Arnold Güldenpfennig – ein vergessener Kirchenbaumeister?
von Martin Beitz | Ausgabe 2-2018 | Geschichte
Bereits zwei Jahre nach dem Abschluss seines Studiums wurde am 9. Februar 1856 der erst fünfundzwanzigjährige Arnold Güldenpfennig (1830 – 1908) zum Diözesan-Architekten des Bistums Paderborn ernannt. Diese Entscheidung sollte weitreichende Folgen haben, denn kein anderer Architekt hat in so vielen Städten Sachsen-Anhalts Bauwerke geschaffen wie eben jener junge Mann.
Egal ob in Anhalt (Dessau-Alten 1905/1906) oder dem Burgenlandkreis (Zeitz 1891), dem Mansfelder Land (Burgörner 1892 – 94) oder der Börde (Oschersleben 1867 – 1869), Magdeburg (Kirchen in Sudenburg und Ottersleben) oder Halle (Propsteikirche 1894 – 1896), dem Fläming (Wittenberg 1868 / 1869) oder dem Harzgebiet (Wernigerode 1905): überall hat er seine Spuren hinterlassen. Insgesamt mehr als zwanzig Kirchen lassen sich in Sachsen-Anhalt sicher auf ihn zurückführen, bei weiteren ist es zumindest wahrscheinlich, dass er deren Urheber war.[1]
Der Grund dafür liegt in seiner Funktion als Diözesan-Architekt begründet, die Güldenpfennig fünfzig Jahre lang innehatte. Seit dem Jahre 1821 gehörten große Teile des heutigen Sachsen-Anhalts, in denen über Jahrhunderte hinweg so gut wie keine Katholiken gelebt hatten, zum katholischen Bistum Paderborn.[2] Im Zuge der Industrialisierung und des allgemeinen Wirtschaftsaufschwungs wanderten zahlreiche Katholiken aus anderen Regionen Deutschlands ein und bildeten eigene Gemeinden, denen man zunächst Provisorien für den Gottesdienst schuf. Ein frühes Beispiel ist die Allerheiligenkapelle der Neuen Residenz in Halle, die bereits im Jahr 1759 zur Verfügung gestellt wurde.[3]
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden neben zahllosen neuen evangelischen Kirchen nun auch zahlreiche katholische. Der Zuzug von Arbeitskräften in die Städte erklärt auch, weshalb die katholischen Kirchen vor allem hier und nur selten in Dörfern entstanden. Wo man sie in Dörfern findet, sind sie zumeist eng mit dem Bergbau verknüpft, etwa in Sandersdorf bei Bitterfeld (1906) oder in Hergisdorf bei Eisleben (1902). Beide Kirchen wurden ebenfalls von Güldenpfennig entworfen.
Die sakrale Architektur des 19. Jahrhunderts stand bislang nicht sonderlich im Zentrum des Interesses. Bei erstaunlich vielen Kirchen ist bisher nicht publiziert worden, wer sie entworfen hat. Das gilt insbesondere für katholische Dorfkirchen etwa in Zappendorf oder Röblingen am See. Hier besteht noch Forschungsbedarf: eine gewisse Ähnlichkeit zu anderen Kirchenbauten Güldenpfennigs ist nicht zu leugnen, sie ist aber nicht groß genug, um ihn sicher als Urheber festzustellen. Zudem können vorschnelle Schlüsse ungünstige Folgewirkungen haben. So ähnelt die Kirche von Zappendorf, die in den Jahren 1868 /69 erbaut wurde und als erste katholische Gemeinde im Umland von Halle gilt[4], in ihrem ganzen Aufbau deutlich der katholischen Kirche St. Elisabeth in Alsleben, deren Dachreiter wiederum an den der Güldenpfennig-Kirche in Hettstedt-Burgörner erinnert. Das darf aber nicht dazu verleiten, vorschnell alle drei Kirchen dem Architekten zuzuordnen, denn nur bei der letztgenannten ist die Urheberschaft bisher gesichert.
Anders verhält es sich mit den katholischen Kirchen von Sangerhausen (1893) und Magdeburg-Ottersleben (1893 /1894), die auf den ersten Blick identisch wirken. Betrachtet man sie genauer, entdeckt man eine ganze Reihe kleiner Unterschiede. Es kann nicht verwundern, dass ein Baumeister, dem über siebzig Kirchenneubauten sicher zugewiesen werden können, und der zudem an der Restaurierung von zirka dreißig weiteren Kirchen mitwirkte, sich irgendwann auch wiederholt. Beide Kirchen sind bereits als Werke des Architekten aus Paderborn nachgewiesen.
Johann Arnold Güldenpfennig wurde am 13. Dezember 1830 in Warburg geboren und absolvierte seine Ausbildung in Münster und Minden, bevor er das Architekturstudium an der Bauakademie Berlin begann. Bald nachdem er sich zur Ruhe gesetzt hatte, starb er am 23. September 1908 und sein Sohn Jürgen Güldenpfennig (1874 –1914) vollendete ab diesem Jahr seine Bauwerke. Sein weiterer Sohn Hans Güldenpfennig (1875 –1945) war 1927 bis 1944 Dombaumeister in Köln. Man geht davon aus, dass Arnold Güldenpfennig um die 100 Kirchen entwarf, aber bisher hat ihm nur Norbert Aleweld vor fast dreißig Jahre eine längere Abhandlung gewidmet. Das muss erstaunen, denn er ist damit einer der bedeutendsten Architekten des 19. Jahrhunderts, insbesondere im Bereich des Sakralbaus.[5] Auch einige der Kirchen, die noch keinem Architekten zugeordnet werden konnten, dürften auf ihn zurückgehen, da sie in seinen Zuständigkeitsbereich fielen. In mehreren unklaren Fällen (etwa Bernburg oder Alsleben) lässt sich zumindest die Weihe durch einen Paderborner Geistlichen nachweisen.
Als Hauptwirkungsgebiete Güldenpfennigs, der auch Kirchen in Lübeck, Hamburg, Dresden oder Saarbrücken sowie an einigen thüringischen und hessischen Orten schuf, gelten Westfalen mit mehr als vierzig und Sachsen-Anhalt mit mehr als zwanzig Kirchen. Gerade die Bauten in diesen beiden Regionen zeigen, welche Stilelemente Güldenpfennig bevorzugte und so entdeckt man im Aufbau immer wieder Parallelen und Wiederholungen. Der Kirchturm von Lünen (1903 /1904) ähnelt dem von Burg bei Magdeburg (1906) in der Anordnung von Fenstern, der Kreuzigungsgruppe, dem verblendeten Fenster und dem „halben“ Treppenturm. Schon etwas weniger ähnlich ist die katholische Kirche von Zerbst (1894 –1896) in dieser Hinsicht, da die Kreuzigungsgruppe leer ist und eine andere Treppenturmlösung gefunden wurde, doch auch sie stammt von Güldenpfennig.
Am liebsten scheint Güldenpfennig die Ausrichtung zur Straße hin gewesen zu sein. Hierbei sind jene Lösungen besonders auffällig, bei denen das Schiff rechtwinklig zur Straße und der Kirchturm rechts neben dem Schiff steht. Beispiele dafür finden sich in Merseburg, Halle, Sangerhausen oder auch Magdeburg. Die Turmhaube befindet sich häufig oberhalb einer Balkongalerie und zwar nicht nur in Lünen, Magdeburg und Sangerhausen, sondern zum Beispiel auch in Lübeck (Herz-Jesu, 1888 –91), Witten (St. Joseph, Turm 1895 /1896), Paderborn (Herz-Jesu, 1896) oder Sondershausen (St. Elisabeth, 1906 –08). Ebenfalls mehrfach zu beobachten sind Turmhauben, die gepaart mit vier Ecktürmchen auftreten. Erneut könnte man hier einige Kirchen aufzählen. Die Turmhauben von Zeitz und Gommern wirken identisch, ebenso gleichen sich die Türme von Neustadt /Dosse (Brandenburg) und Hergisdorf in Farbgebung und Form.
Die Dreiportalfront, ein weiteres von Güldenpfennig mehrfach verwendetes Element, findet sich nicht nur in Lünen, sondern auch in Halle und Hettstedt-Burgörner (1892 –94), wenngleich sie jeweils unterschiedlich umgesetzt wird. Dieses Gestaltungselement und weitere Parallelen, die man bei der katholischen Herz-Jesu-Kirche in Bitterfeld (1895) findet, machen aber auch klar, dass diese fast zwangsläufig ebenfalls von Güldenpfennig stammen muss. Eine historische Aufnahme, die vor dem Anbau des Turms im Jahr 1928 entstanden ist, belegt dies sehr gut: die Kirchen von Hettstedt-Burgörner und Bitterfeld waren im ursprünglichen Zustand baugleich, anstelle eines Turmes über der Dreiportalfront saß damals ein Dachreiter.[6] Neben der erwähnten Kirche von Lünen ist auch die Kirche von Staßfurt ein gutes Beispiel für Güldenpfennigs Stilelemente. Sie weist ebenfalls eine Dreiportalfront und einen Dachreiter wie in Hettstedt sowie Strebepfeiler wie in Halle auf. Gemeinsam mit beiden Kirchen und zahlreichen anderen Bauten Güldenpfennigs sind ihr zudem die Seitenschiffe, die sie äußerlich zur Basilika machen.[7] Auch diese Kirche stammt nachweislich von Güldenpfennig.
Zusätzlich erschwert wird die Recherche durch die Typenentwürfe Güldenpfennigs, die mehrfach in Sachsen-Anhalt umgesetzt wurden. Diese besondere Form einer kleineren Kirche, bei der der Turm durch ein querstehendes Pfarr- oder Schulhaus ersetzt wurde, findet sich in zahlreichen anderen Orten Sachsen-Anhalts, etwa in Osternienburg, Löderburg oder Gerbstedt. In diesen Fällen verspricht nur die Vor-Ort-Recherche echten Erfolg. Als gesichert nachgewiesen gelten nur die vier Kirchen von Calbe (Saale), Eilsleben, Hecklingen und Unseburg.
Das bedeutet aber natürlich nicht, dass Güldenpfennig nur einen Typ Kirche gebaut hätte. Gerade in einem Land, in dem die Romanik den Dorfkirchenbau bestimmt und eine eigene Touristikroute ausgewählte Bauwerke dieser Epoche erschließt, hat Güldenpfennig neben seinen zahlreichen neugotischen Gotteshäusern auch neuromanische entworfen. Das wuchtigste Beispiel seines Schaffens in Sachsen-Anhalt ist sicherlich die katholische Kirche von Wernigerode mit ihren beiden Türmen. Auch die Kirche St. Liborius in Hergisdorf ist deutlich der Formsprache der Romanik verpflichtet.
[1] Die angeführten Baudaten stammen zumeist aus: Dehio, Georg, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Sachsen-Anhalt I Regierungsbezirk Magdeburg, München-Berlin 2002 bzw. Dehio, Georg, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Sachsen-Anhalt II Regierungsbezirke Dessau und Halle, München-Berlin 1999.
[2] Vgl. die päpstliche Bulle von Pius VII. De salute animarum vom 16. Juli 1821, abgedruckt in: Preußische Gesetzessammlung, 1821, S. 114 – 152.
[3] Führer durch Halle an der Saale und Umgebung. Den Theilnehmern an der XXXI. Hauptversammlung des Vereins deutscher Ingenieure 1890 gewidmet vom Thüringer Bezirksverein, Halle 1890, S. 40.
[4] Vgl. „… mitten in der Stadt“. Halle zwischen Säkularisierung und religiöser Vielfalt, hrsg. v. Daniel Cyranka und Helmut Obst, Halle 2001, S. 22.
[5] Aleweld, Norbert, Arnold Güldenpfennig, in: Westfälische Lebensbilder XV (1990), S. 221 –242. Aleweld, aus dem alle hier wiedergegebenen biographischen Informationen stammen, wohingegen er keine Kirchen in Sachsen-Anhalt erwähnt, findet (S. 229) im Übrigen die Zahl 100 für Güldenpfennigs Schaffen, die damals auch Umbauten mit einschloss, eher gering, da sie von anderen Dombaumeistern deutlich übertroffen wird. Er glaubt aber, dass nicht mehr alle nachgewiesen werden können, zumal Güldenpfennig auch in Schlesien Kirchen entwarf, wo die Forschungslage noch schlechter ist.
[6] Vgl. Obst, E., Bitterfeld und Umgebung nebst Industrie, Handel und Gewerbe in Wort und Bild, Chemnitz 1909, S. 30 für das Foto. Dachreiter, Dachfenster, Schiff-Fensteranordnung, Seitenschiffe, Westfront mit Portalen und identischen Verblendungen über den Seiteneingängen; Giebel und Treppenturm gleichen Hettstedt, der Treppenturm ist in beiden Fällen zudem links des Eingangs.
[7] Vgl. Kowolik, Franz, Das alte Staßfurt, Oschersleben 1992, S. 42.