Spindestube Dübener Heide
Kirchengemeinden als Gastgeber mit lokaler Bildungs- und Kulturarbeit
von Carsten Passin | Ausgabe 4-2019 | Bürgerschaftliches Engagement
Das Projekt „Spindestube Dübener Heide“ wurde durch die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt e. V. am 01. 09. 2018 begonnen und endet am 30. 11. 2020. Es ordnet sich ein in das Selbstverständnis von Kirchengemeinden, die sich auch als Akteure und Gastgeber in der Bildungs- und Kulturarbeit für die Bürger über die Grenzen der Kirchengemeinde hinaus verstehen.
Gefördert wird das Projekt durch den ESF – Europäischer Sozialfond und durch den Kirchenkreis Wittenberg.
Hintergründe des Projektes
Das Projekt greift die Tradition der Spindestube in zeitgemäßer Form auf. Früher versammelten sich Menschen in der Spindestube, um sich gesellig zu treffen, miteinander zu essen und zu feiern, sich auszutauschen und Neues zu planen. Im Wörterbuch der Dübener Heide[1] steht: „Spinde: die, gesellige Zusammenkunft der jungen Leute an Winterabenden, Fortsetzung der Spinnstube.“ Heute gibt es solche zwanglosen Treffen der Dorfgemeinschaft eher selten. Beklagt wird:
– Wenig Möglichkeiten zum Austausch von Erfahrungen, Ideen und Bedürfnissen,
– Verlust des Gemeinschaftsgefühls im Ort,
– mangelnde Kommunikation zwischen den Generationen und der Alteingesessenen mit den Neuzugezogenen, fehlende Willkommenskultur,
– fehlendes Gefühl von Handlungsfähigkeit als Dorfgemeinschaft.
Der Projektleiter organisiert zusammen mit Aktiven vor Ort im Naturpark Dübener Heide / Sachsen-Anhalt einen regelmäßigen Dorftreffpunkt für die gesamte Einwohnerschaft. Es gibt Spindestuben in den Orten Bad Schmiedeberg OT Meuro, Sachau und Söllichau, sowie in Kemberg OT Gniest und Krina.
Regelmäßig wird ca. acht Mal im Jahr ein offener Abend mit einem Bildungsangebot (Vortrag mit Gespräch) oder gemeinsamen praktischen und künstlerischen Tätigkeiten (Handwerk, Gesang, Tanz, Gesellschaftsspiele usw.) und Zeit für den persönlichen Austausch und die Verfolgung von Projektideen angeboten. Auch das gemeinsame Essen und Trinken, das von den Teilnehmern bereit gestellt wird, ist wesentlicher Bestandteil der Abende. Einmal im Jahr kann pro Ort eine Exkursion gefördert werden.
Themen und Ziele
Ausgehend von der bestehenden Situation werden im Projekt diese Ziele verfolgt:
– das Schaffen eines regelmäßigen Dorftreffpunktes für die gesamte Einwohnerschaft mit einem regelmäßigen, niederschwelligen Bildungs- und Kulturangebot,
– die Aktivierung der Kirchengemeinden als Akteure vor Ort,
– die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten zur Stärkung einer eigenverantwortlichen Lebensweise,
– Austausch und Vernetzung vor Ort als Basis für gemeinsame weitere Planungen oder Ideen insbesondere zur Gestaltung des eigenen Dorf- und Gemeindelebens und zur Stärkung des Zusammenhalts.
Nach dem Projektende sollen die fünf Spindestuben sich so konsolidiert haben, dass sie selbständig weiterarbeiten.
Die Themen und Exkursionsorte werden gemeinsam mit den Teilnehmern nach deren Interessen und Bedürfnissen gefunden und beschlossen. Die Veranstaltungsthemen können sich auf alles beziehen, was von gemeinsamen Interesse ist: Aktuelle Entwicklungen, historisch Bedeutsames, naturräumliche Themen der Region, Lebensführungsfragen, Probleme im Dorf, Projektideen zur Dorfgestaltung und Zukunftsfragen. Es werden möglichst Menschen aus den Dörfern bzw. der Region bei bestimmten Themen gewonnen, z. B. Menschen, die Gesang, Volkstanz oder sportliche Aktivitäten in der Gruppe anleiten können, die über Nachhaltigkeitsthemen wie biologisches Gärtnern und gesunde Ernährung oder Re-/Upcycling berichten, die als Ortschronisten zur Dorfgeschichte auskunftsfähig sind oder die alte Arbeitstechniken wie z. B. das Sensen vorstellen können.
Entwicklung des Projektes und etwas aktuelle Statistik
Bis zu Beginn des Oktober 2019 konnten 51 Spindestubenveranstaltungen durchgeführt werden, geplant sind für das gesamte zweijährige Projekt insgesamt 80.
Der Altersdurchschnitt der Teilnehmer liegt bisher eher über 50. Es zeichnet sich auch keine Möglichkeit ab, mehr Jugendliche dafür zu aktivieren. Dies fordert nach aller Erfahrung ein spezifisches Herangehen, das in diesem kleinen Projekt nicht geleistet werden kann. An den Spindestuben nimmt eine deutlich höhere Zahl an Frauen teil. Je nach Veranstaltungsangebot kommen zwischen drei und 60 Personen. Die Veranstaltungen beginnen meist zwischen 17 und 19 Uhr und dauern ca. 1,5 bis 3 Stunden.
Die Spindestubenteilnehmer haben zunächst mit Themen- und Ideensammlungen angefangen. Die Themenbereiche sind weit gefächert aus den Bereichen:
– Gesundheit, Garten, Bewegung/Sport, Ernährung,
– Geschichte und Aktuelles, insbesondere Ortschronik,
– Lebensgestaltung und Verschönerung des Dorfes und der Umgebung, Verbesserung von Infrastruktur und Nahverkehr,
– Kultur und Kunst.
Die gewählten Inhalte sind sehr unterschiedlich, je nach den Bedingungen, Möglichkeiten und Herangehensweisen in den einzelnen Gemeinden.
Aufgabe des Projektleiters ist in diesem Prozess Impulsgebung, Organisation, Referentensuche, Moderation und evtl. die Realisierung eigener Themen, die Außenvertretung des Projektes und die Öffentlichkeitsarbeit. Er sorgt dafür, dass die verschiedenen Spindestuben voneinander erfahren und so im Erfahrungsaustausch sind bzw. die Themenangebote der anderen mit nutzen können. Jede Spindestube präsentiert sich auf einer Website[2] über die Homepage der Evangelischen Akademie. Die Spindestube Meuro hat als erste einen eigenen Webauftritt [3] incl. Facebook[4] .
Als sehr wichtiges Erfordernis sowohl für die Projektleitung wie die Spindestübler hat sich der Aufbau von Kooperationen mit örtlichen und regionalen Trägern und Multiplikatoren erwiesen. Die Spindestuben haben keine Chance und verlieren ihren Sinn als Initiatoren und Zentren für Dorfgespräche, wenn hier vor Ort Konkurrenzen und Gegnerschaften entstehen oder aufgebaut werden. D. h. u. a., es sollten zu den Spindestuben auch möglichst alle Einwohner eingeladen werden ohne falsche Einschränkungen durch persönlich, familiär, dorfgeschichtlich, ideologisch, politisch oder sonst bedingte Animositäten.
Ausgewählte Themen und Aktivitäten
Die Spindestube Gniest arbeitet eng mit den ortsansässigen Vereinen zusammen, dem Heimat- und Förderverein Gniest e. V., dem mischKultur e. V.[5] und dem philoSOPHIA e. V.[6] Bisher waren Filmabende, eine Nordic-Walking-Gruppe und die Arbeit an der Dorfchronik die hauptsächlichen Aktivitäten. Eine einmalige Attraktion ist ein Bücherbaum zum Tauschen und Teilen von Büchern, der inzwischen sehr gut in der Region wahrgenommen wird.[7]
In Krina gab es neben einem Filmabend, Spieleabenden, handwerklichen Angeboten (Sockenstricken) und Themenabenden zu Trinkwasser, Osterbräuchen oder lokaler Mundart als besondere Attraktion einen Volkstanzabend. Unter fachkundiger Anleitung wurden von ca. 50 Teilnehmern Volkstänze aus aller Welt getanzt.[8]
In Meuro hat sich sehr schnell eine Gruppe von Menschen zusammengefunden, die sich den Ausbau der Alten Schule zu einem regionalen Bildungs- und Begegnungszentrum zur Aufgabe gemacht hat. Sie haben dafür bereits erhebliche Fördermittel eingeworben und werben weitere über Crowdfunding ein. Hier konnte die Spindestube als Initialzündung und Impulsgeber für die Wiederaufnahme älterer Wünsche und Ideen wirken, die seit Jahren brach lagen, weil sich nicht genug Menschen beteiligten. Inzwischen gibt es auch ein weit und breit einzigartiges Laien-Mandolinenorchester, ein Permakulturgarten wird entstehen und andere Projekte sind in Arbeit.[9]
In der Spindestube in Sachau wurde zunächst eine Sportgruppe initiiert, eine Heimatvereinsgründung ist auf den Weg gebracht, ein Diavortrag über eine Fahrradweltreise fand viel Anklang, die Ortschronik sowie die Neugestaltung der Orientierungstafeln am Elberadweg sind als Projekte geplant. Zudem soll im Ort ein Spielplatz gebaut werden.
Die Spindestube in Söllichau hat sich zunächst der eigenen Ortsgeschichte mit einem Vortrag über das alte Söllichau zugewandt. Dem folgten Themenabende zu Regionalprodukten, zu Zusatzstoffen in Lebensmitteln und ein „Klangfarben“-Musikabend mit Musik aus aller Welt. Weitere Themen werden Sagen und Legenden der Dübener Heide sein, die Beteiligung am Erntedankfest oder traditionelle und neue Methoden der Kürbisverarbeitung.
Wichtige Erfahrungen
Das Projekt hängt von einer regelmäßigen Kommunikation und Information im Dorf ab. Die Erreichbarkeit der Dorfbewohner über digitale Wege wie E-Mail, Whatsapp oder Facebook ist sehr unterschiedlich, im Schnitt zu gering und unzuverlässig. So bleiben für die Ansprache der Einwohner nur Presse, Amts- und Gemeindeblätter, Briefkasteneinwurf und Mund-zu-Mund-Einladungen. Das ist unbefriedigend, aber jede Spindestube findet ihre eigenen passenden Wege, z. B. durch einen regelmäßigen öffentlich bekannten Termin.
Entscheidend ist, durch Impulsgebung und Unterstützung einen Selbstorganisationsprozess in den Dörfern anzuregen und über das Finden von gemeinsamen Themen, Projekten und Zielen am Leben zu halten. Dazu bedarf es vor Ort aktiver Menschen, Multiplikatoren, junge und ältere. Sie bilden das Salz in der Suppe.
Jedes Dorf, jede Spindestube hat dabei ihr eigenes Maß, ihre eigene Geschwindigkeit und Form, die erst in einem offenen Prozess gefunden werden müssen, auch durch zeitweises Scheitern, aus dem zu lernen ist. Insgesamt benötigt es viel Geduld in einem langfristigen, langsamen Prozess. Er lohnt sich für die Entwicklung der Dorfgemeinschaft und ein gutes, kulturvolles Zusammenleben.
Kontakt: Carsten Passin
Heidestr.29 | 06901 Kemberg OT Gniest | Tel. 034921-60323
passin@ev-akademie-wittenberg.de
https://ev-akademie-wittenberg.de/spindestube
[1] https://www.naturpark-duebener-heide.com/dh/deutsch/05_heimat_natur/01_heimatgeschichte/worterbuch5.php
[2] https://ev-akademie-wittenberg.de/spindestube
[3] https://www.spindestube-meuro.de/
[4] https://www.facebook.com/SpindestubeMeuro/
[7] https://ev-akademie-wittenberg.de/spindestube-gniest
[8] https://ev-akademie-wittenberg.de/galerie/volkstaenze-der-spindestube-krina
[9] https://www.spindestube-meuro.de/projekte/