Veränderungen haben immer auch etwas Gutes

Ein Gespräch mit Thomas Webel, Minister für Landesentwicklung und Verkehr, über die Bewältigung des demografischen Wandels in Sachsen-Anhalt

| Ausgabe 1-2017 | Bürgerschaftliches Engagement | Interview

Thomas Webel (CDU), Minister für Landesentwicklung und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt; © Dirk Mahler

Herr Minister Webel, der ländliche Raum Sachsen-Anhalts bekommt den demografischen Wandel besonders stark zu spüren. Welche Gedanken gehen Ihnen da durch den Kopf?

Die direkten Folgen sind zunächst ein spürbarer Rückgang der Bevölkerung und ein starker Anstieg des Durchschnittsalters im ländlichen Raum. Hauptursache dafür ist, dass die jungen Leute in die Städte ziehen, woanders ihre Familien gründen und die Kinder dann dort zur Welt kommen und nicht im ländlichen Raum. Zurück bleiben die älteren Menschen, die zunehmend das Bevölkerungsbild auf dem Land prägen.

Die stärksten Auswirkungen wird der demografische Wandel auf die Daseinsvorsorge im ländlichen Raum haben. Ohne Kinder müssen Schulen geschlossen werden, die Nachfrage nach Dienstleistungen sinkt und die Versorgungsstrukturen sind immer schwerer aufrechtzuerhalten. Trotzdem muss die Daseinsvorsorge gesichert werden. Das ist eine große Herausforderung für Politik und Gesellschaft, der wir uns aber schon jetzt gemeinsam stellen.

Der ländliche Raum wird insgesamt einen Wandel erleben, dessen Ausmaße heute noch nicht vollständig absehbar sind. Wir beobachten aber schon neue Tendenzen: das Leben auf dem Land als Gegenentwurf zum städtischen Leben oder zur Erholung und für die Ferien vom Alltag in den Städten.

Beim Thema „demografischer Wandel“ ist zumeist von Verfall und Niedergang die Rede. Wo sehen Sie hingegen Chancen, die der Strukturwandel bieten könnte?

Veränderungen haben immer auch etwas Gutes – sie bieten uns Chancen. Das sehen wir in jedem Jahr beim Wettbewerb um den Demografiepreis Sachsen-Anhalts. Überall in unserem Land finden die Menschen bedarfsorientierte und innovative Lösungen für die Herausforderungen des demografischen Wandels, wodurch auch das Gemeinschaftsgefühl in den Orten wächst, da sich alle für das gleiche Ziel einsetzen. In einer Zeit zunehmender Anonymität durch neue Medien bietet der ländliche Raum den Menschen einen anderen und durchaus reizvollen Lebensentwurf. Dies ist auch ein Argument dafür, mit den Kindern wieder aufs Land zu ziehen. Der ländliche Raum kann sich also ganz neu erfinden und das ist ein große Chance, die wir nutzen sollten.

Welche Strategien hat das Ministerium entwickelt, um den demografischen Wandel möglichst positiv zu gestalten?

Die Strategie unserer Landesregierung ist im Handlungskonzept für nachhaltige Bevölkerungspolitik festgeschrieben und wird in regelmäßigen Abständen überarbeitet und angepasst. Darüber hinaus hilft das Land den Gemeinden bei der Erarbeitung und Umsetzung von integrierten Entwicklungskonzepten. Diese sind individuell auf die Kommunen abgestimmt und dienen als Leitfaden für eine erfolgreiche Demografie-Politik. Auch alternative Formen des öffentlichen Personennahverkehres, beispielsweise durch den Rufbus, oder aber das Förderprogramm „Kleinere Städte und Gemeinden – Netzwerke und über­regionale Zusammenarbeit“ sind ganz konkrete Maßnahmen.

Welche Rolle spielt das bürgerschaftliche Engagement bei diesen Strategien?

Das bürgerschaftliche Engagement ist einer der wichtigsten Bausteine bei der Bewältigung des demografischen Wandels und das ist auch gewollt. Nur so können die Menschen eingebunden werden, eigene Vorstellungen und Ideen einbringen. Bürgerschaftliches Engagement ist gerade auch im ländlichen Raum ein wichtiger Faktor. Die Leute engagieren sich für ihre Gemeinde, weil sie hier zu Hause sind. Das gibt der Region auch Identität.

Warum setzt das Ministerium beim Thema „demografischer Wandel“ auf die Kooperation der Vereine? Wo sehen Sie die Stärken von Vereinen, wenn es darum geht, die Folgen des demografischen Wandels aufzufangen und zu moderieren?

Die Herausforderungen des demografischen Wandels stellen sich überall unterschiedlich dar und es gilt, sie richtig zu interpretieren und entsprechende Lösungswege zu erarbeiten. Jede Region hat andere Potenziale und Stärken, die dabei helfen können, den demografischen Wandel zu gestalten. Das können die Menschen vor Ort am besten einschätzen. Hier nehmen die Vereine als Institutionen des gesellschaftlichen Austauschs und Engagements eine wichtige Rolle als Bindeglied zwischen den Einwohnern und den politischen Akteuren ein. Darum sind uns die Vereine vor Ort so wichtig. Sie sind unverzichtbar.

In manchem Dorf haben Vereine mittlerweile Dienstleistungs- und Versorgungsaufgaben übernommen. Kommt das nicht dem Eingeständnis gleich, dass sich die öffentliche Hand aus bestimmten Bereichen zurückzieht?

Nein, das ist ganz klar nicht der Fall. Gesetzliche Aufgaben, wie die Daseinsvorsorge, bleiben in öffentlicher Hand und sind Aufgabe der Kommunen. Was die Vereine leisten, sind ergänzende Angebote und wünschenswerte Beiträge zur Erhöhung der Lebensqualität für die Menschen vor Ort.

Das Projekt „Vereine DemografieFit!“ läuft Ende 2017 aus. Sehen Sie Chancen für eine Fortsetzung in längerfristigen Strukturen?

Mit unserem Förderprogramm „Demografie Sachsen-Anhalt“ geben wir allen Vereinen, die sich mit Themen des demografischen Wandels befassen und hier einen Beitrag leisten, weiterhin die Möglichkeit, ihre Vorhaben durch eine Anschubfinanzierung auch in die Praxis umzusetzen.