Das DDR-Grenzregime aufarbeiten, an die Opfer des Todesstreifens erinnern

Die Arbeit der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur am Grünen Band

Birgit Neumann-Becker | Ausgabe 2-2022 | Geschichte

Birgit Neumann-Becker. Foto: Barbara Franke.
Kartographische Darstellung jener Orte auf dem Gebiet des heutigen Landes Sachsen-Anhalt, an denen Menschen Opfer des Grenzregimes wurden (Teil der Ausstellung: „An der Grenze erschossen“, Layout: eckedesign).

Was heute in Sachsen-Anhalt als Lebenslinie geschätzt und geschützt wird, das war ein Todesstreifen: eine in größtem Umfang aufgerüstete tödliche Grenze, ein kleines Glied im gesamten europäischen Eisernen Vorhang. Die Entwicklung des Grenzregimes in der DDR begann mit der Errichtung eines Sperrgebiets zur Demarkationslinie und der Durchführung von Zwangsaussiedlungen aus diesem Gebiet. Es folgte die Strafbewehrung nicht genehmigter Grenzübertritte, der Erlass des Schießbefehls, die Verlegung von Landminen sowie weitere Zwangsaussiedlungen aus dem Sperrgebiet und die Installation von Splitterminen.

Die Folgen dieses Grenzregimes als Teil der SED-Diktatur gilt es aufzuarbeiten. Dazu hat der Landtag bereits 1994 die gesetzliche Grundlage geschaffen, den Grundstein für die Einrichtung einer Behörde der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen gelegt. Da auch mehr als 30 Jahre nach Öffnung des Eisernen Vorhangs die Aufarbeitung der SED-Diktatur nicht abgeschlossen ist, gibt es in Sachsen-Anhalt weiterhin eine Landesbeauftragte, die direkt vom Landtag gewählt wird. Seit 2013 amtiert Birgit Neumann-Becker als Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Sie informiert über politisch motiviertes Unrecht der SED-Diktatur und trägt zur Anerkennung und Würdigung der Betroffenen bei (AufarbBG LSA[1]). Sie ist Ansprechperson für Betroffene von SED-Unrecht, welches bis heute individuell in den Lebensläufen der Betroffenen, aber auch gesellschaftlich nachwirkt und widmet sich der Aufarbeitung der verschiedenen Repressionsformen der SED-Diktatur.

Neben der Rehabilitierung politisch Verfolgter geht es in der Arbeit der Landesbeauftragten und ihrer Behörde unter anderem um Fragen nach dem Umgang mit Folgeschäden durch Haft, Heimerziehung, Staatsdoping, Zersetzung oder Zwangsaussiedlung. Stehen Zwangsaussiedlungen ganz offensichtlich im Zusammenhang mit dem Grenzregime, ist dies bei Haft und Heimerziehung nicht auf den ersten Blick ersichtlich, kann aber gegeben sein. Denn auf die sogenannte „Republikflucht“ standen Haftstrafen, Kindern verurteilter „Republikflüchtlinge“ drohte vielfach die Einweisung in ein Heim.

Im Zusammenhang mit dem Grenzregime, als einem bedeutenden Teil des Gesamtsystems der politischen Verfolgung in der SED-Diktatur, ist es auch nach dem Gesetz zum Grünen Band die Aufgabe der Landesbeauftragten, zur Aufarbeitung des Grenzregimes und zur Vermittlung der Kenntnisse über dieses Regime in die Öffentlichkeit beizutragen (§ 4 GBG LSA[2]).

Einen Überblick über das Grenzregime und Informationen zu allen bisher bekannten Todesfällen an der ehemaligen innerdeutschen Grenze mit Bezug zum Land Sachsen-Anhalt bietet die Wanderausstellung der Landesbeauftragten: „An der Grenze erschossen. Erinnerungen an die Todesopfer des DDR-Grenzregimes in Sachsen-Anhalt“. Die Ausstellung wird durch eine Begleitbroschüre komplettiert, in der Informationen zu den insgesamt 123 Frauen, Männern und Jugendlichen enthalten sind, die auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts an der innerdeutschen Grenze ums Leben gekommen sind bzw. aus Sachsen-Anhalt stammten und an anderen Grenzabschnitten der DDR, an der Berliner Mauer oder an Abschnitten des Eisernen Vorhangs in anderen Staaten getötet wurden.

Aufbauend auf die Ausstellung setzt sich die Landesbeauftragte für eine öffentliche Erinnerung an alle Todesopfer an der inner- deutschen Grenze in Sachsen-Anhalt mit einem Gedenkort ein und unterstützt lokale Initiativen zur Stärkung der Erinnerungskultur am Grünen Band finanziell.

Um die jüngste Vergangenheit auf lokaler Ebene – z. B. am Grünen Band – konkret und nachvollziehbar zu machen, hat die Landesbeauftragte mit Freiwilligen im Sozialen Jahr in der Politik und dem Landesamt für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt die interaktive Online-Karte „Orte der Repression in Sachsen-Anhalt 1945 – 1989“ erarbeitet. Die Karte, die auch über ein Smartphone[3] unterwegs genutzt werden kann, verzeichnet u. a. Orte von Todesfällen und Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze; darüber hinaus aber auch ehemalige Standorte von Gefängnissen, MfS-Dienststellen, sowjetischen Militärtribunalen, Spezialheimen und Arbeitserziehungslagern sowie zukünftig auch Standorte von Gedenkzeichen an die SED-Diktatur. Die Karte wird fortlaufend ergänzt und erweitert. Aktuell läuft beispielsweise eine Recherche zum genauen Verlauf des Sperrgebiets zur innerdeutschen Grenze.

In diesem Jahr erinnern wir an 70 Jahre Verschärfung des Grenzregimes und 70 Jahre Zwangsaussiedlung aus dem Sperrgebiet zur innerdeutschen Grenze. Aus diesem Anlass finden in diesem Jahr landesweit Veranstaltungen zu diesem Thema statt. Am Grenzdenkmal Hötensleben wurde, wie in jedem anderen Jahr auch, am 26. Mai an den Tag Beginn der Zwangsaussiedlungen erinnert. Ende April organisierte die Landesbeauftragte gemeinsam mit der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft e. V. (UOKG) eine zweitägige Tagung zu den Zwangsaussiedlungen unter dem Titel „Geraubte Heimat – Aktion „Ungeziefer“. 70 Jahre Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze“. Die Redebeiträge, unter anderem von Zeitzeugen, der Vorsitzenden des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages, Katrin Budde (SPD), der Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur beim Deutschen Bundestag, Evelyn Zupke und den Autoren des Standardwerkes „Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze. Analysen und Dokumente“ Inge Bennewitz und Rainer Potratz stehen allen Interessierten auf der dem YouTube-Kanal der UOKG zur Verfügung.[4]

Im Sommer finden unter dem Titel „Vergessene Vertreibung“ drei Exkursionen zum Thema Zwangsaussiedlung statt. In der Börde (11.6.), der Altmark (25.6.) und im Harz (3.7.) organisieren die Landeszentrale für Politische Bildung, das Lothar-KreyssigÖkumenezentrum, die Evangelische Erwachsenenbildung und die Landesbeauftragte Begegnungen von Interessierten mit Historikern und Zeitzeugen an Orten der Zwangsaussiedlungen 1952. Die Ausstellung „An der Grenze erschossen. Erinnerungen an die Todesopfer des DDR-Grenzregimes in Sachsen-Anhalt“ in Form von Roll-Ups oder Plakaten sowie die zur Ausstellung gehörige Broschüre stehen Schulen oder Gemeinden kostenfrei zur Verfügung und können bei der Landesbeauftragten angefragt werden. Nach Beschluss des Haushaltes für 2022 können durch meine Behörde erneut Projekte am Grünen Band gefördert werden. Dazu können Sie sich gerne an uns wenden.

 

Kontakt

Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Schleinufer 12 | 39104 Magdeburg
Telefon: 03 91 – 5 60.15 01 | E-Mail: info@lza.lt.sachsen-anhalt.de
https://aufarbeitung.sachsen-anhalt.de/

Anmerkungen:

[1] Gesetz über die Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

[2] Gesetz über die Festsetzung des Nationalen Naturmonuments „Grünes Band Sachsen-Anhalt – vom Todesstreifen zur Lebenslinie“.

[3] https://www.geodatenportal.sachsen-anhalt.de/gfds/de/repressionsorte.html

[4] https://www.youtube.com/channel/UCUIJCC9UqEajt3vQESeFwLw)