Vereinsfusion aus rechtlicher und praktischer Perspektive

Erfahrungen am Beispiel des Vereins Schloss Ostrau e.V.

von John Palatini  | Ausgabe 1-2016 | Bürgerschaftliches Engagement

Gründungsversammlung des Schloss Ostrau e. V. am 16. 10. 2014, Foto: Claus Gienke
Schloss Ostrau, 2015, Foto: Rudolf Schuba
Workshop „Zukunft für Schloss Ostrau“,  Bibliothek des Schlosses, 13. 10. 2013, Foto: John Palatini

Zur Bundesrepublik Deutschland gehören 580.000 Vereine. Dies ist ein wunderbarer Befund, wenngleich sich hinter der großen Zahl auch einige Probleme verbergen: So sind nicht wenige Vereine überaltert. Sie haben Schwierigkeiten, junge und aktive Mitglieder zu gewinnen und Vorstandsposten zu besetzen. Gelegentlich konkurrieren Vereine, die am selben Ort gleiche oder ähnliche Ziele verfolgen, auch um knappe Ressourcen und blockieren sich gegenseitig. Das Zusammenführen von Vereinen kann vor diesem Hintergrund eine sinnvolle oder sogar notwendige Maßnahme sein.

Ehrenamtliches Engagement steht in Deutschland hoch im Kurs. Nicht nur wird es als „Fundament der Bürgergesellschaft“ 1 beschrieben, es sind auch tatsächlich 36 Prozent der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes in mindestens einem der zahlreichen Vereine 2 oder in anderen Gruppen, Verbänden, Organisationen und Initiativen durch eine längerfristige, freiwillige und unentgeltlich übernommene Aufgabe oder Funktion ehrenamtlich engagiert.3 Die Sachsen-Anhalter wiederum sind in 18.458 Vereinen aktiv. Sachsen-Anhalt gehört damit hinter dem Saarland, Rheinland-Pfalz und Thüringen zu den Bundesländern mit den meisten Vereinen je tausend Einwohnern.4 Auch in der Ortschaft Ostrau (Saalekreis) existiert eine breit entwickelte ehrenamtliche Infrastruktur. Neben den Ortschaftsräten mit und ohne Parteibuch, den Engagierten in der evangelischen und der katholischen Gemeinde, in der Freiwilligen Feuerwehr, der Arbeiterwohlfahrt, dem Jugend-, dem Kleingärtner-, dem Sport-, dem Angel-, dem Kleintierzucht- und dem Grundschulförderverein kümmerten sich bis 2014 sogar gleich drei Vereine um Denkmalpflege und kulturelles Leben: der Ostrauer Kulturverein, der Förderverein Schlosspark Ostrau und die Ostrau-Gesellschaft.

Trotz der sich in diesem Befund dokumentierenden hohen „Engagementquote“5, führte diese Vielfalt auch zu einigen Friktionen und Klagen in Ostrau, etwa von Interessierten, die nicht verstanden, welcher Verein für ihr Anliegen der richtige war, von Pressevertretern, die den Überblick verloren, und nicht zuletzt von Sponsoren, Förderern und der Kommune, die sich verschnupft zeigten, wenn sie für das gleiche Jubiläum mehrere Anträge erhielten. Wer nach den Gründen fragt für Doppelstrukturen und Reibungsverluste, der geht nicht fehl, wenn er Naheliegendes, Allzumenschliches vermutet, also eine Mischung aus dem Zusammenprall städtisch-akademischer und ruraler Mentalität, Generationenkonflikten und ganz persönlichen Animositäten. So kann es gehen im Land der Vereinsmeier: Freie Bürger finden sich zusammen, gründen Vereine mit teils erheblichen Schnittmengen, zeigen sich engagiert und sind schließlich erstaunt, wenn Außenstehende ihnen mitteilen, dass man sich doch etwas auf den Füßen stehe in Ostrau, sich bremse, statt die große Aufgabe der Erhaltung und Belebung des Denkmalensembles gemeinsam anzugehen.

Dessen ungeachtet fanden sich die Engagierten der verschiedenen Vereine nach einigen Sondierungen zusammen und begingen 2013 gemeinsam ein Jubiläumsjahr aus Anlass des angenommenen Beginns des Schlossneubaus zu Ostrau im Jahre 1713, der aber, wie Reinhart Schmitt der verblüfften Festgemeinde mitteilte, bereits auf 1710 zu datieren ist.6 Das einträchtige Miteinander wurde von der Erkenntnis, sich im eigentlich falschen Jahr zusammengerauft zu haben, nicht getrübt. Vielmehr gelang im Oktober des Jahres die Durchführung eines vom Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e. V. angeleiteten Workshops mit dem programmatischen Titel „Zukunft für Schloss Ostrau“. Denn eben diese Zukunft des Schlosses als Kultur- und insbesondere als Schulstandort war in Folge einer 2012 begonnenen Diskussion über die Schließung kleinerer Grundschulen in Sachsen-Anhalt in Zweifel geraten.7 Die Teilnehmer des Ostrauer Kulturvereins, der Ostrau-Gesellschaft sowie der Fördervereine von Schlosspark und Grundschule teilten die Sorge, dass ein nach dem Auszug der Schule zu zwei Dritteln ungenutztes Schloss als öffentlicher, der Allgemeinheit zugäng-licher Ort der Kultur kaum eine Zukunft hätte. Der Workshop unter Leitung von Dr. Annette Schneider-Reinhard und Dr. Kathrin Pöge-Alder hatte vor diesem Hintergrund das Ziel, die gemeinsamen Hoffnungen, Wünsche und Erwartungen aller Beteiligten hinsichtlich der künftigen Entwicklung des Ostrauer Denkmalensembles und der Kulturarbeit vor Ort zu eruieren. Am Ende verständigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der vier Vereine auf die unbedingt notwendige Fortsetzung der Zusammenarbeit und zu diesem Zweck auf die Gründung eines diese Zusammenarbeit künftig koordinierenden Netzwerks.8

Zu diesem Zeitpunkt konnte keiner der Beteiligten wissen, dass das kommende Jahr das letzte in der Geschichte aller vier Vereine werden würde. Doch schon bald nach dem Jahreswechsel zeichnete sich ab, dass die erfolgreiche Annäherung im vergangenen Jahr Früchte getragen hatte. Immer nachdrücklicher wurde von verschiedenen Seiten die Meinung vertreten, dass doch besser gleich über ein Zusammengehen der Vereine verhandelt werden sollte. Diese Haltung bestätigte sich auf einem Treffen im Juni 2014, an dem Mitglieder aller Vereine teilnahmen. Danach ging alles ganz schnell. Zur Erarbeitung einer Satzung und Klärung formaler Fragen wurde eine Kommission ins Leben gerufen, die umgehend ihre Arbeit aufnahm. Da alle Beteiligten bisher keine Erfahrungen in Bezug auf eine „Vereinsfusion“, zumal von gleich vier Vereinen, gesammelt hatten, sollte externer Sachverstand hinzugezogen werden. Mit Steuerberater Jens Gläser und Rechtsanwalt Matthias Maurer konnten zwei Berater gewonnen werden, deren Einbindung sich als sinnvoll erwies, weil die Moderation des Vereinigungsprozesses in neutrale Hände überging, emotionales Konfliktpotential so reduziert und der Prozess ohne fachliche Fehler zügig vorangetrieben werden konnte. Es folgten mehrere Beratungsrunden im kleinen und im großen, für alle Mitglieder offenen Format. Zu entscheiden war über die gemeinsame Satzung und das grundsätzliche Vorgehen, wobei zwei Verfahren zur Wahl standen: die Verschmelzung der bestehenden Vereine oder ihre Auflösung und die Gründung eines neuen Vereins. Die Mitglieder entschieden sich für den zweiten Weg, weshalb es im Oktober zunächst zu Mitgliederversammlungen der Alt-Vereine kam, auf denen diese ihre jeweilige Auflösung zum Jahresende berieten, bevor schließlich am 16. Oktober 2014, nicht einmal vier Monate nach der ersten offiziellen Beratungsrunde, die Gründungsversammlung des Schloss Ostrau e. V. stattfand. Die Eintragung des neuen Vereins beim Vereinsregistergericht und die Erreichung eines vorläufigen Freistellungsbescheides beim zuständigen Finanzamt erfolgten umgehend, weshalb die Mitglieder des Schloss Ostrau e. V., wie geplant und erhofft, im Januar 2015 nahtlos an die Arbeit der vier mittlerweile aufgelösten Vereine anknüpfen konnten.

130 größere und kleinere Veranstaltungen, mehr als 8.300 Besucher und eine Steigerung der Mitgliederzahl von 44 auf 74 belegen ein erfolgreiches erstes Jahr. In der Summe ist die Zahl der aktiven Vereine in Ostrau zwar um drei gesunken. Das „Netzwerk des Guten“, wie Bundespräsident Joachim Gauck die dem Land eingewobene ehrenamtliche Struktur unlängst nannte9, ist jetzt allerdings stärker und effektiver als zuvor. Und auch der Frage nach der „Zukunft für Schloss Ostrau“ wird weiter nachgegangen, unlängst im Februar 2016 im Rahmen eines der vom Landesheimatbund Sachsen-Anhalt durchgeführten „Vereinsdialoge“, der unter anderem diesem wichtigen Thema gewidmet war.


  1. Horst Kanitz, Das Ehrenamt. Fundament der Bürgergesellschaft. Sankt Augustin 2000, URL: http://www.kas.de/wf/doc/kas_3528-544-1-30.pdf (13. 01. 2016).
  2. Andreas Mihm, Deutschland hat so viele Vereine wie nie zuvor, in: FAZ.net vom 19. 07. 2013, URL: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/menschen-wirtschaft/neuer-rekord-deutschland-hat-so-viele-vereine-wie-nie-zuvor-12288289.html (13.01.2016).
  3. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Informationen zum 3. Freiwilligensurvey (1999 – 2009), URL: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Internetredaktion/Pdf-Anlagen/freiwilligensurvey-3,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf (13. 01. 2016).
  4. Andreas Mihm, wie Anm. 2.
  5. Bundesministerium, wie Anm. 3.
  6. Reinhard Schmitt: Ostrau – ein Beitrag zur Baugeschichte von Burg und Schloss, in: Das Erbe der Veltheims. Schloss, Park und Kirche Ostrau. Hrsg. v. John Palatini u. Georg Rosentreter. Halle 2014, 9 – 57, unlängst in erweiterter Form: Ostrau, Saalekreis – ein Beitrag zur Baugeschichte von Burg und Schloss vorrangig nach den archivalischen Quellen, in: Burgen und Schlösser in Sachsen-Anhalt 24 (2015), 348 – 512, 539 – 558.
  7. o. A., Mehr als 60 Grundschulen akut gefährdet, in: Mitteldeutsche Zeitung vom 29. 04. 2012, URL: http://www.mz-web.de/mitteldeutschland/sachsen-anhalt-mehr-als-60-grundschulen-akut-gefaehrdet,20641266,17135088.html (13. 01. 2016), eine vorläufige Entwarnung folgte 2014, vgl. Christoph Richter, Doch eine Zukunft für kleine Dorfschulen, Deutschlandfunk vom 26.09.2014, URL: http://www.deutschlandfunk.de/sachsen-anhalt-doch-eine-zukunft-fuer-kleine-grundschulen.680.de.html?dram:article_id=298760 (13. 01. 2016).
  8. Kornelia Privenau, Quo vadis, Ostrau?, in: Mitteldeutsche Zeitung vom 14. 10. 2013, URL: http://www.mz-web.de/halle-saalekreis/vereine-quo-vadis–ostrau-,20640778,24628956.html (13. 01. 2016).
  9. Joachim Gauck, Ordensverleihung zum Tag des Ehrenamts, 4. 12. 2015, URL: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2015/12/151204-OV-Ehrenamt.html (13. 01. 2016).