Grundlagenkurse für Engagierte in den Bereichen Ortschronik und Heimatforschung
Martin Müller, John Palatini | Ausgabe 3-2021 | Bürgerschaftliches Engagement
Ortschronistinnen und Heimatforscher arbeiten ‚an der Basis‘. Sie halten die lokalen Begebenheiten in ihren Orten für nachfolgende Generationen fest und tragen Informationen über vergangene Ereignisse zusammen. Sie recherchieren in Archiven, legen eigene Archive an und vermitteln ihre Ergebnisse anhand von Chroniken, Texten zur Heimatgeschichte und Ausstellungen. Ihre Forschungen zur lokalen und regionalen Vergangenheit stellen auch vor Ort ein Identifikationsangebot dar und bilden zugleich die Grundlage für weitere Forschungen. Die für die Allgemeinheit so wertvolle Arbeit von Heimatforscherinnen und Heimatforschern ist eine Form des langfristigen Engagements für die Gesellschaft, das sich oft über Jahrzehnte erstreckt und höchste Wertschätzung verdient.
Umso wichtiger ist es, Ortschronistinnen und Heimatforscher für ihre Tätigkeit Möglichkeiten zur Qualifizierung und Weiterbildung zu unterbreiten. Dazu zählen insbesondere die Vermittlung wissenschaftlicher Arbeitsweisen sowie die Schulung im Umgang mit geeigneten Hilfsmitteln und Programmen. Mit dem Ziel, ein solches Qualifizierungsangebot zu etablieren, wurde 2019 das vom Land Sachsen-Anhalt geförderte Projekt „Heimatforscher. Die Qualifizierung von Engagierten in den Bereichen Ortschronik und Heimatgeschichte stärken, ihre Arbeitsbedingungen verbessern und Nachwuchs gewinnen“ begonnen.[1] In Kooperation mit dem Historischen Datenzentrum der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg konnten durch den Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e. V. mittlerweile drei umfangreiche Grundlagenkurse angeboten werden. Insgesamt nahmen 81 – zumeist ehrenamtliche – Ortschronistinnen und Heimatforscher an diesen Kursen teil, darunter 31 Frauen.Die Grundlagenkurse gliederten sich in 12 Themenschwerpunkte, denen ihrerseits je vier Module zugeordnet waren. In Modul 1 wurden unter der Überschrift „Suchen und Finden“ Grundlagen des Recherchierens u. a. in Archiven und Bibliotheken vermittelt. Modul 2 („Zitieren und Verwenden“) fokussierte auf die Arbeit mit Quellen und Literatur, während in Modul 3 („Sammeln und Aufbewahren“) analoge und digitale Methoden der Materialsammlung vorgestellt wurden. Kreative Aspekte, u. a. das Schreiben von Texten und das Entwickeln von Ausstellungen, standen in Modul 4 („Publizieren, Veröffentlichen und Vermitteln“) im Vordergrund. Abgeschlossen wurden die Kurse schließlich durch eine kleine schriftliche Arbeit auf freiwilliger Basis, in der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein persönliches Forschungsgebiet vorstellen und die vermittelten Lehrangebote anwenden sollten.
Aufgrund der weltweiten Coronapandemie fanden die Kurse I und II teilweise, Kurs III vollständig online statt. Wie sich herausstellen sollte, brachte diese unerwartete Situation Vor- und Nachteile mit sich, die für zukünftige Grundlagenkurse in Betracht zu ziehen sind. Als Vorteil des digitalen Formats erwies sich, dass Interessenten aus allen Teilen Sachsen-Anhalts erreicht wurden, die sich zu den wöchentlichen Treffen ohne zeit- und kostenintensive Anreisewege zuschalten konnten. Es dürfte sicherlich damit in Zusammenhang stehen, dass der vollständig digital angebotene Kurs III die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer verzeichnete. Ganz im Sinne des Anspruchs auf einen progressiven Umgang mit digitalen Inhalten konnten durch die Online-Angebote auch digitale Kompetenzen in der wöchentlichen Praxis vermittelt werden. Dank der Online-Kurse war es weiterhin problemlos möglich, mit Marina Lemaire eine Expertin der Universität Trier für digitale Forschungsmethoden in den Kurs zu integrieren. Zum ursprünglichen Konzept hatte es gehört, die Veranstaltungen an verschiedenen Orten, darunter Museen, Archive und Bibliotheken, durchzuführen und neben der Vermittlung der genannten Inhalte immer auch diese Einrichtungen kennenzulernen und im Rahmen der persönlichen Begegnung die Vernetzung der Engagierten untereinander zu ermöglichen. Von manchen Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern wurde es entsprechend bedauert, dass die persönliche Begegnung fehlte und die Arbeit am Objekt im virtuellen Format nicht immer möglich war. Gelegenheiten zum persönlichen Austausch sollen deshalb nachträglich angeboten werden.
Die Evaluierung der Kurse erbrachte überaus positive Ergebnisse. Fast alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer empfanden die angebotenen Seminarinhalte als wertvolle Bereicherung für ihre Arbeit, weshalb sie den Kurs auch weiterempfehlen würden bzw. bereits weiterempfohlen haben. Groß war zudem der Wunsch nach einer Fortführung der Qualifizierungsangebote sowie nach Möglichkeiten zur Vertiefung und Anwendung der erworbenen Kompetenzen. Ein weiteres Ziel des Heimatforscher-Projektes war die Etablierung eines „Tages der Heimatforschung“ als zentralem, jährlich stattfindenden Vernetzungstreffen der Heimatforscherinnen und Ortschronisten Sachsen-Anhalts. In Folge der Coronapandemie hatte diese Veranstaltung 2020 jedoch entfallen müssen und konnte auch in diesem Jahr nur in modifizierter Form durchgeführt werden. Umso erfreulicher war es deshalb, dass der „Tag der Heimatforschung“ bei seiner Premiere am 29. Mai 2021 im Palais am Fürstenwall, dem Sitz der Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt, stattfand und die Absolventinnen und Absolventen des ersten Grundlagenkurses im Mittelpunkt standen. In seinem Grußwort dankte der Chef der Staatskanzlei und Minister für Kultur Rainer Robra den Ortschronistinnen und -chronisten für ihr Engagement und würdigte ihre Arbeit als „Bereicherung für unser Land und die Erforschung seiner vielfältigen Geschichte.“ Der Minister betonte die Notwendigkeit der Vernetzung und des Erfahrungsaustauschs zwischen den unterschiedlichen Akteuren der Landesgeschichte, wozu der „Tag der Heimatforschung“ künftig beitragen möge: „Der regelmäßige Gedankenaustausch, die Weitergabe von Informationen und die gegenseitige Hilfestellung bei allen Fragen und Problemen, die sich im Zusammenhang mit der Aufarbeitung von Lokal- und Regionalgeschichte ergeben, sind unerlässlich.“
Dr. Katrin Moeller, Leiterin des Historischen Datenzentrums an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, sprach im Anschluss über „Heimatforschung 2.0 – oder: Das Potential der Kooperation von Bürgerwissenschaft und Wissenschaft im Digitalen“. Was auch im Heimatforscher-Projekt bereits mitgedacht wird, wurde von ihr noch einmal unterstrichen: Die stärkere Einbeziehung der ehrenamtlichen Forscherinnen und Forscher in universitäre Projekte ist gleichermaßen Chance und künftige Aufgabe. Dr. Michael Hecht, Leiter des neugegründeten Instituts für Landesgeschichte am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, sprach im Anschluss „Zum Verhältnis von Landes- und Heimatgeschichte“. Deutlich wurde durch seinen Vortrag, dass die Fragestellungen von Landes- und Heimatgeschichte aufeinander bezogen sind, weshalb die Ergebnisse der ehrenamtlich tätigen Ortschronistinnen und Heimatforscher für die professionalisierte Landesgeschichtsschreibung einen erheblichen Wert darstellen, wie auch die Ortschronistinnen und Heimatforscher von künftigen Ergebnissen des Instituts profitieren werden.
Zum Abschluss wurden die Zertifikate an die Absolventinnen und Absolventen des ersten Grundlagenkurses durch den Minister für Kultur, Rainer Robra, und den Vizepräsidenten des Landesheimatbundes, Prof. Dr. Dr. Uwe Wolfradt, überreicht.
Neben dem dankenswerten Einsatz aller Engagierten und der Vertreterinnen und Vertreter der kooperierenden Institutionen hat die Coronapandemie das Heimatforscher-Projekt des LHB nicht unwesentlich geprägt – und das nicht zuletzt auch zum Guten! Wichtige, so nicht kalkulierte Erfahrungen im Umgang mit den digitalen Möglichkeiten des Forschens und Zusammenarbeitens werden auch bei künftigen Grundlagenkursen und Heimatforschertagen eine wichtige Rolle spielen.
[1] Vgl. John Palatini und Christian Marlow: Das „Heimatforschernetz Sachsen-Anhalt“ unter dem Dach des Landesheimatbundes, in: Sachsen-Anhalt-Journal 31 (2021), H. 1, S. 2f.