Denkmalpflege und historische Erforschung – die Arbeit des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) zum Nationalen Naturmonument Grünes Band Sachsen-Anhalt
Sarah Schröder und Justus Vesting | Ausgabe 2-2022 | Geschichte
Direkt namentlich erwähnt wird das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie – Landesmuseum für Vorgeschichte – im Grüne-Band-Gesetz des Landes Sachsen-Anhalt vom 28. Oktober 2019 nur an einer Stelle: Im Paragraf 2 werden diejenigen Institutionen benannt, bei denen die Schutzgebietskarten vom Grünen Band in Papierform hinterlegt sind.[1] Als dem Denkmalfachamt des Landes Sachsen-Anhalt kommt dem LDA dennoch eine wichtige Rolle bei der „wissenschaftliche[n] Erfassung, Erforschung und Dokumentation des Bestandes an Kulturdenkmalen in Sachsen-Anhalt“[2] und damit auch am Grünen Band zu. Um dieser Rolle gerecht zu werden, wurden im Herbst 2021 zusätzliche Referent:innenstellen am Institut für Landesgeschichte, einer Abteilung des LDA eingerichtet, die sich der Denkmalpflege und der historischen Forschung am Grünen Band widmen sollen.
Die baulichen Zeugnisse der ehemaligen Grenze sind nur noch partiell vorhanden, denn nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 wurden die Grenzsicherungsanlagen im sogenannten Schutzstreifen (bis zu 500m landeinwärts) weitgehend abgebrochen bzw. verfüllt. Neben dem Kolonnenweg blieben hier nur wenige Relikte erhalten. In Sachsen-Anhalt zählen hierzu die Grenzübergangsstelle Marienborn – die größte ihrer Art an der innerdeutschen Grenze –, ein vollständig erhaltener Abschnitt einer Grenzsicherungsanlage in Hötensleben und mehrere landschaftsdominierende Grenzwachtürme. Außerdem wurden vereinzelte Teile von Grenzzäunen und -mauern, Grenzsäulen oder Kfz-Sperren erhalten, wie in Stapelburg, Wülperode oder in Böckwitz. Unscheinbarer, aber nicht weniger eindrücklich weisen in der einstigen 5 km breiten Sperrzone Wüstungen auf frühere Ortschaften hin, darunter die Dörfer Jahrsau und Stresow, die im Zuge des Grenzausbaus ab 1952 in landesweiten Aktionen geschleift und deren Bewohner zwangsweise umgesiedelt wurden. Weiter im Landesinneren sind als Teil der tief gestaffelten Grenzsicherungsanlagen Objekte wie Kasernen, Bunker, Sperrzonen-Kontrollstellen und militärische Stützpunkte vorhanden.
Das LDA ist insbesondere für die systematische und flächendeckende Erfassung aller denkmalfähigen bzw. denkmalwürdigen Sachzeugnisse der ehemaligen innerdeutschen Grenze und der Grenztruppen sowie für die Nachqualifizierung und Vertiefung der bisherigen Denkmalerfassungen zuständig und wirkt im Rahmen dieser Aufgaben an der Erstellung des Pflege-, Entwicklungs- und Informationsplanes (PEIP)[3] zum Nationalen Naturmonument Grünes Band Sachsen-Anhalt mit. In einer georeferenzierten Datenbank werden alle Hinweise zu erhaltenen und verlorenen Grenzobjekten sowie mit den ehemaligen Grenzanlagen in Verbindung stehende Örtlichkeiten und Gegebenheiten erfasst.
Seit dem Beginn der Bestandsprüfung wurden bereits einige Denkmale ausgewiesen, darunter eine Grenzkaserne in Schwanefeld, Reste eines ehemaligen Sperrzonen-Kontrollpunktes bei Osterwieck und ein Grenzsicherungsabschnitt bei Böckwitz. Bei Walbeck werden die Vorarbeiten für den Wiederaufbau eines 2009 demontierten Beobachtungsturmes fachlich begleitet.
Neben der Denkmalpflege widmet sich das LDA auch der historischen Forschung zum Grenzkontext. Hierbei bilden neben der Geschichte der Grenzanlagen und des Grenzregimes vor allem die Zusammensetzung der Grenzgesellschaft sowie der Alltag im Sperrgebiet und im Zonenrandgebiet (auf der Westseite) die gegenwärtigen und zukünftigen Forschungsfelder. Darüber hinaus gilt es, die Rolle der Grenze und deren Einbettung in die Geschichts- und Erinnerungskultur und -politik in Ost und West vor und nach 1989/90 zu untersuchen. Dafür werden Akten in Archiven des gesamten Bundesgebietes gesichtet und ausgewertet sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen interviewt.
Ein erster Forschungsschwerpunkt bildet dabei der ehemalige Grenzort Stapelburg im Nordharz. Der Ort lag nicht nur innerhalb des 5km-Sperrgebietes, sondern in Teilen auch innerhalb des 500m-Schutzstreifens, so dass sich einige Häuser unmittelbar an der Grenze befanden. Diese Grenznähe machte Stapelburg zu einem beliebten Beobachtungsobjekt für westdeutsche Grenztouristen.
Mit dem Ausbau des Grenzregimes mussten nach 1961 auch die Gebäude der bekannten Luftkuranstalt „Jungborn“ weichen, in der sich einst sogar Franz Kafka, Hans Albers oder Marika Rökk erholt hatten. Stapelburg war darüber hinaus Schauplatz von Zwangsaussiedlungen und Enteignungen, wie sie sich ab 1952 DDR-weit im Grenzgebiet ereigneten. Mehrere Menschen kamen an der Grenze im Raum Stapelburg ums Leben. Eine überregionale Popularität erlangte Stapelburg am 11. November 1989. Bereits zwei Tage nach der folgenreichen Pressekonferenz, bei der das SED-Politbüro-Mitglied Günter Schabowski neue Regelungen zur Reisefreiheit und damit de facto die Öffnung der Grenzübergangsstellen bekanntgab, fielen auch hier die Grenzanlagen – letztlich durch die friedliche Selbstermächtigung der Bevölkerung.
Diese und künftige Forschungen bauen auch auf das über viele Jahre gesammelte Wissen und die Kontakte der Vereine und anderer lokaler Akteure am Grünen Band auf, die sich mitunter seit über 30 Jahren für die Erinnerungskultur und touristische Angebote einsetzen. Als Synergieeffekt sollen die lokalen Initiativen von der denkmalfachlichen und geschichtswissenschaftlichen Arbeit des LDA profitieren können.
Anmerkungen:
[1] Vgl. §2 Abs. 8 des Gesetzes über die Festsetzung des Nationalen Naturmonuments „Grünes Band Sachsen-Anhalt – Vom Todesstreifen zur Lebenslinie“ (GBG LSA) vom 28 10. 2019.
[2] Vgl. §5 Abs. 2 des Denkmalschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt vom 21. 10. 1991.
[3] Dieser in den nächsten vier Jahren zu erstellende Plan, dient dem Ziel Naturschutz und Erinnerungskultur aufeinander abzustimmen und das Gebiet im Sinne seines Schutzzweckes zu entwickeln, aber auch um einen schonenden, naturnahen Tourismus erlebbar zu machen. Vgl. §7 GBG LSA.