Wie der Bürgermeisterhof in Salzwedel wieder zum Treffpunkt in der altmärkischen Hansestadt wurde

In der altmärkischen Kreisstadt Salzwedel haben engagierte Bürger:innen ein altes Fachwerkensemble gekauft, um es wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bei der Sanierung und im Vereinsleben werden Nachhaltigkeit und Inklusion groß geschrieben.

Christiane Feller | Ausgabe 1-2023 | Bürgerschaftliches Engagement | Kunst

Zahlreiche Mitglieder des Bürgermeisterhof e.V. präsentieren stolz das instandgesetzte Fachwerk. Foto: Alexander Rekow
Der Nordgiebel während der Instandsetzung. Foto: Jacob Blödow.
Gemeinschaftliche Dachziegel-Rettung aus einem Dorf bei Salzwedel. Foto: Jacob Blödow.
Dachneueindeckung mit geretteten Dachziegeln. Foto: Jacob Blödow.
Hoffest. Foto: Jacob Blödow.

Mit dem Erwerb eines der ältesten zusammenhängenden Fachwerkensembles in Salzwedel gründete sich im Januar 2021 der Bürgermeisterhof e.V. mit dem Ziel, lebendige Impulse für die Hansestadt und ihre Bewohner: innen zu setzen.

 

Historische Bausubstanz retten

Im Herzen der Hansestadt Salzwedel befindet sich mit dem Bürgermeisterhof ein bauhistorisch einmaliges Gebäudeensemble „im Dornröschenschlaf“. Die Fachwerkhäuser aus dem 16., 18. und 19. Jahrhundert gehören zu den ältesten der Stadt und wurden teilweise auf der mittelalterlichen Stadtmauer errichtet. Der Hof stand wie viele andere Gebäude der historischen Altstadt seit vielen Jahren leer und verfiel zusehends.

2020 formierte sich eine private Initiative mit der Idee, den Hof zu kaufen. Erklärtes Ziel war es, diesen Schritt für Schritt und in gemeinsamer Arbeit wieder aufzubauen und zu beleben. Nachdem im September 2020 zwei Personen das Häuserensemble privat treuhänderisch gekauft hatten, wurde im Januar 2021 der Verein Bürgermeisterhof e.V. gegründet. Seit August 2021 ist der Verein Eigentümer des Grundstücks und konnte 2022 bereits die ersten Notsicherungsmaßnahmen abschließen. Hierzu zählte die Instandsetzung einer Giebelwand sowie von Dachflächen von zwei der fünf Gebäude.

Der Bürgermeisterhof e.V. versteht sich als emanzipatorische Ideenwerkstatt und unabhängiger, inklusiver Vernetzungsort für Austausch und Visionen, an dem „Stadt für Alle“, Solidarität und Nachhaltigkeit erlebbar wird und gelebt werden. Doch was bedeutet dies konkret für die Umsetzung der Baumaßnahmen und die Belebung des Bürgermeisterhofes?

Bei den Instandsetzungs- und Sanierungsarbeiten versuchen die rund 40 Vereinsmitglieder möglichst viele bauökologische Aspekte zu berücksichtigen. Das beinhaltet nicht nur die Verwendung von Materialien aus regionaler Herstellung und mit geringem ökologischem Fußabdruck. Es bedeutet vor allem immer wieder abzuwägen, ob es unter Umständen sinnvoller ist, alte und vermeintlich unökologischere Materialien weiterzuverwenden, anstatt diese zu entsorgen und neu produzierte „bessere“ Materialien einzusetzen. Die neue Dacheindeckung ist ein gutes Beispiel: Ausgediente und für die Dachstühle viel zu schweren Beton-Dachpfannen aus DDR-Zeiten mussten dringend ausgetauscht werden. Mit Hilfe zahlreicher ehrenamtlicher Helfer:innen konnte der Verein in mehreren Arbeitseinsätzen historische Biberschwänze von Dachbaustellen in der Region abdecken und dem Dachdeckermeister zur Wiederverwendung zur Verfügung stellen. So konnte die im Material gebundene Energie optimal genutzt werden.

 

Lokale Netzwerke stärken

Die professionelle Notsicherung der Gebäude wird von ortsansässigen Handwerksbetrieben durchgeführt. Durch diese Zusammenarbeit werden lokale Netzwerke im Bereich Denkmalschutz und Handwerk gestärkt und um die Perspektive von Laien ergänzt: Die Ehrenamtlichen der Baugruppe des Vereins begleiten die einzelnen Bauabschnitte. Im vierzehntägigen Rhythmus kommen Alt und Jung zusammen, um Baufreiheit zu schaffen, Dachpfannen abzudecken oder Grünschnitt auf dem Gelände vorzunehmen. Da diese Baugruppe in der Öffentlichkeit am sichtbarsten ist, bildet sie oft den ersten Anlaufpunkt für Interessierte. Bisher konnte der Verein Menschen zwischen 8 und 78 Jahren für Arbeitseinsätze gewinnen, darunter auch Menschen ohne Deutschkenntnisse und Jugendliche aus betreuten Wohnprojekten. Die zahlreichen vereinseigenen Fachleute, vom Elektriker über den Lehmbauer bis hin zu Studierenden der Architektur, bringen haupt- und ehrenamtlich ihre Expertise ein und profitieren vom Austausch mit Kolleg:innen und Laien.

Neben dem Handwerk ist es dem Verein ein besonderes Anliegen, Netzwerke von Kunst- und Kulturschaffenden zu stärken. Mit dem Gemeinschaftsladen „Hansenbande“ versucht der Verein seit seiner Gründung der Verödung der Salzwedeler Innenstadt entgegenzuwirken. Ein Kollektiv aus 11 lokalen Künstler:innen und Kunsthandwerker:innen mietet zu einem fairen Preis das straßenseitige Ladenlokal, das sich mitten auf der Burgstraße, der Fußgängerzone der Hansestadt, befindet. Der Laden bildet als öffentlicher Raum für Einheimische und Besucher:innen das kreative Schaffen der Region ab und ermöglicht, erlesene Produkte in Kleinstauflage anzubieten. Die Teilnahme an dem jährlich stattfindenden Kunstfestival Wagen & Winnen strahlt weit über die Grenzen der Altmark und des benachbarten Wendlandes aus und manifestiert den Ruf Salzwedels als einen Ort der Kunst und Kultur.

Bei der Planung der kulturellen Veranstaltungen im Bürgermeisterhof sind die Vereinsmitglieder um Vielfalt bemüht: Von Autor:innenlesungungen über Theateraufführungen und Konzerte unterschiedlicher musikalischer Genres bis hin zur Teilnahme an der hiesigen Kneipennacht – es geht immer um ein möglichst buntes Treiben im Hof. Das Veranstaltungsprogramm soll bewusst viele unterschiedliche Geschmäcker ansprechen. Um auch sozial schwächeren Menschen den Zugang zu Kulturveranstaltungen zu ermöglichen, kalkuliert der Verein bewusst mit einer Mischung aus eintrittsfreien Veranstaltungen, flexiblen Sozialpreisen und Veranstaltungen mit Spendenempfehlung oder Hutkasse. Gleichzeitig erhalten Künstler:innen, die im Bürgermeisterhof auftreten, eine faire Gage.

Der Bürgermeisterhof-Verein profitiert vom steten Austausch mit anderen Projekten im ländlichen Raum oder ähnlicher inhaltlicher Ausrichtung. Als eines von neun teilnehmenden Projekten (zusammen mit dem Kultur-Nische e.V. in Salzwedel) an dem „Kulturhanse“-Gründungs- und Stadtentwicklungsprogramm, haben Mitglieder des Vereins bei Besuchen ähnlicher Projekte im ländlichen Raum in Ostdeutschland an der strategischen Weiterentwicklung des Bürgermeisterhofs gearbeitet.

 

Nachhaltige Stadtentwicklung fördern

Unter dem Motto „Wir sind alle Bürgermeister:innen“ möchte der Bürgermeisterhof e.V. Stadtentwicklung von unten fördern. Der Verein versteht sich als offener Anlaufpunkt für alle Menschen unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht oder Religion. Einzig eine klare Haltung gegen jede Form von Diskriminierung und politische Radikalisierung erwartet der Verein von seinen Mitstreiter:innen.

Der jeweiligen Stärken entsprechend haben sich im Laufe der Zeit verschiedene Arbeitsgruppen gebildet, die auf unterschiedliche Weise einen Beitrag zum Gelingen des Projekts leisten: Ob einmalig oder regelmäßig – wer mitmachen möchte, kann bei Baueinsätzen, im Team „Kochlöffel“, der Öffentlichkeitsarbeit, bei der Akquise oder in der Finanz- oder Veranstaltungsgruppe mitwirken. Die Vereinsaktivitäten sind so konzipiert, dass möglichst niedrigschwellig Teilnehmer:innen eingebunden werden können. Konkret bedeutet dies beispielsweise: Gute Kommunikation bei Terminabsprachen, damit genauso Erwerbstätige wie Rentner:innen teilhaben können; die kostenfreie Verpflegung während der Arbeitseinsätze oder die Organisation von Fahrgemeinschaften, damit auch Interessierte aus dem Umland ohne Anbindung an den ÖPNV oder Minderjährige zu uns in die Stadt und abends sicher wieder nach Hause kommen.

Für Kinder und Jugendliche hat sich im vergangenen Jahr eine Stelzengruppe gegründet und auf einer innerstädtischen Brache hinter dem Bürgermeisterhof findet regelmäßig ein Bauspielplatz statt. In beiden Gruppen konnten Kinder mit Migrations- und/oder Fluchtgeschichte integriert werden.

Dank dieses möglichst integrativen Konzepts konnte die Anzahl der aktiven Mitglieder von anfangs 10 auf inzwischen über 40 vervierfacht werden.

Mit Visionskraft und Besonnenheit wird der Bürgermeisterhof in Salzwedel immer mehr ein Abbild dessen werden, was der Stadt aus Sicht ihrer Bewohner:innen fehlt. Ob Co-Working-Space, Seminar- und Bewegungsraum oder Gemeinschaftsküche – der Verein freut sich über Ideen und Mitstreiter:innen für die mittel- und langfristige Umsetzung. Zum Weitermachen motiviert sie nicht nur die Anerkennung aus anderen Teilen des Landes Sachsen-Anhalt, wie beispielsweise die Auszeichnung mit dem Demografiepreis 2021. Vor allem sind es die zahlreichen Menschen, die den Verein mit Tatkraft und Zuspruch unterstützen, die sich durch die Belebung beliebter Orte wie dem Bürgermeisterhof wieder mehr mit Salzwedel identifizieren oder – noch besser – sich durch ihr Projekt eingeladen fühlen, selbst anzupacken und ihren gemeinsamen Lebensraum zu gestalten.

 

Da sich aber von geteiltem Idealismus weder Darlehen zurückzahlen noch laufende Kosten decken lassen, freut sich der Verein über finanzielle Unterstützung.

Bürgermeisterhof e.V.
IBAN: DE12 8105 5555 0200 0270 77
BIC: NOLADE21SAW