Die Vereinsdialoge im Rückblick

Ein Projekt des Landesheimatbundes

von Tilo Garlipp | Ausgabe 4-2016 | Bürgerschaftliches Engagement | Projekte

Tilo Garlipp fasst die Ergebnisse eines Vereinsdilaogs zusammen © H. Münchow
Gemeinsamer Austausch © U. Dietrich in Brachwitz
Vereinsdialog in Ostrau © Franzsika Schories

Die Vereinsdialoge, die der Landesheimatbund in Zusammen­arbeit mit vielen Vereinen und unterstützt durch die Landes­zentrale für politische Bildung des Landes Sachsen-Anhalt über das vergangene Jahr durchgeführt hat, sind vorerst vorüber.
Zeit, ein Resümee zu ziehen und auf die Erfahrungen und Erlebnisse aus über 30 Veranstaltungen zu blicken.

Was waren die Vereinsdialoge?
Die Vereinsdialoge wurden initiiert, um in Vereinen engagierte Menschen mit VertreterInnen aus Politik und Verwaltung zu vernetzen. Ziel war es, Aufmerksamkeit auf bürgerschaftliches Engagement im ländlichen Raum zu lenken und mit den Dialogen ein Forum zu schaffen, in dem die Anliegen, Ideen und Vorstellungen der Menschen vor Ort angesprochen und diskutiert werden können. Gleichzeitig sollten Vereine neue Kontakte erhalten – sowohl zu ihren regionalen politischen RepräsentantInnen und zu Verwaltungsstellen als auch zu anderen in der Region aktiven Vereinen. Die Vereinsdialoge schufen somit Gelegenheitsfenster, um fruchtbare Kooperationen zwischen Vereinen und neuen Partnern entstehen zu lassen.
Ein ausführlicher Bericht über die erste Hälfte der Vereinsdialoge ist im Sachsen-Anhalt-Journal 2/2016 (Juli 2016) nachzulesen.

Ein Anfang ist nicht schwer
Viele Menschen standen den Vereinsdialogen anfangs skeptisch gegenüber: „Landtagsabgeordnete? – Wer?“ „Oohr nee, Politiker…“, „Was soll das denn nützen? Das wird doch nur Wahlkampfgeschwätz.“, „Jaja, reden können die alle viel, aber nützen tut uns das nüscht.“, „Versprechen tun die immer alles, aber nach den Wahlen will keiner was gesagt haben und es lässt sich keiner mehr blicken.“ Das sind einige der Vorbehalte gegenüber Menschen, die politische Positionen, Mandate oder Ämter innehaben, die in manchen Vereinen zu hören waren.
Vereinsvorsitzende waren zwar meist recht schnell von der Idee der Vereinsdialoge angetan, doch gelang es ihnen manchmal nur bedingt oder mit Mühe, ihre Mitglieder von dem Format zu überzeugen.
Hatte sich ein Verein aber erst einmal auf die Vereinsdialoge eingelassen, war schnell die Feststellung zu vernehmen, dass alles gar nicht so schlimm sei. Klar, schwarze Schafe gebe es überall (so auch in den Vereinen), doch die meisten PolitikerInnen seien aus der Nähe betrachtet und wenn man sie erstmal kennengelernt habe, doch irgendwie ganz nett und umgänglich. So wurde dann doch schnell die sich bietende Gelegenheit ausgiebig genutzt, all jene Themen anzusprechen, die sowohl aus Vereins- wie auch aus Bürgersicht auf der Seele brennen: „Warum hat man das Gefühl, dass zur Verfügung stehende Fördergelder nicht entdeckt oder nicht beantragt werden sollen? Das ist ja der reinste Dschungel und die Antragstellung ist so kompliziert wie eine Steuererklärung. Geht das nicht einfacher? Wer hilft uns dabei?“, „Wenn wir unsere Grundschule hier im Dorf verlieren, können wir hier bald abschließen. Was sagen Sie dazu? Unterstützen Sie uns dabei, unsere Schule zu halten?“, „Wir wollen hier etwas aufbauen, das schön ist, einen Mehrwert für alle schafft und Menschen zum Hierbleiben animiert und herlockt. Doch wir wissen nicht, wo wir die Eigenmittel hernehmen sollen, um an Fördergelder zu kommen. Da muss sich doch etwas ändern lassen. Wie können Sie helfen?“, oder auch „Welche Vision haben Sie für unsere Region? Was machen Sie ganz konkret dafür, dass wir hier in fünf Jahren noch besser aufgestellt sind?“. All das sind Themen, die in Kalbe, Hainrode, Möser, Ostrau, Havelberg, Brehna, Osterwieck und Brachwitz angesprochen wurden. Sie stehen stellvertretend für Themen, die so oder in ähnlicher Weise Menschen in ganz Sachsen-Anhalt umtreiben.

Den Blick öffnen
Viele Vereine und Engagierte standen vor den Vereinsdialogen nur selten in Kontakt mit ihren politischen RepräsentantInnen. Überwiegend beschränkte sich eine ab und an stattfindende Zusammenarbeit auf die BürgermeisterInnen, die oft gar nicht als „PolitikerInnen“ wahrgenommen werden. Doch BürgermeisterInnen stoßen bei den Anliegen der Vereine schnell an ihre Zuständigkeits- und Ressourcengrenzen, nicht zuletzt weil die Kassen der Kommunen häufig leer sind. Nur die wenigsten Vereine finden dann den Weg zu höheren Ebenen. Kreistagsabgeordnete oder LandrätInnen werden beispielsweise häufig gar nicht als relevante politische Akteure wahrgenommen, obwohl der Landkreis in ländlichen Gebieten ein einflussreicher Akteur ist, der andere Möglichkeiten und auch Ressourcen zur Verfügung hat als eine Gemeinde. Doch auch ein Landkreis hat seine Grenzen. Über den Landkreisen steht dann das Land. Die auf dieser Ebene tätigen Landtagsabgeordneten werden oftmals zwar wahrgenommen, allerdings selten kontaktiert. Das ist eigentlich seltsam. Vielleicht liegt es daran, dass Landtagsabgeordnete in der Wahrnehmung Vieler, die Unterstützung, Ansprechpartner oder Expertise suchen, schon zu weit entrückt erscheinen.
Gerade Landtagsabgeordnete sollten jedoch oftmals die erste Adresse sein. Zwar sind sie nicht für alles zuständig (für vieles ist der Bund, der Kreis oder die Gemeinde zuständig), doch sind sie meistens mit den für eine Problemlösung richtigen Menschen bestens bekannt und besitzen wertvolles Fachwissen, von dem Vereine profitieren können. Sie können Unterstützung Suchende kompetent beraten oder Kontakte vermitteln. Sie können Hilfe organisieren und Informationen einholen oder, wenn es nötig sein sollte, gar einen Gesetzgebungsprozess anstoßen – je nachdem, was zur Lösung eines Anliegens behilflich ist. Landtagsabgeordnete werden in ihren Möglichkeiten wahrscheinlich genauso oft unterschätzt wie überschätzt. Sicher ist, dass sie lange nicht die „Laberer“ sind, für die sie gerne gehalten werden. Tatsächlich können engagierte Landtagsabgeordnete echte Macher und Macherinnen sein! Genau das, was Menschen mit Ideen und Projekten, die ihren Ort oder ihre Gegend beleben oder voran bringen wollen, brauchen.

Es stellen sich schnell erste Ergebnisse und Erfolge ein
Beispielsweise hat man in Havelberg die regionalen Landtags­abgeordneten gefragt, wo Unterstützung zu finden ist, wenn man geeignete Fördermittel für die nachhaltig zu renovierende und danach gemeinnützig zu nutzende Remise auf dem Vereinsgrundstück sucht? Und, wer dem Verein im zweiten Schritt bei der Antragsstellung hilft?
Die Antworten der Abgeordneten machten schnell klar: Es gibt viele kompetente Ansprechstellen, man kannte sie häufig nur nicht bzw. wusste nicht, dass es sie gibt. Angefangen bei der Gemeindeverwaltung, der Kreisverwaltung und der regionalen Wirtschaftsförderung, über die Landesebene mit dem Landesverwaltungsamt und der Investitionsbank des Landes, bis hin zu den regionalen LEADER-Verwaltungsstellen und natürlich dem Landesheimatbund. Vereinen stehen viele Beratungsmöglichkeiten offen. Die Landtagsabgeordneten boten an, konkrete Kontakte dorthin zu vermitteln, und auch, dass sich die Vereine (und Vereine der Region generell) mit konkreten Projekten und Gestaltungsideen jederzeit direkt an sie wenden könnten.
In Brehna hatten die Vereinsmitglieder die Problematik der Vernässung von Kellern und Gebäuden im Ort durch einen steigenden Grundwasserpegel thematisiert. Die Landtagsabgeordneten versprachen daraufhin, an dem Thema dranzubleiben und unter anderem eine Informationsveranstaltung auf den Weg zu bringen, auf der sich die BürgerInnen kompetent informieren und beraten lassen können. Diesem Versprechen sind die Abgeordneten auch nachgekommen. Die Veranstaltung konnte aufgrund von Terminengpässen auf Vereinsseite zwar noch nicht realisiert werden, soll jedoch bald stattfinden. Zudem wurden zwei weitere Veranstaltungen ins Auge gefasst. Zum einen soll es um die Landesfinanzierung des Kulturbereichs gehen. Dazu soll auch der Kulturstaatssekretär nach Brehna kommen. Zum anderen soll über den Finanzhaushalt der Regierungskoalition informiert und die Frage diskutiert werden, wie die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele finanziert werden sollen.
In Ostrau hat man sich auf den Vereinsdialogen ebenso dem Kulturbereich gewidmet, jedoch mit einem stärkeren Fokus auf die Entwicklung der Region und die Entfaltung ihrer Potentiale für den Tourismus. Da dieses Thema auch auf dem ersten Vereinsdialog in Brachwitz auf der Agenda stand, taten sich die beiden Vereine für den zweiten Vereinsdialog zusammen, um dem Thema so noch mehr Nachdruck zu verleihen. Insbesondere stand die Entwicklung und Umsetzung eines regionalen Tourismuskonzepts im Mittelpunkt, das die kulturellen und touristischen Angebote des nördlichen Saalekreises integriert und bündelt, um somit das touristische Potential der Region nachhaltig zu entwickeln und zu entfalten. Dieses Anliegen der Vereine traf auf der Veranstaltung sowohl bei den Landtags- als auch bei den Kreistagsabgeordneten auf offene Ohren und großes Interesse. Noch vor Ort wurden nächste Schritte, die zur Umsetzung dieser Idee notwendig und zielführend sind, besprochen und vereinbart. So werden die Vereine, aufbauend auf den Ergebnissen dieser Vereinsdialoge und in Zusammenarbeit mit den Abgeordneten, weitere Treffen und Veranstaltungen ansetzen, auf welchen auch andere Akteure und Institutionen der Region vertreten sein werden, um damit die Entwicklung und Umsetzung des Tourismuskonzepts auf breite Füße zu stellen und voranzutreiben.

Dies sind nur drei Beispiele, die stellvertretend für viele andere zeigen, wie schnell und ohne allzu großen Aufwand sich konkrete Ergebnisse einstellen, wenn man als einzelner Verein oder zusammen mit anderen Vereinen ein konkretes Anliegen, eine Idee oder ein Ziel hat und dieses an die politischen RepräsentantInnen heranträgt. Gerade Landtagsabgeordnete haben sich in den Vereinsdialogen als geeignete und kompetente AnsprechpartnerInnen für Vereine erwiesen, da sie in gewisser Weise an der Schnittstelle zwischen kommunaler Ebene und Landespolitik und -verwaltung stehen.

Anfangen, dran bleiben, mitwirken: das Potential ist groß – doch nichts kommt von allein
Abgeordnete haben ein Eigeninteresse daran, für die Anliegen der BürgerInnen da zu sein, gerade in ihrem Wahlkreis. Die Vereinsdialoge haben gezeigt, dass die allermeisten Abgeordneten großes Interesse an den Themen, die an sie herangetragen werden, haben und sie häufig auch bereit sind, sich für diese Themen einzusetzen und an Fortschritten und Lösungen mitzuarbeiten.
Doch dazu braucht es auch den Willen und das Engagement der Vereinsmitglieder. Neben dem Initialwillen, ein Thema anzustoßen und Abgeordnete anzusprechen, braucht es gleichzeitig auch den Willen, an der Sache dran zu bleiben. Dazu gehört auch die Bereitschaft, selbst Verantwortung oder Aufgaben zu übernehmen.
Manche Vereine sind in den Vereinsdialogen an dem Glauben gescheitert, dass sich Ergebnisse, Verbesserungen oder Lösungen allein dadurch einstellen, dass sie die Abgeordneten einmalig darauf angesprochen haben und den Dialog suchten. Die Erwartung war, dass sich Abgeordnete des Anliegens annehmen und sich um alles, was mit der Lösung der Herausforderung verknüpft ist, kümmern. Doch das ist so nicht.
Viele Anliegen können nur in gemeinschaftlicher Arbeit bewältigt werden, beispielsweise die Identifikation geeigneter Fördermittelprogramme und die entsprechende Antragstellung. Abgeordnete und Verwaltung können den Vereinen diese Arbeit nicht abnehmen, sie jedoch in vielfacher Hinsicht unterstützen. Das Beispiel aus Ostrau zeigt gut, dass es fast immer eines gemeinschaftlichen Engagements bedarf, um das gewünschte Ziel erreichen zu können. In Osterwieck ist ein zu Ostrau ähnliches Anliegen und Ziel an diesem Punkt allerdings gescheitert. Die Vereinsmitglieder, die das Problem wahrnahmen und auf dem Vereinsdialog an die Abgeordneten herantrugen, waren im zweiten Schritt nicht ausreichend motiviert, sich an der Erarbeitung der Lösung zu beteiligen. Sie hatten eher die Erwartung, dass „die Politiker“ das machen müssten.
Diese Erwartungshaltung war in den Fällen, in denen die Vereinsdialoge an einem Ort nicht fortgeführt wurden, meist auch der Hintergrund für das Ausbleiben der zweiten Veranstaltung. Dies erklärt, warum Anfang des Jahres, in der „ersten Runde“ der Vereinsdialoge, zwölf Vereine an acht Orten und in der „zweiten Runde“ noch acht Vereine an sieben Orten an den Vereinsdialogen beteiligt waren.

Wer dagegen Abgeordnete (egal, ob des Gemeinderats, des Kreis-, Land- oder Bundestags, oder auch des Europaparlaments) als AnsprechpartnerInnen betrachtet, die die eigenen Anliegen unterstützen oder über ihre Kontakte zum Erreichen der gesetzten Ziele beitragen können, der oder die wird in Abgeordneten gute PartnerInnen für Verein und Region finden.
Die Vereinsdialoge haben gezeigt, dass sich der Kontakt für Vereine und engagierte BürgerInnen lohnt und dass sich am Ende nicht bestätigt, was vielerorts zu hören ist: „Jaja, reden können die alle viel, aber nützen tut uns das nüscht“.