Art Déco – Kunst des Historismus?

Von Walter Müller | Ausgabe 4-2019 | Rezensionen

Art Déco: Kunst des Historismus? Verlag Janos Stekovics

Art Déco: Kunst des Historismus? Hrsg. Christian Juranek, Ulrich Feldhahn, Melitta Jonas; mit Beiträgen von Catharina Berents, Wolfgang Joop, Bernd Küster, Yvonne Schülke und Markus Winter; Fotografien von Janos Stekovics
(Edition Schloss Wernigerode, Bd. 22), Wettin-Löbejün 2019
488 S. | zahlr. Abb. | 29,80 € | ISBN: 978-3-89923-402-2

 

Der Aufsatz- und Bildband ist Ausstellungkatalog der gleichnamigen, sehr sehenswerten Sonderausstellung, die vom 30. Juni bis 3. November 2019 im Schloss Wernigerode gezeigt wurde. Ausstellung und Katalog sind Teil der Veranstaltungen, die anlässlich des 100. Jahrestages der Gründung des Bauhauses 1919 in diesem Jahr stattfinden. Eine der wichtigsten Strömungen in der Kunst nach dem Ersten Weltkrieg bis Mitte der 1930er Jahre war das Art Déco, das seinen Namen nach einer Kunstgewerbeschau in Paris 1925 erhielt.

Der Band zeigt anhand zahlreicher fotografisch hervorragender Aufnahmen von Janos Stekovics ein in dieser Vielfalt noch nie wahrgenommenes Bild des Art Déco in den Bereichen Möbel, Textilien, Grafik, Porzellan, Keramik, Glas und Buchkunst / Buchgestaltung sowie der Inneneinrichtung insgesamt. Vor allem in den wissenschaftlichen Beiträgen wird belegt, dass Art Déco als neue eigenständige Kunstrichtung in den Anfängen bereits kurz nach 1900 beginnt und nicht, wie bisher in der Literatur meist üblich, als eine Sonderform des Jugendstils angesprochen werden kann. Zugleich wird deutlich, dass dieser moderne Kunststil bewusst und spielerisch auf Gestaltungselemente früherer Zeit zurückgriff. Beispielhaft können hier nur zwei der insgesamt zehn Aufsätze genannt werden: Catharina Berents „Art Déco in Deutschland. Zwischen Bauhaus und Historismus“ (S. 30 – 52) und Bernd Küster „Physiognomien des neuen Stiles. Jugendstil und Art Déco“ (S. 56 – 73).

Das Schloss Wernigerode bietet für diese Ausstellung den idealen Ausstellungsort, denn es ist zugleich eines der frühesten Beispiele des Art Déco in der Innenarchitektur in Deutschland. Im Schloss wurden im Auftrag von Fürst Christian Ernst zu Stolberg-Wernigerode (1864 – 1941) bereits in den Jahren 1918 – 1920 durch den Berliner Hofkunsttischler Wilhelm Kimbel (1868 – 1965) fünf Räume sowie eine Vorhalle und ein Korridor „im gemäßigten Art Déco-Stil“ (S. 96) neu- bzw. entsprechend umgestaltet. Diese Raumausstattungen werden durch Christian Juranek zum ersten Mal wissenschaftlich dokumentiert (S. 92 – 109). Damit gehört das Schloss Wernigerode zu den bedeutendsten und umfangreichsten noch heute erhaltenen Arbeiten aus der Zeit des Art Déco des 1897 – 1931 bestehenden Berliner Innenarchitektenbüros Kimbel & Friederichsen. Weitere größere Aufträge waren die Teilausstattung des Hotels Adlon und zahlreiche Innenausstattungen für Kaiser Wilhelm II. im Berliner Stadtschloss.

Als Zeitreise in eine bislang unzureichend wahrgenommene Kunststilrichtung liefert vor allem der Katalog den Beweis, dass das deutsche Art Déco nicht nur bis heute hohen ästhetischen Reiz ausstrahlt, sondern älter und vielfältiger ist als gemeinhin angenommen. Dies gelingt vor allem durch die zahlreichen ausführlichen bild- und textlichen Dokumentationen von beispielhaften Objekten der Art Déco-Zeit aus mehreren öffentlichen und privaten Sammlungen im umfangreichen Katalogteil „Art Déco und Historismus. Eine Annäherung in Objekten“ (S. 154 – 477). Neben dem Aussteller, der Schloss Wernigerode GmbH, lassen sich die über dreißig Leihgeber aus 13 Orten Deutschlands aus der entsprechenden Zusammenstellung (S. 488) sowie indirekt auch über den Bildnachweis (S. 486/487) erschließen. Kunsthistorisch Interessierten kann der auch regionalgeschichtlich bedeutsame Band nur empfohlen werden. Die im Anhang beigegebene und von Christian Juranek erstellte „Bibliografie Art Déco und Historismus“ (S. 480 – 485) ermöglicht zugleich vertiefende Studien.