Flurnamen sammeln – aber wie?

Christian Zschieschang | Ausgabe 2-2022 | Kulturlandschaft

Ausschnitt aus der Separationskarte der Mark Schmelz (Brouillonkarte Schmelz)
Wiesen und Wälder auf der Mark Schmelz. Foto: Christian Zschieschang.

Flurnamen sind ein wichtiges Zeugnis unserer Geschichte, Sprache und Kulturlandschaft. In ihrer engen Beziehung zur Bewirtschaftung und zum Landschaftsbild sind sie von deren Veränderungen betroffen und stehen in der Gefahr außer Gebrauch zu kommen (Zschieschang 2015). Diese Namen zu „retten“ bzw. zu sammeln bedeutet, sie so zu dokumentieren, dass sie, auch wenn sie nicht mehr aktiv gebraucht werden, noch nachzuschlagen sind. Dies ist eine verdienstvolle Aufgabe, gerade auch für lokale Experten. Im letzten Heft dieses Journals wurde ja aufgerufen, entsprechende Sammlungen zusammenzutragen (Wenner 2022).

Aber wie fängt man das an? Die zahlreichen Möglichkeiten laufen im Großen und Ganzen auf zwei Richtungen hinaus: Man kann bei kundigen Einwohnern fragen, welche Namen sie kennen – und natürlich dabei auch das eigene Gedächtnis strapazieren. Oder man sucht in Archiven und anderen Einrichtungen nach entsprechenden Quellen. Das kann mühsam werden und ist nicht jedermanns Sache, es gibt aber zahlreiche Interessierte ohne einschlägige wissenschaftliche Ausbildung, die mit Erfolg Archive benutzen.

In ihnen kann man sich leicht verlieren, wenn man nicht gezielt Quellen findet, die aussagekräftiges Material liefern. Nicht, dass es nur auf Masse ankäme – auch einzelne Benennungen können interessant sein. Die Gefahr des Sich-Verlierens besteht vielmehr darin, dass man über die Suche nach Namen leicht auf interessante Geschichten stößt, die man ebenso dokumentieren möchte. Damit kommt man vom Hundertsten ins Tausendste.

Effizienter ist es, gezielt solche Quellen in den Blick zu nehmen, die auf Anhieb viele Namen überliefern. Eine dieser Quellen sind die Separationen, Neuaufteilungen des bäuerlichen Besitzes, die etwa seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts (teilweise auch schon etwas früher) aus wirtschaftlichen Gründen durchgeführt wurden. Für diese Neuaufteilung wurde der vorherige Zustand der Feldmarken genau vermessen und darüber eine große Karte angefertigt. Für die meisten Ortschaften ist dies die früheste Kartierung ihrer Gemarkung überhaupt. Hierzu gehören ein Rezess genanntes Schriftstück von etwa 50 bis 300 Seiten Umfang und einige weitere Akten (genauer: Zschieschang 2020, 426).

Diese Unterlagen liefern einen guten Grundstock an historischen Flurnamen, den man dann mit jüngeren und älteren Quellen vergleichen kann. Und mehr noch: Man gewinnt gleichzeitig ein detailliertes Bild, wie die Feldflur vor etwa 200 Jahren ausgesehen hat, wo und wie Landwirtschaft und Gewerbe betrieben wurden. Man muss sich erst durchfitzen, aber mit ein bisschen Geschick kann man sich eine übersichtliche Umzeichnung der großen Karte anfertigen.

Diese Karte ist auch für die Erforschung der Flurnamen von wesentlicher Bedeutung. Mit ihr lassen sich viele Namen anhand ihrer Lage erklären. Hierfür braucht man keine sprachwissenschaftlichen Spezialkenntnisse. Man muss aber mit der Mundart ebenso gut vertraut sein wie mit der Natur- und Kulturlandschaft, um fehlerhafte Schreibformen von Namen erkennen und die Beweggründe von Benennungen nachvollziehen zu können. Das sind genau die Kompetenzen, über die Heimatforscher:innen normalerweise verfügen, so dass sie für solche Forschungen gute Voraussetzungen haben. Wenn dabei alle Angaben genau nachgewiesen werden (und damit nachvollziehbar und glaubhaft sind), dann sind solche Forschungen nicht nur im Ort selbst, sondern auch übergreifend von Interesse, weil sie Fallbeispiele bilden, die miteinander verglichen werden können.

Wie das zu machen ist, wird in einem Aufsatz exemplarisch demonstriert, der bereits in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht, aber über einen einfachen Link leicht zugänglich ist (Zschieschang 2020: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:15-qucosa2-758150). Die Bearbeitung der Namen, bei der auf gute Verständlichkeit geachtet wurde, ist in einen methodischen Mantel gehüllt, der aus Prolog und Epilog besteht und mein Vorgehen aus einer eher wissenschaftlichen Perspektive erläutert.

Ein solcher Verweis ist vielleicht irritierend. Dieses Journal ist aber für die kürzere Vorstellung verschiedener Themen da, und für eine Untersuchung von Flurnamen im erforderlichen Umfang fehlt hier schlicht der Platz. Und warum soll man nicht auf ein anderes Organ verweisen, in diesem Falle auf die traditionsreiche Zeitschrift „Namenkundliche Informationen“, wenn es im Internet leicht verfügbar ist?

Es geht darin um die wüste Mark Schmelz in der Dübener Heide, die seit dem späten Mittelalter zum wenige Kilometer entfernten Dorf Gommlo gehörte. Deshalb wurde das Land hier nicht als Acker, sondern nur als Wiese und Forst genutzt, was Einfluss auf die Benennungen hatte: Bei der Separation wurden eher Umschreibungen von Flächen aufgezeichnet, aus denen die eigentlichen Namen, wie z. B. rother Born oder Holzplatz aus Nr. 22 (vgl. die Namenliste, S. 19), erst seziert werden müssen. Das in dem Aufsatz beschriebene Vorgehen ist aber auch für „normale“, vorwiegend von Ackerflächen geprägte Dorfgemarkungen geeignet. Dies wurde schon mehrfach gezeigt (z. B. Zschieschang 2004; Zschieschang 2018 b), wobei aber die entsprechenden Beiträge (noch?) nicht online verfügbar sind.

Die Benennungen der Flurstücke bei der Separation

1 – 3 Der Wachtmeister
4 Die Pechhütte
5 Schmelzer Mühle
6, 7 die Zwergeshügel westlich der Dübener Straße
8 Die Kohlstättenstücke, Straßenbornstücke, neue Stücke, Kellerstücke
9 Zwischen dem Reetzbach und Ankerwege an der Schoenaer Forst
10 Am Reetzschbach und großen Teich
11 Zwischen den Wegen
12, 13 das Dreieck neben No. 11
14 Am Reitergraben
15 Zwischen dem Ackerwege und der Mark Köplitz
16 am Ackerwege und an der Dübener Straße
17 Westlich der Dübener Straße und am großen Teich
18 Am Neueforth zwischen der Dübener Straße und der Bullenwiese
19 Ackerstucke am Straßenborn
20 Am Straßenborn und kleinen Teich
21 Am Holzplatz und an der Dübener Straße
22 Zwischen dem rothen Born und dem Holzplatz
23 Zwischen dem rothen Born und Mühlteich
24 die Ackerstücke an der Bullenwiese
25 Auf der Bullenwiese
26 zwischen dem Sollichauer Wege und den Dammwiesen
27 die Dammwiesen
28 Wiesen an den Salzbornstücken
29 Wiesen am Mühlteich
30 Wiesen am rothen Born
31 Wiesen am Holzplatz
32 Wiesen an der Pechhütte
33 der Holzplatz
34 Zwischen der Pechhütte und dem Wachtmeister
35 An der Pechhütte
36 Salzbornstücke
37 An der Schmelzer Mühle und Reinharzer Grenze
38 Garten an der Schmelzer Mühle
39 Zwischen dem Wachtmeister und der Köplitzheide, östlich der Dübener Straße
40 zwischen den Revieren No. 37 und No. 39 an der Schmelzer Mühle
41 An der Reinharzer Grenze und Köplitzer Grenze
42 Der große Teich
43 Der kleine Teich
44 Der Mühlen Teich

Die durch die Namen bezeichneten Flächeneinheiten werden auf der Karte durch rote Linien gekennzeichnet. Gelb sind Wege, blau Gewässer und schwarz Gebäude. Auf eine topographische Karte als Grundlage wurde um der Übersichtlichkeit willen verzichtet – auf ihr wäre die Flächeneinteilung nur schlecht zu erkennen gewesen. Da die amtlichen topographischen Kartenwerke aber online verfügbar sind (https://www.lvermgeo.sachsen-anhalt.de/de/startseite_viewer.html [18.05.2022]) und der entsprechende Kartenausschnitt leicht zu finden ist, ist ein Vergleich mit der Topografie leicht möglich.

 

Quellen:

Brouillonkarte Schmelz = Landesarchiv Sachsen-Anhalt, C 20 V Generalkommission/ Landeskulturamt Merseburg, Sep. Schmelz, Karte Nr. 1: Brouillonkarte von der Mark Schmelz. Zum Dorfe Gommlo Kreis Wittenberg gehörig. Vermessen im Jahre 1839 durch Ranzow. Reg-Feldmesser.

Rezeß Schmelz = Landesarchiv Sachsen-Anhalt, C 20 V Generalkommission/ Landeskulturamt Merseburg, Sep. Schmelz Nr. 2: Rezeß betr. Separation der Mark Schmelz, 1842.

 

Literatur:

Wenner, Ulrich (im Namen des Arbeitskreises Sprache/Mundarten): Aufruf an Flurnamen-Sammler, in: Sachsen-Anhalt-Journal. Heimat bewegt 32 (2022), Heft 1, Umschlagseite 2.

Zschieschang, Christian (2004): Flurnamen als Indikatoren hochmittelalterlicher Siedlung – der Raum um Wittenberg, in: „Magdeburger Namenlandschaft“. Orts- und Personennamen der Stadt und Region Magdeburg. Wissenschaftliche Tagung am 18./19./20. November 2004 anlässlich 1200 Jahre Magdeburg im Jahr 2005 (Beiträge zur Regional- und Landeskunde Sachsen-Anhalts 38), Halle (Saale), S. 133 – 150.

Zschieschang, Christian (2015): Zur Rolle von Flurnamen in der Kulturlandschaft und der Kulturlandschaftsforschung, in: Aehnlich, Barbara/Meineke, Eckhard (Hg.): Namen und Kulturlandschaften (= Onomastica Lipsiensia 10), Leipzig, S. 375 – 397, online unter: https://www.philol.uni-leipzig.de/fileadmin/Fakult%C3%A4t_Philo/Namenberatungsstelle/NBS_Webseite/Onomastica_Lipsiensia_Band10_Namen_und_Kulturlandschaften_2015.pdf.

Zschieschang, Christian (2018 a): Fachfeature: Ein Salzbergwerk in der Dübener Heide, in: Meller, Harald/Friederich, Susanne (Hg.): Archäologie in der Flussaue. 20 Jahre Hochwasserschutz und Ortsumgehung Eutzsch (= Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderband 27), Halle (Saale), S. 113 – 115.

Zschieschang, Christian (2018b): Eutzsch vom Mittelalter bis in die Neuzeit, in: ebd., S. 158 – 162.

Zschieschang, Christian (2020): Die Mark Schmelz in der Dübener Heide. Ein Exempel in Sachen Flurnamenforschung, in: Namenkundliche Informationen 112 (2020), S. 419 – 450, online unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:15-qucosa2-758150.