Baum und Blume des Jahres 2016

Die Winter-Linde und die Wiesen-Primel

von Eberhard Große | Ausgabe 2-2016 | Natur und Umwelt

Rasterkarte Verbreitung der Echten Schlüsselblume, Auszug aus der Datenbank Blütenpflanzen, Teil Sachsen-Anhalt, des Landesamtes für Umweltschutz. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
Rasterkarte Verbreitung der Winterlinde, Auszug aus der Datenbank Blütenpflanzen, Teil Sachsen-Anhalt, des Landesamtes für Umweltschutz. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
Primula veris L. Zeichnung: Dr. Eberhard Ladwig, Mühlhausen (Thür.)
Tilia cordata MILL. Zeichnung A. Sickert, Halle (Saale)

Die Winter-Linde

Zum Namen

Die Baumgattung Linde (Tilia L.) gehört nach dem System der Gefäßpflanzen zur Familie der Lindengewächse (Tiliaceae JUSS.). – Aus etymologischer Sicht leitet sich nach ([10] S. 378) der deutsche Gattungsname Linde von althochdeutsch linta sowie neuhochdeutsch linde ab. Für Sachsen-Anhalt ist nach [14] nur der „hochsprachliche Name Linde belegt. Und der lat. Artname cordata bezieht sich auf die herzförmige Gestalt der Laubblätter. – Die Nomenklatur der deutschen Namen richtet sich nach ([11] S. 249), die der wissenschaftlichen nach ([15] S. 259).

Beschreibung

In Mittel- und Süddeutschland gehört die bis 1000 Jahre alt werdende Winter-Linde (Tilia cordata MILL.) mit zu den häufigsten, spontan wachsenden heimischen sommergrünen Laubbäumen (vgl. Wodarz in [1]). Über einem Herzwurzelsystem wächst ein 15 bis 20 (– 25) m Höhe erreichender Stamm mit einer hohen, gewölbten, herzförmigen Krone. An jungen Bäumen sprossen die Äste steil aufwärts, an alten Individuen können die starken Äste abwärts gebogen sein. Während an jungen Bäumen die Rinde noch grau gefärbt und sehr glatt ist und nur wenige braune Risse aufweist, ist sie an alten Exemplaren entweder dunkelgrau oder braun gefärbt und in flache Platten netzförmig zerbrochen [8]. Am Stamm können sich an einstigen Astansätzen sog. Stammknollen entwickeln sowie an den zahlreich vorhandenen schlafenden Augen Zweige austreiben. Im Frühjahr entwickeln sich aus den wechselständig angeordneten, glatten, eiförmigen, dunkelrot glänzenden Knospen fast kreisrunde, am Stiel herzförmig eingeschnittene Laubblätter mit einer kurzen, aber deutlich ausgebildeten Spitze. Ihre Fläche erreicht eine Länge von rund 4 – 7 cm und eine Breite von 3 – 5 cm. Deren kahle Oberseite ist dunkelgrün gefärbt, ihre blaugrüne Unterseite wird durch gelbliche oder rostrote Bärte in den Nervenwinkeln charakterisiert. Die ± dicken und an ihrem Rand spitz gezähnten Laubblätter besitzen im Unterschied zu verwandten Arten keine Grannenspitze. Ihr etwa 3 – 4 cm langer Blattstiel ist kahl. Im Herbst verfärben sich die Laubblätter goldgelb.

Rund zwei Wochen nach der großblättrigen Sommer-Linde (T. platyphyllos SCOP.) beginnt Ende Juni/Anfang Juli die kleinblättrige Winter-Linde zu blühen, die deshalb auch den Namen Spät-Linde trägt. Es stehen 5 bis 15 Blüten in Trugdolden zusammen, an deren 6 – 8 cm langem Stiel ein auffallend großes, längliches, ganzrandiges, gelblichgrünes Vorblatt angewachsen ist. Ihre radiären, weißgelblichen Blüten bestehen aus je 5 leicht abfallenden, elliptischen Kelch- und aus 5 ein wenig größeren, spatelförmigen, alternierend angeordneten Kronblättern mit Honigdrüsen. Weiter innen stehen viele, in Gruppen angeordnete Staubblätter. Im Zentrum befindet sich ein oberständiger, kugelförmiger, dicht behaarter Fruchtknoten mit einem kahlen Griffel. Die sich nach erfolgter Bestäubung und anschließender Befruchtung entwickelnden kleinen, kahlen und dünnwandigen Nüsse sind zwischen den Fingern leicht zu zerdrücken.

Zur Ökologie

Als ein mäßig anspruchsvoller Phanrerophyt bevorzugt die Winter-Linde im Sommer warme, nur wenig saure, humose, ± tiefgründige Böden aus Lehm oder Löß oder Ton (vgl. [9] S. 613). Sie tritt in Laubmischwäldern in der unteren Baum- und/oder Strauchschicht sowohl in schattigen als auch in halbschattigen Lagen auf. Mit ihrem Herzwurzelsystem festigt sie den Boden und düngt ihn durch ihre leicht zersetzbaren Laubblätter. Die Bestäubung der charakteristisch duftenden Blüten erfolgt durch Bienen und Hummeln. Durch den Wind werden die aus den langgestielten Nüssen und dem typischen flügeligen Vorblatt bestehenden Fruchtstände verbreitet.

Allgemeine Verbreitung

Aus chorologischer Sicht kommt die Winter-Linde im Süden von montanen Lagen der submeridionalen Florenzone bis in den Norden der sich nördlich anschließenden temperaten Zone vor. Sie wächst in einem Areal, das am Atlantik im Westen Europas beginnt und im Osten bis zum westlichen Teil Mittelsibiriens reicht ([7] Karte 281a).

Verbreitung in Sachsen-Anhalt

Wie auf der abgebildeten Rasterkarte zu sehen ist, erstreckt sich die Landesfläche unseres Bundeslandes über 718 Planquadrate. Dabei entspricht jedes Quadrat einem Messtischblatt-Quadranten (MTB-Q). In diesem Gebiet sind ab 1992 Fundorte von Winter-Linden in 603 Planquadraten (~ 84 % der Landesfläche) beobachtet worden. Auf der Rasterkarte ist nicht unterschieden worden, ob es sich um spontane Vorkommen oder in Parkanlagen oder an Straßen gepflanzte Individuen handelt. Da ergibt sich die Frage, weshalb die flächendeckend verbreitete Art als Baum des Jahres herausgestellt wird. Die den Baum des Jahres wählende Dr. Silvius Wodarz Stiftung „würdigt damit die Linde als Baum mit den vielfältigsten Verwendungsmöglichkeiten, der höchsten Wertschätzung und der größten Bedeutung in der Mythologie. ‚Es gibt keinen Baum, der mehr mit der Liebe des Menschen verbunden ist und das alleine ist schon eine Kostbarkeit …‘ “ [1].

Wirtschaftliche Nutzung

Das helle, relativ weiche Holz ist ein sehr geschätzter Rohstoff für die Anfertigung von Musikinstrumenten sowie für das Schnitzen von Altären und Wandfiguren in Kirchen. Aus den Blüten dieser Art wird ein schweißtreibender Tee gebrüht. Nach ([3] S. 869) dürfte aber „die Hauptwirkung des Aufgusses … dem heißen Wasser zuzuschreiben sein.“ Sehr geschätzt wird von Kennern der wohlschmeckende Lindenblütenhonig. Die Früchte bleiben bis zum Winter an den Bäumen und werden von Vögeln und Kleinsäugern gefressen (vgl. [1]). – In den populären Bräuchen spielte die Linde in der Vergangenheit eine bedeutende Rolle, ob als heiliger Baum oder als Gerichts-, Dorf- oder als Tanzlinde.

 

Die Wiesen-Primel, Wiesen- oder Echte Schlüsselblume

Zum Namen

Von der Pflanzenfamilie Primelgewächse (Primulaceae VENT.) ist den Blumenfreunden neben dem Alpenveilchen (Cyclamen spec.) die Wiesen-Primel (Primula veris L.) wohl die bekannteste Vertreterin. In der Etymologie gibt es verschiedene Deutungen des Namens. Nach Genaust ([4] S. 506) bezeichnet der heute noch gültige, aus dem Mittellateinischen kommende wissenschaftliche Artname „erst in der 2. Hälfte des 15. Jh. … sicher die Schlüsselblume“, wie diese Sippe auch heißt. Und Schubert/Wagner ([12] S. 420) deuten den lat. Artnamen „prima = die erste, -ula= Verkleinerungssilbe; als eine der ersten im Jahre blühenden Pflanzen gleichsam den ‚Blüten­himmel aufschließend‘) – Schlüsselblume.“ In Sachsen-Anhalt sind nach Wenner (briefl. Mitt. s. [14]) folgende mundartliche Benennungen belegt: „Himmelsslötel ‚-schlüssel‘im ostfäl. Sprachgebiet westlich der Elbe zwischen Ohre und Harz, Bernburg ([14] S. 157)“ sowie „Slötelblome ‚Schlüsselblume‘ …
im ostfäl. Sprachgebiet westlich der Elbe zwischen Ohre und Harz, Anhalt … ([14] noch nicht erschienen)“.

Beschreibung

Mit der ausdauernden Rosette und dem senkrecht in die Erde wachsenden Erdspross (Rhizom) einschließlich der von ihm abzweigenden Wurzeln überwintert die heimische Staude. Ihre grundständigen Laubblätter bestehen aus einem geflügelten Stiel und einer deutlich davon abgesetzten länglich-eiförmigen, 5 – 20 cm langen und 2 – 6 cm breiten, weichen und beiderseits behaarten Spreite. Deren runzelige Oberseite ist dunkelgrün, die Unterseite hellgrün gefärbt. Nach oben entwickelt sich ein ± langer, behaarter Blütenstandsschaft mit einer endständigen, nach einer Seite gewendeten Dolde. An dieser befinden sich zwischen 5 und 20 radiäre, zwittrige, dottergelbe Blüten, in deren Schlund sich 5 rotgelbe Flecken befinden. Jede Blüte besteht aus 5 miteinander zu einem bauchigen Kelch zusammen gewachsenen Kelchblättern, welche am oberen Rand mit eiförmigen Zähnen abschließen. Weiter innen stehen 5 Kronblätter, die in ihrem unteren Teil eine Röhre bilden und dann nach oben in 5 glockigen Kronlappen enden. Die 5 Staubblätter sind mit der Kronröhre verwachsen. Im Zentrum befinden sich die zu einem oberständigen Fruchtknoten verwachsenen Fruchtblätter.

Zur Ökologie

Die in kleinen Gruppen wachsenden Wiesen-Primeln sind auf ungedüngten,± basischen Böden in Halbtrockenrasen, auf trockenen Wiesen und in Trockenwäldern vergesellschaftet. Sie werden während der von April bis Juni dauernden Blütezeit von Hummeln und Faltern bestäubt. Ihre Samen werden durch den Wind verbreitet.

Allgemeine Verbreitung

Nach Jäger und Weinert (in [11] S. 265) erstreckt sich das Areal der genannten Art innerhalb Europas bis nach Westasien von den montanen Lagen in der submeridionalen Zone im Süden bis zur borealen Zone im Norden (vgl. Karte 337 a in [7]).

Verbreitung in Sachsen-Anhalt

In Deutschlandsind sind alle einheimischen Primel-Arten als streng geschützte Arten eingestuft worden [13]. In den Roten Listen einiger Bundesländer sind Unterarten der Wiesen-Primel in ihrem Bestand als „gefährdet“ aufgeführt ([6] S. 109). Auch wenn in Sachsen-Anhalt ab 1992 noch auf 49,3 % der Landesfläche Populationen nachgewiesen werden konnten und die Sippe derzeit als ungefährdet eingestuft ist, sind hier von den zwischen 1950 und 1991 gemeldeten Fundorten rund 10 % nicht mehr nachweisbar.

Wirtschaftliche Nutzung

Wirkstoffe aus dem Rhizom und der Wurzel stillen Husten und fördern Auswurf. Aber bei deren Anwendung ist „eine gewisse Vorsicht“ geboten ([16] S. 475).

 

Literatur

[1] baum-des-jahres.de
[2] Ellenberg, Heinz: Zeigerwerte der Gefäßpflanzen Mitteleuropas. – In: Scripta Geobotanica 9 Göttingen. 2. verb. u. erweit. Aufl. 1979, 122 S.
[3] Fredrichs, G., Arends, G. u. Zörnig, H. (Hrsg.): Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis für Apotheker, Arzneimittelhersteller, Drogisten, Ärzte und Medizinalbeamte. Zweiter Band. 2. berichtigter Neudruck unveränderter Nachdruck. Berlin, Göttingen, Heidelberg 1949. S. 868 f.
[4] Genaust, Helmut: Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen. Hamburg. 3., vollständ. überarb. u. erweit. Aufl. 2005, 701 S.
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Echte_Schlüsselblume
[6] Korneck, Dieter, Schnittler, M. u. Vollmer, I.: Rote Liste der Farn- und Blütenpflanzen (Pteridophyta et Spermatophyta) Deutschlands. – In: Schr.-R. f. Vegetationskunde H. 28. Bonn-Bad Godesberg 1996. S. 21 – 187.
[7] Meusel, Hermann, Jäger, Eckehart, Rauschert, Stephan u. Weinert, Erich (Hrsg.): Vergleichende Chorologie der zentraleuropäischen Flora. Bd. II. Jena 1978, Text 418 S., Karten 259 S.
[8] Mitchell, Alan: Die Wald- und Parkbäume Europas. Ein Bestimmungsbuch für Dendrologen und Naturfreunde. Hamburg und Berlin. 2. Aufl. 1979, 420 S.
[9] Oberdorfer, E.: Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Süddeutschland und die angrenzenden Gebiete. Stuttgart. 3., erweit. Aufl. 1970, 987 S.
[10] Paul, Hermann: Deutsches Wörterbuch. Halle (Saale). 7. Aufl. 1960, 782 S.
[11] Schubert, Rudolf u. Vent, Walter (Hrsg.): Rothmaler, Exkursionsflora von Deutschland. Bd. 4. Gefäßpflanzen: Kritischer Band. Jena. 8. Aufl. 1990, Neuausg. 1994. S. 249 und 265.
[12] Schubert, Rudolf u. Wagner, Günther: Pflanzennamen und botanische Fachwörter. Leipzig, Radebeul. 8., neu bearb. u. erweit. Aufl. 1984, 662 S.
[13] Verordnung zum Schutz wild lebender Tier- und Pflanzenarten (Bundesartenschutzverordnung – BArtSchV) vom 16. 02. 2005. Zuletzt geändert durch Art. 10 G v. 21. 1. 2013 l 95
[14] Wenner, Ulrich: Baum und Blume des Jahres 2016. E-Mail vom 18. 01. 2016: [Vgl. Mittelelbisches Wörterbuch. Begründet von Karl Bischoff, weitergeführt u. hrsg. v. Gerhard Kettmann. Unter Leitung des Hrsg. bearb. v. Bader, Hans-Jürgen, Möhring, Jörg (nur Bd. 2) u. Wenner, Ulrich. Band 2: H-O. Berlin 2002.
[15] Wißkirchen, Rolf u. Haeupler, Henning: Standardliste der Farn- und Blütenpflanzen der Bundesrepublik Deutschland. – In: Flor. Rundbr. Beiheft 3. Göttingen 1993. S. 199 und 259.
[16] Wurzer, Walter: Die große Enzyklopädie der Heilpflanzen. Ihre Anwendung und ihre natürliche Heilkraft. Klagenfurt 1994, 736 S.