Mathilde (um 895 – 968) – Eine ostfränkische Königin zwischen Familienbande und Memoria

Ein Beitrag zum 1050. Todesjahr

von Christian Marlow | Ausgabe 4-2018 | Geschichte

Statue der heiligen Mathilde vor der ihr geweihten Kirche in Quedlinburg. Foto: Thomas Wozniak [Public domain], from Wikimedia Commons
Verwandtschaftstafel der Ottonen mit Heinricus rex und Methildis regina im Doppelkreis (Chronica St. Pantaleonis, zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts). Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 74.3 Aug. 2°.

„Wollte ich alle ihre Tugenden aufzählen, so würde die Zeit dafür nicht reichen, und wenn ich Homers und Maros Beredsamkeit besäße, so würde auch das nicht genügen.“ [1] Diese empathische Würdigung fand Königin Mathilde beim sächsischen Chronisten Widukind von Corvey, der um 973 seine berühmte Sachsengeschichte vollendete und ihre zeitgenössische Bedeutung unterstreicht. Diese wird dann noch einmal erhöht, als 973 / 974 in Nordhausen oder Quedlinburg die erste Fassung der Vita Mathildis [2] niedergeschrieben wurde. Eine jüngere Fassung, entstanden um 1002 / 1003, spart – wie die ältere Fassung – nicht mit dezidiert positiven Aussagen über Königin Mathilde. Beide Fassungen sind allerdings als stark tendenziös zu bezeichnen und nur im Kontext mit anderen Quellen zu gebrauchen.

Mathilde, um 895 geboren und zur sächsischen Adelssippe der Immedinger gehörend, gilt als eine der „profiliertesten Frauen­gestalten des Frühmittelalters“ [3]. Sehr wahrscheinlich stammte sie direkt von der Familie des Herzogs Widukind ab, der zu den großen Gegenspielern Karls des Großen in den Sachsenkriegen im letzten Viertel des 8. Jahrhunderts gehörte. Über die Kindheit Mathildes ist aus den Quellen nichts zu erfahren. Im jugendlichen Alter hielt sich Mathilde zur Erziehung im Kloster Herford auf, das von ihrer gleichnamigen Großmutter geleitet wurde. Dort soll sie auch Lesen gelernt haben.[4]

Obwohl der Liudolfinger Herzog Heinrich von Sachsen schon mit Hatheburg [5] verheiratet war, schickte er eine sächsische Delegation nach Herford, um für sich um die junge Mathilde zu werben. Letztlich willigte sie [6] ein und heiratete den etwa 20 Jahre älteren Heinrich im Jahre 909 in Wallhausen. Die Hochzeit bleibt dann lange Zeit die einzige Nachricht über Mathilde.

Die vieldiskutierte Königserhebung Heinrichs I. und der damit verbundene Salbungsverzicht[7] im Jahr 919 [8] bedeutete auch für Mathilde eine Veränderung – denn von nun an war sie Königin des Ostfränkischen Reiches.[9] „Machthild aber, die beglückte Gattin des irdischen Herrschers, …, ließ dennoch sich nicht sowohl von der Herrlichkeit der Welt zur Hoffahrt, als vielmehr von ihrer Neigung zum Dienste Gottes lenken.“ [10] Königin Mathilde war offenbar eine sehr strenggläubige Christin gewesen, was sich nicht nur durch die in den Quellen geschilderten, intensiven Gebete widerspiegelte, sondern auch durch ihre Stifts- und Klostergründungen. Die Grundlage dafür wurde mit der berühmten Urkunde vom 16. September 929, als Heinrich I. seine Gattin mit beträchtlichen Witwengütern ausstattete, gelegt.[11] Neben dem Ort Quedlinburg erhielt sie noch die Orte Grone, Pöhlde, Nordhausen und Duderstadt.

Nachdem Heinrich I. am 2. Juli 936 in Memleben verstorben war, gründete Mathilde – nach Thietmar von Merseburg [12] – 30 Tage nach dem Tod ihres Mannes und zu dessen Andenken auf dem Quedlinburger Burgberg ein Kanonissenstift[13]. Aber erst am 13. September 936 wurde diese Gründung vom neuen König Otto I. in einer Urkunde rechtlich kodifiziert.[14] Ob und inwieweit Differenzen zwischen dem neuen König und Mathilde – sie wird in der Urkunde nicht namentlich genannt – bei der Gründung des Stifts Quedlinburg eine Rolle gespielt hatten, kann letztlich nicht mehr geklärt werden. In der Forschung wird aber davon ausgegangen, dass Mathilde gern ihren 919 / 922 in Nordhausen geborenen Sohn Heinrich anstatt Otto I. auf dem Königsthron gesehen hätte. Dies führte bis mindestens Anfang der 940er Jahren zu gewissen Spannungen zwischen Königin Mathilde und Otto I.[15]

Nachdem diese schwierige, innerfamiliäre Phase überwunden worden war, folgte seitens Königin Mathilde eine der Kloster- und Stiftsgründungen. Doch zunächst erreichte Mathilde 947 die päpstliche Exemtion des Quedlinburger Damenstifts – also die Herauslösung dieser geistlichen Kommunität aus den Diözesestrukturen.[16] Im gleichen Jahr schenkte Otto I. seiner Mutter einige Besitzungen für das von ihr gegründete Stift Enger (Westfalen). In der dortigen Stiftkirche soll der Vorfahr Mathildes und Widersacher Karls des Großen, der Sachse Widukind, begraben worden sein. Ebenfalls in jener Zeit – also zwischen 946 – 952 – hat Mathilde ein Kloster auf ihrem Eigengut Pöhlde gegründet.

Im Zuge der Kaiserkrönung Ottos I. am 2. Februar 962 [17] wurde von Königin Mathilde das Frauenstift in der Pfalz Nordhausen[18] gegründet. Die jüngere Vita Mathildis berichtet dezidiert, dass Königin Mathilde das Stift vor allem „für das Seelenheil König Heinrich I. und ihres teuersten Sohnes [Heinrich, C. M.], den sie nach dem Vater genannt und in der nämlichen Stadt geboren hatte, […]“ [19] errichtet hat. Dass ihr Sohn Heinrich in Nordhausen geboren worden ist, erklärt in Teilen auch die Zuneigung Königin Mathildes zu diesem Ort.[20] Nach dem Tod ihres Sohnes (955) sollte in Nordhausen offensichtlich ein Erinnerungsort zum einen für den verstorbenen Ehemann (König Heinrich), aber zum anderen auch explizit für den Sohn (Heinrich) entstehen. Es sollte zugleich ihre letzte Fundation außerhalb von Quedlinburg sein. Ein Jahr vor der Kaiserkrönung Ottos I. gründete sie vermutlich im Quedlinburger „Stadtgebiet“ das Kanonikerstift St. Wiperti auf dem Areal der heutigen Wipertikirche.[21]

Alle Gründungen Königin Mathildes verfolgten offenbar das Ziel, die neue liudolfingische Herrscherfamilie memorial abzusichern. Mit der Gründung des Stifts Quedlinburg 936 wurde die Grundlage geschaffen, um den verstorbenen ersten König der liudolfingischen Herrscherdynastie im Reichs- aber auch im Familiengedenken zu erhalten. Mit den darauffolgenden Gründungen wurde der Kreis der zu Gedenkenden (Herzog Widukind, Prinz Heinrich) sukzessive erweitert. Damit nahm Königin Mathilde eine enorm wichtige Position in Bezug auf die Entwicklung und Fortführung sowie Intensivierung des Familiengedächtnisses ein. Dass die Königin mit ihren Bemühungen erfolgreich war, verdeutlicht, dass das Stift Quedlinburg auch nach dem Dynastiewechsel von 1024 bei den Saliern und späteren Gegenkönigen weiterhin als legitimer Ort der Herrschaftspräsentation präsent und offenbar als wichtig eingestuft werden sollte.[22]

Die gerade die in der älteren Forschung thematisierte Bautätigkeit der Königin wird heute zurückhaltender diskutiert. Die beispielsweise von Hermann Wäscher[23]  aufgestellten Hypothesen „zur baugeschichtlichen Entwicklung des Schlossberges haben sich überall dort, wo eine moderne Überprüfung möglich war, als falsch erwiesen.“ [24] Eine abschließende bauhistorische Erforschung des Quedlinburger Schlossberges steht folglich noch aus.

Nichtsdestotrotz verkörperte Königin Mathilde eine für die damalige Zeit außergewöhnliche und starke Persönlichkeit, die schon die Zeitgenossen beeindrucke und der Nachwelt über Jahrhunderte in Erinnerung blieb – das „allein unterstreicht ihre Besonderheit“ [25]. Mit der Erziehung ihrer gleichnamigen Enkelin (955 – 999) zu ihrer Nachfolgerin als Äbtissin in Quedlinburg sorgte die Königin dafür – in ihrer eigenen Familientradition stehend, denn die Königin selbst wurde in Herford von ihrer Großmutter erzogen –, dass das Stift eine personelle und familiäre Kontinuität erfahren durfte, welche die enge Bindung an die Königsfamilie weiterhin sicherstellen sollte. [26]

Königin Mathilde ist im Jahre 968 verstorben und hat bis heute ihre letzte Ruhestätte – neben ihrem Ehemann König Heinrich I. – in der Krypta der St. Servatius Stiftskirche in Quedlinburg gefunden.

 

 

[1] Widukind, III/74. „Ergo si omnes virtutes eius velim narrare, hora dificerit; facundia Homeri vel Maronis michi siadesset, non sufficeret.“

[2] Vgl. Vita Mathildis Reg. Post. / Ant., ed. Bernd SCHÜTTE, in: MGH (=Monumenta Germaniae Historica) SS (=Sciptores) 4, Hannover 1994.

[3] ALTHOFF, Gerd: Mathilde, in: NDB (= Neue Deutsche Biographie), Bd. 16, Berlin 1990, S. 371.

[4] BODARWÉ, Katrinette: Königin Mathilde, die Eheschließung und die Gründung Quedlinburgs – Facetten eines königlichen Lebens, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford und Bielefeld, 17 (2010), S. 127 – 153, hier S. 142.

[5] Tochter des reich begüterten Grafen Erwin von Merseburg. Der Halberstädter Bischof erklärte – sicher in Absprache mit Heinrich – die Ehe für ungültig, da Hatheburg nach ihrer ersten kurzen Ehe den Schleier genommen hatte.

[6] Ihre gleichnamige Großmutter soll nach der Vita Mathildis die Verhandlungen geführt haben.

[7] Vgl. GIESE, Wolfgang: Ensis sine capula. Der ungesalbte König Heinrich I. und die an ihm geübte Kritik, in: FS für Eduard HLAWITSCHKA, hrsg. v. Karl SCHNITH, Kallmünz 1993, S. 151 – 164; Ders.: Heinrich I. Begründer der ottonischen Herrschaft, Darmstadt 2008.

[8] Vgl. Widukind, I / 26.

[9] Vgl.Widukund, I / 31; Vita Mathildis, cap. 5.

[10] Vita Mathildis, cap.5.

[11] Vgl. DD (=Diplomata) HI (=Heinrici I.), no 20.

[12] Vgl. Thietmar von Merseburg: Chronik, I / 21.

[13] Im Unterschied zu Nonnen dürfen Stiftsdamen/Kanonissinnen Besitz haben, können reisen und heiraten.

[14] Vgl. DD OI, no 1.

[15] Zu dem Konflikt vgl. MARLOW, Christian: Die Quedlinburger Äbtissinnen im Hochmittelalter. Das Stift Quedlinburg in Zeiten der Krisen und des Wandels bis 1137, Magdeburg 2017, S. 19 ff.

[16] Vgl. RI2, V, no 206. Siehe auch Annales Quedlinburgenses, ed. Martina GIESE, in: MGH SS rer. Germ. 72, Hannover 2004, S. 464; vgl. auch: BERGER, Elie: Les Registres d’Innocent IV., Bd. 2, Paris 1887, no 5076.

[17] Zur Kaiserkrönung vgl. HEHL, Ernst-Dieter: Kaisertum, Rom und Papstbezug im Zeitalter Ottos I., in: Ottonische Neuanfänge. Symposion zur Ausstellung „Otto der Große, Magdeburg und Europa“, hrsg. v. Bernd SCHNEIDMÜLLER.

[18] Vgl. Zur Geschichte der Pfalz Nordhausen: GOCKEL, Michael: Pfalz Nordhausen, in: Die deutschen Königspfalzen. Repertorium der Pfalzen, Königshöfe und übrigen Aufenthaltsorte der Könige im deutschen Reich des Mittelalters, hrsg. v. Max-Planck-Institut f. Geschichte, Bd. 2, Vierte Lieferung, Göttingen 1991, S. 369 – 385.

[19] Vgl. Vita Mathildis Reg. Ant., ed. Bernd SCHÜTTE, S. 138. „Tunc etiam construxit monasterium in civitate Northusanensi consensu sui parvuli nepotis Ottonis pro anima regis Heinrici et sui karissimi filii, cui patris nomen imposuerat et quem in prefata civitate procreaverat.“

[20] Neben Sohn Heinrich wurde vermutlich auch ihre Tochter Gerberga (913) in Nordhausen geboren. Dies würde die persönliche Bindung Mathildes zu Nordhausen verstärkend erklären. Vgl. GOCKEL, Pfalz Nordhausen, S. 355.

[21] Vgl. WOZNIAK, Thomas: Zweihundert Jahre Wipertiforschung, in: Quedlinburger Annalen, Bd. 8 (2005), S. 10 – 34.

[22] Vgl. MARLOW, Die Quedlinburger Äbtissinnen, S. 61 ff.

[23] Vgl. WÄSCHER, Hermann: Der Burgberg in Quedlinburg. Geschichte seiner Bauten bis zum ausgehenden 12. Jahrhundert nach den Ergebnissen der Grabungen 1938 bis 1942, Berlin 1952.

[24] SCHMITT, Reinhard: Schlossberg in Quedlinburg, in: Die Ottonen. Kunst – Architektur – Geschichte, hrsg. v. KLAUS Gereon Beuckers u. a., Petersberg 22006, S. 268 f.

[25] BODARWÉ, Königin Mathilde, S. 144.

[26] Eine enge Bindung an die herrschende Dynastie sorgte u.a. für regelmäßige Zuwendungen, Privilegien, Schenkungen sowie Königsaufenthalte. Damit wurde das Renommee dieser Kommunität gesteigert und letztlich auch das Überleben gesichert.