Was will man mehr?
Ein Gespräch mit Thomas Stieghahn, Engagementbotschafter Kultur des Landes Sachsen-Anhalt
Interview: John Palatini | Ausgabe 2-2018 | Bürgerschaftliches Engagement | Interview
Herr Stieghahn, Sie stehen seit 50 Jahren auf der Bühne. Können Sie zunächst einen Überblick über Ihre Theaterkarriere geben?
Erste Theatersporen habe ich mir 1968 im Magdeburger Armaturenwerk ‚Karl Marx‘ während meiner Lehrlingszeit verdient. Dieses Arbeitertheater, wie es damals hieß, leitete ich schließlich bis 1990, bevor ich 1994 zum Verein „Magdeburger Theaterkiste von 1993 e. V.“ kam, dem ich bis heute angehöre. Mit unseren Inszenierungen haben wir inzwischen über 60.000 Menschen erreicht.
Wir befinden uns in der Garderobe der ‚Magdeburger Theaterkiste‘. Was ist das für ein Ort, an dem Sie und Ihre Mitstreiter eine künstlerische Heimat gefunden haben?
Wir residieren hier im Alten Theater Magdeburg am Jerichower Platz im Osten der Stadt. Gleich nebenan befindet sich der Elbauenpark mit dem Jahrtausendturm. Das Alte Theater war einmal die Ersatzspielstätte des Magdeburger Theaters und ist heute eine Eventlocation, die privat betrieben wird. Wir sind hier Mieter. Im Kellerbereich des Gebäudes befinden sich unsere Räumlichkeiten, die Garderobe, der Fundus und eine Kleinbühne. Daneben treten wir aber auch im großen Saal des Hauses auf.
Was steht bei Ihnen auf dem Spielplan?
Man kennt uns einerseits für unsere Märcheninszenierungen, andererseits spielen wir auch Komödien. Ferner gehört die Gruppe ‚Imaginär‘ zur Theaterkiste, die Improvisationstheater spielt.
Gelegentlich wird beklagt, Vereinen fehle es an Nachwuchs. Müssen Sie sich Sorgen machen?
Im Moment sieht es bei uns gut aus. Die Altersspanne des Ensembles reicht derzeit von Vierzehnjährigen bis hin zu Menschen in den Siebzigern. Für ein Ensemble ist das wunderbar, weil wir vom Kind bis zur Großmutter alle Rollen besetzen können.
Was muss man tun, um bei Ihnen mitspielen zu können?
Manchmal werden wir nach gelungenen Inszenierungen von Interessierten angesprochen. Dann muss man es einfach ausprobieren. Andererseits suchen wir auch mit Hilfe von Aufrufen in den Medien nach neuen Mitstreitern und laden zum Casting ein.
Braucht es Talent, um Theater zu spielen oder lässt sich das alles bei Ihnen lernen?
Ein bisschen Talent wäre natürlich schön. Alles andere lässt sich in der Tat lernen. Für welche Rollen es am Ende reicht, ist natürlich noch eine andere Frage, auf die es bei uns in der Theaterkiste aber nicht wirklich ankommt. Man kann auch als dritte Wache von links vor 500 schreienden Kindern Theater spielen, sich toll amüsieren und Spaß haben. Was will man mehr?
50 Jahre Theater – da kommen viele Rollen zusammen. Welche davon würden Sie als Ihre wichtigste bezeichnen?
Eine für mich sehr wichtige Rolle, die auch an Aktualität nichts verloren hat, habe ich 1978 gespielt. Das Stück hieß ‚Im Morgengrauen ist es noch still‘ und war in seiner Zeit das Antikriegsstück schlechthin. Ich war damals Mitte Zwanzig und spielte die Rolle des Starschina Fedot Waskow, der im russischen Hinterland im Kampf gegen deutsche Fallschirmjäger eine Gruppe junger Frauen befehligt, die alle getötet werden. Die Rolle hat mich damals sehr mitgenommen, auch überfordert.
Gibt es dagegen auch eine, wenn man das so sagen darf, Lieblingsrolle?
Wirklich sehr viel Freude bereitet hat mir die Rolle des Argan, des eingebildeten Kranken, im gleichnamigen Stück Molières.
Kommen wir auf Ihre Theatererfahrungen in der DDR zu sprechen. Sie haben als Schauspieler im Arbeitertheater des MAW begonnen und sind dann dessen Leiter geworden. Wie kam das?
Um Leiter eines Arbeitertheaters zu werden, benötigte man zur Zeit der DDR eine Ausbildung. Hierfür absolvierte ich an der Bezirksakademie Rostock ein dreijähriges Studium mit allem, was dazu gehört, Regie, Dramaturgie, Theatergeschichte usw.
Und dies alles berufsbegleitend?
Genau. Alle sechs Wochen fand eine Intensivwoche statt, für die man vom Betrieb freigestellt wurde.
Das klingt nach besten Bedingungen?
Natürlich darf man hier den Kontext nicht aus den Augen verlieren. Die Förderung der Arbeitertheater war Teil der sozialistischen Kulturpolitik der DDR.
Sicher gab es Erwartungen daran, was gespielt wurde und wie?
Zur Betriebsgewerkschaftsleitung gehörte eine Abteilung für Kultur, die aufgepasst hat. Wenn man freilich klug war, konnte man sich auch Freiräume schaffen und zwischen den Zeilen eine gewisse Kritik verbreiten.
Die Wende bedeutete für die Amateurtheaterbewegung einen tiefen Einschnitt. Viele Gruppen, nicht zuletzt ihre eigene im Magdeburger Armaturenwerk, hörten auf zu existieren. Wie würden Sie vor diesem Hintergrund die Situation der Amateurtheater in der Gegenwart beschreiben?
Gerade vor dem Hintergrund meiner DDR-Erfahrungen kann ich sagen, dass heute das Geld eine ganz andere, bestimmende Rolle spielt. Als Amateurtheater haben wir natürlich den Vorteil, dass alle Beteiligten davon nicht leben müssen. Wer dagegen auf Fördermittel angewiesen ist, hat es schwer. Positiv ist, dass es heute mit dem Landeszentrum Spiel & Theater einen Dachverband gibt, der auch für die Amateurtheater da ist und zum Beispiel anerkannte Weiterbildungen in den Bereichen Spielleitung und Theaterpädagogik anbietet.
… und die aktiven Gruppen?
Allein in Magdeburg gibt es eine ganze Reihe Amateurtheatergruppen, ebenso in Halle. In den Landkreisen setzt sich das fort. Ob in Genthin, Wolfen oder Zeitz – das Amateurtheater ist in Sachsen-Anhalt fest verankert.
Haben Sie zu diesen anderen Gruppen auch Kontakt?
Gerade erst waren wir bei den 11. Bernburger Amateurtheatertagen zu Gast, die alle zwei Jahre stattfinden. Wir haben dort an zwei Tagen insgesamt neun Inszenierungen anderer Gruppen gesehen und selbst Improtheater gespielt.
Blicken wir noch einmal auf die Theaterkiste. Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihres Vereins?
Ich wünsche mir, dass uns das Publikum treu bleibt, und dass wir immer engagierte und verrückte Leute finden, die bereit sind, ihre Freizeit zu opfern, um mit uns gemeinsam Theater zu spielen.