Erst 900 Jahre Eisdorf?

Ein Ortsjubiläum und die schwierige Suche nach der zugrundeliegenden Ersterwähnung

Mike Leske | Ausgabe 2-2021 | Geschichte

Detailvergrößerung der Wimmelburger Besitzurkunde mit den Güternennungen in Risdorph und Hisdorph (beide hell umrandet). Landesarchiv Sachsen-Anhalt, U 11 Grafschaft Mansfeld und Herrschaft bzw. Fürstentum Querfurt, A IX ll Wimmelburg Nr. 1.
Detailvergrößerung des Hersfelder Zehntverzeichnisses mit dem Toponym Risdorpf (hell umrandet). https://de.wikipedia.org/wiki/Hersfelder_Zehntverzeichnis#/media/Datei:Hersfeld_zehntverzeichniss.jpg

2021 feiert der Teutschenthaler Ortsteil Eisdorf (Saalekreis) sein 900-jähriges Bestehen. Im Gegensatz zur Geburt eines Menschen sind Ortsjubiläen nur sehr selten auf ein genaues Jahr, geschweige denn auf ein konkretes Datum festzulegen. Daher werden solche „Geburtstage“ in der Regel mit einer vermeintlichen Ersterwähnung in den schriftlichen Quellen gleichgesetzt. Diese wiederum stellt keine Gründungsurkunde dar. Meist handelt es sich um die Besitzaufzählung oder -bestätigung eines Grundherrn, welche die Existenz des Ortes bereits voraussetzt. Oft sind diese Siedlungen wesentlich älter als es die Urkunden belegen können.

Eine Nennung Eisdorfs ist für das Jahr 1121 überliefert und bildet die Grundlage für das diesjährige Ortsjubiläum. Dabei wird der gängigen Forschungsmeinung gefolgt, welche die Ersterwähnung des Ortes in einem Güterverzeichnis des westlich von Eisleben gelegenen St.-Cyriakus-Klosters in Wimmelburg (Landkreis Mansfeld-Südharz) sieht. Hierin gestattete der Halberstädter Bischof Reinhard (Reginhard) dem Abt Milo am 10. August 1121 die Verlegung der Benediktinerabtei Wimodeburg (Wimmelburg) von dem Ort, wo sie ursprünglich gegründet war, nach einer „gesunderen und gesicherten Stelle“ und verlieh ihr mehrere Besitzungen und Gerechtsame (Abb. 1). Die in Latein verfasste Auflistung nennt u. a. „in Hisdorph IIII mansi“. Hisdorph wird dabei von der Forschung als „Urnamensform“ für Eisdorf gedeutet. Den Wimmelburger Mönchen standen demzufolge Einnahmen aus vier Hufen (mittelalterliches Flächenmaß für landwirtschaftliche Güter) im Ort zu.

Nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass Eisdorf von Dörfern umgeben ist, die sich auf eine deutlich frühere Erwähnung berufen, stellt sich die Frage, ob die besagte urkundliche Nennung tatsächlich den ältesten Namensbeleg für die mittelalterliche Siedlung darstellt. Die Orte Bennstedt (Benstet), Köchstedt (Cochstat) sowie die Dorfstätte Osniza, aus welcher Unterteutschenthal hervorgegangen ist, erscheinen allesamt im sogenannten Hersfelder Zehntverzeichnis. Diese Besitzliste der Reichsabtei Hersfeld bei Fulda (Hessen) gilt als frühester schriftlicher Nachweis für eine Vielzahl von Ortsnamen in Nordthüringen und dem südlichen Sachsen-Anhalt (Abb. 2). Die Geschichtsforschung geht anhand sprachlicher Aspekte davon aus, dass es sich bei dem heute im hessischen Staatsarchiv in Marburg aufbewahrten Dokument um eine der Systematik des Originals folgenden Abschrift aus dem 11. Jahrhundert handelt. Das erhaltene Zeugnis setzt sich aus vier Ortslisten zusammen, welche traditionell in die Teile A bis D unterschieden werden. Die Ortsnamen zwischen Saale, Unstrut und Helme sowie der Salza, dem Süßen See und dem Unterharz erscheinen in dem als Friesenfeld benannten Abschnitt A. Dieser beinhaltet mit seinen insgesamt 239 Toponymen die mit Abstand meisten Nennungen. Geordnet in acht nebeneinanderstehende Spalten, listet dieser Teil die Namen jeweils in untereinanderstehenden Zehnergruppen auf. Nicht alle Toponyme sind eindeutig identifizierbar. Für das in Kolumne 8 auf Position Nr. 77 erscheinende Risdorpf plädierte Siegmund Wolf und später Hans Walther – von geographischen Gesichtspunkten ausgehend – dass diese Nennung das Resultat eines Schreib- oder Lesefehlers im Zuge der Abschrift sei und daher mit Hisdorpf – also Eisdorf bei Teutschenthal – gleichzusetzen wäre. Dem widersprach eine Reihe von Historikern, wie Reinhard Wenskus, welcher hinter der Erwähnung eine Ursprungsform von Oberrißdorf (Ortsteil der Lutherstadt Eisleben, Ldkr. Mansfeld-Südharz) vermutete. Zuletzt untermauerte Christian Zschieschang diese Meinung, da er aus sprachlicher Sicht keinen Anlass für eine Verwechslung des Anlauts sah. Aufgrund territorialer Faktoren ging er jedoch von einer Gleichsetzung mit Unterrißdorf (ebenfalls Ortsteil der Lutherstadt Eisleben) aus. Eine gänzlich andere Position vertrat der Eislebener Heimatforscher Dr. Eberhard Eigendorf. In einem Beitrag zur Geschichte von Oberrißdorf lehnte er eine Erwähnung des Ortes im Hersfelder Zehntverzeichnis ab. Da die Besitzauflistung geographisch geordnet sei und die kirchenzehntpflichtigen Orte jeweils im Uhrzeiger- oder Gegenuhrzeigersinn um den jeweiligen Burgward im Mittelpunkt angeführt würden, kann das im Burgward Dussina (Teutschenthal) angegebene Hisdorph seiner Auffassung nach nur Isdorph = Eisdorf meinen. Eine Identifikation mit Oberrißdorf schloss er auch deshalb aus, da sich der Ort außerhalb des Zehntgebietes der Reichsabtei befände. Die geographische Lage im Vergleich zur Abfolge der Namensnennungen im Hersfelder Zehntverzeichnis lässt in der Tat eher zu Eisdorf als zu Ober- oder Unterißdorf tendieren; wobei hier nicht unerwähnt bleiben darf, dass gerade in der betreffenden Kolumne 8 ein Großteil der Namen entweder nicht lesbar oder bestimmbar ist. Solange keine eindeutige Klärung vorliegt, mit welcher Siedlung die Hersfelder Erwähnung von Risdorpf tatsächlich gleichzusetzen ist, kann keiner der genannten Orte diese mit letzter Sicherheit für sich beanspruchen. Die Möglichkeit der Bestimmung mit einer bisher noch nicht in Erwägung gezogenen Siedlung oder Wüstung ist ebenfalls nicht ausgeschlossen.

Doch welche Konsequenz ergäbe sich im Falle einer Hersfelder Ersterwähnung für das Eisdorfer Ortsjubiläum? Der Entstehungszeitraum des Ursprungsdokuments ist umstritten und seit jeher Ausgang kontroverser wissenschaftlicher Debatten. Nach Edward Schröder sind die Teile A und C zwischen 830 und 850 niedergeschrieben worden, während B und D dem letzten Drittel des 9. Jahrhunderts angehören. Jeder Teil stammt nach seiner Ansicht von einem anderen Verfasser. Die Zusammenstellung des Gesamtverzeichnisses wird für die Jahre zwischen 881 und 887 oder 896 und 899 angenommen. Bezüglich der Datierung von Teil A plädierte Edward Schröder mit einer historisch belegten Gegebenheit für das Jahr 845. In diesem wurde ein Konflikt zwischen dem Erzbistum Mainz und dem Kloster Hersfeld um die Zehnterhebung beigelegt. Um die Besitzansprüche der Abtei Hersfeld gegenüber Mainz dauerhaft belegen zu können, erschien es auch Christian Zschieschang plausibel, die Initiative für eine Auflistung aller dem Kloster abgabenpflichtigen Orte auf dieses Ereignis zurückzuführen. Übertragen auf den hypothetischen Gedankengang einer Ersterwähnung Eisdorfs im Hersfelder Zehntverzeichnis, müsste 2021 also das 1176-jährige Bestehen des Ortes gefeiert werden. Eisdorf wäre damit gut 276 Jahre älter als bisher angenommen.

Einen völlig neuen Datierungsansatz zum Zehntverzeichnis formulierte vor kurzem Christian Warnke in seinem Beitrag mit dem Titel „Grafen, Burgen und Kapellen – Forschungsgeschichtliche Interpretationen zum Friesenfeld und Hassegau“. Der im Abschnitt D der Hersfelder Urkunde genannte „duci Otdonis“ wurde bisher weitgehend einvernehmlich mit Otto dem Erlauchten (830/40-912) identifiziert. In seiner Funktion als Laienabt des Reichsklosters war dieser wohl in den Besitz hersfeldischer Güter gelangt. Warnke stellt die geläufige Darstellung des erhaltenen Dokuments als Abschrift in Frage und geht stattdessen von einer Originalurkunde aus. Da das Schriftstück übereinstimmend in die Mitte des 11. Jahrhundert datiert wird, kann nach Warnke die Nennung auch mit Otto I. von Weimar-Orlamünde (gest. 1067) verbunden werden. Dieser soll laut dem Geschichtsschreiber Lampert von Hersfeld einer der Auslöser der thüringischen Zehntstreitigkeiten gewesen sein, denen im Jahr 1059 ein Streit der Abtei Hersfeld mit dem Halberstädter Bischof Burchard vorausging. Diese Auseinandersetzung machte nach Warnke eine Aufstellung des Hersfelder Zehntbesitzes notwendig. Zwar stehen der Auffassung auch onomastische Argumente entgegen, doch könnte eine Betrachtung unter den neuen Gesichtspunkten – nicht zuletzt auch unter Berücksichtigung aktueller archäologischer Grabungsergebnisse – zu völlig neuen Erkenntnissen der früh-/hochmittelalterlichen Besiedlung im Raum zwischen mittlerer Saale und Harz führen. Eine Postulierung des Hersfelder Zehntverzeichnisses ins 11. Jahrhundert wäre zudem mit einer „Verjüngung“ um ca. 200 Jahre aller sich auf diese Besitzauflistung beziehenden Ortsjubiläen verbunden!

Abschließend sollte noch eine weitere Besonderheit unbedingt Beachtung finden: Das im Hersfelder Zehntverzeichnis genannte Risdorpf begegnet uns als Risdorph auch im Güterverzeichnis des Klosters Wimmelburg. Die Erwähnung erscheint dort sogar unmittelbar vor der Besitzauflistung in Hisdorph. Im Gegensatz zum Verzeichnis des Klosters Hersfeld stand eine Zuweisung von Risdorph zu Oberrißdorf und Hisdorph zu Eisdorf für die Wimmelburger Quelle jedoch nie in Frage. Genau die beiden frühmittelalterlichen Anlautvarianten, die man bzgl. ihrer Identifikation für das Hersfelder Zehntverzeichnis diskutierte, finden sich – trotz der geographischen Distanz der vermeintlich ermittelten Orte – im hochmittelalterlichen Besitzbeleg der Wimmelburger Abtei in direkter Abfolge hintereinander wieder. Da dieser Umstand nicht durch logische Schlussfolgerungen aufgedeckt werden kann, muss er bis auf Weiteres als Zufall erklärt werden.

 

Literatur

Baron von Meden zu Stettin, Beiträge zur Geschichte des Klosters Wimmelburg. In: Neue Mitteilungen aus dem Gebiete historisch-antiquarischer Forschungen, Band 3 (Halle 1837).

Hans Walther, Namenkundliche Beiträge zur Siedlungsgeschichte des Saale- und Mittelelbegebietes bis zum Ende des 9. Jahrhunderts. In: Deutsch-Slawische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte 26 (Berlin 1971).

Christian Warnke, Grafen, Burgen und Kapellen – Forschungsgeschichtliche Interpretationen zum Friesenfeld und Hassegau. In: WegBegleiter, Interdisziplinäre Beiträge zur Altwege- und Burgenforschung: Festschrift für Bernd W. Bahn zu seinem 80. Geburtstag (Langenweissbach 2019), S. 269 – 282.

Reinhard Wenskus, Der Hassegau und seine Grafschaften in ottonischer Zeit. In: Reinhard Wenskus, Ausgewählte Aufsätze zum frühen und preußischen Mittelalter. Festgabe zu seinem siebzigsten Geburtstag (Sigmaringen 1986), S. 201 – 212. Ursprünglich in: Dieter Brosius / Martin Last, Beiträge zur niedersächsischen Landesgeschichte. Zum 65. Geburtstag von Hans Patze im Auftrag der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen (Hildesheim 1984), S. 42 – 60.

Siegmund A. Wolf, Ergänzungen und Berichtigungen zur Ortsnamenbestimmung. In: Beiträge zur Namenforschung 7 (1956), S. 16 – 21.

Siegmund A. Wolf: Beiträge zur Auswertung des Hersfelder Zehntverzeichnisses. In: Leipziger Studien. Theodor Frings zum 70. Geburtstag (Deutsch-slawische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte 5). Halle/Saale 1957, S. 192–235.

Christian Zieschang, Das Hersfelder Zehntverzeichnis und die frühmittelalterliche Grenzsituation an der mittleren Saale. Eine namenkundliche Studie (Köln 2017).

Internet

Oberrissdorf.de, http://oberrissdorf.de/?page_id=23 (Zugriff am 21. 02. 2021)