Das Brühtrogpaddeln in Roßdorf*

Lkr. Jerichower Land, Sachsen-Anhalt

Antonia Beran | Ausgabe 2-2021 | Lebendiges Kulturerbe

Uwe Temme und Dieter Kliemann lassen die historischen Tröge zu Wasser. Foto: Andreas Höschel
Vorbereitung der Brühtröge zum ersten Training im Mai 2019, die hölzernen Tröge werden gewässert um Risse zu dichten. Foto: Janett Kliemann
Dr. Christian Seeger und Uli Seeger kurz vor dem Ziel. Foto: Janett Kliemann
Der Brühtrog als Wendemarke. Foto: Antonia Beran

An einem idyllischen Altarm des Elbe-Havel-Kanals liegt Roßdorf. Hier entstand vor gut 30 Jahren ein originelles Fest, das bis zu 3.000 Gäste in das kleine Dorf mit 500 Einwohnern lockt. Diesen Kanalabschnitt zwischen Elbe und Havel, für den ein Teilstück des Flüsschens Stremme verwendet wurde, ließ König Friedrich II. von Preußen 1745 ausheben. 1928 begradigte ein neuer Durchstich den Kanal und der Schiffsverkehr verläuft nun weiter südlich. Der Roßdorfer Altkanal ist heute ein beliebtes Angel- und Freizeitgewässer. Normalerweise fahren hier Paddel- oder Motorboote vorbei, aber regelmäßig am 2. Juniwochenende werden hier ganz andere Fahrzeuge zu Wasser gelassen – und zwar Brühtröge, wie man sie früher zur Hausschlachtung verwendete.

Nachdem die private Schweinehaltung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts keine Rolle mehr spielte, verloren sie ihre eigentliche Funktion. Entweder wurden sie auf dem Scheunenboden von Anobien gefressen oder gleich verheizt. Nur einige wenige Stücke haben sich bis heute erhalten.

Wie wurde dieses archaische bäuerliche Relikt zum Mittelpunkt eines außergewöhnlichen Dorffestes? Im weitesten Sinne hat das mit dem Ende der deutschen Teilung zu tun.

Nachdem im Herbst 1989 die Mauer gefallen war, erhielt die Bürgermeisterin der Gemeinde Roßdorf, Bärbel Höschel, eine Einladung der hessischen Gemeinde Roßdorf zu einem deutschlandweiten Treffen der Dörfer gleichen Namens. Im Januar 1990 fuhr eine Delegation der ostdeutschen Roßdorfer nach Hessen und erlebte ein aufregendes Wochenende mit Feiern und spaßigen Wettbewerben, das mit einer Gegeneinladung für die Hessen in den Osten endete. Der Termin dafür wurde in den Juni gelegt. Doch was wollte man den Gästen zu diesem Anlass bieten? Das Schubkarrenrennen aus Hessen zu kopieren war zu einfach. Das bereits etablierte Angelfest am Kanal versprach nicht genug Unterhaltung. Neue Ideen waren gefragt. Es sollte ein lustiger Wettkampf, verknüpft mit ortstypischen Besonderheiten, werden. Ältere Einwohnerinnen erinnerten sich, wie sie als Kinder die alten Brühtröge zu Wasserfahrzeugen umfunktioniert hatten, um über die vom Hochwasser überschwemmten Wiesen zu staken. Diese Idee wurde vom Gemeinderat aufgegriffen und daraus ein passender Wettbewerb für das Dorftreffen entwickelt. Das erste Brühtrogpaddeln fand am 10. Juni 1990 statt. Seitdem ist es ein fester Termin im Jahreslauf und Festkalender der Region.

Der Ablauf ist wie folgt: Die Brühtröge werden in der Nähe der Brücke am Ufer zu Wasser gelassen. In jedem Brühtrog nimmt ein Teilnehmer Platz. Ausgerüstet mit einem Paddel besteht die Aufgabe darin, eine Strecke von ca. 60 Metern zurückzulegen.

Wendepunkt war zunächst der Mittelpfeiler der alten Brücke, wie er im Vereinswappen noch zu sehen ist. Heute dient ein Holztrog mit einem gelben Ballon als Wendestelle. Gewertet wird die zurückgelegte Zeit in vier verschiedenen Altersgruppen ab 8 Jahren. Jeder kann mitmachen. In den zurückliegenden Jahren gingen auch Prominente wie Landrat Dr. Steffen Burchhardt, die Bürgermeister von Jerichow und Genthin, Harald Bothe und Thomas Barz oder Pfarrer Johannes Möcker, aber auch Teams regional ansässiger Betriebe oder professionelle Sportler wie André Wilms, Mitglied der Ruder-Olympiamannschaft und Birgit Fischer, Mitglied der deutschen Paddel-Nationalmannschaft, an den Start. Je wärmer das Wetter ist, umso mehr wagen sich ins Nasse. Im heißen Juni 2007 wurden sogar 134 Teilnehmer gezählt. Vor dem Start wird der Paddeleid für einen fairen Wettbewerb von den Teilnehmern abgenommen. Mit einem fröhlichen „Brühtrog kipp!“ werden diejenigen begrüßt, deren Trog mit Wasser vollgelaufen ist. Verlierer gibt es nicht, denn jeder Teilnehmer erhält einen Preis.

Es ist gar nicht so leicht, mit dem Brühtrog zielgerichtet über das Wasser zu gleiten. Er schwimmt zwar von selbst, lässt sich aber schwer steuern und über die niedrige Bordwand schaufelt sich der Ungeübte mit dem Paddel schnell reichlich Wasser in sein „Boot“, so dass es untergeht.

Das Festwochenende lockt jedes Mal viele Besucher aus den umliegenden Orten an, vom nahe gelegenen Campingplatz Zabakuck und auch von weiter her. Es wird von zahlreichen Attraktionen und Angeboten begleitet, wie es für Volksfeste typisch ist. Es gibt eine große Tombola mit attraktiven Preisen, das Platzkonzert mit Blasorchester oder Shantychor, den Kuchenbasar der Kindergartenmütter, die Schau des Kleintierzuchtvereins, ein Kinderfest und vieles mehr. Seit 25 Jahren wird der Wettbewerb durch den sogenannten „Tüftleralarm“ ergänzt. Ähnlich wie beim Karnevalsumzug treten selbstgebaute lustige Wasserfahrzeuge zur Parade an. Dabei werden auch tagesaktuelle Themen wie die zeitige Abfahrt des Schulbusses aufs Korn genommen. Der Publikumsapplaus, gemessen per Dezibel-Messgerät, bestimmt den Sieger mit dem originellsten Beitrag.

In Süddeutschland und Österreich kennt man ähnliche Wettkämpfe unter dem Namen „Sautrogrennen“. Hier hat sich etwas Typisches offenbar parallel entwickelt. Roßdorf in Sachsen-Anhalt ist aber wohl der erste Ort, an dem dieser Wettkampf aus der Taufe gehoben wurde, als es noch kein Internet gab und die Grenzen gerade erst geöffnet waren. Das Roßdorfer Brühtrogpaddeln, ein Sommerfest mit sportlichem Wettkampf, steht für ein lebendiges Dorfleben, authentische Festkultur, Innovation und den kreativen Umgang mit historischem Gerät. Mehr als 150 Personen und regionale Unternehmen unterstützen die Veranstalter bei der Ausrichtung des Festes. Die Organisation wird von einem Team aus Freiwilligen gestemmt, die sich 2013 zu einem Verein zusammenschlossen.[1] Er zählt heute 34 Mitglieder. Inzwischen sind die Kinder von einst herangewachsen und organisieren in zweiter Generation. Neben den üblichen Funktionen gibt es einen Trogwart, der sich um die Pflege der sechs vereinseigenen originalen Tröge kümmert.

Nur dreimal musste das originelle Dorffest bisher ausfallen: 2011 als die neue Brücke errichtet wurde, 2013 während des Elbehochwassers mit dem Deichbruch in Fischbeck, während dem auch viele Brühtrogpaddelfreunde als freiwillige Helfer im Einsatz waren und 2020 wegen der Corona-Epidemie. Auch in diesem Jahr wird das Fest ausfallen müssen. Aber die Vereinsmitglieder und die vielen Fans hoffen auf das nächste Jahr 2022. Neugierig geworden? – Dann schauen Sie doch auch einmal vorbei!

 

* Siehe auch Beran, Antonia: Neues Fest mit altem Gerät – Das Brühtrogpaddeln, in: Öffentliche FESTkultur in der Gegenwart. Beiträge zur Volkskunde für Sachsen-Anhalt (Band 3) und zur Volkskunde für Thüringen, hrsg. von der Volkskundlichen Kommission für Sachsen-Anhalt u. der Volkskundlichen Kommission für Thüringen, Halle u. Erfurt 2011, S. 120-131.

[1] https://www.bruehtrogpaddeln.de/ oder https://www.facebook.com/Br%C3%BChtrogpaddeln-325363157487273