Friedrich August Ritter.
Baumeister und Denkmalpfleger
Martin Beitz | Ausgabe 4-2020 | Geschichte
Im Jahr 2020 jährt sich der Geburtstag von Friedrich August Ritter (1795 – 1869) zum 225. Mal. Dies ist Anlass genug, seine Bedeutung für die Architektur Sachsen-Anhalts kurz zu betrachten. Ritter wurde 1842 Landbaumeister in Merseburg und starb dort fast drei Jahrzehnte später. Merseburg war seit dem Wiener Kongress (1815) preußisch und Hauptort des gleichnamigen Regierungsbezirkes, der den heutigen Burgenlandkreis, den Saalekreis, den Landkreis Mansfeld-Südharz und den Kreis Wittenberg in Sachsen-Anhalt sowie angrenzende Gebiete der heutigen Landkreise Nordsachsen, Elbe-Elster und des Kyffhäuserkreises umfasste. Dies entspricht Ritters Wirkungsgebiet, in dem er trotz knapper Mittel einige bedeutsame Bauwerke hinterließ.
Ritter wuchs nach der Scheidung der Eltern im Jahr 1801 bei seinem Vater, fünf weitere Jahre nach dessen Tod bei seiner Großmutter auf. Er studierte von 1812 bis 1814 Forstwissenschaft und Mathematik in Dreißigacker (Thüringen), legte das Oberförsterexamen ab und begann den Militärdienst. Bereits nach zwei Monaten nahm er an der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni 1815 teil. Da Veteranen mit mehr Kriegserfahrung bevorzugt behandelt wurden, verlagerte Ritter sein Berufsfeld, wurde Feldvermesser und Straßenbaukondukteur und entschied sich schließlich 1819 für ein Studium an der Bauakademie Berlin. Zwei Jahre später legte er das Architektur-Examen ab und wurde Landbauinspektor in Arnsberg (Nordrhein-Westfalen), wo er u. a. eine Vorstadt plante. Ab Jahr 1833 wirkte er in Münster, wo er einige Bauprojekte umsetzte, und ab dem 1. Januar 1842 in Merseburg, wo er zwei Jahre später zum Regierungsbaurat befördert wurde und die Aufsicht über das Baugeschehen im Regierungsbezirk Merseburg erhielt.
Wie viele Bauwerke tatsächlich von ihm stammen, ist schwer zu ermitteln, da er häufig am Prozess beteiligt war, ohne den konkreten Entwurf selbst zu liefern. Vor fast 30 Jahren erstellte Axel Wippermann einen Katalog seiner Bauten. Selbst ihm fiel es schwer, jene Bauten exakt zu identifizieren und zuzuordnen, die er zum Teil nur in Ritters Lebenserinnerungen erwähnt fand. So ist nicht gesichert, welche der mittelalterlichen Kirchen in Sangerhausen Ritter saniert hat. Beim Denkmal für die Schlacht bei Roßbach (Saalekreis) oder bei der Restaurierung des Lutherhauses in Wittenberg hatte er nur die Bauleitung inne, ohne dass der Entwurf von ihm selbst stammte. Beim Neubau der Kirche von Siebigerode (Lk Mansfeld-Südharz) war er lediglich beratend beteiligt.
Ritter war wohl ein schwieriger Mensch. So ist vom Wiederaufbau des Kirchturms von Schlieben (Lk Elbe-Elster) überliefert, dass er einen gotischen Neubau vorschlug, nachdem der Turm 1856 durch einen Blitzeinschlag beschädigt wurde und einstürzte. Seine Auftraggeber bestanden auf der Wiederherstellung des Turmes in seiner bisherigen Renaissanceform, was Ritter nicht nur verweigerte, sondern sogar damit drohte, einen entsprechenden Entwurf durch einen anderen Baumeister in der Revision abzulehnen. Nur mit viel Mühe konnte sechs Jahre später ein – neugotischer – Kompromiss fertiggestellt werden. Was ihn zu dieser Erpressung greifen ließ, ist nicht überliefert.
Auch bei anderen Projekten kam es zum Stilstreit. Bei der Restaurierung der Klosterkapelle in Sittichenbach (Lk MSH) in den Jahren 1844/1845 wollte Ritter Reste von Mittelsäulen bei den Fenstern nicht anerkennen und ließ sie im Entwurf weg. Nach seiner Meinung handelte sich um spätere Zugaben. Die Oberbaudirektion war selbst unsicher. Ein beauftragter Kunsthistoriker kam zu dem Schluss, dass die Mittelsäulen typisch seien, da man sie so auch an zeitgleichen Bauten in Naumburg und Schulpforte findet. Seine denkmalpflegerischen Aktivitäten sind demnach durchaus kritisch zu betrachten und, wie im Fall des vermuteten Sterbehauses von Martin Luther in Eisleben, umstritten, da er nach eigenem Empfinden vervollständigte, was nicht mehr bekannt war. In der für Trebitz bei Lebendorf von Bauinspektor Francke 1850 entworfenen neugotischen Abwandlung eines Musterentwurfs von August Soller (1805 – 1853) beseitigte Ritter in seiner Revision alle gotischen Details und es entstand eine romanisierende Variante nach seinem Willen.
Auch von seinem Untergebenen, dem Bauinspektor Schulze (Halle), der u. a. die Kirche von Gimritz (Saalekreis) entwarf, ist eine Beschwerde aus dem Jahr 1848 überliefert. Mit Schulze geriet er wohl häufiger in Streit, denn 1851 notierte er, dass er bei mehreren Bauprojekten in Halle Entwürfe gezeichnet habe, mit denen er jenem beweisen wollte, dass man diese „zweckmäßiger“ entwerfen könne. Stolz ergänzt er, dass er diese dann als Konkurrenz bei der Oberbaudirektion einreichte und Recht bekam. Die Gimritzer Kirche schreibt er sich in seinen Notizen selbst zu, sie sei „größtenteils nach meinen Revisionsänderungen ausgeführt“. Der Abgleich durch Wippermann ergab, dass es sich um einen Entwurf Schulzes aus dem Jahr 1843 handelt, bei dem Ritter lediglich „unbedeutende Änderungen“ vornahm. Die einzige bedeutendere Änderung betraf die Ecktürmchen. Wessen Schuld diese Konflikte waren, lässt sich schwer klären. Ritter schreibt in seinen Lebenserinnerungen, dass seine Bauinspektoren ihm teils absichtlich Steine in den Weg legten.
Zu Ritters wichtigsten Aufträgen zählt zweifelsohne die Wiedererrichtung der Stiftskirche auf dem Petersberg bei Halle in den Jahren 1853 bis 1857, für die er hart kämpfte, sowie die Sanierung der Doppelkapellen in Landsberg im Saalekreis und in der Neuenburg bei Freyburg (Unstrut) im Burgenlandkreis. Auch das Aussehen der Burgkirche in Querfurt, der Stadtkirche von Freyburg oder des Klosters Schulpforte hat er mitgeprägt. Er sanierte die Kirche von Herzberg (Elster) und baute die Domäne Haus Zeitz (Salzlandkreis), das Schloss Merseburg und das Schloss Delitzsch je für neue Nutzungen (Bildungsanstalt, Regierungssitz bzw. Frauengefängnis) um.
Seine Liebe für die mittelalterliche Architektur, die sich wohl schon während des Krieges gegen Frankreich entwickelte, als er die Bauten von Paris erkundete, wirkte sich auch maßgeblich auf seine Neubauten aus, die zumeist auf die romanische Architektur zurückgreifen. Dennoch ist ein neugotischer Turmbau sein einprägsamstes Werk geworden: der Turm der Stadtkirche von Kemberg (Lk Wittenberg), den der Dehio „eines der Hauptwerke neugotischer Sakralarchitektur in Sachsen-Anhalt“ nennt, das „als Landmarke die gesamte Elbaue zwischen Wittenberg und Dübener Heide“ überragt. Auch der Kirchturm im nahen Gräfenhainichen stammt von Ritter. Zwischen beiden Türmen liegt ein ganzes Jahrzehnt (begonnen 1856 bzw. 1866), in dem er im Raum Wittenberg besonders aktiv war. In dieser Zeit entstanden auch die fast baugleichen, turmlosen Kirchen von Dietrichsdorf (Zahna) und Trajuhn (Wittenberg), die je 1862 bis 1864 erbaut wurden. Solche Doppelschöpfungen waren durchaus typisch für das 19. Jahrhundert und dem wachsenden Bedarf geschuldet.
Als Ritter in den Jahren 1848 und 1849 an der Kirche von Klebitz (Lk Wittenberg) arbeitete, hatte er prominente Mithilfe. König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795 – 1861), der dieses Gotteshaus durch ein bewilligtes Gnadengesuch der mittellosen Gemeinde überhaupt erst ermöglicht hatte, griff persönlich ein und machte Korrekturen am ursprünglichen Entwurf von Maurermeister Dalichow aus Jüterbog. Insbesondere die Dachgestalt erschien ihm zu karg und wünschte sich für den Turm drei Dachtürmchen. Ritter berücksichtige die Wünsche des Königs und ergänzte lediglich zwei Fenster.
Von Ritter stammen auch die Kirchenneubauten von Donndorf, Haardorf (je Burgenlandkreis), Halle (Anstaltskirche) und Buckau (Brandenburg) sowie die turmlose, neugotische Geistkirche in Querfurt, die 1848 bis 1850 erbaut wurde. Neben dieser entstand zeitgleich ein Hospital nach seinen Entwürfen, sechs Jahre später folgte das Hospital von Löbejün (je Saalekreis) und wenig später auch das in Delitzsch (Lk Nordsachsen). Doch auch öffentliche Bauten stammen von ihm: Im heutigen Landkreis Mansfeld-Südharz wurden zwei Schul-Neubauten (Edersleben, Oberröblingen/Helme) nach seinen Typenentwürfen erbaut, weitere Schulen von ihm befinden sich in Dieskau (Saalekreis) und Brandenburg (Herzberg/Elster; Ortrand). Auch die Schule von Freyburg (Unstrut) wird ihm zugeschrieben. Wesentlich markanter geriet der Schlossneubau in Mansfeld, wo das Schloss Vorderort tiefgreifend umgebaut wurde und dabei u. a. eine markante Turmaufstockung erhielt. Auch das Rathaus von Bitterfeld gehört zu den herausragenden Bauten Ritters und prägt das Marktplatzensemble entscheidend mit. Wenig bekannt ist hingegen von seinem Rathausbau in Jessen (Lk Wittenberg), der später verändert wurde.
Immer wieder wirkte er für den König selbst oder besprach mit ihm persönlich Pläne. Stolz berichtet er, wie er ihm Schulpforte und Freyburg vorführte oder wie er das Schloss Merseburg und den Schlossgartensalon für ihn herrichtete. Auch seine Vorgesetzten von der Oberbaudirektion schätzten und förderten ihn. So soll Soller die Kirche von Donndorf als „eine der großartigsten des preußischen Staates“ bezeichnet haben. Auch vom Lob durch Friedrich August Stüler (1800-1865) schreibt Ritter in seinen Lebenserinnerungen.
Zusammenfassend kann man sagen: Die Neuenburg bei Freyburg sowie die Stiftskirche auf dem Petersberg wären ohne Ritters denkmalpflegerisches Bestreben wohl nicht wieder hergerichtet worden. Er schuf neue Landmarken wie die Kirchtürme von Kemberg und Gräfenhainichen oder das Rathaus von Bitterfeld. Als Baumeister des Historismus steht er im heutigen Sachsen-Anhalt zwischen den frühen Anfängen im 18. Jahrhundert durch Friedrich Wilhelm Freiherr von Erdmannsdorff (1736 – 1800) und Carlo Ignazio Pozzi (1766 - 1842), die das Dessau-Wörlitzer Gartenreich prägten, und der großen Welle am Ende des 19. Jahrhunderts. Er entwickelte keinen unverkennbar eigenen Stil, sondern passte sich, oft notgedrungen, den Wünschen seiner Auftraggeber an. Vielleicht erklärt das, wieso er immer wieder auf seiner Ansicht beharrte und weshalb er versuchte, mit Musterentwürfen für Schulen und Kirchen eigene Vorstellungen zu etablieren.