von Manteltaschen übermalt wurden.

 

Warum Schandstrafen?

Schandstrafen für kleinere Vergehen wie üble Nachrede oder Beleidigungen, Trunkenheit in der Öffentlichkeit, nächtliche Ruhestörung, aber auch der sexuelle Umgang Unverheirateter, Obst- und Fruchtdiebstahl oder die übermäßige Inanspruchnahme gemeinschaftlicher Nutzflächen bei der Viehweide unterlagen dem Urteilsspruch der niederen Gerichtsbarkeit. Die Strafen der niederen Gerichtsbarkeit zogen keinen dauerhaften Ehrverlust nach sich. Dies war sehr wichtig, weil sich Ehre als soziale Kategorie generell auf die Rechtsfähigkeit und Rechtschaffenheit einer Person bezog. Der Ehrverlust bedeutete den Ausstoß aus der örtlichen Sozial- und Wirtschaftsgemeinschaft. Schandstrafen für geringe Vergehen betrafen viele, weil diese Rechtsräume regelten, in denen alltägliche gemeindliche und individuelle Interessen besonders oft ausgehandelt werden mussten. Demnach konnten diese Strafen nicht besonders hoch ausfallen, sondern mussten vorrangig (sozial-)disziplinierend wirken. Von erheblicher Bedeutung war es deshalb, für alle Betroffenen eindeutig konnotierte, symbolisch aufgeladene Strafgeräte zu benutzen, deren jeweilige Anwendung als Wechselwirkung zwischen dinghaftem Zeichen und der Bedeutsamkeit der Verfehlung verstanden werden konnten. Im späten 18. Jahrhundert, spätestens aber um 1800 wurden die Schandstrafen überall durch Zwangsarbeit, Haft oder Geldstrafen abgelöst – die zeitgenössische juristische Literatur begründet dies mit der mangelnden Nachhaltigkeit von Schandstrafen.

 

[1] Inv.-Nr. VF4/10

[2] Adolf Müller: „Chronik der Stadt Groß Salza“, 1920, S. 214.

[3] Inv.-Nr. 11867

[4] Inv.-Nr. WLM 5383

[5] Inv.-Nr. 87/362

[6] Bayerisches Nationalmuseum, Inv. Nr. StR 125

[7] Inv.-Nr. K-1135 AV

[8] Museum Krumbach, Inv.-Nr. 000583