Wir wollen Sachsen-Anhalts Ruf als „Land der Moderne“ stärken

Ein Gespräch mit Dr. Gunnar Schellenberger, Staatssekretär für Kultur in der Staatskanzlei und Ministerium für Kultur des Landes Sachsen-Anhalt

Interview: John Palatini | Ausgabe 1-2019 | Interview

Dr. Gunnar Schellenberger, Staatssekretär für Kultur in der Staatskanzlei und Ministerium für Kultur des Landes Sachsen-Anhalt, innerhalb der Rekonstruktion des Ringheiligtums in Pömmelte; Foto: John Palatini

Herr Staatssekretär, wir stehen hier inmitten der rekonstruierten Kreisgrabenanlage von Pömmelte. Sie haben sich sehr für diesen Ort eingesetzt. Was bedeutet er Ihnen?

Das Ringheiligtum Pömmelte ist für mich ein besonderes Stück Heimat und wichtiger Identifikationsort. Die prähistorische Kultstätte zählt zu den bedeutendsten archäologischen Entdeckungen der vergangenen Jahre in Deutschland und ist in ihrer Konfiguration einzigartig in Mitteleuropa. Der „Spiegel“ bezeichnete sie einmal als das „deutsche Stonehenge“ – eine Bezeichnung, die sich inzwischen eingebürgert hat.

Der Vergleich mit dem weltberühmten Stonehenge, das zu den Top-Reisezielen ausländischer Gäste in England zählt, lässt ein Potential vermuten, das bisher freilich kaum abgerufen wird?

Am Anfang waren nicht einmal alle davon überzeugt, dass es überhaupt Sinn machen könnte, das Ringheiligtum wieder zu errichten. Heute wissen wir, dass der Ort allein im vergangenen Jahr von mindestens 25.000 Menschen besucht wurde. Mit den unlängst zugesagten Fördergeldern kann nun endlich das Besucherzentrum gebaut werden, das nötig ist, um das Ringheiligtum noch stärker als touristischen Schwerpunkt der Region zu etablieren. Es geht darum, eine Infrastruktur zu entwickeln, die auch für Gäste aus dem Ausland attraktiv ist.

Nun steht 2019 allerdings nicht zuerst im Zeichen der Vorgeschichte, sondern der Moderne. Es ist Bauhaus-Jahr. Wie hat sich das Land auf dieses Jubiläum vorbereitet?

In Sachsen-Anhalt hat man das Bauhausjubiläum schon früh als wichtiges Thema erkannt. Auch der aktuelle Koalitionsvertrag unterstreicht die Bedeutung des Jubiläums. Auf Bestreben Sachsen-Anhalts wurde der Bauhaus100-Verbund mit Sitz in Weimar ins Leben gerufen, der die bundesweite Programmplanung vornimmt. Neben den drei Kernländern Thüringen, Sachsen-Anhalt und Berlin sind acht weitere Bundesländer am Verbund beteiligt.

In Sachsen-Anhalt steht naturgemäß Dessau im Mittelpunkt – vor 100 Jahren ein sehr moderner Ort.

Es war kein Zufall, dass sich Gropius und seine Kollegen Mitte der 1920er Jahre für Dessau im heutigen Sachsen-Anhalt entschieden haben, sondern vielmehr eine bewusste Entscheidung. Denn in Dessau waren Industriekultur, Aufbruchswille und der Drang, Dinge zu verändern, bereits damals stark ausgeprägt. Hier hatte Hugo Junkers das erste deutsche Ganzmetallflugzeug abheben lassen, zwischen Dessau und Bitterfeld verkehrte die erste elektrifizierte Eisenbahn, hier war das Herz der mitteldeutschen Industrieregion, das Energiezentrum der Moderne, sozusagen das Silicon-Valley der zwanziger Jahre. Kurzum: Dessau hatte bereits damals ein Image, das weit über die damaligen Provinzgrenzen hinausstrahlte.

Ein Image, an das Sachsen-Anhalt heute anknüpfen möchte…

…und zwar mit der Dachkampagne „Sachsen-Anhalt. Hier macht das Bauhaus Schule. #moderndenken“. Der Geist, Neues zu wagen, wirkt bis heute in Sachsen-Anhalt fort. Daher wollen und werden wir das Bauhaus-Jubiläum nutzen, um Sachsen-Anhalt national wie international als das Bundesland zu platzieren, in dem der Bauhausgedanke bis heute wirkt.

Die Fragen von damals sind die Fragen von heute?

Vieles, was am Bauhaus entstand, ist heute für uns Alltag, aber viele der damaligen Fragen stellen sich in der Tat immer wieder neu. Zum Beispiel das Thema Wohnen: Wie kann Wohnraum, in dem sich Menschen wohlfühlen, schnell und preiswert gebaut werden? Diese Frage war damals genauso brisant wie heute. Die Architekten am Bauhaus haben z.B. mit den Reihenhäusern mit Selbstversorgergärten und den Laubenganghäusern Antworten auf diese Probleme gegeben. All das ging von Sachsen-Anhalt aus. Daher wollen wir Sachsen-Anhalts Ruf als „Land der Moderne“ stärken.

Unlängst wurde Dessau von der New York Times als eines der Top-Reiseziele 2019 auserkoren. Die Strategie scheint also aufzugehen?

Das war natürlich nicht zuletzt deshalb sehr erfreulich, weil viele Medien diese Empfehlung aufgegriffen und ebenfalls über Dessau berichtet haben. Wir wollen das Bauhausjubiläum nutzen, um kulturinteressierte Menschen aus Nah und Fern nach Sachsen-Anhalt zu holen und für unser reiches kulturelles Erbe zu begeistern. Das Reformationsjubiläum hat in dieser Hinsicht bereits für Rekorde gesorgt. Zwar wirkte das Bauhaus auch in Weimar und Berlin, doch wer wirklich originale Bauhausbauten erleben möchte, muss nach Sachsen-Anhalt kommen…

…um von Dessau aus auch die Moderne neben dem Bauhaus zu entdecken?

Natürlich stehen das Bauhausgebäude, die Meisterhäuser und die Siedlung Törten ganz oben auf der Liste. Doch es gibt bei uns im Land noch sehr viel mehr. Das landesweite touristische Netzwerk „Das Bauhaus Dessau und die Orte der Moderne in Sachsen-Anhalt“ umfasst insgesamt 39 Orte und Bauwerke und soll Besucher der UNESCO-Welterbestätten in Dessau-Roßlau für andere bedeutende Orte der Moderne in Sachsen-Anhalt begeistern und die Aufenthaltsdauer im Land erhöhen. Zu den Highlights des Netzwerkes zählen zum Beispiel die Hermann-Beims-Siedlung und die Stadthalle in Magdeburg, die Giebichensteinbrücke in Halle oder das Diakonissen-Mutterhaus in Elbingerode.

Ihr persönlicher Höhepunkt im Bauhaus-Jahr ist…

…natürlich die Eröffnung des neuen Bauhaus-Museums in Dessau, durch das die 44.000 katalogisierten Exponate der Stiftung Bauhaus Dessau endlich ein eigenes Zuhause erhalten. Vieles von dem, was bisher selten oder nie in der Öffentlichkeit zu sehen war, wird damit endlich zugänglich. Das Land und der Bund schaffen hierfür 2.100 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Das ist ein echter Meilenstein, der die Attraktivität Dessaus als Stadt des Bauhauses weiter erhöhen wird.

Vom Bauhaus-Jahr einmal abgesehen, worauf freuen Sie sich noch?

Auch Quedlinburg hat in diesem Jahr viel zu feiern. Ministerpräsident Dr. Haseloff ist Schirmherr des Jubiläumsjahres „1100 Jahre Königserhebung Heinrich I. / 25 Jahre UNESCO-Welterbe Quedlinburg“. Die Stadt feiert mit vielen Aktionen und Veranstaltungen über das gesamte Jahr. Eingebettet in das Festjahr ist der Sachsen-Anhalt-Tag vom 30. Mai bis 2. Juni 2019. Dieses Landesfest steht unter dem Motto „Welterbe Weltoffen Willkommen“. Auch das Thema „25 Jahre UNESCO-Welterbe Quedlinburg“ wird im Festumzug vertreten sein. Weiterhin wird es am Kornmarkt ein „Welterbedorf“ geben. Hier werden sich deutsche und internationale Welterbestätten und Institutionen präsentieren.