Mensch und Federvieh.

Zu Besuch beim Landesverband der Rassegeflügelzüchter Sachsen-Anhalt

von John Palatini | Ausgabe 4-2018 | Bürgerschaftliches Engagement

Hahn der Rasse Italiener; Foto: Matthias Behne
Huhn der Rasse Sebright,  gold-schwarz gescheckt ; Foto: Matthias Behne
Schlesischer Kröpfer; Foto: Matthias Behne
Zwerg-Holländer Haubenhuhn; Foto: Matthias Behne
Italiener; Foto: Matthias Behne
Die prämierten Nachwuchszüchter; Foto: Matthias Behne
Besuch beim Landesverband der Rasse­geflügelzüchter Sachsen-Anhalt; Foto: Matthias Behne
Auch Kaninchen wurden prämiert; Foto: Matthias Behne

Im „Alten Schafstall“ von Ostrau (Saalekreis) sind Mitte September Hahn und Henne los. Die 8. Landesjugendjungtierschau für Geflügel und Kaninchen steht an. Der ehemalige Stall, vom örtlichen Kleintierzuchtverein mit Liebe zur Ausstellungshalle und zum Vereinsheim hergerichtet, ist eine Institution. Internationale Schauen fanden hier statt. Regelmäßig ist die Landeselite zu Gast, an diesem Wochenende im Spätsommer nun der Nachwuchs. Drinnen ist es angenehm kühl. Gänse, Enten, Hühner, Wachteln und Tauben stehen auf dem Meldezettel. Ein beständiges Gackern wabert als Grundton durch die Halle. Ab und an kräht ein Hahn, dass es einem durch Mark und Bein geht. In langen Reihen, teils übereinander, stehen die Käfige. Gleich am Eingang empfängt die Besucher eine Phalanx aus graubraunen Höckergänsen und großen, prächtig-schwarzen Hühnern, Australorps werden sie genannt, die munter scharren und picken. Tief rot leuchten die Kämme der Hähne. Bei jedem Schritt wippen die prächtigen Hauptsicheln ihrer buschigen Schwänze. Dagegen sind die 61 Kaninchen dieser Schau in der Reihe dahinter sehr stille Zeitgenossen. In ihren Boxen lümmeln sie herum als habe der Trubel rein gar nichts mit ihnen zu tun.

Von der Züchterjugend des Landes fehlt indes jede Spur. Noch ist Schule. Ohnehin gehört die Halle am Freitagvormittag zunächst den Preisrichtern. In ihren langen, weißen Kitteln stehen die Herren schon seit dem frühen Morgen vor den Käfigen und walten ihres Amtes. Über Stunden wird hier konzentriert gearbeitet. Niemand spricht. Im Vorraum steht zur Stärkung ein Teller mit belegten Brötchen. Auf den kleinen Kärtchen, die an den Käfigen stecken, notieren die Preisrichter ihre Ergebnisse. Gänse, Enten und auch die großen Australorps hat Dirk Peters aus Wasserleben an diesem Morgen bereits geschafft. Auf dem Wertungszettel für eine graubraune Höckergans, Katalognummer 3, steht, gut lesbar und nachgeschrieben mit roter Farbe, die Zahl 96. Wie Peters auf dem Zettel vermerkt hat, entspricht der schöne Vogel damit dem Rassestandard. Am Sonntag, wenn die Preise vergeben werden, erhält Jonas Hilpert aus Kleinleinungen für sein Prachtexemplar denn auch eine Bundes-Jugend-Medaille für „besondere züchterische Leistungen“. Im zweiten Teil der Halle steht Dirk Peters inzwischen vor den Käfigen der Zwerghühnerrassen. Eine Reihe weiter widmet sich sein Kollege Dieter Kuhr den Tauben. Der Katalog vermerkt Huhn-, Kropf-, Struktur- und Tümmlertauben, die von den Jungzüchtern für die Ostrauer Schau eingereicht wurden. Kuhr öffnet einen der Käfige und zieht mit sicherem Griff eine Taube heraus. Er spreizt ihr Gefieder und untersucht die Krallen, bevor er den Vogel, der seinen Kropf nun mächtig aufbläht, wieder in den Käfig setzt. Wer dem Experten zuhört, revidiert schnell die anfängliche, etwas naive Vorstellung, wonach die ausgestellten Seidenhühner und Wachteln im Grunde alle gleich aussähen. Einmal sensibilisiert, schimmert die eine Smaragdente tatsächlich etwas grüner als die andere, deren Federkleid im Kunstlicht der Halle nun in der Tat eher bläulich wirkt. Meist geben Nuancen den Ausschlag. Einmal, so der Preisrichter, sei es der Farbschimmer der Federn, ein anderes Mal die weniger geordnete Struktur des Federkleids, die eine höhere Bewertung vereitele. Das Schicksal der nicht smaragdenen Smaragdente, man ahnt es, ist längst besiegelt. Sie werde nun eines Tages der Küche zugeführt, sagt Kuhr. Wer dutzende, ja, hunderte dieser Vögel züchtet, könne sie nicht alle in sein Herz schließen.

Ziel der Zucht sei das Erreichen des Rassestandards, der in dicken Büchern definiert ist. Züchtern, sagt Kuhr, gehe es in erster Linie nicht um die Veränderung von Rassen, sondern um ihre Erhaltung, so wie sie einmal erzüchtet wurden. Manche Rassen seien inzwischen hunderte Jahre alt und verfügten über Eigenschaften, die den modernen Hybridhühnern, die in der Massentierhaltung verwendet würden, fehlten. „Ohne uns Geflügelzüchter“, so Kuhr, „wären viele Rassen inzwischen ausgestorben, weil sie in der Geflügelindustrie nicht von Nutzen seien.“

Um zu beschreiben, wofür Laien der Blick, aber auch die Sprache fehlt, kennen Preisrichter hunderte Fachbegriffe, die sie in einer dreijährigen Ausbildung erlernen und anwenden müssen. Einer dieser Anwärter ist Gunnar Dwellmann, 33 Jahre, aus dem Harz. Dwellmann erzählt, dass schon sein Vater und zuvor sein Groß­vater Geflügel gezüchtet haben. Seit er denken könne, sei Geflügel auf dem Hof gewesen. Bei der Frage, was er denn selbst züchte, lacht Dwellmann. Es sei leichter, sagt er, aufzuzählen, was fehle. Kampfgänse seien darunter, aber auch Warzenenten, orangefarbige Zwergwyandotten und einiges an Tauben und Ziergeflügel. Preisrichter habe er werden wollen, weil man zu denen in der Jugend immer aufgeschaut habe. Und seit er nicht mehr in vier Schichten arbeite, könne er sich diesen Traum nun erfüllen. Inzwischen ist er im zweiten Jahr seiner Ausbildung und darf, begleitet von seinem Mentor Dirk Peters, Probearbeiten ablegen. Immerhin 97 Rassen gäbe es allein bei den Zwerghühnern. Hinzu kommen noch die verschiedenen Farbschläge. Um das alles parat zu haben, reichten die Schulungstage der Preisrichtervereinigung bei weitem nicht aus. „Ohne Selbststudium“, so Dwellmann, „geht nichts.“ Und Dieter Kuhr bestätigt, dass einige die Ausbildung auch abbrächen, weil sie den Arbeitsaufwand unterschätzt hätten.

Kuhr ist nicht nur Preisrichter, sondern auch 1. Vorsitzender des Landesverbandes der Rassegeflügelzüchter Sachsen-Anhalt. Seinen Verband sieht er gut aufgestellt. Über 5.700 Mitglieder, davon 450 Jugendliche, und zwischen 250 bis 300 Schauen jährlich ließen sich im Bundesvergleich durchaus sehen. Vor der Wende habe der Verband schon einmal gut doppelt so viele Mitglieder gehabt, inzwischen aber bleibe die Zahl zumindest stabil. Wenngleich die Männer deutlich in der Mehrzahl seien, habe der Verband auch aktive Frauen in seinen Reihen, die als Preisrichterinnen mitwirkten und auch sehr erfolgreich züchteten. Zucht, so Kuhr bestimmt, sei mitnichten ausschließlich Männersache.

Am Sonntag zur Mittagszeit geht die Ausstellung, die am Vortag für das Publikum eröffnet wurde, zu Ende. Im „Alten Schafstall“ schnattern jetzt nicht nur die Gänse und Hühner. Bierbänke und Stehtische sind mit Gästen besetzt. Man kennt sich, scherzt und fachsimpelt. Bockwürste und Kuchen gehen über den Tresen. Und auch die Nachwuchszüchter sind jetzt da. Darunter Josie Rasche, 12 Jahre, aus Löderburg bei Staßfurt, die in Ostrau ihre schwarzkupfernen Zwerg-Marans präsentiert, die von den Preisrichtern 93 bis 95 Punkte, also sehr gute Beurteilungen erhielten. Schüchtern erzählt sie, dass sie mit ihrem Hobby begonnen habe als sie 6 Jahr alt war und auch in der Schule alle Bescheid wüssten. Das Züchten liegt natürlich auch bei ihr in der Familie, Vater und Großvater sind ebenfalls mit Leidenschaft dabei.

Zum Schluss werden die Preise vergeben, große und kleine, Medaillen, Pokale, Vasen und buntbestickte Bänder. Niemand soll hier leer ausgehen, und so ist für jeden etwas dabei, sei es auch nur ein Trostpreis. Die jungen Züchter absolvieren die Preisausgabe routiniert, manche werden auch mehrfach nach vorn gebeten. Ausrichter Günther Kieslich und Landesjugendleiter Steffen Falke sind zufrieden. Noch schnell ein Gruppenbild, und schon setzt eine gewisse Hektik ein. Transportkisten werden geöffnet und das nun heftig gackernde Federvieh verstaut. Es geht nach Hause. Am Montag wird Josie Rasche ihren Klassenkameradinnen von einem erfolgreichen Wochenende berichten und ihre Pokale vorzeigen. Die Ausstellungssaison hat gerade erst begonnen und dauert noch bis Januar. Zwischen den Schauen aber ereignet sich die Geflügelhaltung eher im Verborgenen. Und auch für Josie Rasche bedeutet das die ganz alltägliche Sorge um das liebe Vieh.

Die 21. Landesrassegeflügelschau findet in Magdeburg vom 30. 11. bis 02. 12. 2019 statt. Mehr Informationen unter:
www.rassegefluegel-sachsen-anhalt.de