Augusta und „funkelnder Edelstein“ – Äbtissin Mathilde von Quedlinburg zum 1020. Todesjahr (999 –2019)

von Christian Marlow | Ausgabe 3-2019 | Geschichte

Weihe Mathildes zur Äbtissin von Quedlinburg 966. Historienwandgemälde von Otto Marcus im Ratssaal Quedlinburg, um 1900. Foto: Brigitte Schmidt, Welterbestadt Quedlinburg

[1] „DieHerrin Mathilde, Reichsäbtissin, Ottos, des hochbedeutenden Kaisers, einzigartige Tochter, blütengeschmückt durch den vierfältigen Tugendkranz, die Kaiser Otto, dessen Enkel, als er sich anschickte nach Italien zu ziehen, an seiner statt als Reichsverweserin an die Spitze Sachsens stellte, gab im 44. Lebensjahr den ihren teurer als das Licht, – dem Irdischen, oh Schmerz! Enthoben, am 6. Tag vor den Iden des Februars ihre Seele Christus zurück.“[2]  Diese Würdigung ließ Kaiser Otto III. im Jahr 999 auf der Grabplatte von Äbtissin Mathilde von Quedlinburg (geb. 955)[3]  einarbeiten und sie unterstreicht zugleich das innige und vertrauensvolle Verhältnis zwischen Tante und Neffe. Es war bis dahin ein einmaliger Vorgang, dass eine Äbtissin die Reichsgeschäfte (vornehmlich in Sachsen) in Abwesenheit des Kaisers wahrnahm. Und sie tat es nicht mit „weiblichen Leichtsinn“[4] , sondern in der Tradition ihres Vaters und Großvaters stehend mit Verhandlungen und „Diplomatie“. Ein Beispiel dafür ist der „Quedlinburger Brautraub“ von 997/998, als eine zur Heirat versprochene Kanonissin von einem sächsischen Großen aus dem Quedlinburger Stift entführt wurde.[5] Auf einem Hoftag in Magdeburg 999 erreichte Äbtissin Mathilde einen Ausgleich zwischen den beiden beteiligten sächsischen Familien und somit eine friedliche Lösung des Konfliktes.

Für die Siedlung Quedlinburg stellte Äbtissin Mathilde vor allem die Weichen für die Stadtwerdung. Im Jahr 994 stellte Otto III. auf Bitten seiner Tante die Markt,- Münz- und Zollrechtsurkunde für Quedlinburg aus.[6] Diese Dotation war „die Krönung und ein Verdienst ihres unermüdlichen Wirkens […]“ [7] für die Entwicklung des Stifts Quedlinburg und stellte somit dessen „ökonomische Absicherung“[8]  dar und erhöhte zugleich auch dessen Renommee gegenüber den anderen Stiften und Klöstern im Reich und in Sachsen. Quedlinburg konnte sich von nun an zur Stadt entwickeln.

Neben der baulichen Tätigkeit auf dem Stiftsberg [9] erweiterte Äbtissin Mathilde – im Sinne ihrer Großmutter Königin Mathilde – das sogenannte Memorialsystem[10] „Stift Quedlinburg“ mithilfe von zwei Stifts- bzw. Klostergründungen. Das Münzenberger Benediktinerinnenkloster wurde 986 vorrangig zur Erinnerung ihres Bruders Otto II. gegründet und ist nicht als Konkurrenzfundation zum Quedlinburger Servatiusstift zu verstehen, sondern als dessen memoriale Ergänzung. Der Grundriss der Kirche ist der byzantinischen bzw. syrischen Kirchenbaukunst entlehnt[11]  und lässt einen regen Kulturtransfer im Quedlinburger Stift vermuten.

Die zweite Gründung, das Walbecker Kanonissenstift[12] bei Hettstedt, wurde am 7. Mai 997 im Beisein Äbtissin Mathildes geweiht. Das Weihedatum lässt darauf schließen, dass diese Gründung vorrangig zur Memoria Kaiser Ottos I. getätigt wurde.[13] Mit der Walbecker Gründung bzw. Weihe findet die von Königin Mathilde begonnene Erweiterung des Quedlinburger Memorialsystems ihren Abschluss. In der Folge waren alle ottonischen Familienmitglieder – in Teilen sogar mehrfach – memorial, im Sinne eines Totengedenkens, abgesichert.

Der sächsische Chronist Widukind von Corvey widmete Äbtissin Mathilde von Quedlinburg seine auf drei Bände angelegte Sachsengeschichte[14]  und charakterisiert sie hier schon beinahe panegyrisch: als „Herrin Mathilde, die durch jungfräuliche Blüte, kaiserliche Hoheit und einzigartige Weisheit glänzt […]“[15] , als eine Herrin, die von ganz Europa anerkannt wird[16]  und als „strahlendste Herrlichkeit und funkelnder Edelstein“ [17] Dennoch unterstreichen diese Widmungen – bei aller Übertreibung – , welches Ansehen Mathilde in ihrem nahen und fernen Umfeld genoss.

Die einzige Tochter Ottos des Großen und Adelheids von Burgund war schon sehr früh für eine geistliche Laufbahn vorgesehen. Nicht ohne Grund wurde sie 966 – also ca. 11 jährig – von einer ganzen Entourage von Großen des Reiches – Erzbischöfen, Bischöfen, Herzögen, Grafen u. a. – zur Äbtissin von Quedlinburg geweiht. Vermutlich erhielt sie ihre „Ausbildung“ von ihrer Großmutter, Königin Mathilde, die das Stift seit 936 als Laienäbtissin leitete. Nachdem diese 968 gestorben war, übernahm ihre gleichnamige Enkelin die Leitung des Stifts Quedlinburg.

Etwa 5 Jahre später sollte Mathilde ihr Organisationsgeschick und ihre Führungsqualitäten unter Beweis stellen können. Nachdem Otto I. im April 972 der Hochzeit seines Sohnes Otto II. mit Theophanu beigewohnt hatte,[18] kehrte der Kaiser Mitte 972 aus Italien in das Ostfränkische Reich zurück. Im März 973 feierte Otto I. den Palmsonntag in Magdeburg und konnte nun erstmals diese Stadt nach der Erzbistumsgründung [19] in Augenschein nehmen. Doch lange hielt sich der Kaiser dort nicht auf, sondern er reiste zu Ostern nach Quedlinburg und empfing – sehr wahrscheinlich im Beisein seiner Tochter Äbtissin Mathilde – Gesandte „internationalen“ Ranges. „Kurz: In seiner wohl wichtigsten sächsischen Pfalz zelebrierte Otto in seiner Heimat noch einmal seine kaiserliche Würde.“[20]  Widukind von Corvey berichtet: „Mit den siegreichen Truppen zog der Kaiser, aus Gallien kommend, nach Germanien, um das nächste Osterfest im berühmten Ort Quedlinburg zu feiern. Dort kamen eine Menge aus vielen Stämmen (gentes) zusammen und diese Menge feierte die Rückkehr des Kaisers mit seinem Sohn in der Heimat.“[21] Ergänzt wird diese Quellenstelle durch Thietmar von Merseburg: „Hier fanden sich auf Anordnung des Kaisers ein: die Herzöge Mieszko und Boleslaw, ferner Gesandte der Griechen, Beneventer, Ungarn, Bulgaren, Dänen, Slawen und alle große aus dem gesamten Königreich“.[22] Nach den Angaben der beiden Chronisten muss der Hoftag vom 23. März 973 besonders eindrucksvoll und glänzend gewesen sein. In dieser Zeit repräsentierte Quedlinburg zweifellos ein Zentrum der europäischen Politik, da der Hoftag „aus der Reihe der gewöhnlichen Hoftage herausragt, da an ihm neben den üblichen Nobilitäten des Kaisertums auch Repräsentanten anderer Völker und Mächte teilnahmen.“[23]  Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass sich sogar der Gesandte des Kalifen von Cordoba, Ibrahim ibn Yaqub, auf dem Hoftag aufgehalten hat. Seine Reisen durch das Ostfränkische Reich und die östlichen, slawischen Reiche sind schriftlich[24] überliefert.

Es ist davon auszugehen, dass Äbtissin Mathilde während der Anwesenheit der verschiedensten Delegationen auch vor Ort gewesen war, auch wenn dafür kein schriftlicher Beleg existiert. Die Quantität der Gesandten plus deren Gefolge lässt den Schluss zu, dass die Pfalz / das Stift über eine enorme wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügte, und zugleich auch, dass die Äbtissin mit dem notwendigen Organisationsgeschick ausgestattet war, um eine derartige Großveranstaltung zu organisieren. Dieser Hoftag war für das Quedlinburger Stift als Bildungseinrichtung [25] gleichwohl genauso wichtig wie für den politischen Ort Quedlinburg, da die Gesandten in aller Regel wertvolle Kulturgüter (Bücher, Liturgiegerät u. Ä.) als Gastgeschenke mitbrachten.[26] Folglich hatte ein derartiges Großereignis auch immer den („Neben“-)effekt des Kulturtransfers und damit des Austausches von Wissen.

Wie in dieser kurzen Ausführung deutlich wurde, konnte Mathilde in ihrem 33jährigen Abbatiat an das ihrer gleichnamigen Großmutter gleichermaßen anknüpfen. Mehr noch: Quedlinburg konnte sich im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts als ein Zentrum der ottonischen Politik etablieren.

 

[1] Ausführlich vgl.: MARLOW, Christian: Die Quedlinburger Äbtissinnen im Hochmittelalter, Magdeburg 2017, S. 36 ff.

[2] Vgl., VOIGTLÄNDER, Klaus: Die Stiftskirche zu Quedlinburg, Berlin 1989, S. 145. Übersetzung: SCHLENKER, Gerlinde: Äbtissin Mathilde. Eine Quedlinburgerin als Reichsverweserin vor 1000 Jahren, Halle/ Saale 1999, S. 27.

[3] Vgl.: Annales Quedlinburgenses, S. 468: DCCCCLV „Mechtild, gemma perlucida e medio coronae imperialis,/ decori suis et gaudio cunctis nascendo enituit.“

[4] Annales Quedlinburgenses, S. 501, „levitate foeminea“.

[5] Ausführlich dazu vgl.: MARLOW, Christian: Die Quedlinburger Äbtissinnen im Hochmittelalter, Magdeburg 2017, S. 57 f.

[6] Vgl.: DD O III no 155; vgl.: SEGNER, Eberhard: Die Markturkunde von 994, in: FS 1000 Jahre Markt-, Münz- und Zollrecht, hrsg. v. der Stadt Quedlinburg, Quedlinburg 1994, S. 9 – 16.

[7] SCHLENKER, Äbtissin Mathilde, S. 17.

[8] Ebd.

[9] Vgl.: REULING, Ulrich: Quedlinburg. Königspfalz – Reichsstift – Markt, in: Deutsche Königspfalzen, Beiträge zu ihrer historischen und archäologischen Erforschung, Bd. IV Pfalzen-Reichsgut-Königshöfe, hrsg. v. Lutz FENSKE, Göttingen 2007, 184 – 245, hier S. 229.

[10] Im Sinne eines Totengedenksystems der ottonischen Familie. Vgl.: MARLOW, Christian: Mathilde (um 895-968) – Eine ostfränkischen Königin zwischen Familienbande und Memoria, in: Sachsen-Anhalt-Journal, 28 (2018), S. 12 – 14.

[11] Vgl.: KORF, Winfried: Der Münzenberg zu Quedlinburg, Quedlinburg/Jena 1998, S. 52 f.

[12] Vgl.: Ders.: Walbeck. Reichsgut – Kloster – Rittergut, Quedlinburg/Jena 1997.

[13] Otto der Große ist am 7. Mai 973 gestorben.

[14] Vgl.: BAUER, Albert; RAU, Reinhold (Hrsg.): Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei (FSGA, Bd. 8 [Quellen zur sächsischen Kaiserzeit]), Darmstadt 52002.

[15] Widukind, I. Buch, Kapitel 2.

[16] Vgl.: Widukind, II 61, 62.

[17] Widukind, III 100, 101.

[18] Zur Werbung Theophanus vgl.: ALTHOFF, Gerd: Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat, Stuttgart 22005, S. 134 f. Die Hochzeit setzte vorerst den Endpunkt der Konflikte zwischen Ostfränkischem Reich und Byzanz, vgl.: KELLER, Hagen; ALTHOFF, Gerd: Die Zeit der späten Karolinger und Ottonen 888 – 1024 (=Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 3), Stuttgart 102008., S. 226.

[19] Vgl.: ALTHOFF, Gerd: Die Gründung des Erzbistums Magdeburg, in: Otto der Große. Magdeburg und Europa, hrsg. v. Matthias PUHLE, Bd. 1, Mainz 2001, S. 344 – 352; BECHER, Matthias: Otto der Große und die Gründung des Erzbistums Magdeburg, in: Europas Mitte um 1000, hrsg. v. Alfried WIECZOREK u. Hans-Martin HINZ, Bd. 2, Stuttgart 2000, 689 – 693.

[20] BECHER, Matthias: Otto der Große. Kaiser und Reich, München 2012., S. 242.

[21] Widukind, III/75. „Cum victricibus alis Galliam ingressus est, inde Germaniam transiturus et proximum pascha loco celebri Quidilingaburg celebraturus; ubi diversarum gentium multitudo conveniens, restitutum patriae cum filio cum magno gaudio celebrabant.“

[22] Thietmar von Merseburg: Chronik, II/31. „Huc confluebant imperatoris edictu Miseco atque Bolizavo duces et legati Grecorum, Beneventorum, Ungariorum, Bulgariorum, Danorum et Sclavorum cum omnibus regni totius primariis; […]“.

[23] GULYA, János: Der Hoftag in Quedlinburg, in: Der Hoftag in Quedlinburg. Von den historischen Wurzeln zum neuen Europa, hrsg. v. Andreas RANFT, Berlin 2006, S. 19 – 28, hier S. 19.

[24] Vgl.: KOWALSKI, Tadeusz: Relacja Ibrāhīma Ibn Jakūba z podróży do krajów słowiańskich w przekazie al-Bekrīego (Pomniki dziejowe Polski Ser. 2, T. 1. Wydawnictwa Komisji Historycznej. Polska Akademia Umiejeetności Bd. 84). Skład Główny w Ksieegarniach Gebethnera i Wolffa, Kraków 1946. Vgl. die deutsche Übersetzung: JACOB, Georg (Hrsg.): Arabische Berichte von Gesandten an germanische Fürstenhöfe aus dem 9. und 10. Jahrhundert (=Quellen zur deutschen Volkskunde, Bd. 1), Berlin/Leipzig 1927. Zur Forschungsgeschichte des Reiseberichts: MIQUEL, A.: Art. Ibrahim ibn Yaqub, in: Encyclopaedia of Islam, Bd. 3, Leiden 1971, S. 1015 – 1017.

[25] Vgl.: Zur Bildung und Schriftlichkeit im Stift: BODARWÉ, Katrinette: Sanctimoniales Litteratae. Schriftlichkeit und Bildung in den ottonischen Frauenkommunitäten Gandersheim, Essen und Quedlinburg (=Quellen und Studien, Bd. 10), Münster 2004, S. 165 ff.

[26] Vgl.: WIRTH, G.: Art. Gesandte, in: LMA, Bd. 4, München 1980, Sp. 484 – 490.