Heimatmuseum als Ankerpunkt

Interview mit Dr. Jochen Alexander Hofmann, Leiter des Freilichtmuseums Diesdorf

von Christine Schlott und Bruno Öhrig | Ausgabe 3-2018 | Interview | Volkskunde

Vergodendeel 2018 - Mähbinder. © Freilichtmuseum Diesdorf
Vergodendeel 2018 - Dährer Heimatinteressierte. © Freilichtmuseum Diesdorf
Dr. Jochen Alexander Hofmann im Bauerngarten. © Matthias Behne, behnelux.de

Das Freilichtmuseum Diesdorf scheint bei den Besuchern sehr beliebt zu sein.

In der Tat, wir haben pro Jahr etwa 20.000 Besucher. Davon kommen zwei Drittel in der Saison von April bis Oktober. Wir haben ein dichtes Veranstaltungsprogramm mit Museumsfesten und Aktionstagen, Konzerten und Theateraufführungen. Wir verstehen uns also durchaus als abwechslungsreiche Kultureinrichtung im Ländlichen Raum.

Wichtig ist auch der Historische Weihnachtsmarkt, den wir seit 15 Jahren immer am 3. Adventswochenende veranstalten. Es ist dann wirklich sehr stimmungsvoll im Museumsgelände: die Beleuchtung, die Stände in und vor den Häusern, Musik und der Duft weihnachtlicher Spezialitäten… An den zwei Tagen allein kommen bis zu 8.000 Besucher.

Was macht das Museum für Besucher so attraktiv?

Das Lebendige, das unmittelbare Erleben, wie man früher etwas gemacht hat, das fasziniert die Besucher: Schmieden, Strohseile binden, Schulstunden mit dem Dorflehrer. Lebendige Vermittlung ist das beste Konzept im Museum, das können weder Tafeln noch Audioguides ersetzen. Deshalb haben wir viele historische Vorführungen, an den Museumsfesten, aber auch an fast allen Sonntagen.

Die Besucher sollen möglichst mit allen Sinnen in die Vergangenheit eintauchen können. Das versuchen wir auch mit unserem neuen Format „Lebendige Geschichte um 1900“, das wir gemeinsam mit der Gruppe „Des Kaisers alte Kleider…“ ins Leben gerufen haben. Die Mitglieder der Gruppe beleben zu Pfingsten vier Häuser so originalgetreu wie möglich. Und die Besucher dürfen mitmachen.

Wie begegnen Sie der Gefahr, dass das doch oft schwere Leben der Menschen in der Vergangenheit durch diese Aktionen verklärt werden könnte?

Das Eintauchen in historische Lebenswelten muss ja nicht unkritisch oder nostalgisch verklärend sein. In unserem letzten Spielset an Pfingsten ging es um den Sommer 1915 auf dem Lande. Da brachte der Briefträger eben auch die Nachricht von gefallenen Söhnen an der Front. Es wurden die Nöte der ländlichen Unterschichten aufgegriffen, die sich mit der Produktion von Mäusefallen über Wasser halten musste, oder, dass sogar auf dem Land die Lebensmittel knapp wurden und man sich mit Notrezepten behelfen musste. Früher war also beileibe nicht „alles besser“.

Ich denke allerdings auch, dass Nostalgie nichts grundsätzlich Verkehrtes ist. Es ist ja eher ein positives Gefühl, eine positive Verankerung in der Geschichte. Das muss bei aller kritischen Haltung auch möglich sein. Und das Interesse an der eigenen Vergangenheit ist immer gut; denn auch der Blick zurück erweitert den Horizont!

Wie schaffen Sie und Ihre Kollegen es, so viele verschiedene Angebote zu machen?

Nur mit dem Kernteam wäre das in der Tat kaum möglich. Aber es gibt zum Glück zahlreiche Hände, die uns bei Veranstaltungen, in der Museumspädagogik und der Pflege des Geländes unterstützen.

Eine ganz wichtige Stütze sind die „Heimatinteressierten“ aus Dähre, einem Nachbarort. Seit gut 15 Jahren zeigen sie in historischer Kleidung und mit alter Technik die „Ernte wie früher“.

Dazu haben wir drei Veranstaltungen. Zuerst „Schaumähen und Vergodendeel, also die Getreideernte mit der Sense und frühen Mähbindern. Nach der Arbeit folgt das Vergodendeel, mit Essen, Trinken und dem Tanz um die letzte Garbe. Dann kommt die „Kartoffelernte“, die Dährer lesen die im Museum angebauten Kartoffeln aus, mit der Hand und mit verschiedenen Geräten. Und beim „Altmärkischen Erntefest“ am 3. Oktober wird gedroschen – mit Dreschschlegel, Windfege und alten Dreschmaschinen. Ohne diese große Unterstützung – es sind zum Teil 40 Frauen und Männer im Einsatz – gäbe es diese Veranstaltungen nicht!

Die Besucher können bei den Erntevorführungen auch mitmachen. Sie sind immer aufgerufen, mal eine Sense in die Hand zu nehmen, oder beim Kartoffelauslesen zu helfen. Besonders dankbar sind wir dafür, dass die „Dährer“ im Museum das Getreide und die Kartoffeln auch anbauen, um im Sommer ernten zu können. Wir haben ja keinen eigenen Landwirt, und könnten selbst die Felder gar nicht bestellen. Und sie haben Freude daran. Das ist Ehrenamt, wie es im Buche steht!

Bei den Veranstaltungen und in der Museumspädagogik unterstützen uns zudem etwa ein Dutzend Männer und Frauen – meist Ruheständler – die nicht ehrenamtlich tätig, sondern als kurzfristig Beschäftigte in der Saison angestellt sind. Sie übernehmen vor allem die praktische museumspädagogische Arbeit, d.h. führen Aktionen mit Schulklassen und Kindergruppen durch, „Waschtag vor 100 Jahren“ oder „Vom Korn zum Brot“.

Auch unsere Bauerngärten werden von kurzfristig Beschäftigten gepflegt. Wir bauen darin regionaltypische und alte Sorten an. Daneben gibt es auch Obstgärten sowie einen Feldgarten mit Sonderkulturen wie dem Hopfen. Bei der Pflege des Museumsgeländes unterstützen uns außerdem noch Personen, die über Arbeitsgelegenheitsmaßnahmen hier beschäftigt sind – sie mähen, harken, schneiden Hecken zurück, Graben die Beete um, und so weiter.

Grundsätzlich versuchen wir, unterschiedliche Interessensgruppen im Ländlichen Raum ans Museum zu binden. Sie sollen es durchaus als ihr Museum verstehen, in dem sie sich einbringen können. Besonders erfolgreich ist etwa die Zusammenarbeit mit dem Imkerverein aus Beetzendorf. Die Imker betreuen seit zwei Jahren Völker in einem originalen Bienenhaus von 1930, und Anfang Juli veranstalten wir gemeinsam einen Imkertag, der sehr gut angenommen wird. Sehr engagiert sind etwa auch die örtlichen Jäger, die in den vergangenen Jahren einen Hubertustag im Museum organisiert haben.

Was meinen Sie, ist das Erfolgsgeheimnis des Museums?

Ich denke, die Vielseitigkeit. Die einen kommen zu den Erntevorführungen, die anderen zu den Kräuterkursen oder Konzerten. Wir versuchen, Interessenslagen aufzugreifen, verschiedene Akteure mitzunehmen. Wir wollen ein offenes Haus sein, ein Heimatmuseum im positiven Sinn, das Identifikationsmöglichkeiten mit der Region schafft und Beheimatung ermöglicht.

Werden die vielen Angebote des Museums von Schulklassen für ihren Unterricht genutzt?

Museumspädagogik ist natürlich eine unserer Hauptaufgaben, ein Museum ist ja auch ein außerschulischer Lernort. Es gibt ein abwechslungsreiches Angebot für Schulklassen und Kitas, mit altersgemäßen Angeboten. Bei „Korn zum Brot“ lernen Kinder z. B. etwas über Getreide, Dreschen, Mahlen und Backen. Beim „Waschtag vor 100 Jahren“ können sie unmittelbar erleben, wie beschwerlich früher die Hausarbeit war: Wasser holen, den Kessel auf den Herd setzen, mit dem Waschbrett schrubben, die Wäsche durch die Mangel drehen – das sind Lebenswirklichkeiten, die Kinder, und oft auch schon die Eltern, nicht mehr kennen. Besonders beliebt sind auch die „historischen Schulstunden“, die zwei pensionierte Lehrkräfte aus Diesdorf anbieten.

Gibt es Pläne für die Zukunft des Museums? Was werden Schwerpunkte Ihrer Arbeit sein?

Wir wollen unsere Bildungs- und Vermittlungsarbeit um den Bereich Ökopädagogik – „Grüne Bildung“ erweitern. Hier besteht eine gesellschaftliche Nachfrage, auf die wir entsprechend reagieren wollen. In anderen Freilichtmuseen hat sich das bereits erfolgreich etabliert; für uns werden in einem Förderprojekt gerade entsprechende Konzepte formuliert.

Die Ökopädagogik soll an einem neuen Garten, einem „Pfarrgarten“ andocken. Auch hierfür wird gerade ein Konzept erarbeitet. Dabei soll es u. a. um die Einführung neuer Kulturpflanzen – früher und heute gehen. Welche „Exoten“ könnten angesichts des Klimawandels bei uns heimisch werden, und in 100 Jahren vielleicht als „alte Sorten“ gelten?

Ein weiteres Projekt ist die Umsetzung einer Fachwerkkirche ins Museum. Zu einem altmärkischen Dorf gehört eigentlich auch eine Kirche. Außerdem wird bei uns das religiöse Leben auf dem Dorf noch kaum thematisiert, obwohl es bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg den Alltag entscheidend prägte.

Wo möchten Sie das Museum in zehn Jahren sehen?

Ich wünsche mir, dass wir eine erfolgreiche, vielfältige und abwechslungsreiche Kultureinrichtung im ländlichen Raum sind, dass wir uns breiter aufstellen im Bereich ökologischer Bildung im weitesten Sinne, und dass wir dabei unser museales Kerngeschäft weiterführen: das ist nach wie vor Sammeln, Bewahren, Erforschen, Ausstellen und Vermitteln von Sachzeugnissen der ländlichen Kultur der Altmark.

Nicht zuletzt: dass wir in den Herzen und Köpfen der Menschen hier in der Region als ihr Freilichtmuseum, als ihr – im positiven Sinne – Heimatmuseum verankert sind. Das wäre mein Ziel.