Milde-Biese-Aland: Der Fluss mit den drei Namen und die Altmark

Michael Belitz | Ausgabe 2-2021 | Lebendiges Kulturerbe

Ab dem Zusammenfluss von Milde und Unterer Milde (Voßfleete) trägt der Fluss den Namen Biese (Meßtischblatt 1753: Kalbe a.d. Milde; Sächsische Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden/Deutsche Fotothek

In seinen bekannten ‚Skizzen aus der Altmark‘ (1978) kam der 2019 verstorbene Magdeburger Schriftsteller Hanns H. F. Schmidt auch auf einen Fluss mit gleich drei Namen zu sprechen: „Der Fluß, der in Kalbe als Milde dem Fremden vorgestellt wird, erreicht die Kreisstadt Osterburg als Biese. Nach weiteren zehn Kilometern, in Seehausen, heißt er plötzlich Aland und fließt mit diesem Namen der Elbe zu. Einmal begann ich auf meinen Wanderungen in Beese eine Diskussion des Problems, ob ich noch am Ufer der Milde oder bereits an dem der Biese stehe. Als die ‚Ureinwohner‘ aber auch noch ständig mit den Namen Bäke und Flotte operierten und darüber selbst in Streit gerieten, gab ich in dieser Sache ein für alle Male meine Wißbegierde auf.“

Dass Oberlauf (Milde), Mittellauf (Biese) und Unterlauf (Aland) eines nur rund 100 Kilometer langen Flusses je eigene Namen haben, ist ein Kuriosum. Weshalb die Teilabschnitte ihre Eigennamen behielten und sich nicht, wie anderswo zu beobachten, eine einheitliche Bezeichnung etablierte, ist schwer erklärbar. Flussnamen gehören in der Regel zu den ältesten überlieferten Namenformen einer Region und erlauben Einblicke in die frühe Besiedlung einer Landschaft. Dass hier für einen Fluss gleich drei Namen vorliegen, kann man aus dieser Perspektive als Glücksfall werten.

Die Bezeichnung Milde, die der Fluss von seiner Quelle nahe Letzlingen bis etwa Mehrin trägt, stammt vom germanischen Adjektiv *meldja ab, das für freigiebig steht und hier womöglich im Sinne von ‚fischreich‘ zu verstehen ist. Der Name Biese, den das Gewässer sodann bis kurz vor Seehausen trägt, stammt von der germanischen Bezeichnung für die Binse (*beusō) ab und ist auf das Vorkommen des Gewächses am Ufer des Flusses zurückzuführen. Als Namengeber für beide Bezeichnungen kommen die ab dem 2. Jahrhundert in die Altmark eingewanderten elbgermanischen Stämme, etwa die Langobarden, in Frage. Die Bezeichnung Aland, die der Fluss bis zur Einmündung in die Elbe bei Schnackenburg (Niedersachsen) trägt, sei gar vorgermanischen Ursprungs und damit vielleicht älter als die anderen beiden Namen. Die Flussnamen erlauben so Rückschlüsse auf eine frühe germanische Besiedlung des Raumes und können zudem als Beleg für eine Siedlungskontinuität in der Altmark dienen, da die im 2. Jahrhundert gegebenen Namen bis heute überdauert haben. Sie müssen also über die Zeit tradiert worden sein, zunächst an die Slawen, die den Raum ab dem 7. Jahrhundert besiedelten, und dann an jene Siedler, die im Zuge des hochmittelalterlichen Landesausbaus im 12. Jahrhundert in die Altmark kamen. Problematisch ist allerdings, dass die schriftlichen Belege für die Namen Milde, Biese und Aland selbst erst aus dem 12. Jahrhundert stammen. Sie könnten also ebenso von den ‚Neuankömmlingen‘ gegeben worden sein. Ihren Ursprung hätten die Namen dabei weiterhin im (vor-)germanischen, wären aber erst in späterer Zeit, also auf Umwegen, in die Altmark gelangt und hätten ältere Bezeichnungen verdrängt. Allein aus den Flussnamen Rückschlüsse auf die Besiedlung zu ziehen, ist also nicht immer problemlos möglich.

Nicht nur die Namen des Flusses sind für die Geschichte der Altmark von Bedeutung, sondern das Gewässer selbst bestimmte die Entwicklung der Region ganz wesentlich. Neben den schlechten Bodenqualitäten waren die häufigen Überflutungen von Milde-Biese-Aland, die durch die Funktion des Flusssystems als Hauptvorfluter der Elbe in der Region verstärkt wurden, ausschlaggebend dafür, dass in der Altmark ungünstige Siedlungsbedingungen herrschten. Erst mit den Kolonisten, die die Gewässer regulierten, und mit technischen Innovationen, durch die der Ertrag der schlechten Böden gesteigert werden konnte, änderte sich dies im 12. Jahrhundert. In dieser Zeit tritt das Flusssystem auch als kirchliche Grenze in Erscheinung. Während der östlich des Flusses gelegene Teil zum Bistum Halberstadt gehörte, war die westliche Altmark Teil der Diözese Verden. Die Grenzfunktion von Milde-Biese-Aland scheint zu diesem Zeitpunkt bereits Tradition gehabt zu haben, denn anhand archäologischer Funde, die sich östlich und westlich des Flusses unterscheiden, ist zu erkennen, dass das Gewässer bereits seit der Jungsteinzeit als kulturelle Grenze in diesem naturräumlich relativ geschlossenen Gebiet fungierte.

Der Fluss mit den drei Namen ist so als verbindendes und zugleich teilendes Element für die Entstehung der Natur- und Kulturlandschaft ‚Altmark‘ von größter Bedeutung.