Romanik in der Altmark

von Ulf Frommhagen | Ausgabe 2-2018

Kirche Siedengrieben, Blick in den Altarraum mit der Apsis. Foto: Ulf Frommhagen
Die Klosterkirche in Arendsee. Foto: Ulf Frommhagen
Kirche Henningen, Blick in den Altarraum mit den drei Fenstern im Ostabschluss. Foto: Ulf Frommhagen

Es gibt nur wenige Kulturlandschaften, in denen die Romanik eine so große Geschlossenheit aufweist wie in der Altmark. Neben dem Haupt der Altmark, Stendal, war es die schon 1112 genannte frühstädtische Siedlung Salzwedel, in welcher sich die romanische Baukunst besonders unter Hinzunahme der frühen Ziegeltechnologie herausbildete. Salzwedel besaß zur Zeit der markgräflichen Reiseherrschaft im 11. und 12. Jahrhundert große Bedeutung und leistete sich sieben Backsteinkirchen in zukunftweisenden Architekturformen, die mit dem Ausbau der Altstadt im 12. Jahrhundert und der 1247 gegründeten Neustadt geschaffen wurden. Schon bevor Salzwedel die Stadtrechte erhielt, muss es hier bedeutende Sakralbauten gegeben haben. In den 1990er Jahren fand man im Bereich der Lorenzkirche Feldsteinfundamente, die auf einen vom heutigen Grundriss nach Osten abweichenden Vorgängerbau schließen lassen. Vermutlich befand sich seit spätestens dem 11. Jahrhundert das Patrozinium des Heilige Laurentius mit der heutigen, um die Mitte des 13. Jahrhunderts errichteten querschifflosen Backsteinbasilika in besonderer topographischer Beziehung zur markgräflichen Burg. Von der Burganlage sind noch der in Backstein errichtete bergfriedartige Wohnturm und die spätromanische ebenfalls in Backstein errichtete Burgkapelle St. Anna erhalten. Eine dendrochronologische Untersuchung datiert den Turm auf um 1190. Zu den bedeutendsten Sakralbauten der Stadt Salzwedel gehört die fünfschiffige Backsteinbasilika St. Marien, die Pfarrkirche der Altstadt. Sie besitzt noch bedeutende Bauteile aus der zweiten Bauphase, einer dreischiffigen Backsteinbasilika aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Diesem Bau ging noch ein weiterer Massivbau voraus, von dem noch der in Findlingsbauweise erhaltene runde Turmstumpf erhalten ist, über dem sich der oktogonale Backsteinturm erhebt. Die Pfarrkirche der Neustadt ist die ab der Mitte des 13. Jahrhunderts errichtete querschifflose dreischiffige Backsteinbasilika St. Katharinen.

Im Umfeld der alten Hansestadt Salzwedel, wie auch der ganzen Altmark, haben wir heute fast unverändert den christlichen Sakralbau vor uns, den hauptsächlich die brandenburgischen Markgrafen Otto I. und sein Sohn Otto II. in den Dörfern errichten ließen. Die Markgrafen hatten wohl eine Vorliebe für klare Konturen ohne jedes Beiwerk, einen Hang zur Funktionalität. Der sogenannte vollständige Typ besteht aus einem querechteckigen Westturm, dem Langhaus von gleicher Breite, einem eingezogenen Altarraum, der durch den rundbogigen Triumphbogen abgesetzt ist, sowie der halbkreisförmigen Apsis mit dem Halbkuppelgewölbe. (Abb.) Ein weiterer Bogen öffnet das Langhaus zum Turmuntergeschoss, das oftmals von einem Tonnengewölbe überspannt ist. Der Zugang zum profanen Obergeschoss erfolgte ursprünglich oberhalb des Turmuntergeschosses über einen Hocheingang (ndt. „Luerlock“). Die nordwestliche Altmark gehörte zum ehemaligen Bistum Verden. Wie im benachbarten Niedersachsen kommen auch hier Großparochien vor. Um Mutterkirchen reihten sich die ursprünglich kirchlosen Dörfer. Stattliche Feldsteinbauten wie im alten Archidiakonat Kuhfelde, die aus der Regierungszeit der Markgrafen Johann I. und Otto III. stammen, besitzen bereits den jüngeren reduzierten Grundriss. (Abb.) Bei diesem ab dem zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts bevorzugten Kirchentyp wird auf die halbrunde Apsis verzichtet, der Altarraum erhält einen geraden Ostabschluss. Dieser reduzierte Grundriss besitzt am Ostabschluss je nach Größe ein oder zwei Fenster, aber auch Dreifenstergruppen kommen vor. In Jeeben befindet sich eine Landkirche aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Form einer Langhausbasilika. Die Seitenschiffe sind im Dreißigjährigen Krieg untergegangen und der mächtige Westquerturm stürzte im 19. Jahrhundert ein. Ob die Basilika in Beziehung zur markgräflichen Burg im Nachbar­ort Beetzendorf stand, kann wegen fehlender Dokumente nur vermutet werden. Einen runden Kirchturm wie an der Marienkirche Salzwedel hat es auch an der ehemaligen Propsteikirche in Dähre unweit der Grenze nach Niedersachsen gegeben, was wiederum auf die niedersächsische Nachbarschaft des Verbreitungsgebietes solcher Türme im ehemaligen Bistum Verden hinweist. Der Rundturm wurde durch archäologische Ausgrabungen an der Westseite der Kirche nachgewiesen.

Bis 1180, der Entmachtung Heinrich des Löwen durch Kaiser Friedrich I. Barbarossa, gehörte noch die gesamte westliche Altmark zum Machtbereich der Welfen. So auch die Grafschaft Gardelegen, deren Ostgrenze an den großen Landwehren der Deetzer Warthe und Kröpelwarthe verlief, die zu einem Altmarklimes gehörten, der den welfischen vom askanischen Machtbereich unterschied.

Als Graf Heinrich von Gardelegen, ein Sohn Markgraf Otto I., nach dem Tode seines Vaters 1184 mit der Grafschaft Gardelegen abgefunden wurde, zog auch die Backsteintechnologie in die werdende Stadt Gardelegen ein. Davon zeugen heute noch die Marien-
und die Nikolaikirche. St. Marien besitzt mit ihrem komplizierten Werdegang inmitten eines gotischen Hallenbaus den Vorzug, eine der ältesten Backsteinkirchen der Altmark zu sein. Gemäß einer dendrochronologischen Untersuchung muss sie 1189 bereits weitgehend fertiggestellt gewesen sein. Heinrich ließ an Stelle einer Burg gemäß gut erhaltener Baubefunde eine querschifflose Basilika mit längsrechteckigem Altarraum, halbkreisförmiger Hauptapsis und eigentümlichen Nebenapsiden in der Mauerstärke errichten. Einen Turm erhielt die Marienkirche erst im Zuge des Umbaus zur Stufenhalle ab der Mitte des 13. Jahrhunderts. Als Nachfolgebauten des Erstbaues können die ebenfalls in Backstein errichteten Langhausbasiliken im ostaltmärkischen Königsmark und Sandau im Elb-Havel-Winkel angesehen werden, da hier die Nebenapsiden ebenfalls nur in der Mauerstärke ausgebildet sind. Die Nikolai­kirche der Gardelegener Kaufmannssiedlung am Nordrand der Stadt wurde an Stelle eines wesentlich älteren Stephanspatroziniums errichtet. Sie besaß den für Kaufmanns­kirchengründungen der Stauferzeit typischen Grundriss einer Saalkirche. Vom spätromanischen Ursprungsbau sind an der spätgotischen Hallenkirche noch der Westquerturm mit seiner Arkatur bestehend aus drei Rundbögen, die zum ehemaligen Langhaus öffneten, die Triumphbogenwand und Teile der Nordwand des Altarraumes erhalten.

Noch kurz vor seinem Tode gründete Graf Heinrichs Vater Markgraf Otto I. in Arendsee ein Benediktinernonnenkloster. (Abb.) Die kreuzförmige gewölbte Pfeilerbasilika mit drei Apsiden ist im Jahr 1184 gestiftet worden. Sie nimmt stilistisch ihren Platz ein zwischen der noch flachgedeckten Klosterkirche in Jerichow und der ebenfalls im gebundenen System gewölbten Klosterkirche in Diesdorf, westlich von Salzwedel. Die östlichen Bauteile sollen laut einer Urkunde bereits 1208 fertiggestellt gewesen sein. Die Zensur zwischen dem Ost- und Westteil der Klosterkirche wird besonders durch die hohen Doppelarkaden der beiden leicht längsrechteckigen Westjoche deutlich. Über den kuppeligen Kreuzgratgewölben befinden sich im jünger zu datierenden Westteil der Basilika noch Gespärre des bauzeitlichen Dachwerkes, die dendrochronologisch gegen 1220 datiert sind. Ein Westwerk wie an der Klosterkirche Diesdorf hat es in Arendsee nicht gegeben. Die ältesten Bauteile der in Backstein ausgeführten Klausurgebäude befinden sich an der Ruine des Ostflügels und sind noch in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts zu datieren. In Beziehung zum Kloster Arendsee stand gemäß der oben bereits erwähnten Urkunde von 1208 die in Backstein erbaute Saalkirche von Krüden, westlich von Arendsee am Rande der altmärkischen Wische. Angesichts der Fülle romanischer Kirchen auf dem Lande müssen wir uns jedoch rigoros beschränken.

Während der Bauzeit der Klosterkirche Arendsee wurde auch mit dem Bau des Klosters der Augustiner-Chorherren in Diesdorf begonnen. Der Graf Hermann von Lüchow soll es 1161 gegründet haben. Bei den Grafen von Lüchow handelte es sich ursprünglich um das Grafengeschlecht von Warpke, das auch in der Region um Diesdorf begütert war. Im frühen 13. Jahrhundert wurde mit der Errichtung der Klosterkirche begonnen. Die spitzbogigen Lanzettfenster mit Rundstäben am Westwerk sind mit den eingelegten Rundwülsten an den Fensteröffnungen der Lorenzkirche in Salz­wedel identisch. Des Weiteren können auch die Fenster mit rundbogigem Abschluss und eingelegten Rundwülsten an der Kloster­kirche Dambeck (Apsis) sowie der Marienkirche in Gardelegen (nach dem Stadtbrand von 1241 – II. Bauphase) zum Vergleich herangezogen werden. Somit dürfte das Ende der Bauzeit für die dreijochige Basilika mit Querschiff, quadratischem Altarraum und halbkreisförmiger Apsis sowie Nebenapsiden an den Querschiff­armen dieses Backsteinbaus im voll ausgebildeten gebundenen System im dritten Viertel des 13. Jahrhunderts zu verorten sein. Architektonisch sind die stilistischen Einflüsse aus Ratzeburg und Jerichow an den Klosterkirchen Diesdorf und Arendsee unverkennbar.

Bald nachdem Heinrich von der Burg Gardelegen seinen Machtbereich nach Tangermünde hin ausdehnte, begann auch dort eine rege Bautätigkeit, die heute noch auf der 1009 erstmals erwähnten Burg mit der in Backstein errichteten Ringmauer, dem sogenannten Kapitelturm und der Außenwand des Kanzeleihauses bezeugt ist. Zwischen 1184 und 1188 hatte Heinrich die im Schutze der Burg befindliche Stephanskirche zu einer in Backstein errichteten kreuzförmigen Basilika nach dem Vorbild der Stiftkirche in Jerichow umbauen lassen. Vom romanischen Vorgänger sind im gotischen Nachfolgebau Reste an den Triumphbogenpfeilern, der östlichen Turmwand sowie im östlichen Joch der nördlichen Seitenschiffswand die Stirnwand des romanischen Nordquerarmes mit einem Rundbogenfenster erhalten. Am Ende der 1180er Jahre gewann die neue benachbarte Marktsiedlung Stendal schnell an Bedeutung und gelangte in die Interessensphäre Heinrichs von Gardelegen. Schon bald im Jahr 1188 wurde St. Stephanus dem von ihm und seinem Bruder Otto II. gegründeten Stift St. Nikolaus in Stendal unterstellt. Wie auch in Gardelegen, errichteten die Tangermünder Kaufleute noch in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine Nikolauskirche im Grundriss einer Saalkirche. Seit dem 19. Jahrhundert dient sie profanen Zwecken. An der geraden Ostwand sind die beiden in Backstein gemauerten Originalfenster und im Inneren der Triumphbogen erhalten.

In der um 1160 durch den Markgrafen Albrecht dem Bären gegründeten Marktsiedlung Stendal stifteten 1188 seine Enkel Markgraf Otto II. und Heinrich von Gardelegen ein weltliches Kollegiat­stift, den sogenannten Dom St. Nikolaus. Vom Gründungsbau ist der in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Backstein errichtete Westbau mit seinen Ecklisenen an der Doppelturmfassade der spätgotischen Backsteinkirche erhalten. Der Querschnitt des basilikalen Vorgängers lässt sich noch an der Ostseite des Westbaues ablesen. An den übrigen Stendaler Kirchen ist nur wenig von den spätroma­nischen Vorgängern erhalten. Die Hauptpfarrkirche St. Marien besitzt aus dem 13. Jahrhundert nur noch den in der Achse abweichenden Westbau. Vom romanischen Vorgänger der Jakobikirche sind Teile der Turmostwand erhalten und an der Petri­kirche, die erst nach 1289 in die Stadtbefestigung einbezogen wurde, hat sich die roma­nische Priesterpforte der ursprünglichen Dorfkirche erhalten. Eine fast identische, mit einem Tympanon versehene Priesterpforte, befindet sich an der imposanten Dorfkirche in Groß Möringen westlich von Stendal. Nach dendrochronologischen Untersuchungen ist sie, wie auch die Nachbarkirche in Insel, gegen 1170 fertiggestellt worden. Ab der Mitte des 12. Jahrhunderts werden in der östlichen Altmark, die zum ehemaligen Bistum Halberstadt gehörte, in jedem Dorf Pfarrkirchen errichtet. Von diesen hochinteressanten romanischen Kleinkirchen sind viele mehr oder weniger vollständig erhalten. Das älteste kaum veränderte Beispiel befindet sich südlich von Stendal in Buchholz. Die Kirche vom vollständigen Typ ist dendrochronologisch in das Jahr 1153 datiert worden. Zwischen Arneburg und Tangermünde finden sich zudem noch einige frühe Beispiele mit einem Chorturm. Neben den reinen Findlingsbauten sind nicht wenige
Kirchen eher als Mischbauten anzusprechen, wo der Backstein an den Archivolten der Portale oder in den Fensterlaibungen eine gewichtige Rolle spielt. Reine Backsteinbauten konzentrieren sich in den Elbschwemmgebieten, wie der altmärkischen Wische. Hochinteressante romanische Backsteinbasiliken befinden sich in Groß Beuster und Königsmark. Die nicht der Jerichower Bautradition folgende Stiftskirche Groß Beuster datiert dendrochronologisch 1172 (erste Bauphase Ostteile) und 1184 (zweite Bauphase Westteile). Die querschifflose Klosterkirche Krevese ist um 1200 entstanden und weist an den Ostteilen die Verwendung des Backsteins auf. Bedeutende Reste von vier weiteren Basiliken mit einem kreuzförmigen Grundriss befinden sich in Bismark, Stadtkirche, Osterburg, St. Nikolai und Seehausen, Petrikirche und Werben, Johanniskirche. In Bismark haben sich bedeutende bauzeitliche Putzbefunde (Pietra Rasa und Lagenputz) und am Westwerk in Seehausen das prächtigste rundbogige Westportal der alten Mark Brandenburg erhalten.

 

Literaturverzeichnis:

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