Bitterfelder Bernstein
Ein Schmuckstein als Nebenprodukt im Bergbau
von Uwe Holz und Diana Schmidt | Ausgabe 1-2016 | Natur und Umwelt
Eine wirklich ungewöhnliche Ausstellung zu Rohstoffen aus Sachsen-Anhalt erwartet den Besucher im Kreismuseum Bitterfeld: Im Keller präsentiert sich eine kleine aber feine Sammlung von Bernstein. Was auf den ersten Blick wie ein Ostseeimport wirkt, ist jedoch eine der großen geologischen Besonderheiten Sachsen-Anhalts. Von 1975 bis 1993 wurden im Tagebau Goitsche nahe Bitterfeld über 400 Tonnen Bernstein gefördert.
Naturwissenschaftlich gesehen ist es schlicht ein fossiles Harz, das sehr wahrscheinlich vor ca. 25 Mio. Jahren zeitgleich mit den Braunkohle bildenden Wäldern entstand. Auf unterschiedlichen Wegen gelangte das Harz unter Luftabschluss und wurde dann in einem extrem lange andauernden Prozess zu dem begehrten Schmuckstein.
Doch das fossile Harz ist mehr als nur Schmuck. Von ganz besonderem Interesse sind die als Inklusen bezeichneten Einschlüsse. Sie umfassen kleine und kleinste Tiere, wie Insekten, Spinnen, Milben und Würmer. Daneben gibt es auch Einschlüsse von Pflanzenresten in Form von Blättern, Nadeln, Moosen und Blütenpollen. Mit diesen Einschlüssen wird der Bernstein zum prähistorischen Datenträger, der Informationen über die Zusammensetzung der urzeitlichen Flora und Fauna liefert. Dieses Wissen erlaubt eine umfängliche Rekonstruktion der damaligen Lebenswelt, die selbst Angaben zum seinerzeit herrschenden Klima ermöglicht.
Dass der Bitterfelder Bernstein für die Schmuckindustrie der DDR eine herausragende Bedeutung erlangte, ist ein Stück Nachkriegsgeschichte. Die einst bedeutendste deutsche Fundstätte von Bernstein lag im ostpreußischen Palmnicken, das in Folge des Zweiten Weltkrieges sowjetisches Staatsgebiet wurde. Von dort bezogen unter anderem die Ribnitz-Damgartener Bernsteindrechsler ihren Rohstoff. Diese Quelle versiegte aus politischen Gründen nach und nach und die Mecklenburger waren gezwungen, sich nach anderen Lieferanten umzuschauen. Während dieser Phase besannen sich Geologen darauf, dass im Mitteldeutschen und Lausitzer Braunkohlenrevier immer wieder Bernstein zutage trat, ohne je wirtschaftlich genutzt worden zu sein.
Der Aufbau einer Bernsteinförderung erfolgte in Bitterfeld unter Regie des örtlichen Braunkohlenkombinates. Es bildete ein ganz spezielles Kapitel innerhalb der Planwirtschaft der DDR und stellte diese vor erhebliche Herausforderungen. Nachdem 1975 die Förderung in reiner Handarbeit aufgenommen wurde, kam es 1976 zur Errichtung einer Förderanlage, die bereits im Pilot-betrieb 5,3 t fossiles Harz lieferte. Die Fördermenge stieg kontinuierlich und erbrachte im Jahr 1983 mit 49,2 t Rohbernstein eine Rekordaus-beute. Nur wenigen Insidern war bekannt, dass der an der deutschen Ostseeküste verkaufte Bernstein zumeist aus Bitter-feld stammte. Auf eine exakte Herkunftsbezeichnung wurde verzichtet, um den Eindruck zu vermeiden, dass der Bitterfelder Bernstein ein synthetisches Produkt dortiger Chemiebetriebe sei. Die Förderung wurde schließlich 1993 aus Kostengründen eingestellt. Im Rahmen der Bergbausanierung kam es zur Flutung des Gruben-geländes, was den Zugang zu den bernsteinführenden Schichten nun enorm erschwert.
Um an dieses besondere regionale Bergbaukapitel zu erinnern, richtete 1998 die Fachgruppe Geologie des Fördervereins des Kreismuseums in dessen Kellerräumen eine Ausstellung ein, die naturwissenschaftliche Aspekte des Bernsteins sowie dessen Fördergeschichte beleuchtet.
In den ersten Wochen des Jahres 2016 wurden mittels Saugbaggern wieder Probeschürfungen in der Goitzsche unternommen. Motivation für diese technisch anspruchsvolle Aufgabe ist der enorme Wert des touristischen Alleinstellungsmerkmales einer aktiven Bernsteinförderung, der einzigen in Deutschland.