Gibt es bald ein weiteres UNESCO-Kulturerbe in Sachsen-Anhalt?

Flößerei als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit vorgeschlagen – UNESCO-Ausschuss entscheidet Ende 2022

Frank Thiel | Ausgabe 2-2021 | Lebendiges Kulturerbe

Flößergemeinschaft. Foto: Andreas Arms:
Frank Thie. Foto: Spree PR
Der Vereinsvorsitzende Frank Thiel. Foto: Annette Schneider-Solis
Flößen in Schladebach. Foto: Annette Schneider-Solis
Flößen in Kötzschau. Foto: Annette Schneider-Solis
Flößer in Aktion. Foto Hartmut Krimmer

Ende März 2021 wurde ein gemeinsamer Vorschlag von Deutschland, Lettland, Österreich, Polen, Spanien und Tschechien bei der UNESCO in Paris eingereicht, die Flößerei für die internationale Liste des Immateriellen Kulturerbes zu nominieren. Der zuständige Ausschuss der UN-Organisation entscheidet voraussichtlich Ende 2022 über die Anträge.

„Ich freue mich, dass die UNESCO nun bald über die besondere Bedeutung der Flößerei entscheiden wird“, erklärte die Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission Maria Böhmer. „Dieses jahrhundertealte Handwerk hat unsere Gesellschaft geprägt. In ihm spiegelt sich unsere Wirtschaftsgeschichte. Denn ohne die Versorgung mit Floßholz wäre die Entwicklung vieler europäischer Städte nicht denkbar gewesen“, erläutert Böhmer.[1]

Die Flößerei ist ein altes Handwerk, das jahrhundertelang den Transport von Holz und Gütern auf dem Wasserweg ermöglichte. Seine Hochkonjunktur erlebte dieses Handwerk in Deutschland und anderen europäischen Ländern zwischen dem Mittelalter und dem 20. Jahrhundert. In diesem Zeitraum war Holz vor allem als Brenn- und Baustoff gefragt. Geflößt werden konnte auf nahezu allen Gewässern, auf kleinen Bächen ebenso wie auf großen Flüssen.

Die Mitglieder des Fördervereins Elsterfloßgraben e.V. freuen sich natürlich sehr über diese Nominierung. Damit werden die jahrelangen Bemühungen auch der in Mitteldeutschland ansässigen Flößervereine um den Erhalt und die Weiterentwicklung dieses alten Handwerks gewürdigt. Wir am Elsterfloßgraben leisten unseren Beitrag dazu, dass in der Region verlorenes Wissen wiederentdeckt, bewahrt und weitergegeben wird.

Da gegenwärtig auch in Deutschland das Bewerbungsverfahren für die Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes läuft, könnte möglicherweise für unsere Mitgliedsvereine im Landesheimatbund ein kleiner Rückblick auf diesen Prozess interessant sein. Vielleicht versuchen auch andere Vereine aus Sachsen-Anhalt, sich eines Tages mit ihrem immateriellen Kulturerbe auf den Weg zu dieser Anerkennung zu machen. Der Eintrag in die Bundesliste ist die erste Stufe dieses Prozesses.

Als kleiner Verein hatten wir anfangs das Immaterielle Kulturerbe gar nicht im Blick, obwohl die Flößerei bereits seit 2014 im bundesweiten Verzeichnis stand. Wir hatten andere Probleme zu lösen, wie zum Beispiel den Kampf um die Erhaltung des Floßgrabensystems. Denn wie sollte man Flößerei ohne Wasser praktizieren? Die Entscheidung zu treffen, ob das Kulturerbe, was man pflegt und weiterentwickelt, diese Bedeutsamkeit aufweist, erfordert den Mut, seine Einzigartigkeit herauszustellen und sich Partner – national oder international – zu suchen. Und ist man von der Besonderheit überzeugt, dann sollte man diesen Weg gehen.

Im Jahr 2018 fasste die Mitgliederversammlung des Deutschen Flößertages den Beschluss, den Prozess für eine internationale Nominierung zu starten. Ich selbst war von Anfang an als Vertreter der deutschen Flößervereine in der multinationalen Arbeitsgruppe tätig. Fast drei Jahre arbeiteten wir mit Vertretern von Flößervereinen, UNESCO-Kommissionen und Kulturministerien aus Deutschland, Tschechien, Österreich, Polen, Lettland und Spanien an der gemeinsamen Nominierung. In den Antragsunterlagen wiesen wir nach, wie das immaterielle Kulturerbe Flößerei als lebendiges Handwerk weiterentwickelt und an die nächsten Generationen weitergegeben wird. Wir erbrachten Nachweise und Erläuterungen, was die Flößer-Vereine in den einzelnen Ländern künftig tun werden, um die Flößerei öffentlich bekannt zu machen, das traditionelle Handwerk als Kulturerbe zu schützen und vor Ort identitätsstiftend in den Regionen zu wirken.

In der den Nominierungsdokumenten beigefügten Zustimmungserklärung des Fördervereins Elsterfloßgraben heißt es u.a. „Unser Verein pflegt die Flößerei als Immaterielles Kulturerbe der Bundesrepublik Deutschland seit mehr als 10 Jahren am Elsterfloßgraben. In der Vergangenheit hatte die Scheitholzflößerei eine große Bedeutung für die Energieversorgung der Region um Gera, Zeitz, Halle und Leipzig. Wir geben die Fähigkeiten und Fertigkeiten des historischen Erbes vor allem an die junge Generation weiter. Darüber hinaus finden regelmäßige Informationsveranstaltungen für die Öffentlichkeit in Form von Vorträgen und Exkursionen statt. Wir stehen im engen Erfahrungsaustausch mit Scheitholzflößern im sächsischen Muldenberg im Vogtland und am Schwarzenbergischen Schwemmkanal (Tschechische Republik). Unser Verein ist Mitglied der ‚Deutschen Flößerei-Vereinigung‘ und der ‚International Association of Timber Raftsmen‘ sowie des Netzwerkes ‚Europäische Route der Industriekultur (ERIH)‘“.

In Mitteldeutschland gibt es vier Flößer-Vereine, zwei in Thüringen an Saale und Werra, je einer in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Trotz der räumlichen Trennung gibt es Gemeinsamkeiten – über die Flößerei hinaus verbindet uns eine gemeinsame Geschichte. Über die Saale wurden mitteldeutsche Städte, vor allem Halle, mit Brenn- und Bauholz versorgt. Über die sogenannte Weißelster-Flöße, die bedeutendste „Energiepipeline“ der Neuzeit, gelangten vom vogtländischen Muldenberg aus über die Weiße Elster und das Elsterfloßgrabensystem sowie die Saale Scheitholz und kleine Baumstämme in die Städte Halle (besonders für die Salinen) und Leipzig. Der Muldenberger Floßgraben und der Elsterfloßgraben sind heute technische Denkmäler der Wasserbaukunst. Der Elsterfloßgraben ist das längste noch erhaltene Floßgrabensystem auf der Welt.

Zurzeit gibt es in Deutschland 46 von der UNESCO anerkannte Welterbestätten: drei Natur- und 43 Kulturstätten.[2] Sieben der Stätten sind transnational bzw. grenzüberschreitend; sie umfassen Teilgebiete in weiteren Staaten. Allein in Sachsen-Anhalt gibt es mittlerweile fünf anerkannte Welterbestätten. In der Kategorie des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit kann Deutschland bisher deutlich weniger Einträge vorweisen, nur fünf kulturelle Traditionen und Ausdrucksformen wurden anerkannt: die Genossenschaftsidee und -praxis, die Falknerei, der Orgelbau und die Orgelmusik, der Blaudruck und das Bauhüttenwesen.[3]

Mit der Nominierung der Flößerei könnte in Sachsen-Anhalt bald neben den fünf Welterbestätten erstmalig auch ein Immaterielles Kulturerbe der Menschheit präsent sein. Aus Sicht des Fördervereins verbindet sich damit auch die Hoffnung, dass nun endlich auch Maßnahmen zum Erhalt dieses einzigartigen technischen Denkmals für künftige Generationen eingeleitet werden. Der Elsterfloßgraben wurde Opfer des Braunkohleabbaus in der Region und könnte durch das Einstellen seiner Bewässerung mit Bergbaugewässern ab 2035 seine endgültige Zerstörung erfahren. Deshalb muss das Land Sachsen-Anhalt seiner Verantwortung als Eigentümer nachkommen und endlich die Renaturierung und nachhaltige Nutzung des Elsterfloßgrabens als Projekt im Strukturwandelprozess der Braunkohleregion voranbringen.

Alle kommenden Veranstaltungen des Fördervereins Elsterfloßgraben werden im Zeichen des laufenden Nominierungsprozesses stehen, damit sich der zuständige Bewertungsausschuss der UNESCO ein umfassendes Bild über unseren Umgang mit diesem Kulturerbe machen kann.

 

Zusätzliche Informationen

Seit 2014 ist die Flößerei in das bundesweite Verzeichnis als Immaterielles Kulturerbe eingetragen. Das ist zugleich Voraussetzung, um auf einer der internationalen Listen der UNESCO geführt zu werden. Gegenwärtig beschäftigen sich in Deutschland ca. 2.100 Flößerinnen und Flößer in 26 Vereinen mit diesem immateriellen Kulturerbe, in Europa insgesamt nahezu 8.000 Frauen und Männer. In Deutschland wird die Flößerei an folgenden Gewässern betrieben: Schleswig-Holstein (Elbe), Niedersachsen (Elbe, Aller, Weser), Bremen (Weser), Nordrhein-Westfalen (Rhein), Brandenburg (Havel mit angrenzenden Seen und Finowkanal), Sachsen (Muldenberger Floßgraben), Sachsen-Anhalt (Elsterfloßgraben), Thüringen (Saale, Werra, Elsterfloßgraben), Hessen (Weser), Baden-Württemberg (Kinzig, Nagold, Enz, Murg) und Bayern (Isar, Loisach, Lech, Rodach und Kronach).

In Ergänzung zur Anerkennung eines „Weltkulturerbes“ zählen zum „Immateriellen Kulturerbe der Menschheit“ lebendige Traditionen aus den Bereichen darstellende Künste, mündliche Traditionen und Ausdrucksformen, Wissen um die Natur und das Universum sowie traditionelle Handwerkstechniken. Menschen spielen hier die Schlüsselrolle, aber auch der Nachweis der Lebendigkeit und ständigen Weiterentwicklung dieses Wissens und der Fertigkeiten. Seit 2003 unterstützt die UNESCO den Schutz, die Dokumentation und den Erhalt dieser Kulturformen. Bis heute sind 180 Staaten dem UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes beigetreten. Deutschland gehört dem Vertrag seit 2013 an.

Einzelne Elemente aus den nationalen Verzeichnissen der Vertragsstaaten können für eine von drei internationalen UNESCO-Listen des Immateriellen Kulturerbes vorgeschlagen werden. Ein Ausschuss der UN-Kulturorganisation entscheidet jährlich über die Aufnahme neuer Kulturformen in die UNESCO-Listen des Immateriellen Kulturerbes. Das Gremium setzt sich aus 24 gewählten Vertragsstaaten der Konvention zusammen.

[1] Vgl.: https://www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/moderner-tanz-und-floesserei-vorgeschlagen, Zugriff 20.4.2021.

[2] Siehe UNESCO, Welterbestätten in Deutschland, https://www.unesco.de/kultur-und-natur/welterbe/welterbe-deutschland/welterbestaetten-deutschland.

[3] Siehe UNESCO, Immaterielles Kulturerbe, https://www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-deutschland