Die verhinderte Fürstenversammlung von 1138 in Quedlinburg

Zum 850. Todesjahr Albrechts des Bären

Christian Marlow | Ausgabe 2-2020 | Geschichte

Denkmal Albrechts des Bären vor dem Schloss Ballenstedt. © Stadt Ballenstedt
Siegel Albrechts des Bären Codex Diplomaticvs Anhaltinivs, Theil 1 936 – 1212 mit zehn Siegeltafeln, hrsg. von Otto Heinemann, Dessau Barth 1867 – 1873. https://t1p.de/w502

Albrecht der Bär (um 1100 – 18. November 1170) aus dem Geschlecht der Askanier war Sohn Ottos des Reichen von Ballenstedt und Eilika Billung von Sachsen. Deren Schwester Wulfhild heiratete um 1100 den bayerischen Herzog und Welfen Heinrich den Schwarzen (um 1075 – 13. Dezember 1126).[1] Aus dieser Konstellation entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten sukzessive die scharfe Konkurrenz zwischen den Askaniern und den Welfen um das Erbe der Billunger.[2]

Albrecht der Bär, seit 1123 Graf von Ballenstedt, gründete 1157 die Mark Brandenburg.[3] Zwischenzeitlich war er zudem Fürst und Markgraf der Nordmark (1123– 1131), Herzog von Sachsen (1138– 1142) und Graf von Weimar-Orlamünde (1134– 1170).[4] Er war zweifellos einer der mächtigsten Fürsten in Sachsen. Die von ihm verhinderte Fürstenversammlung von 1138 in Quedlinburg[5]  unterstreicht seinen Machtanspruch deutlich.

Nach dem Tod Kaiser Lothars III. von Süpplingenburg[6]  am 3. Dezember 1137 beraumte dessen Witwe, Kaiserin Richenza (um 1088– 1141),[7] den Paderborner Annalen zufolge am 2. Februar 1138 einen Reichstag nach Quedlinburg ein: „Imperatrix Richeza indixit conventum principum in festo purificationis sanctae Mariae Quidilingaburg.“[8]  Nach den Vorstellungen Lothars III. und Richenzas sollte ihr Schwiegersohn Heinrich der Stolze [9], der Gertrud, die einzige Tochter des Kaiserpaares, geheiratet hatte, die Nachfolge im Reich antreten und zugleich das Herzogtum Sachsen übernehmen. Damit traf er in Sachsen auf konkurrierende Ansprüche Albrechts des Bären. Die Reichsinsignien wurden Heinrich dem Stolzen schon vor dem Tod Lothars III. übertragen. Er war zu seiner Zeit einer der mächtigsten Fürsten im Reich und prädestiniert für die anstehende Königswahl.[10] Vermutlich sollten auf dem allgemeinen Reichstag – conventum principum – noch weitere Tagespunkte behandelt werden, doch im Vordergrund stand wohl, dass Kaiserin Richenza die Thronerhebung ihres Schwiegersohnes intendierte und in Quedlinburg die Unterstützung der sächsischen Fürsten suchte.

Doch Albrecht der Bär verhinderte diesen Fürstentag: „Qui conventus impeditus est Athelberto marchione et suis commanipularibus, tollentibus omne servitium imperatricis, quod ibi habere debuit, et introitum in urbem ei prohibentibus et plurima dampna tam rapinis, quam incendiis ei inferentibus.“ [11] – „Diese Zusammenkunft ist von Markgraf Albrecht und seinen Mitkriegern verhindert worden, indem sie jegliche der Kaiserin Dienste, die ihr dort zustanden, aufhoben/wegnahmen und ihren Einzug/Eintritt in die Stadt verhinderten und ihr[12] viele Schäden, sowohl durch Raub/Plünderung als auch durch Brand(schatzung) antaten (Übersetzung C.M.).“

Zu diesem Zeitpunkt war in Quedlinburg keine Äbtissin im Amt – Gerburg von Kappenberg [13] war bereits im Juli 1137 gestorben –, die das Ereignis zumindest hätte verurteilen können. Ob das Stift und die Stadt Quedlinburg oder Eigengüter Kaiserin Richenzas in Mitleidenschaft gezogen wurden, ist wegen der Ambivalenz der Quellenstelle nicht belegbar. Am 7. März 1138 wurde der Konkurrent um die Reichskrone, der Staufer Konrad III. in Koblenz zum König gewählt, und nicht Heinrich der Stolze .[14] Jener besuchte nachweislich und im Zuge seines Königsumritts am 26. Juli 1138 das Stift Quedlinburg,[15] sodass die Zerstörungen – sofern es sie gab – nicht so gravierend gewesen sein dürften. Vermutlich wurde das Quedlinburger Umland von Albrechts Truppen verwüstet.

In diesem Zusammenhang stellt sich zwangsläufig die Frage, warum es Albrecht möglich war, derart gegen Kaiserin Richenza vorzugehen. Der Askanier wandte die „Fehde“ als typisches Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen an. Albrecht muss sich sicher gewesen sein, dass ihm wegen dieses Husarenstücks keine Sanktionen drohten. Vermutlich konnte er sich auf eine breitere von Basis sächsischen Großen stützen, die ihn im Hintergrund protegierten.[16]

Es ist sicher kein Zufall, dass im selben Jahr Beatrix II. von Winzenburg [17], eine Schwester von Sophie, der Gemahlin Albrechts des Bären, Äbtissin von Quedlinburg wurde. Damit hatte der Askanier indirekten Zugriff auf das Reichsstift Quedlinburg und konnte auf dieses Einfluss nehmen. Doch die Schutzvogtei über das Stift lag nicht bei ihm, sondern schon seit 1133/37 bei den sächsischen Pfalzgrafen von Sommerschenburg.[18]

Albrecht der Bär hat mit hoher Wahrscheinlichkeit die Designation Heinrichs des Stolzen und damit ein welfisches Königtum verhindert. Deshalb kann man mit Recht behaupten, dass Albrecht der Bär mit dieser Blockierung Kaiserin Richenza eine herbe Niederlage beigebracht und „europäische Geschichte“ [19] geschrieben hat.

Das Stift Quedlinburg stand – wie schon im 10. und 11. Jahrhundert – auch noch in der Mitte des 12. Jahrhunderts im Zentrum der Reichspolitik. Der oft erwähnte Bedeutungsverlust dieser geistlichen Einrichtung im Hochmittelalter muss somit zumindest relativiert werden.

Für die Wahl des Staufers Konrad III. im März 1138 kann Albrecht der Bär zurecht als Steigbügelhalter gelten. Ein Jahr später – auch am 2. Februar – ist Konrad III. wieder in Quedlinburg nachweisbar.[20] Ob es Absprachen im Vorfeld der Königswahl zwischen Konrad III. und Albrecht gab, ist nicht sicher zu belegen.[21] Konrad III. dürfte aber ein vitales Interesse gehabt haben, ein politisches und herrschaftliches Gegengewicht zu Heinrich dem Stolzen in Sachsen zu protegieren. Als dieser die Huldigung Konrads III. verweigerte, verlor er das Herzogtum Sachsen an Albrecht den Bären. Doch konnte sich der Askanier im Folgenden nicht als Herzog durchsetzen und verlor das Amt bereits 1139 wieder, obschon er dieses formell bis 1142 ausübte.[22] Es ist vielleicht Ironie des Schicksals, dass Heinrich der Stolze am 20. Oktober 1139 in Quedlinburg – vielleicht Widerstand gegen Albrecht organisierend – verstarb.[23]

 

[1] Vgl.: Bork, Ruth (Diss.): Die Billunger. Mit Beiträgen zur Geschichte des deutsch-wendischen Grenzraumes im 10. und 11. Jahrhundert, Greifswald 1951, S. 189.

[2] Mit Magnus Billung starb 1106 dieses Geschlecht im Mannesstamm aus.

[3] Vgl.: Partenheimer, Lutz: Die Entstehung der Mark Brandenburg, Köln 2007.

[4] Vgl.: Ders.: Albrecht der Bär. Gründer der Mark Brandenburg und des Fürstentums Anhalt, Potsdam 22016.

[5] Seit den Ottonen war Stift Quedlinburg bei der königlichen Herrschaftsdurchsetzung in Sachsen von äußerster Wichtigkeit (Begräbnisort König Heinrich I. als erster Sachse auf dem ostfränkischen Königsthron). Vgl.: Marlow, Christian: Die Quedlinburger Äbtissinnen im Hochmittelalter, Magdeburg 2017, S. 16ff., S. 64ff, S. 82ff, S.137ff. und S. 158ff. Aus diesem Grund suchten beinahe alle Könige bis zu Beginn des 13. Jahrhunderts nach ihrer Wahl das Stift Quedlinburg auf.

[6] Vgl.: Haverkamp, Alfred: Das 12. Jahrhundert 1125 – 1198 (=Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 5), Stuttgart 102005, S. 56ff.

[7] Zu Richenza vgl.: Conrad, Robert: Salus in manu feminae: Studien zur Herrschaftsteilhabe der Kaiserin Richenza (1087/89 –1141), Husum 2017.

[8] Annales Patherbrunnenses. Eine verlorene Quellenschrift des zwölften Jahrhunderts aus Bruchstücken wiederhergestellt, ed. Paul Scheffer-Boichorst, Innsbruck 1870, S. 165.

[9] Sohn Heinrichs des Schwarzen; Herzog von Bayern und Sachsen.

[10] In Konkurrenz zum Staufer Konrad, später König Konrad III.

[11] Annales Patherbrunnenses, S.165–166.

[12] Grammatikalisch ist nicht klar, ob die Kaiserin oder die Stadt gemeint ist.

[13] Vgl.: Marlow, Die Quedlinburger Äbtissinnen im Hochmittelalter, S. 154ff.

[14] Vgl.: Görich, Knut: Die Staufer. Herrscher und Reich. München 2006, S. 29.

[15] Vgl.: Diplomata regum et imperatorum germaniae. Conradi III. et filii eius Heinrici, ed. von Friedrich Hausmann, in: MGH DD 9, Köln u.a. 1969, no 13.

[16] Vgl.: Partenheimer, Albrecht der Bär, S. 65ff.

[17] Beatrix II. von Winzenburg (etwa 1105-1160)war seit 1123 Äbtissin von Neuenheerse/ Paderborn.

[18] Vgl.: Codex Diplomaticus Quedlinburgensis hrsg. v. Antonio Uldarico Erath, Frankfurt a.M. 1764, S. 81; Starke, Hans-Dieter: Die Pfalzgrafen von Sommerschenburg, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, 4 (1955), S. 1 –72.

[19] Vgl.: Partenheimer, Albrecht der Bär, S. 64. Albrecht der Bär verhinderte mit der Blockierung des Quedlinburger Fürstentages zumindest vorerst ein welfisches Königtum. Erst der Welfe Otto IV., Sohn Heinrichs des Löwen und Enkel Heinrichs des Stolzen, konnte dieses um 1200 realisieren.

[20] Annalista Saxo, ed. Klaus Nass, in: MGH SS 37, Hannover 2006, S. 613.

[21] Vgl.: Partenheimer, Lutz: Albrecht der Bär, Konrad III. und die Partei Heinrichs des Stolzen im Kampf um das Herzogtum Sachsen (1138 –1142), in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Landeskunde, 4 (1995), S. 78-112, hier S. 83ff.

[22] Vgl.: Ders., Albrecht der Bär. Gründer der Mark Brandenburg, S. 70.

[23] Vgl.: Annales Magdeburgenses, ed. G. H. Pertz, in: MGH SS 16, Hannover 1859, S. 186 –187.