Die Nordharzer Altertumsgesellschaft e. V. im Kloster Wendhusen in Thale
von Heinz A. Behrens | Ausgabe 2-2018 | Bürgerschaftliches Engagement | Geschichte
Zur Vereinsgeschichte
Die „Nordharzer Altertumsgesellschaft e. V.“ („NAG e. V.“) wurde am 6. Februar 1992 in Wernigerode als Zusammenschluss der ehemaligen Fachgruppe „Bodendenkmalpflege“ im Kreis Wernigerode, der Interessengemeinschaft „Denkmalpflege“ Wernigerode, der Fachgruppe „Kemenate“ Wernigerode und der Interessengemeinschaft „Burg Regenstein“ aus Blankenburg gegründet, die größtenteils zwischen 1984 und 1991 unter dem Dach des Kulturbundes der DDR aktiv waren. Folgerichtig wurden das Vereinsziel und der Zweck im § 2 der Satzung entsprechend formuliert:
Der Verein widmet sich der Erforschung ur- und frühgeschichtlicher Kulturen, gegenständlicher und baugeschichtlicher Hinterlassenschaften des Mittelalters und der frühen Neuzeit in den nördlichen Harzlandschaften sowie allgemein regionalgeschichtlichen Themen. Er fördert die wissenschaftliche Bewertung archäologischer und baulicher Denkmalkategorien und deren Publizität in der Öffentlichkeit. Der Verein betreut die archäologische und baugeschichtliche Belegsammlung zum nördlichen Harzvorland. Er unterhält ein eigenes Dokumentationszentrum mit Archiv.
Forschungsergebnisse veröffentlicht der Verein auch in eigener Herausgeberschaft. Anliegen ist es, das Interesse und Verantwortungsbewusstsein der Bevölkerung für die Problematik archäologischer und baulicher Denkmale durch Vortragstätigkeit, Ausstellungen und Exkursionen zu beleben. Das Ziel des Vereins soll im Besonderen auch durch originalgetreue Darstellungen und entsprechende Veranstaltungen erreicht werden. Zu den oben genannten Zielen können geeignete Einrichtungen in Vereinsträgerschaft genommen bzw. als Zweckbetrieb geführt werden.
Bewährte Aktivitäten wie thematische Vortragsreihen, Fachexkursionen zu Bau- und Bodendenkmalen, Regionalforschung und Publikationen wurden beibehalten und weiter ausgebaut. Unser Geschichts-, Denkmalpflege- und Archäologieverein entwickelte vor dem Hintergrund wirkungsvoller Popularisierung ab 1994 zusätzlich den Aspekt der lebendigen Geschichtsdarstellungen, nicht zuletzt auch deshalb, um den Altersdurchschnitt der Mitgliedschaft positiv zu beeinflussen. Derzeit liegt dieser bei 41 1/2 Jahren.
Bislang sind 191 Fachvorträge zu regionalgeschichtlichen und denkmalpflegerischen Themen gehalten, 33 Publikationen in eigener Herausgeberschaft erschienen und 86 Fachexkursionen durchgeführt worden. Die Sammlungen und Ausrüstungen umfassen ca. 270 Akten, 12.000 Dokumentationsfotos, 500 Karten und Pläne, über 3.000 Fachbücher, zwei komplette historische Feldlager und diverse Gewänder und Uniformen.
Von 1991 – 2001 führten wir die Regensteiner Ritterspiele und von 1994 – 2004 das historische Garnisonsfest auf dem Regenstein nach authentischen Maßgaben durch. Diese Veranstaltungen sind dann auch an anderen Orten entsprechend der historischen Vorgaben realisiert worden (Preußenwochenende in Meisdorf, Mittelalter in Wolfshagen, LK Goslar etc., Sachsenspiegel in Braunschweig). Unsere Traditionsgruppen wurden zu vielen Veranstaltungen in der Bundesrepublik, aber auch in das europäische Ausland eingeladen (Dänemark, Niederlande, Belgien, Italien und Frankreich). Selbst an der Ostküste der USA sind wir in verschiedenen Großstädten auf Grund der hohen Darstellungsqualität präsent gewesen.
Alle „lebendigen Darstellungen“ spiegeln Vorgänge vom nördlichen Harzgebiet aus dem 14. und 18. Jahrhundert wieder.
Der Anfang in Thale Wendhusen
Nachdem das ehemalige Kloster Wendhusen in Thale wiederholt Exkursionsziel, aber auch Ort von Vortragsveranstaltungen war und mit Hilfe unserer Gesellschaft eine Station des Geschichtsweges „Deutsche Kaiser und Könige des Mittelalters im Harz“ im Jahr 1998 eingeweiht werden konnte, kam es Anfang 2007 zum Abschluss eines Nutzungsvertrages über den Klosterkomplex mit der Stadt Thale. In der Präambel des Vertrages heißt es:
Es ist das erklärte Ziel beider Partner, im Komplex des ehemaligen Klosters Wendhusen ein Zentrum für lebendige Geschichte entstehen zu lassen, welches von der NAG e. V. betrieben wird. Durch das Zentrum für lebendige Geschichte soll dem Besucher die historische Realität in all ihren Facetten nahe gebracht werden, wobei die Spanne von pädagogisch-wissenschaftlichen Ansätzen bis zur allgemein touristischen Wirksamkeit reicht. Dieses Vorhaben unterstützt der Eigentümer mit allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten.
Alsbald konnten erste improvisierte Ausstellungen und Nutzungen auf Grund vorangegangener Instandsetzungen realisiert werden. Allerdings stellten wir sehr schnell fest, dass die Bekanntheit des Komplexes ziemlich gering war und die Forschungslage zur Geschichte und Baugeschichte sich dürftig und voller Fehler zeigte. Gleich ab 2007 realisierten wir in gewohnter Weise Veranstaltungen, um die Bekanntheit zu erhöhen. Bauforschung und die Recherche zum Kanonissenstift sowie zur Geschichte des adligen Rittergutes nahmen ihren Anfang.
Konzepte und deren Realisierung
Zunächst ist der „Kernbereich“ mit der wertvollen Bausubstanz vom frühen 9. Jahrhundert bis zur Hochromanik in der Mitte des 12. Jahrhunderts museal erschlossen worden. Hierzu mussten neue Kommunikationswege im Erdgeschoss gebaut werden, damit die Besichtigung unter Schonung der Originalsubstanz möglich wurde. 2007 bauten Vereinsmitglieder eine gestemmte Holztreppe, eine Besichtigungsplattform mit Geländer und Ausstellungstafeln ein.
Bereits 2008 konnte ein erster Ausstellungsabschnitt im Obergeschoss des Herrenhauses eröffnet werden. Unter einem Zeitstrahl werden hier in chronologischer Folge die Ereignisse der Geschichte des Kanonissenstiftes zwischen 775 und 1525 auf 13 Tafeln präsentiert.
Ein zweiter Ausstellungskomplex ist 2011 in einem separaten Raum fertiggestellt worden und widmet sich dem Thema „Was sind Kanonissen? “ 2012 folgte in einem weiteren Raum die Exposition zur „Geschichte der Adelsfamilien in Wendhusen“ von 828 bis 1945.
2013 konnte dann das Thema „Baugeschichte des Klosters“ anhand der archäologischen Dokumentationen und eines weiteren Kirchenmodelles der Öffentlichkeit präsentiert werden. Hier ist das didaktische Prinzip der Einbeziehung von rekonstruiertem Grundriss im Freiraum, Dokumentation auf Tafeln, Modell und Rekonstruktion in einer Achse realisiert. Dies wird durch den Blick vom Fenster auf den rekonstruierten Grundriss der karolingerzeitlichen Stiftskirche ermöglicht. Letztlich ist im Jahr 2017 der vorläufig letzte Ausstellungsraum zu den Themen „Dendrochronologie“ und „Grundbesitz des Stiftes“ eröffnet worden.
Die aus der Rittergutszeit stammenden Wirtschaftsgebäude sind nach Herrichtung durch die Vereinsmitglieder nahezu vollständig in Nutzung als „Zentrum für lebendige Geschichte“. So konnten ehemalige Stallungen und Scheunen für traditionelles Handwerk, für historische Darstellungen oder Langbogenschießen hergerichtet werden. Die an den hochromanischen Westbau angrenzende „Magazinscheune“ enthält nunmehr einen Holzbackofen, eine Ausstellung zur altpreußischen Artillerie und zum Sachsenspiegel des Eike von Repgow. Gleichzeitig wird sie für Vortragsveranstaltungen genutzt und verfügt über eine leistungsfähige Küche.
Ein ehemaliger Kuhstall dient seit 2009 als Bogenscheune, in der auf einer Distanz bis 30 m traditionell Langbogenschießen stattfindet. Auch hier dient eine Schauwerkstatt und eine kleine Exposition der Vermittlung von Kulturgeschichte und handwerklichen Fähigkeiten beim Bau von Bogen und Pfeil.
Nach erfolgter archäologischer Dokumentation, veranlasst durch die Erneuerung einer Regenentwässerung zwischen 2011 und 2013, konnte im Jahr 2014 ein Archäologiepark im Klostergarten eröffnet werden. Der Garten enthält darüber hinaus Pflanzungen und Obstarten nach den capitulare de villis (Landgüterverordnung) Karls des Großen, einen Kräuter- und Würzgarten sowie einen durch die Vereinsmitglieder rekonstruierten Teich mit Wildfischbesatz.
Der Garten dient auch als Veranstaltungsgelände der NAG e. V., zum Beispiel für Bogenschießen auf große Distanz bis 60 m, Reenactments und Gartenführungen. Alljährlicher Höhepunkt ist der „Klostermythos“ am letzten Sonntag im September, bei dem u. a. auch Verhandlungen nach dem Sachsenspiegel anhand authentischer Fälle und unter Einbeziehung des Publikums – als Schöffen oder Zeugen – stattfinden.
Die Vereinsaktivitäten und der Betrieb des Klostermuseums kommen ohne Dauerförderung aus. Lediglich bei in sich abgeschlossenen baulichen Instandsetzungen bzw. Restaurierungsvorhaben werden gemeinsam mit dem Eigentümer, der Stadt Thale, Förderanträge gestellt. Unsere Einnahmen speisen sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Eintrittsgeldern, Literaturverkauf sowie Miet- und Veranstaltungseinnahmen. Es gilt das Prinzip „Was wir nicht einnehmen, kann auch nicht ausgegeben werden“. Darüber hinaus werden nahezu alle anfallenden handwerklichen Arbeiten und Pflegemaßnahmen in Eigenleistung erbracht. Personalvergütungen (Anstellungen) oder Aufwandsentschädigungen erfolgen nicht. Die Stadt Thale unterstützt uns gemäß der Präambel im Nutzungsvertrag in hervorragender Weise mit Sachleistungen. Grundsatz ist, die Bedingungen der Gemeinnützigkeit stets zu erfüllen und keine Abhängigkeit von öffentlichen Haushalten einzugehen.
Fazit
Durch die Vielschichtigkeit und Verbindung verschiedener Standbeine kann die Altertumsgesellschaft, die im Jahr 2011 ihren Sitz nach Thale verlegte, ihren satzungsgemäßen Zielen entsprechend für den Klosterkomplex Wendhusen eine erfolgreiche Bilanz ziehen.
Wichtigste Ergebnisse sind die Erforschung des ehemaligen Kanonissenstiftes Wendhusen, dessen bauarchäologische Dokumentation und Präsentation der für Sachsen-Anhalt einmaligen Architekturreste von der Karolingerzeit bis in die Hochromanik.
Mit der Aufnahme des Gebäudekomplexes in den Bestand der „Straße der Romanik“ im Jahr 2017 ist dieser Bedeutung Rechnung getragen worden. Das realisierte „Zentrum für lebendige Geschichte“ mit all seinen Facetten ist sowohl am Ort, als auch als „Botschafter“ für die Region mindestens deutschlandweit geachtet.
Weitere Informationen zum Verein gibt es unter www.nag-history.de.