Die Jugendbauhütte Quedlinburg (JBH)

Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) Kultur in der Denkmalpflege

von Andrea Friedrich | Ausgabe 2-2019

Wohnhaus Pölle, Foto: Internationale Jugendgemeinschaftsdienste LV Sa.-Anh. e. V. (ijgd)
Mai 2015 Seminar, Arbeiten an der Historischen Fassade Gleimhaus Halberstadt, Foto: Henrik Bollmann (AWZ gGmBH Halber­stadt)
Mai 2014, Seminar Herstellen von Lehmwickeln für „Projekt Goldstraße 25“ in Quedlinburg, Foto: Internationale Jugendgemeinschaftsdienste LV Sa.-Anh. e. V. (ijgd) –  Fr. Pirscher
Dezember 2014, Seminar/ Holzwerkstatt (Freiwilliger Ruwen D.), Foto: ijgd, Andrea Friedrich
Juni 2017, Seminar in Vollenschier/ Arbeiten an der Historischen Kirchenmauer, Foto: ijgd, Andrea Friedrich 

Quedlinburg – das sind 1300 Fachwerkhäuser aus sieben Jahrhunderten, verwinkelte Gassen, Schlossberg, Stiftskirche, Domschatz und mittelalterliches Flair. Welche Stadt bot sich mehr an für die Errichtung der ersten Jugendbauhütte als eine über tausendjährige, kulturgeschichtlich überaus bedeutsame, von der UNESCO in das Weltkulturerbe aufgenommene Stadt am Harzrand. Hier in Sachsen-Anhalt begann im Jahr 1999 die Erfolgsgeschichte der Jugendbauhütten der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD). Bislang wurden bundesweit 14 Jugendbauhütten eingerichtet.

Das FSJ Kultur in der Denkmalpflege hat zum Ziel, junge Menschen zu einer intensiveren Beschäftigung mit dem kulturellen Erbe zu bewegen und bietet Einblicke in Arbeitsfelder in der Denkmalpflege und handwerklichen Berufen, ermöglicht praktische Erfahrungen und eine erste berufliche sowie persönliche Orientierung.

Innerhalb eines Jahres können Jugendliche im Alter von 16 bis 26 Jahren in Vereinen, Handwerks- und Baubetrieben, bei Architektur- und Planungsbüros oder Denkmalbehörden mitarbeiten. In den Seminaren werden begleitend Stil- und Materialkunde, Forschungs- und Arbeitsmethoden, Grundlagen der Denkmalpflege sowie die Bedeutung des europäischen Kulturerbes vermittelt. Unabhängig vom späteren Berufsweg nehmen die Jugendlichen die Erfahrung im Umgang mit Geschichte, Originalsubstanz und ihren handwerklichen Fähigkeiten mit.

Während der Seminare arbeitet die Jugendbauhütte Quedlinburg mit Fachreferenten, Handwerksbetrieben und Künstlern und Künstlerinnen aus der Region zusammen. Schwerpunktthemen sind die Baugeschichte und Baukonstruktion von der Antike bis zur Moderne, traditionelles Handwerk, Restaurierung und Kunst, immer wieder verknüpft mit Projekten, an denen Erlerntes ausprobiert bzw. angewendet werden kann.

„Die Hütte braucht eine Hütte“ – hier ließ sich die Deutsche Stiftung Denkmalschutz von der Idee anstiften, den Freiwilligen der Jugendbauhütte Quedlinburg ein Haus zur Verfügung zu stellen. Damit bekommt die „Bauhüttenidee“ ein Gesicht. Im September 2003 bezogen die ersten Freiwilligen ihre „Hütte“ in der Pölle 5. Das Ehepaar Brigitte und Dr. Hans Linhard machte dies durch die Errichtung einer Treuhandstiftung in Verwaltung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz möglich. Die jährlichen Erträge dieser Stiftung sichern nun die Zukunft des Hauses, das hochachtungsvoll und offiziell den Namen „Linhard-Haus“ trägt.

Das Haus entwickelt sich immer mehr zu einer Begegnungsstätte. Neben aktuellen Freiwilligen finden hier auch ehemalige Freiwillige Unterkunft, wenn es sie zu einem Besuch oder Treffen nach Quedlinburg führt. Praktikanten unserer Einsatzstellen nutzen das Haus vorübergehend als Unterkunft, aber auch Ehemalige, die in Quedlinburg eine Ausbildungsstätte gefunden haben, wohnen im Haus. Werte wie Akzeptanz, Kompromissbereitschaft, Verantwortung und Vertrauen spielen im Zusammenleben aller WG-Bewohner eine zentrale Rolle. Die Auseinandersetzung mit den anderen ebenso wie Alltagsbewältigung (Einkaufen, Kochen, Wäsche waschen, pünktlich auf Arbeit erscheinen etc.) stärkt das Selbstbewusstsein und fördert soziale Kompetenzen.

Tagsüber arbeitet man in den Projekten und kann am Abend mit den Mitbewohnern diskutieren, sich austauschen, werkeln, feiern oder einfach nur „abhängen“. Die Gemeinschaftsräume, Bibliothek, Lehmbackofen und Werkstatt bieten genügend Raum für gemeinsame Aktionen und natürlich auch Rückzugsmöglichkeiten.

Einen Schwerpunkt der Jugendbauhütte Quedlinburg bildete bis 2007 neben dem traditionellen Handwerk und der Archäologie das Praxisprojekt „Goldstraße 25“ in Quedlinburg.

Schon im ersten Jahr des Bestehens der Jugendbauhütte Quedlinburg (1999) äußerten Freiwillige den Wunsch, ein eigenes Denkmal zu sanieren. Dieser Wunsch wurde von der DSD schnell aufgegriffen. Im Jahr 2000 erwarb sie den dem Zerfall preisgegebenen barocken Kaufmannshof in der Goldstraße. Das Deutsche Fachwerkzentrum Quedlinburg e. V. (DFWZ) übernahm die fachliche Leitung des Projektes. Seit 2001 war nun das Praxisprojekt „Goldstraße 25“ Einsatzstelle für jeweils 5 – 6 Jugendliche pro Jahr, gleichzeitig diente es als Bildungsangebot während der Seminare. Angefangen von der behutsamen Entkernung des Gebäudes bis hin zur feierlichen Übergabe in 2006 arbeiteten ca. 150 Freiwillige der Jugendbauhüttenjahrgänge Hand in Hand mit den Fachleuten aller Gewerke an dem Projekt.

So wurden zum Beispiel Fenster aufgearbeitet, der Sandsteinsockel saniert, Fachwerkwände gestellt und im Anschluss die Gefache gefüllt, Lehmputz im Innen- und Außenbereich angebracht, Fußböden und die Treppenanlage rekonstruiert, Fliesen gelegt und zu guter Letzt die Malerarbeiten ausgeführt.

Am Ende stand der Beweis, dass auch ungelernte, engagierte Jugendliche unter fachlicher Anleitung Großartiges schaffen können. Die Freiwilligen können mit Stolz behaupten: „Hier haben wir gebaut“.

An Projekten des DFWZ beteiligte sich die Jugendbauhütte Quedlinburg auch in den Folgejahren ab 2008. Jugendliche wirkten mit bei der Sanierung des „ Klopstock-Gartenhauses“ und dem Gebäude „Schlossberg 11“ in Quedlinburg sowie bei der Sanierung des ehemaligen Schulgebäudes „Hühnerbrücke 4“ in Halberstadt.

Im Mai 2015 unterstützte die Jugendbauhütte Quedlinburg Arbeiten an der historischen Fassade am Gleimhaus in Halberstadt. Im Rahmen eines zweiwöchigen Bildungsseminares mauerten Freiwillige der Jugendbauhütte Gefache aus. Zum Ausmauern der Gefache der 554 Jahre alten Fassade kamen 40 Prozent alte Ziegelsteine zum Einsatz, gemauert wurde mit Hochbrandgipsmörtel, nicht zu vergleichen mit dem heute üblichen Gips.

In den Jahren 2016 und 2017 wirkten die Freiwilligen bei der Sanierung der das Gotteshaus umgebenden historischen Backsteinmauer an der Vollenschierer Kirche mit. Es wurden Mauersteine und Formsteine zur Wiederverwendung aus dem rückseitigen Teil der Mauer geborgen. Unter Anleitung erfahrener Handwerker konnte die vordere Mauer komplett saniert werden, Pfeiler wurden gerichtet, Steine ausgetauscht die Mauerkrone erneuert.

Zudem erhielt die Kirche nach altem Vorbild fünf neue Traufsteine, um das Regenwasser von der Kirche abzuleiten.

Im vergangenen Jahr fertigten die Freiwilligen der Jugendbauhütte für den „Schloss und Schlosspark“ Ballenstedt e. V. ein geschmiedetes Fenstergitter unter Anleitung eines Metallbildhauers aus der Region.

Die Jugendbauhütte Quedlinburg legt wert auf eine internationale Besetzung der Gruppen. Junge Leute kamen bisher aus Frankreich, Spanien, den Niederlanden, England und Italien. Aber auch Jugendlichen aus anderen Teilen der Welt steht das Projekt offen. So hatten wir schon Gäste aus Russland und Australien, Japan und Sambia. In diesem Jahr dabei sind junge Menschen aus Tansania, Mexiko und Madagaskar.

Erklärtes Ziel aller Jugendbauhütten ist es, junge Menschen zu einer intensiveren Beschäftigung mit dem kulturellen Erbe zu bewegen und an die Thematik des Denkmalschutzes heranzuführen. Nicht jede ehemalige Teilnehmerin / jeder ehemalige Teilnehmer wird nach dem Freiwilligendienst in der Denkmalpflege beruflich einen Weg in Richtung Handwerk, Architektur, Kunstgeschichte oder gar Restaurierung und Denkmalpflege einschlagen. Von den Meisten wird man jedoch hören: „Man, das war schön!“

Ein Projekt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) in Trägerschaft der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste (ijgd), gefördert durch das Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt / Europäischer Sozialfond sowie das Kinder- und Jugendplan-Programm „Freiwillige soziale Dienste“ der Bundesrepublik Deutschland.