Die Turteltaube – Vogel des Jahres 2020
Stefan Fischer | Ausgabe 4-2020 | Natur und Umwelt
Das „Turteln wie die Tauben“ als Umschreibung für den zärtlichen Umgang frisch Verliebter ist wohl jedem bekannt. Dagegen dürften die für dieses Sinnbild namengebende Turteltaube nur wenige Nicht-Vogelinteressierte kennen. Unter den fünf heimischen Taubenarten ist sie mit einer Körperlänge von 26 bis 28 cm und einem Gewicht von 100 bis 180 g die kleinste. Ihre vier bei uns vorkommenden Verwandten sind die Stadttaube (domestizierte Nachfahren der Felsentaube), die Ringeltaube, die Hohltaube und die Türkentaube. Aufgrund ihres starken Rückgangs in den letzten Jahren wurde die Turteltaube (Streptopelia turtur Linnaeus 1758) vom Naturschutzbund Deutschlands (NABU) als Vogel des Jahres 2020 gekürt.
Während die anderen heimischen Tauben eher grau oder graublau gefärbt sind, ist die Turteltaube recht farbig. Ihre Brust ist altrosa getönt, die Flügel wirken durch breite hellbraune Federränder geschuppt, den Nacken ziert ein schwarz-weißes Band und die Augen mit orangefarbener Iris umgibt eine nackte rote Hautpartie. Die Geschlechter gleichen sich, den blasser grau-braun gefärbten Jungvögeln fehlt die schwarz-weiße Nackenbinde. Der charakteristische Gesang der Turteltaube lässt sich mit „turrrr-turrrr“ umschreiben. Ein Tonbeispiel findet sich unter: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/Z6DJPYYJ37ILYD74EDWOSHUQJVYWN4T5
Verbreitung
Die Turteltaube ist von den Kanarischen Inseln und Nordafrika im Westen über nahezu das gesamte Europa, einschließlich des
Südens Großbritanniens, über Kleinasien und Teile der Arabischen Halbinsel bis in den äußersten Nordwesten Chinas verbreitet. Im Norden erreicht die Art den Süden Finnlands, fehlt aber in Skandinavien. Östlich schließt sich bei teilweiser Überlappung das Verbreitungsgebiet der Schwesterart, der Orientturteltaube (Streptopelia orientalis), an.
Sie ist ein ausgeprägter Langstreckenzieher und verbringt den Winter im Savannengürtel südlich der Sahara. Der Wegzug ins Winterquartier beginnt ab Mitte August. Ab Mitte April/Anfang Mai erscheinen Turteltauben wieder in ihren Brutgebieten.
Verbreitung in Deutschland und Sachsen-Anhalt
Abseits der Alpen und des Alpenvorlands und außerhalb der großen städtischen Ballungsräume ist die Turteltaube in Deutschland nahezu flächendeckend verbreitet. In Schleswig-Holstein ist die Verbreitung in der Nähe der nördlichen Arealgrenze bereits ausgedünnt.
Bei einer bundesweiten Brutvogel-Atlaskartierung in den Jahren 2005 bis 2009 wurde die Art auf 68 Prozent aller untersuchten Flächen festgestellt. Der dabei ermittelte Gesamtbestand lag bei 25.000 bis 45.000 Revieren. Die westliche Altmark und das angrenzende Wendland sowie die Mittelgebirgsregion in Rheinhessen erwiesen sich dabei als Dichtezentren.
In Sachsen-Anhalt zeigte die Kartierung noch eine flächendeckende Verbreitung. Als deutlicher Schwerpunkt zeichnete sich die westliche Altmark ab. Auch im nördlichen Harzvorland gab es besonders stark besiedelte Flächen. Nach Meldungen im Portal www.ornitho.de hat sich die Situation seitdem deutlich verschlechtert und die Verbreitung insbesondere im Nordteil des Landes bereits ausgedünnt.
Lebensraum
In Mitteleuropa ist die Turteltaube Bewohnerin der halboffenen Kulturlandschaft, in der sie insbesondere lichte Wälder, u. a. Auenwälder, Waldränder und -lichtungen, Feldgehölze und reich strukturierte Agrarlandschaft mit Hecken, Einzelbäumen oder Streuobstwiesen nutzt. Vielfach werden auch Truppenübungsplätze und die Bergbaufolgelandschaft besiedelt.
Brutbiologie
Bald nach Ankunft in den Brutgebieten und der Balz beginnt ab Mai das Brutgeschäft. Das Weibchen baut das taubentypisch spärliche Nest im Geäst von Bäumen oder Büschen, in das es zwei weiße Eier legt. Diese werden 13 bis 16 Tage bebrütet. Die Jungvögel werden für 18 bis 23 Tage von beiden Altvögeln im Nest betreut. Anfangs werden die noch nicht befiederten Jungen intensiv gehudert. Die Jungvögel werden mit Kropfmilch gefüttert, einer sehr fett- und eiweißhaltigen Substanz aus von der obersten Hautschicht des Kropfes abgestoßenen Epithelzellen. Die jungen Tauben schieben ihren Schnabel in den Schlund der Eltern und nehmen die Nahrung dort auf. Unter günstigen Bedingungen können Turteltauben 2 bis 3 Bruten je Saison zeitigen.
Ernährung
Turteltauben suchen ihre nahezu vollständig vegetarische Nahrung fast ausschließlich am Boden, wo sie verschiedene Samen und Pflanzenteile aufnehmen. Das Nahrungsspektrum umfasst neben Samen von Gräsern, verschiedenen Wildkräutern und Baumarten auch Getreidekörner, Sonnenblumenkerne und Rapssamen. Auch Beeren, Pilze, Knospen und manchmal auch Insekten und Schnecken werden gefressen. Der Rückgang vieler Ackerwildkräuter führte offensichtlich zu einer Nahrungsumstellung. Während in den 1960er Jahren der Anteil von Samen von Kulturpflanzen bei unter 10 Prozent lag, machen diese nun über die Hälfte der Nahrung aus.
Wanderungen
Die Turteltaube ist unter den heimischen Taubenarten der einzige ausgeprägte Langstreckenzieher. Über den Zug zwischen den Brutgebieten und den Winterquartieren war lange Zeit nur wenig auf Basis von Beobachtungen und einzelnen Ringfunden bekannt. Der starke Rückgang der Art initiierte in den vergangenen Jahren intensivere Forschungsprojekte, bei denen auch einige Vögel mit 5 Gramm schweren Satellitensendern versehen wurden. Diese zeigten drei verschiedene Zugrouten der europäischen Brutvögel, einen westlichen Zugweg über Spanien, einen zentralen über Italien und Malta, sowie einen östlichen über Bulgarien und Griechenland.
Auf dem Zug können die Tauben bei Geschwindigkeiten von bis zu 60 km/h bis zu 700 km im Nonstop-Flug zurücklegen. Diese Leistung erfordert aber auch Rastzeiten, in denen die Tauben ungestört ruhen sowie Nahrung und Wasser aufnehmen können.
Das Überwinterungsgebiet selbst erstreckt sich in einem schmalen Streifen südlich der Sahara in der Savannenzone quer durch Afrika. Hier sind oft große Ansammlungen von Turteltauben in der Nähe der großen Flüsse wie Senegal- oder Gambia-River zu beobachten. Wie in den Brutgebieten, zeigen Turteltauben offenbar auch in den Winterquartieren eine gewisse Ortstreue, kehren also wieder in das einmal gewählte Überwinterungsgebiet zurück. Den Zug von mit Satellitensendern versehenen Turteltauben kann man unter https://blogs.nabu.de/zugvoegel/ verfolgen.
Gefährdung und Schutz
In früherer Zeit war die Turteltaube ein „Allerweltsvogel“ in der Kulturlandschaft. Seit den 1970er, verstärkt den 1990er Jahren ist ein dramatischer europaweiter Rückgang zu verzeichnen. Das Europäische Brutvogelmonitoring belegt für den Zeitraum ab 1980 einen europaweiten Rückgang des Bestandes um 80 Prozent. In einigen Ländern gehört die Turteltaube damit gemeinsam mit Rebhuhn und Bluthänfling zu den Arten mit den stärksten Rückgangsraten überhaupt, in Großbritannien nahm sie um 94 Prozent ab!
In Deutschland ist die Situation nicht anders. Hier zeigen sich ebenfalls gravierende Rückgänge. In den Jahren 2005 bis 2009 wurden noch 25.000 bis 45.000 Reviere geschätzt, nachdem es wenige Jahre zuvor noch 51.000 bis 77.000 Reviere waren. Die jüngste Schätzung für den Zeitraum um 2016 geht von 12.500 bis 22.000 Revieren der Turteltaube in Deutschland aus, was einer weiteren Halbierung des Bestandes in weniger als 10 Jahren entspricht. Auch das Verbreitungsgebiet scheint sich mittlerweile auszudünnen.
In Sachsen-Anhalt ist die Entwicklung ähnlich. Für 1999 und 2005 wurden 10.000 bis 15.000 Reviere geschätzt, für 2010 5.000 bis 10.000 und für 2015 3.000 bis 6.000. Folgerichtig musste die Turteltaube in der aktuellen Roten Liste Sachsen-Anhalts als „stark gefährdet“ eingestuft werden, während sie auf den Vorgängerlisten noch nicht vertreten war.
Die Ursachen für den gravierenden Rückgang sind vielfältig. Entscheidend sind der Verlust und die Entwertung von Lebensräumen durch die immer intensivere agrarische Landnutzung. Dies betrifft sowohl die Brutgebiete, als auch Rast- und Überwinterungsräume. In den Brutgebieten reduziert insbesondere der flächige Rückgang von Ackerwildkräutern durch den intensiven Einsatz von Herbiziden und das weitgehende Verschwinden unbewirtschafteter Brachen, Acker- und Wegränder das Nahrungsangebot für die Turteltaube erheblich. Wie stark der Mangel an Wildkräutern wirkt, zeigt eine Studie aus Großbritannien, in der nachgewiesen wurde, dass die Kondition nestjunger Turteltauben mit sinkendem Wildkrautanteil in der Nahrung abnahm. In den Winterquartieren werden wichtige Lebensräume der Turteltaube in der Baumsavanne u. a. für die Gewinnung von Feuerholz und Holzkohle vernichtet.
Daneben haben die illegale und legale Bejagung der Turteltaube einen großen Einfluss auf die Bestandsentwicklung. Trotz des europaweit gravierenden Rückgangs der Turteltaube, wird sie in vielen Ländern der Mittelmeerregion weiterhin sehr stark bejagt. Insbesondere in Spanien, Italien und vor allem auf Malta hat die Jagd immense Ausmaße. So werden allein auf Malta mit Genehmigung der EU jährlich im Frühling innerhalb von zwei Wochen etwa 20.000 Turteltauben getötet. Malta setzt damit für sich seit Jahren eine Ausnahmeregelung der EU-Vogelschutzrichtlinie durch, die eine Frühjahrsjagd auf Zugvögel eigentlich untersagt. Für den gesamten Mittelmeerraum werden jährliche Abschusszahlen von 2 bis 3 Millionen Turteltauben geschätzt.
Ein in den letzten Jahren erarbeiteter europaweiter Aktionsplan soll den weiteren Rückgang der Turteltaube aufhalten. Um dieses Ziel zu erreichen, ist dessen schnelle Umsetzung in allen EU-Staaten wichtig. Dazu sind umfangreiche Maßnahmen zur Extensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung und zur Einrichtung von Vorrangflächen für den Naturschutz sowie eine Unterbindung der bislang legalen und der illegalen Bejagung dringend erforderlich.
Beobachtungsmöglichkeiten
Möglichkeiten zur Beobachtung ergeben sich aufgrund des Rückgangs der Art in Sachsen-Anhalt leider nur noch recht lokal. Selbst aktiven Vogelbeobachtern gelingt es mittlerweile nicht mehr jährlich, auch nur eine Turteltaube zu finden. Im Süden Sachsen-Anhalts scheinen derzeit die Aussichten besser zu sein. Besonders ab der zweiten Maihälfte bis in den Juli hinein sind dort aus Feldgehölzen oder von Waldrändern die charakteristischen Balzrufe der Tauber „turrr-turrr“ zu vernehmen. Nicht immer wird es einem gelingen, die Turteltauben dann auch im dichten Geäst zu entdecken.
In Kiesgruben oder an Tagebaugewässern kann man Turteltauben im Sommer bei der Aufnahme von Magensteinchen, die der Zerkleinerung der Samennahrung im Magen dienen, und beim Trinken beobachten. Beim Trinken verhalten sich Tauben anders als die meisten anderen Vogelarten. Sie saugen größere Mengen Wasser bei eingetauchtem Schnabel ein.
Literatur
Gedeon, K. et al. (2015): Atlas deutscher Brutvogelarten. SVD & DDA, Münster. 800 S.
Gerlach, B. et al. (2019): Vögel in Deutschland – Übersichten zur Bestandssituation. DDA, BfN, LAG VSW, Münster.
Neuling, E. et al. (2020): Die Turteltaube – Vogel des Jahres 2020.
Quillfeldt, P. et al. (2019): Immer seltener zu beobachten. Die Turteltaube. Falke 66(10): 8–14.