Die Kirche St. Annen und Marien zu Dittichenrode
Die Geschichte einer Kirchenrettung
Angela Kühne | Ausgabe 1-2019
Dittichenrode liegt in einem Tal, das von drei Seiten von Bergen umgeben ist, sich zur Goldenen Aue hin öffnet und einen schönen Blick zum Kyffhäuser freigibt.
Ursprünglich ein freiherrliches adliges Gerichtsdorf und Stammsitz der alten Ritterherren von „Tütcherode“, gehörte es später zur Grafschaft Roßla. Urkundlich wurde es erstmals 1013 erwähnt. Seit 1970 ist Dittichenrode ein Ortsteil von Roßla, mit Anschluss an die B 80 und seit 2004 zur A 38. Von den 130 Einwohnern gehören 25 zur evangelischen Kirche.
Mittelpunkt des Ortes bildet die Dorfkirche St. Annen und Marien. Sie ist eine alte Pfarrkirche, die im Mittelalter zum Kirchenkreis Unter-Berga gehörte. Ein noch heute erhaltenes hölzernes Kreuz wird in das 14. Jahrhundert datiert, die unteren Teile des Turmes und Teile des Langhauses mit den gekuppelten Bogenfenstern sind möglicherweise auch aus dieser Zeit.
Zwischen 1680 und 1720 erfolgte wahrscheinlich der bis heute erhaltene barocke Umbau der Kirche und die Entstehung der Fachwerkapsis, die in ihrer baulichen Ausbildung deutlich auf den barocken Kanzelaltar, welcher 1714 eingebaut wurde, zugeschnitten war. Der Emporenzugang mit Überdachung an der Südwand des Turmes mit Türöffnung und Sandsteingewänden sowie die Dachgauben und die verputzte Holztonne stammen aus dieser Zeit. 1888 gab es Pläne zum Neubau der Kirche, die aber aus Kostengründen unmöglich wurden. Danach erfolgten umfangreiche Renovierungsarbeiten, bei denen auch Fahne und Knopf erneuert wurden. Im Jahr 1968 wurde die baufällige Fachwerkapsis abgerissen und die entstandene Öffnung mit Hohlblocksteinen geschlossen. Der Altar wurde ausgelagert. Von da an nahm der Verfall der Kirche stetig zu. Durch Bürger des Ortes konnte 1982 der Westgiebel am Turm gerettet werden, die letzten Reparaturarbeiten am Turm erfolgten 1989, die Kirche wurde aufgegeben.
St. Annen und Marien Kirche zu Dittichenrode
Als Kind stand ich im Engelskostüm in der Kirche an der großen Säule der Empore. Es war Heilig Abend und wir Kinder wirkten beim Krippenspiel mit. Später spielten wir im Kirchgarten Verstecken, da dort alles verwildert war. Ich ärgerte mich über die Jungs, die Steine ins Fenster warfen. Irgendwann war es soweit, sie stand da, unsere Kirche, klein und zerfallen. Warum, habe ich damals nicht verstanden. 30 Jahre später, 1997, erzählte man sich im Dorf, dass das Kirchenschiff abgerissen werden und nur der Turm stehen bleiben soll. Einige Bürger wollten das verhindern und schlossen sich zur „Interessengemeinschaft Wiederaufbau Kirche Dittichenrode“ zusammen. Alle Einwohner wurden informiert, ehemalige Pfarrer eingeladen und viele Fragen gestellt: Wie konnte es so weit kommen? Die Ursache liegt viele Jahre zurück. Eine undichte Stelle am Dach, eindringendes Wasser und nach und nach verfaulende Hölzer. Wer hat wann was verpasst, zählt nun nicht mehr. Wir blicken nach vorn und überlegen, wie können wir unsere Kirche retten. Durch meinen Roßlaer Verein (Heimat- und Schloßverein Roßla e.V.) hatte ich schon Kontakt zur Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Auf ein kurzes Telefonat mit dieser Stiftung folgten ein langer Brief und die Bitte um Hilfe. Das Antwortschreiben kam ziemlich schnell und dazu ein Antragsformular mit kleinem Zettel, auf dem stand: „Bitte schnellstmöglich ausfüllen und zurückschicken“. Drei Monate später, im Mai 1998 kamen Dr. Wegner und Frau Bathe von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz zu einem Ortstermin nach Dittichenrode.
Was fanden sie vor: Die Apsis war abgerissen und die Öffnung im Kirchenschiff mit Hohlblocksteinen verschlossen. Bis zur ersten Gaube fehlte das Dach, vom restlichen Dach waren viele Ziegel kaputt. Da die Eingangstür nicht mehr aufging, kletterte Dr. Wegner mit einer Leiter durch ein kaputtes Fenster. Im Inneren fehlte fast das ganze Tonnengewölbe, die zweite Empore gab es nicht mehr. Die Holzdielung ließ sich an einigen Stellen noch erahnen, die Emporensäulen hatten teilweise keine Gründung mehr und hingen nur noch an den Emporen. Überall lagen Steine, einige Dachziegel, Bretter und Balken. Es wuchsen kleine Bäume und Farne und dazwischen stand trotzig der Taufstein. Ein trauriges Bild, aber Rettung sollte möglich sein, so das Signal von Dr. Wegner und Frau Bathe. Anfang Dezember 1998 drehte das ZDF zwei Tage im Dorf für die Sendung „Bürger rettet eure Städte“. Am 21. 12. 1998 wurde nur drei Minuten über unsere kleine kaputte Dorfkirche berichtet und ab da lief eine Hilfswelle an, die man nicht mit Worten beschreiben kann. Das Telefon stand nicht mehr still, man wollte wissen, wie man helfen kann. Ich war überwältigt.
Dittichenrode war zu dieser Zeit im Programm der Dorferneuerung und so kamen mit Hilfe des Amtes für Flurneuordnung Halle, des Arbeitsamtes Sangerhausen, der Sanierungsgesellschaft Sangerhausen und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz die benötigten finanziellen Mittel zusammen, um die Sanierung der Außenhülle beginnen zu können.
Mittels Flyer und privater Briefe wurden weiter Spenden gesammelt. Artikel in Zeitungen, so auch in „Monumente“ 2 trugen im Wesentlichen auch dazu bei, dass die Spendenbereitschaft anhielt und die Eigenmittel beschafft werden konnten.
Im Juni 1999 war Baubeginn. Die erste Bauphase beinhaltete die Wiederherstellung der Außenhülle. Als erstes wurde die Hohlblocksteinwand abgerissen und der Dachstuhl abgenommen. Die Seitenwände vom Schiff erhielten eine neue Mauerkrone und die Fundamente der Apsis wurden freigelegt. Nachdem das Fundament der Nordwand stabilisiert war, konnte der Aufbau des Dachstuhls und der Apsis beginnen. Im September feierten wir Richtfest, ein unvergesslicher Tag. Der Pfarrer durfte den letzten Sparrennagel einschlagen und war sichtlich stolz, obwohl er doch anfangs nicht an eine Rettung glaubte. Ende 1999 war die erste Bauphase abgeschlossen, die Außenhülle unserer Kirche war wiederhergestellt. 2001 konnten die beiden großen Südfenster erneuert werden und eine lange Wartezeit begann. Endlich, 2006, begann die zweite Bauphase – die Innensanierung. Jetzt sollten die Wände, Fußboden, Decke und Emporen wieder hergerichtet werden. Während der Bauzeit kamen immer wieder Besucher und staunten über den Fortgang der Arbeiten und als im Dezember 2006 das erste Mal wieder eine Adventsandacht in der Kirche stattfand, gab es keinen freien Platz mehr. Bis zur Wiedereinweihung am 13. September 2008 waren alle Arbeiten im Inneren beendet.
Nachdem die letzte große Finanzierung geklärt war, begann dann Ende 2010 die Turmsanierung. Dass der Turm noch nicht abgestürzt war, verdanken wir einigen Männern des Ortes. Sie haben Anfang 1980 die durch Wetter stark geschädigte Westseite mit Steinen vermauert und die Seitenwände mit Eisenträgern verstärkt. Nun, 30 Jahre später können alle kaputten Balken ausgetauscht werden. Dass die Westseite wieder ihr Fachwerk erhält, verdanken wir der Hartnäckigkeit eines Sponsors. Die Steinwand an der Westseite, die die Männer des Ortes errichtet hatten, sollte aus Kostengründen bleiben. Die Mehrkosten für die ursprüngliche Wand in Fachwerk konnten wir nicht mehr aufbringen. Kurzerhand beschloss ein Sponsor, diese Kosten zu übernehmen. „Bei einem Fachwerkturm muss doch auch alles in Fachwerk sein“, so seine Begründung.
Die Turmhaube wird erneuert und bekommt eine neue Schiefereindeckung. Erwähnenswert ist, dass alle gesunden alten Hölzer in der gesamten Kirche wieder mit verbaut wurden. Die Zimmerleute verstanden ihr Handwerk und es war eine große Freude, ihnen bei der Arbeit zuzusehen. Zwei neue Knöpfe wurden beim „Knopffest“ aufgesetzt und dort hinein legten wir verschlossene Hülsen mit Schriftstücken und Münzen, um unseren Nachkommen die Rettung der Kirche zu erzählen. Auf einem Blatt unterschrieben alle Anwesenden und können nun beim Blick zum Kirchturm sagen: Ich war dabei. Während der Schieferdecker die Knöpfe auf dem Turm befestigte, saßen unten im Kirchgarten alle gemütlich bei Kaffee und Kuchen. Ein Kran mit einer Gondel beförderte einige Mutige in die Höhe zur Turmspitze und dort erfuhren sie von der „Traurigkeit“ des Schieferdeckers. Er sagte: „Wenn ich hier oben fertig bin, sind da unten Kaffee und Kuchen alle“ und blickte nach unten. Das sollte sich ändern. Mit einer großen Tasse Kaffee, einem Teller leckeren Kuchen und der Bitte an den Kranfahrer, nicht zu wackeln, schwebte ich in der Gondel nach oben und brachte alles dem lachenden Schieferdecker. Eine Aktion, über die noch oft erzählt wurde und die allen in Erinnerung bleibt als „der Kaffee auf dem Kirchturm“.
Das nächste Projekt 2013 waren Glocken und Uhr. Die kleine Glocke mit der Jahreszahl 1480 bekommt ein neues Joch und einen geschmiedeten Klöppel. Die große Glocke stammt nach ihrer „Zuckerhutform“ aus dem 14. Jahrhundert und wurde im letzten Krieg beschlagnahmt. Sie kam auf abenteuerliche Weise nach Dittichenrode zurück. Man entdeckte sie in den fünfziger Jahren auf dem Glockenfriedhof bei Hamburg und holte sie nach Hause. Sie hatte aber keine Krone mehr. Lange Zeit hing sie mit Bolzen an ein Joch geschraubt im Glockenstuhl. Nun endlich sollte sie geschweißt werden. Pünktlich zur 1000-Jahrfeier unseres Dorfes im Sommer 2013 waren beide Glocken wieder zu Hause. Feierlich hielten sie Einzug und kamen an ihren Platz im Glockenstuhl. Die Uhr wäre nur sehr aufwendig und kostenintensiv zu reparieren gewesen, an ihre Stelle kam eine digitale Uhr, die die historischen Zeiger auf einem ebenso historischen Ziffernblatt antreibt. Endlich schlägt auch in unserem Ort wieder die Kirchenuhr und ein Knopfdruck bringt die Glocke zum Läuten.
Der prächtige barocke Kanzelaltar, von dem leider nur noch Teile erhalten sind, fehlt natürlich als eindrucksvoller Raumabschluss. Die Kirchengemeinde hat sich entschlossen, den Altarbereich neu zu gestalten. In einem ersten Schritt wurde bereits das mittlere, 2012 geschaffene Fensterfeld der namhaften Glasmalerin Anja Quaschsinki aus Düsseldorf eingebaut. Es besteht aus mundgeblasenem Echtantikglas und erfüllt als Kreuz- und Auferstehungssymbol die Kirche mit festlich-warmem Lichtschein. Geplant sind zwei seitlich flankierende Fenster in gleicher Art, so dass sich der Eindruck eines leuchtenden Flügelaltars ergibt, wenn erst die noch fehlenden Prinzipalstücke (Altartisch und Predigtpult) nach Entwurf des Bildhauers Till Hausmann fertiggestellt sind. Diese beispielhafte liturgische Gestaltung im Stil unserer Zeit hat sich die Kirchengemeinde als eines der künftigen Projekte vorgenommen. Damit wären die Wiederherstellungsarbeiten an dem Gotteshaus dann vollendet.
Es gibt immer wieder kleinere Reparaturen und auch einige Verschönerungsarbeiten an und um die Kirche, aber sie steht wieder da, mit ihrem ganz eigenen Charme, unsere kleine Dorfkirche St. Annen und Marien zu Dittichenrode.
Danke an alle, die dabei mitgeholfen haben.