Der Schneebeere zu Leibe rücken

Pflegearbeiten der archäologischen Gesellschaft in Sachsen-Anhalt e.V. (agisa e.V.) an ausgewählten archäologischen Denkmalen in der Dölauer Heide, Stadtkreis Halle

Mechthild Klamm, Anna Weide | Ausgabe 2-2021

Die Teilnehmer der Heidepflege vom 18.11.2018 auf dem Tonberg in der Dölauer Heide. Foto: Mechthild Klamm
Archäologische Kulturdenkmale im Kernbereich der Dölauer Heide (nach Waldemar Matthias: Kataloge zur mitteldeutschen Schnurkeramik, Teil V, Mittleres Saalegebiet, Berlin 1982.)
Erfolgreiche Pflege: im Bildvordergrund sind die Schneebeeren bereits beseitigt, im Bildhintergrund bilden die Schneebeeren noch einen dichten Pflanzenfilz. Foto: Mechthild Klamm
Steffen Kaßler zieht die beseitigten Schneebeeren zum Sammelplatz, von dem sie von der Stadt Halle abgeholt werden. Foto: Mechthild Klamm

Die Dölauer Heide im Nordwesten der Stadt Halle ist ein kulturhistorisch höchst bedeutendes Waldgebiet mit einer großen Anzahl obertägig noch sichtbarer archäologischer Kulturdenkmale. Europaweit einmalig ist die Befestigung der mittleren Jungsteinzeit (Baalberger Kultur, ca. 3.950 bis 3.375 Jahre v. Chr.) auf einem Teil der die Dölauer Heide durchziehenden, plateauartigen Erhebung, der so genannten Bischofswiese. Ein mehrfach gestaffeltes Wall-Grabensystem umgibt die steinzeitliche Befestigung; die Wälle und Gräben sind noch heute als schwach ausgeprägte Bodenwellen im Gelände sichtbar. Die nördliche Spitze dieses Plateaus, der lange Berg, wurde während der steinzeitlichen Bernburger Kultur (ca. 3.075 bis 2.700 v. Chr.) besiedelt.

Beeindruckend ist auch die hohe Zahl an Grabhügeln, die für eine weite Sichtbarkeit oftmals auf den Randbereichen des Plateaus errichtet wurden. Für frühere Zeiten ist eine weitgehende Waldfreiheit der Heide anzunehmen, da man Holz als Bau- und Heizmaterial benötigte sowie Weideflächen für die Haustiere. Das Aufwachsen eines Hochwaldes war kaum gegeben. Aber auch im übrigen Waldgebiet sind vorgeschichtliche Grabhügel und Grabstätten erhalten. Die meisten Grabhügel wurden in der ausgehenden Jungsteinzeit, der Zeit der Schnurkeramik (ca. 2.800 bis 2.200 v. Chr.) angelegt,[1] einige weitere Gräber stammen von der Glockenbecherkultur (ca. 2.500 bis 2.200 v. Chr.). Eine letzte Siedlungsphase gab es in der bronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur (ca. 2.200 bis 1.550 v. Chr.). Danach ist die Dölauer Heide wohl wegen der ungünstigen Böden nur noch als Hudegebiet oder Nutzwald genutzt worden. Einige wenige Flächen, bspw. die Bischofswiese, wurden im späten Mittelalter bzw. der frühen Neuzeit wieder ackerbaulich genutzt.

Frühe historische Karten wie das Schmettausche Kartenwerk aus dem 18. Jh. zeigen die Dölauer Heide als Waldgebiet mit einer etwas größeren Ausdehnung als heute. Die zahlreichen Hohlwege im Wald belegen uralte Wegeverbindungen durch die Heide. Bis in die Neuzeit wurde die Heide als Durchgangsgebiet genutzt. Heute quert sie nur noch die viel befahrene Salzmünder Straße.

Im 20. Jh. rückte die Wohnbebauung bis an den Heiderand bzw. bis in die Heide hinein. In die Gärten wurden Zierpflanzen und Ziergehölze gepflanzt, die nicht aus der heimischen Umgebung stammen. Einige dieser als Neophyten bezeichneten Arten verbreiteten sich aus den Gärten sowie aus am Waldrand gelagerten Gartenabfällen weiträumig in die Umgebung. Problematisch wird dies bei den Arten, die über besonders effiziente Verbreitungsstrategien oder über eine hohe ökologische Potenz verfügen. Sie verdrängen Arten der einheimischen Flora bzw. führen zu einer Abnahme der Biodiversität in ihrem neuen Lebensraum.

In der Dölauer Heide hat die ursprünglich aus Nordamerika stammende Gewöhnliche Schneebeere (Symphoricarpos albus) bereits weite Flächen überwuchert. Die Verbreitung geschieht einerseits über die Beeren, andererseits über Wurzelausläufer. Die Schneebeere bildet nach einer Weile ein dichtes, undurchdringliches Strauch-Buschwerk auch unter dem Hochwald aus. Aktuell ist die Schneebeere in weiten Teilen des Heidewaldes verbreitet und stellt hektarweise fast die einzige Art der Strauchschicht. Einheimische Pflanzenarten haben unter dem dichten Buschwerk auf Dauer kaum eine Chance zum Aufwachsen.

Die Schneebeere hat sich vor allem in den letzten Jahrzehnten weit in der Heide verbreitet. Während eine Veröffentlichung von 1972, die sich mit Veränderungen der Flora in der Dölauer Heide befasst,[2] das Auftreten von Neophyten zwar thematisiert, die Schneebeere aber nicht als verbreitet erwähnt, zeigt eine Karte der „Koordinationsstelle Invasive Neophyten in Sachsen-Anhalt beim Unabhängigen Institut für Umweltfragen e.V.“ in Halle (Saale) von 2013, dass die Schneebeere in allen Teilen der Dölauer Heide verbreitet vorkommt. Maßnahmen zur Zurückdrängung werden als notwendig erkannt.

Die dichten Bestände der Schneebeere überziehen teilweise auch die archäologischen Kulturdenkmale, so die Grabhügel auf dem Tonberg und dem Schwarzen Berg, aber auch die neolithische Wall-Grabenanlage, die die Bischofswiese umgibt.

Durch den Bewuchs sind die archäologischen Denkmale schwer auffindbar und kaum zugänglich. Eine Ausnahme bilden die steinernen Einbauten einiger vor etlichen Jahrzehnten untersuchter Grabhügel, deren Steinsetzungen nach der Ausgrabung rekonstruiert wurden und sichtbar blieben. Hier werden von Seiten des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie jährliche Pflegemaßnahmen veranlasst. Aber auch bei diesen Grabhügeln wird das Umfeld von der Schneebeere dominiert.

Anlässlich einer Exkursion der Archäologischen Gesellschaft in Sachsen-Anhalt e. V. (agisa e. V.) im April 2016 kamen Überlegungen auf, wie die agisa einen Beitrag dazu leisten könne, die Dölauer Heide als vorgeschichtliches Siedlungsgebiet mit der steinzeitlichen Befestigung auf der Bischofswiese und den steinzeitlichen Grabhügeln erlebbar zu machen. Dabei wurde vor allem an die Zurückdrängung des Schneebeerenfilzes an viel besuchten Denkmalstätten gedacht.

In Vorbereitung für entsprechende Aktivitäten fanden im Jahren 2016 und 2017 zunächst mit den Verantwortlichen Abstimmungen und Ortstermine statt, wie mit dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, der Unteren Naturschutzbehörde, der Unteren Forstbehörde und weiteren Beteiligten der Stadt Halle, um Zustimmung für die Durchführung der Pflegearbeiten zu erhalten. Danach fanden Anfang 2017 zunächst in kleinerem Kreis durch Vorstandsmitglieder der agisa Arbeitsproben auf Grabhügeln des Tonbergs statt, um zu ermitteln, ob ein Rückschnitt oder das vorsichtige Ausreißen der Pflanzen mit der Wurzel erfolgreich ist. Als erfolgversprechend und realisierbar stellte sich die Entfernung der Schneebeeren von einzelnen Grabhügeln bis zum Hügelfuß, bevorzugt durch Ausreißen der Pflanzen und Wiederholung der Arbeiten in den Folgejahren, sowie anschließend die Fortsetzung der Arbeiten um den Hügelfuß herum in die Umgebung der Grabhügel, heraus.

Zu den geplanten Pflegearbeiten als Aktivität der archäologischen Gesellschaft wurde erstmals an den beiden ersten Wochenenden im November 2017 eingeladen. Wiederholt wurden die Arbeiten in den darauffolgenden Jahren an jeweils zwei Wochenenden Anfang November. Arbeiten im Zeitraum zwischen März und September eines jeden Jahres sind aus naturschutzfachlichen Gründen ausgeschlossen.

Erfreulicherweise folgten unserer Einladung jeweils zwischen ca. 10 und 20 Mitstreiter, die in kraftaufwendiger aber erkennbar erfolgreicher Weise den Schneebeeren (ohne Grabwerkzeuge) zu Leibe rückten, um keine Schäden an den Denkmalen zu verursachen. Die Grabhügel haben in ihrer heutigen Form Durchmesser um die 20 m, so dass jeweils immer an ein oder zwei Grabhügeln je Einsatz intensiv gearbeitet werden konnte. Die ausgerissenen Pflanzenteile wurden an Wegen aufgehäuft und von der Stadt Halle zur Kompostierung abgeholt.

Die Praxis zeigte, dass die Arbeiten an einem Grabhügel bzw. an einer Fläche tatsächlich mehrfach durchgeführt werden müssen, da es nicht bei dem ersten Pflegeeinsatz gelingt, alle Ausläufer der Schneebeere zu erfassen. Abgerissene Wurzelteile treiben im Folgejahr wieder aus, erreichen aber bei weitem nicht die Höhe und das Volumen der zuvor entfernten Pflanzen.

Inzwischen wurden Teile der steinzeitlichen Wallanlage auf der Bischofswiese zweimal, die Grabhügel 13, 15 und 16 auf dem Tonberg, die Grabhügel 20 und 21 Richtung Schwarzer Berg mehrfach und ein erster Grabhügel Nr. 25 auf dem Schwarzen Berg von den Schneebeeren befreit (zur Lage der Grabhügel siehe Plan S. 18). Es ist beeindruckend, um wieviel besser die Form und Höhe der Grabhügel durch die Säuberung vom Schneebeerenfilz erkennbar wird. Auch das Umfeld des geöffneten Grabhügels 17 wurde von den Schneebeeren befreit, wobei sich herausstellte, dass neben dem Grabhügel noch ein kleinerer, bisher nicht erkannter Hügel liegt.

Zwischen den Grabhügeln 13, 15 und 16 erstrecken sich die Pflegemaßnahmen nicht nur auf die Grabhügel selbst, sondern auch auf die nähere Umgebung der Grabhügel, damit die vorgeschichtlichen Anlagen wieder in ihrer landschaftlichen Einbettung wahrgenommen werden können.

Inzwischen hat sich eine kleine feste Gruppe etabliert, deren Mitglieder jedes Jahr wiederkommen, um die Arbeiten fortzusetzen und das Erreichte zu erhalten. Jeder Einsatz wurde von einer kleinen fachlichen Einführung, der Übergabe von Informationsmaterial zu den Denkmalen der Heide und einem vom Vorstand ausgerichteten kleinen Picknick begleitet. Das gemeinsam erreichte Arbeitsergebnis war am Nachmittag jedes Mal eine Freude für die Beteiligten.

An dieser Stelle sei allen Helfern gedankt, die sich bisher um das Erscheinungsbild der vorgeschichtlichen Denkmalstätten in der Heide verdient gemacht haben.

Die Pflegearbeiten an den Grabhügeln kommen dem archäologischen Denkmalbestand wie auch Belangen des Naturschutzes und der Forstwirtschaft gleichermaßen entgegen. Wünschenswert wäre zukünftig eine Bündelung zusätzlicher Kräfte, um eine großräumigere und nachhaltigere Zurückdrängung der Schneebeere erreichen zu können.

Spontane Mithilfe von Heidebesuchern sowie zahlreiche Nachfragen während unserer Pflegeeinsätze zeigen uns, dass der bisher kaum sichtbare Denkmalbestand wenig bekannt ist und gleichzeitig das Interesse groß ist, was uns in der Fortsetzung der Arbeiten bestärkt.

Deshalb werden wir die Arbeiten jeweils Anfang November weiter fortführen, und Mitglieder der archäologischen Gesellschaft und Interessierte wieder herzlich zur Mitwirkung einladen. Weitere Informationen finden sich auf unserer Internetseite www.agisa.de, Anfragen zur Mithilfe können gern an kontakt@agisa.de gestellt werden.

Besondere Vorkenntnisse sind nicht erforderlich; robuste Kleidung, Tatkraft, Freude am Aufenthalt im Freien mit Gleichgesinnten und vielleicht ein paar Arbeitshandschuhe sind zur Mithilfe ausreichend. Alle Interessierten und Mithelfer sind uns herzlich willkommen.

[1] Vgl. Matthias 1982, 62 – 81.

[2] Vgl. Schaberg und Weinert 1972.

 

Literatur:

Magistrat der Stadt Halle (Hrsg.): Die Dölauer Heide. Waldidylle in Großstadtnähe, Halle, o.J.

Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie (Hrsg.): Faltkarte: Die Dölauer Heide. Ein außergewöhnliches Denkmalensemble der Jungsteinzeit, Halle (Saale) 2014.

Waldemar Matthias: Kataloge zur mitteldeutschen Schnurkeramik, Teil V, Mittleres Saalegebiet, Berlin 1982.

Friedrich Schaberg, Erich Weinert, Veränderungen in der Flora der Dölauer Heide bei Halle (Saale). Aus dem Pädagogischen Institut Halle, Sektion Biologie-Chemie, Lehrbereich Botanik, und der Sektion Biowissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Fachbereich Botanik, Hercynia N. F., Leipzig 9 (1972) 4, 409 – 422.