Die Bauernsteine im Salzlandkreis

Ein Beitrag zur Frage der Nordgrenze ihrer Verbreitung

Von Martin Beitz | Ausgabe 3-2018 | Kulturlandschaft

Bauernsteine (rot) und Tie-Plätze (grün) im Salzlandkreis. Abbildung © DTK100 © GeoBasis-DE/ LVermGeo LSA, 2017 Es gelten die Nutzungs­bedingungen des LVermGeo LSA – bearbeitet von Martin Beitz
Bauernstein in Nelben (sekundärer Standort). Foto © Martin Beitz

Bauernsteine sind Denkmale der Rechtsgeschichte. Sie markierten den Platz, an dem sich die „Nachbarn“ (Vollbauern) versammelten, um die zahlreichen Dinge des Alltags zu regeln. Man beriet über die zu treffenden Vorkehrungen und bestrafte kleine Vergehen wie zum Beispiel den Diebstahl von Feldfrüchten. Die ältesten Nachweise [1] gehören in die Frühe Neuzeit, doch geht man davon aus, dass sie bereits im Hochmittelalter vorhanden waren und eine wichtige Rolle im dörflichen Rechtsleben spielten.

Die Forschung auf dem Gebiet der Bauernsteine hat eine Tradition von mehr als einhundert Jahren. Ende des 19. Jahrhunderts hat Friedrich Schmidt aus Sangerhausen einige wenige Bauernsteine publiziert. Etwa zeitgleich begann auch Edmund Veckenstedt aus Halle, solche in verschiedenen Artikeln zu erwähnen. In seinem Werk Das Paradies und die Bäume des Paradieses berichtete Veckenstedt im Jahr 1896, dass sich die Bauern-, Schulzen- und Angersteine „von ostwärts Halle bis auf das Eichsfeld“ finden lassen.[2]

Auch die aktuelle Forschung, die sich seit den 1980er Jahren wieder verstärkt dem Thema „Rechtsdenkmale in Sachsen-Anhalt“ widmet, identifiziert als Hauptverbreitungsgebiet den heutigen Saalekreis und den Landkreis Mansfeld-Südharz. Die Verbreitungskarten, die Wernfried Fieber, Heiner Lück und Reinhard Schmitt im Inventar Bauernsteine in Sachsen-Anhalt. „…ahnn den Stein, so uf den Anger stehet…“ (2009) sowie im Ergänzungsartikel Neufunde und ergänzende Bemerkungen zum Inventar „Bauernsteine in Sachsen-Anhalt“ (2016) veröffentlicht haben, zeigen aber auch, dass man die Ostgrenze im Raum Halle bis zur Mulde verschieben kann. Zudem wird ersichtlich, dass die Dorfplätze mit Bauernsteinen nach Norden und besonders nach Nordwesten hin von sogenannten „Tieplätzen“ abgelöst werden, auf denen sich zum Teil ebenfalls Steinsetzungen, so genannte „Tiesteine“, finden lassen.

Der Salzlandkreis bildet zwischen beiden Räumen eine Übergangszone. Da die systematische Erforschung bereits seit über dreißig Jahren stattfindet, kann man davon ausgehen, dass das weitgehende Fehlen von Bauernsteinen im Osten Anhalts nicht nur eine Forschungslücke, sondern auch eine reale Leerstelle ist und nur das westliche Anhalt noch zum Hauptverbreitungsgebiet gehört. Das erfordert einen genaueren Blick auf die Verbreitung im Salzlandkreis. Laut Forschungsstand 2016 sind 14 Bauernstein-Standorte bekannt. An dieser Stelle sollen drei Literaturfunde vorgestellt werden, die die Zahl auf 17 erhöhen. Der Salzlandkreis hat die drittmeisten nachgewiesenen Bauernsteine in Sachsen-Anhalt. Dies entspricht zirka 15 Prozent aller bisher bekannten Bauernsteine.

Wirft man einen Blick auf die Karten von Fieber / Lück / Schmitt, dann wirken die beiden Bauernsteine in Klein-Schierstedt und Mehringen östlich von Aschersleben fast schon isoliert. In der Sammlung „Aschersleben. Damals und heute“, einem auch im Internet verfügbaren Text, heißt es allerdings zu Schackstedt: „Mitte des [19.] Jahrhunderts verlor der Bauern- und Gerichtsstein seine Bedeutung. Die Ortsgerichtstage wurden in ein festes Gebäude verlegt und nach neuen Gesetzen abgehalten. Der alte Bauernstein wurde nach dem 1. Weltkrieg als Schmuckstein in den Garten des Gastwirtes Duderstadt verlegt.“ [3] Dieser Nachweis überbrückt also diese scheinbare Lücke gen Saale, wo bisher kein Bauernstein bekannt war. Das Entfernen des Bauernsteins ist ein leider häufig zu beobachtender Vorgang, der die Forschung erschwert, da Hinweise auf sie oft nur noch in alten Dokumenten zu finden sind. Das gilt auch für die beiden Fälle bei Aschersleben: Der eine Stein wurde versenkt, der andere ist verschollen.[4]

Wie schon erwähnt ist der Salzlandkreis ein Übergangsbereich zwischen Tieplätzen und Bauernsteinen. Die Untersuchungen von Karl Bischoff (1972) ergaben, dass es in einigen Gegenden vorkam, dass schon im Nachbardorf eines Tieortes das Wort ‚Tie‘ unbekannt war.[5] Woher diese scharfe Trennung stammt, ist bisher nicht bekannt, sie dürfte aber aus dem Vergessen der einstigen Bedeutung resultieren. Besonders interessant erscheint hierbei der Ort Sinsleben (Landkreis Harz) westlich von Aschersleben, denn für diesen ist sowohl ein Tie- als auch ein Bauernstein nachgewiesen.[6]

Eine weiterer solcher Fall konnte im Salzlandkreis in Etgersleben am Südrand der Magdeburger Börde festgestellt werden. In diesem Tiegebiet – allein bei Egeln sind vier Tie bekannt, darunter Etgersleben selbst – hat Heinz Unger in einem Artikel der „Egelner Mulde Nachrichten“ im Jahr 2008 zum Ort folgendes vermerkt: „Friedensplatz, früher Bauernstein und Krusenplatz, es ist anzunehmen, dass die Bauern des Ortes diesen großen Stein in der Mitte des Dorfes auf diesen Platz gebracht haben. Eine Jahreszahl zu diesem Ergebnis ist nicht bekannt. Der Krusenplatz wurde vermutlich nach einem Einwohner des Ortes benannt.“  [7]

Diese Beschreibung lässt erkennen, dass über den im Süden Sachsen-Anhalts durchaus bekannten Charakter der Bauernsteine im Norden ähnlich wenig Wissen vorhanden ist, wie im Süden wiederum über die Tiesteine des Nordens. Man muss hier also tatsächlich von Ausnahmen von der Regel ausgehen. Die Bode scheint die Grenze zwischen beiden Bezeichnungen zu sein, denn sie ist auffälligerweise gleichzeitig die Südgrenze des Hauptverbreitungsgebietes der Tie- und die Nordgrenze des Gebietes der Bauernsteine. Nur vereinzelt weichen Steinsetzungen davon ab. So gibt es einzelne Tie in Braunschwende (Landkreis Harz) oder Sotterhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz), aber auch einen Bauernstein in der Altmark und zwei weitere in der Börde.

Noch nicht sicher als Bauernstein ausmachen lässt sich ein Stein in Hohenedlau. Hermann Größler schreibt in seiner wichtigen Veröffentlichung Altheilige Steine in der Provinz Sachsen (1896): „Dicht an dem Garten des Ortsschulzen Uthe zu Hohen-Etlau im Nordzipfel des Saalkreises steht ein Nagelstein, an welchen sich eine Sage knüpfen soll, die zu ermitteln ich noch keine Gelegenheit hatte.“ [8] Der Lehrer aus Eisleben hatte dies im Jahr 1887 vom halleschen Geographen Alfred Kirchhoff erfahren. Es ist ein durchaus wichtiger Hinweis, weil die beschriebene Lage am Schulzenhof mehrfach für Bauernsteine nachweisbar ist. Damit wurde nämlich das Gebäude markiert, in das die Versammlungen verlegt wurden. In Görsbach (Landkreis Nordhausen, Thüringen) wird dieser sogar direkt Schulzenstein genannt.[9] In Sinsleben ist der Bauernstein als Ort der Gemeindeversammlung nachgewiesen und zugleich ein Nagelstein. [10]

Im Fall von Baalberge beschreibt die Chronik, dass bereits vor über 300 Jahren der Bauernstein durch ein Gemeindehaus ersetzt wurde: „Zum Abschluss sei hier an die alte Dorfschmiede erinnert. Das Haus war viele Jahrhunderte hindurch ein ‚Freihaus‘, man nannte es auch ‚Speelhaus‘, was ‚Sprechhaus‘ bedeutet. Hier, wo der Bauernstein gestanden haben soll, wurde durch die Baalberger das Gemeindehaus errichtet. Erst später zog der Dorfschmied ein und 1701 ging es durch Verkauf an eine Privatperson über. Heute wurde das alte Schmiedehaus zum Wohnhaus umgebaut.“ [11] Noch unentschieden ist hingegen die Frage, ob Garsena einen Bauernstein besaß.[12]

Wie lange die Bauernsteine in einigen Orten trotz des Verlustes ihrer Bedeutung noch bekannt waren, zeigt sich im Fall von Beesedau: Auf der Internetseite „Lebendiges Museum Online“ des Deutschen Historischen Museums berichtet der 1931 geborene Zeitzeuge des Kriegsendes Alfred Müller zum Jahr 1945 folgendes: „Nach einiger Zeit trat der Gemeindediener mit der großen Glocke in Erscheinung, um die Anordnungen der Besatzungsmacht zu verkünden. Das geschah innerhalb des Ortes noch öfter, als es sonst üblich war. Es war wichtig und ging jeden Bürger an. Der Text lautete sinngemäß: Alle nazistischen Organisationen sind verboten. Alle Angehörigen der Wehrmacht haben sich sofort in der Dorfmitte am Bauernstein in Kriegsgefangenschaft zu begeben. Alle Schuss- und Stichwaffen sind unverzüglich am Bauernstein abzulegen, das gilt für alle Häuser und Haushalte.“ [13]13 Wie so oft wird der Bauernstein hier nur beiläufig erwähnt, doch eine dermaßen lange Weiternutzung als Dorfmittelpunkt ist nur in wenigen Fällen (etwa in Fienstedt im Saalekreis) belegbar.

Östlich der Saale reichen die Bauernsteine weiter nach Norden als westlich. Hier fällt allerdings auf, dass die Fuhneaue zusammen mit der Ziethe als Verbreitungsgrenze zu fungieren scheint, denn zwischen beiden Flüssen finden sich keine Bauernsteine außerhalb der Aue, wohingegen sich in dem schmalen Streifen zwischen Fuhne, Ziethe und Saale zahlreiche Fundorte nachweisen lassen. Hier sind Zuchau, Gerbitz und Gramsdorf bei Nienburg (Saale), die nördlichsten Orte des Hauptverbreitungsgebietes der Bauernsteine. Gen Elbe und Mulde sind hingegen keine weiteren bekannt, erst südlich der Fuhne treten sie wieder auf und auch hier sofort gehäuft. Da die Fuhne im Laufe der Jahrhunderte Grenzfluss zahlreicher Hoheitsgebiete war, stellt dies keine Hilfe bei der Datierung des tatsächlichen Alters der Bauernsteine dar.

Karl Bischoff zeigte im Jahr 1972, dass ein auffälliger Zusammenhang zwischen Dialektgrenzen und der Verbreitung des Wortes Tie besteht. Da man zudem zum Beispiel im Eichsfeld von Anger­tischen spricht, ist die Dialektgrenze die wahrscheinlichste Erklärung für die geographische Verteilung der Bauernsteine. Auch wird so leichter verständlich, warum es in Sinsleben oder Etgers­leben je Tie- und Bauernstein gab. Es erklärt aber nicht das Fehlen dieses Phänomens östlich der Fuhne, immerhin Heimat des Verfassers des Sachsenspiegels (um 1230), in welchem Bauernsteine nicht erwähnt werden, aber Gerichte unter freiem Himmel. Steinarm war auch diese Gegend nicht, schließlich finden sich hier die südlichsten Großsteingräber Deutschlands. Das Fehlen hat wohl siedlungs­geschichtliche Gründe, da dort Vollbauern seltener waren.

[1] Vgl. Fieber / Lück / Schmitt, S. 70: Döllnitz 1517 ein „Großer Mahlstein“, 1543 im abgebaggerten Körbisdorf ein „Stein“, 1656 für Wünschendorf und 1700 für Kötzschen ein Bauernstein, 1698 für Ockendorf ein Gemeindestein.

[2] Veckenstedt, Edmund, Das Paradies und Die Bäume des Paradieses, Halle 1896, S. 75.

[3] Vgl. o. A., „Aschersleben. Damals und heute“ (Wochenspiegel, Sonderveröffentlichung 10. Dezember 2014), S. 21.

[4] Vgl. Fieber / Lück / Schmitt, S. 43, 49.

[5] Vgl. Bischoff, Karl, Der Tie II, Wiesbaden 1972, S. 25.

[6] Vgl. Bischoff, Der Tie II, S. 41 bzw. Fieber / Lück / Schmitt, S. 66.

[7] Unger, Heinz, Die Namen der Straßen und Plätze in der Gemeinde Etgersleben, in: Egelner Mulde Nachrichten (2008), Ausgabe 21, S. 36.

[8] Größler, Hermann, Altheilige Steine in der Provinz Sachsen, Halle 1896, S. 19.

[9] Vgl. Fieber / Schmitt, 2016, S. 71 sowie Veckenstedt, S. 75.

[10] Vgl. Fieber, Wernfried / Münnich, Udo / Wemhöner, Bodo, Kleindenkmale in Sachsen-
Anhalt (= Kleine Hefte zur Archäologie in Sachsen-Anhalt; 14), Halle 2017, S. 24. Nagelsteine nennt man prähistorische Steinsetzungen, in die Nägel eingehauen wurden. Dieser Brauch diente der Erlangung eines Gottesurteils in verschiedensten Angelegen­heiten, es handelt sich daher auch um Gerichtssteine. Besonders häufig und bis ins 20. Jahrhundert hinein nagelte man aber Krankheiten in Bäume und Steine, um sie so in diese zu bannen.

[11] Scholz, Eckhardt / Freyer, Armin, Chronik der Gemeinde Baalberge.

[12] Zuletzt dazu Klaus, Katja, Bauernsteine in Sachsen-Anhalt, Halle 2004, S. 36.

[13] https://www.dhm.de/lemo/zeitzeugen/alfred-mueller-kriegsende-und-erlebte-
befreiung-1945.html.